Mondlaub (Tanja Kinkel)

 
Goldmann Verlag (August 1997)
Taschenbuch, 416 Seiten, EUR 8,50
ISBN: 978-3-442-42233-3

Genre: Historik


Klappentext

Bedrängt von den christlichen Königreichen Spaniens und Portugals und zerrissen von inneren Machtkämpfen, gehen 1492 siebenhundert Jahre Maurenherrschaft zu Ende. Auch für Layla, die Tochter des Emirs von Granada und seiner zweiten Frau, der Kastilierin Isabel de Solis. Layla, die schon als Kind den Giftstachel der Intrige zu spüren bekam und die als Dona Lucia unfreiwillig am Hof Isabellas und Ferdinands Zeugin des Untergangs ihrer geliebten Heimat wird.


Rezension

In der Reconquista, der christlichen Wiedereroberung des arabischen Spaniens, fällt die Welt des Mädchens Layla in Trümmer. Es ist die Welt der arabischen Herrscherfamilie von Granada, kultiviert, intrigant; eine Umgebung voller Schönheit und Gefahr, die die Schutzsure, im Innern des Palastes angebracht, bitter nötig hat und die doch für Layla Heimat bedeutet. Inmitten der zwiespältigen, oft rätselhaften Erwachsenen wächst sie mit ihrem Zwillingsbruder Tariq auf, eingehüllt in kindliche Träume und Spiele. Aber Tariq steht anderen am Hof im Weg, und die Zeit des Spielens kommt zu einem jähen Ende, als er vor Laylas Augen erschlagen wird. Die Mutter der Zwillinge, Isabel, flieht mit ihrer Tochter aus Granada in das heimatliche Kastilien – und stürzt das Mädchen mitten hinein in das letzte, brutale Ringen um die Vorherrschaft in „al-Andalus“. Fortan sehnt Layla sich nur noch nach zwei Dingen: der Rückkehr ins sonnige Granada - und grausamer Rache für den Tod des Bruders. Sie wird schließlich beides erhalten, am Ende, wenn ihre Welt zugrunde gegangen ist – und nichts wird so sein, wie sie es sich gewünscht hat.

Wegen des scharfen Gegensatzes, den der Roman zwischen maurischer und kastilischer Lebensweise eröffnet, ist ihm oft eine zu starke Vereinfachung vorgeworfen worden. Was aber auf den ersten Blick tatsächlich wie Schwarz-Weiß-Malerei anmutet, besteht bei genauerem Hinsehen aus so vielen zarten, verschwommenen Grautönen wie das „Mondlaub“, das dem Buch seinen Namen gab: Während Layla sich zwar in die vertraute kindliche Welt zurücksehnt und alles in Kastilien als kalt, primitiv und schmutzig empfindet, wird doch auch Granada von Anfang nicht nur positiv geschildert. Die Intrigen um die Thronfolge, die komplizierten Beziehungen der Emirskinder untereinander, die Ermordung Tariqs als schauriger Höhepunkt zeigen deutlich die blitzenden Klingen unter Samt und Seide des Lebens im Palast von Granada. Diese offenen und versteckten Gegensätzlichkeiten und Brüche sind es, die das Buch besonders interessant machen.

Ein ganz eigenes Element fügt dem Bild noch weitere Schärfe hinzu: der jüdische Wiedergänger Jusuf, ein von Schmerz und Rachsucht zerrissenes Gespenst aus der Gründungszeit des maurischen Granadas, das zum zwiespältigen Helfer Laylas wird. Jusufs grausamer, ungerechter Tod unter den früheren maurischen Herren, sein Leid, das sich bis in Laylas Zeit hinein fortsetzt, zersplittern das Bild des warmen, kultivierten, toleranten al-Andalus vollends. So ungewöhnlich, wie dies geisterhafte Element in einer historischen Geschichte zunächst anmutet, so gut funktioniert es doch bald und trägt maßgeblich zur Grundstimmung des ganzen Buchs bei. In Jusuf und Laylas Beziehung zu ihm verbinden sich die beiden tragenden Säulen aller großen Geschichten, die Liebe und der Tod, auf besonders spannende Weise.

Wie Layla und Jusuf sind auch die anderen Figuren des Romans liebevoll, interessant und sehr menschlich gezeichnet. So abstoßend ihre Handlungen manchmal auch durch heutige Augen betrachtet wirken, bleiben sie doch immer nachvollziehbar und charaktergemäß. Viele scheinen nicht unbedingt auf die Sympathie des Lesers hin angelegt, aber ihre Lebendigkeit wirkt dennoch mitreißend. Ebenso sind die wichtigen Orte der Handlung, allen voran „al-Hamra“ (die Rote), der auch heute noch für seine überragende Architektur berühmte Emirspalast, so zart und poetisch gezeichnet, das aus manchen Seiten Orangenduft zu wehen scheint und das leise Plätschern von Springbrunnen. Vielleicht geht die Autorin gelegentlich etwas zu weit in dem Bemühen, Verbindungen zum modernen Leser herzustellen: der Roman leidet an einigen leichteren Schwächen, was die historischen Fakten betrifft, und ein so widerspenstiges, eigensinniges junges Mädchen wie Layla erscheint für Zeit und Ort zumindest ein wenig ungewöhnlich. Die fesselnde, anrührende Geschichte, die starken Charaktere und die leuchtenden Farben der Romanumgebung tragen den Leser aber ohne Stocken darüber hinweg.


Fazit

Laylas Geschichte ist durchweg so spannend wie bewegend erzählt. Personen und Orte wirken zum Greifen nah und lebendig, die eingeflochtene Geister-Liebesgeschichte ist zwar ungewöhnlich, aber plausibel vernetzt und sehr anrührend. Insgesamt hinterlässt das Buch den prickelnden, bittersüßen Nachgeschmack einer aufregenden, farbenprächtigen, wundersamen Welt, deren Zauber auch die Feuer der Reconquista nicht gänzlich auslöschen konnten.


Pro und Kontra

+ lebendige Charaktere und farbenfrohe Ortsbeschreibungen
+ spannende Geschichte
+ sehr interessanter und meistens gekonnt eingearbeiteter historischer Hintergrund
+ ungewöhnliche Liebesgeschichte
+ sprachlich sehr ansprechend
+ vielschichtig und tiefgängig, ohne kopflastig zu werden
+ gute, passende Länge

- kleinere historische Ungenauigkeiten

Wertung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
Sprache: 5/5
Lesespaß: 5/5
Historische Genauigkeit: 4/5
Preis/Leistung: 5/5

 

Rezension zu "Manduchai - Die letzte Kriegerkönigin"