Das Affenhaus (Sara Gruen)



Kindler Verlag (2011)
Gebunden, 416 Seiten, EUR 19,95
ISBN: 978-3463406022

Genre: Belletristik


Klappentext

Isabel Duncan ist Wissenschaftlerin an einem Institut für Menschenaffen. Sie arbeitet mit Bonobos, einer Schimpansenart, die eine große Begabung für Sprache besitzt. Menschen bleiben Isabel oft ein Rätsel. Wohler als unter ihresgleichen fühlt sie sich bei den ihr anvertrauten Affen. Als eines Tages im Institut eine Bombe explodiert, wird Isabel schwer verletzt. Die Affen flüchten in Panik. Eine dramatische Suche beginnt …


Rezension

Für Isabel sind die Bonobos, die sie betreut, nicht einfach Affen. Sie sind ihr Familie, Freunde, ein Stück intakte, funktionierende Beziehungswelt. Mühelos schaffen die Bonobos untereinander all das, was ihr selbst so schwer fällt und doch so sehr fehlt: Nähe, Liebe, Vertrauen, Geborgenheit. Als die Bombe im Menschenaffen-Institut explodiert, reißt sie Isabels Zuhause in Stücke – mehr noch, als sie im ersten Augenblick ahnt. Schwer verletzt, das Gesicht fürchterlich entstellt, liegt sie auf der Intensivstation und muss im Fernsehen miterleben, wie die verängstigten Bonobos mit Betäubungspfeilen aus den Bäumen in der Nähe des Instituts geschossen werden, wohin sie sich geflüchtet hatten. Danach verschwinden sie scheinbar spurlos. Und Isabel setzt alles daran, sie wieder zu finden.

Bei der Suche ist sie nicht allein. Andere nehmen, mit ihr gemeinsam oder unabhängig, denselben Faden auf. Da ist Celia, ihre spleenige Assistentin, die ihr in ihrer unkonventionellen Art besser zur Seite steht als ihr Liebhaber und Forscherkollege, der sich mit jeder Seite zwiespältiger entwickelt. Und da ist John, der Journalist, fasziniert von den Bonobos und getrieben von dem Wunsch, endlich „seine große Story“ zu finden, während seine Frau Amanda ihren eigenen Besessenheiten folgt und beide immer weiter auseinander treiben. Dann tauchen die Bonobos plötzlich im Fernsehen auf – im „Affenhaus“, einer perfiden „Big Brother“-Variante. Und Millionen Menschen verfolgen allabendlich gebannt das Treiben der unbeaufsichtigten Affengruppe …

Sara Gruen beschreibt die Suche spannend, die Isabel und ihre Bonobos am Ende wieder zusammenführen wird. Es gelingt ihr auch, dem Leser zumindest einen ersten Eindruck von der faszinierenden Welt dieser Tiere zu vermitteln, von ihrer Intelligenz, Emotionalität und Sprachbegabung. Dennoch sind nicht die Affen das eigentliche Thema des Buchs. Die Menschen in ihren gestörten, gesplitterten Beziehungen sind es, die Gruen beobachtet und beschreibt, voller Anteilnahme und sehr einfühlsam. So gelingen ihr immer wieder wunderbar dichte kleine Szenen, die nahe gehen, weil sie allzu Vertrautes berühren.

Die große Sympathie der Autorin für ihre Figuren wirkt sich aber leider auch nachteilig aus. Was sich für eine ganze Weile noch hinreißend naiv anfühlt und wie eine wunderbare, verspielte Abwechslung zu psychoanalyseschweren Beziehungsdramen liest, wird irgendwann im Lauf des Buchs flach und vorhersehbar. Die Figuren entwickeln Gegensätze, zeigen Ecken und Kanten und verletzen sich gegenseitig daran, nur, um sich ein paar Seiten später versöhnlich und verständnisvoll zu zeigen. Das Alles wird gut werden zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch, dessen Farbe immer aufdringlicher wird. Darunter leiden die Figuren, aber auch die Geschichte selbst. So sehr man selbst diesen sympathischen Umgetriebenen einen glücklichen Ausgang wünscht – die sehr prompte Erfüllung schmeckt wie zu viel Schokolade.

Auch die Bonobos setzt Gruen letztlich nur sehr konventionell ein. Der Leser taucht zwar gelegentlich in ihre Gruppe ein, eine faszinierende neue Sicht der Dinge; aber hieraus folgt weiter nichts. Die verschiedenen Persönlichkeiten, die an ihnen sichtbar werden, wirken zwar sympathisch, anrührend, oft komisch und natürlich sehr menschlich, aber es ergeben sich aus ihnen keine Handlungsstränge, keine weiterführenden Assoziationen. So bleiben die Tiere unplastisch, und der Verdacht drängt sich auf, dass sie am Ende eigentlich nur eine Funktion zu erfüllen haben: Sie sollen „die besseren Menschen“ sein, die beherrschen, was wir längst verlernt haben, und die sich auch durch Verlockungen nicht dazu bringen lassen, die enge Gemeinschaft untereinander aufzugeben. Eine solche Reduzierung taugt der an sich doch spannenden und interessanten Geschichte wenig; und sie wird weder den komplexen zwischenmenschlichen Beziehungen noch unseren faszinierenden nächsten Verwandten wirklich gerecht.


Fazit

„Das Affenhaus“ ist flott geschrieben, gut lesbar und wartet mit interessanten Figuren – menschlichen wie nichtmenschlichen – und einem spannenden Thema auf. Im Ganzen bleibt es aber zu oberflächlich und konfliktscheu, um einen wirklich tiefen Eindruck zu hinterlassen.


Pro und Kontra

+ spannendes, neues Thema
+ leichtfüßige Sprache
+ faszinierende Eindrücke vom Sozialverhalten der Menschenaffen

- Konflikte werden nicht ausgereizt und meist rasch wieder beendet
- die vielschichtige Beziehung Mensch – Menschenaffe wird kaum näher betrachtet
- die Idee des „Affenhauses“ wirkt konstruiert, die Reaktion des Fernsehpublikums unplausibel
- die kurze Begegnung Isabels mit den unsäglichen Verhältnissen in einem medizinischen Affenforschungslabor wirkt wie eine Pflichtschilderung

Wertung:

Handlung: 3/5
Charaktere: 4/5
Sprache: 4/5
Lesespaß: 3/5
Preis/Leistung: 4/5