Bis unter die Haut (Julia Hoban)

cbt (April 2011)
Gebundenes Buch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-570-15265-2
€ 16,99 [D]

Genre: Belletristik / Jugendbuch


Klappentext

„Willow schaut unsicher zu den anderen Mädchen. Sie hat das ungute Gefühl, dass sie über sie reden, und sie ist sich auch ziemlich sicher, dass sie weiß, was sie sagen. Das ist die, die keine Eltern mehr hat. Nein, dass ist die, die ihre Eltern umgebracht hat ...“

Vor einem halben Jahr kamen Willows Eltern bei einem Autounfall ums Leben. Hinter dem Steuer saß Willow. Jetzt erträgt sie die Schuldgefühle nur, in dem sie sich ritzt. Da kommt Guy in ihre Klasse. Guy kämpft um Willow, entdeckt ihr Geheimnis – und Willow muss sich entscheiden: zwischen dem Ritzen und Guy ...


Rezension

Julia Hoban ist vielseitig talentiert, studierte Physik sowie Philosophie und entwirft schon seit langer Zeit gerne Handtaschen oder auch Kleidungsstücke. Sie lebt mit ihrem Mann in New York, schreibt vorwiegend Kinder- und Jugendbücher und präsentiert mit Bis unter die Haut eine Geschichte über das Ritzen. Eine, die laut dem School Libarary Journal, den Leser die Situation eines solchen Menschen nachempfinden lässt.

>> Ihr Bein tut weh. Unglaublich, dass ein fünf Zentimeter langer Schnitt solche Schmerzen verursachen kann. Es ist wirklich ganz einfach – man muss ihn nur öffnen, bevor er verheilt ist, und dann versuchen, ihn mit etwas Stumpfem, zum Beispiel der Spitze eines Turnschuhs, auf sechs oder sieben Zentimeter zu vergrößern. <<

Willow ist verzweifelt und fühlt sich allein gelassen seit dem Tod ihrer Eltern. Ihrem Bruder David, der sie seit dem schrecklichen Autounfall zu sich genommen hat, kann sie kaum in die Augen schauen, denn das Mädchen macht sich für ihren und seinen Verlust verantwortlich. Sie ist am Steuer des Unfallwagens gesessen und hat durch den Kontrollverlust auf nasser Fahrbahn ihre Eltern umgebracht; ist zur Mörderin geworden. Eine, die man hassen muss und die sich selbst nur hassen, bestrafen und verletzten kann. Der einzige Trost, der ihr bleibt, sind ihre Klingen. Ihre Seelentröster, diesen unerträglichen Schmerz verschwinden lassen, um sie sanft zu umarmen. Doch schon bald wird ihr Geheimnis von dem charmanten Guy entdeckte, der sich ab diesem Zeitpunkt für Willow verantwortlich fühlt. Ihr Schmerz ist seine Sorge. Und ihr Herz schlussendlich das, was er begehrt ...

Von einem sogenannten Problembuch, das sich mit mehr oder weniger aktuellen Themen beschäftigt, die oft und gerne manchmal auch todgeschwiegen werden, erwartet so manch geneigter Leser im Grunde viel. Denn nicht umsonst beschäftigt man sich mit solch einem meist schwerverdaulichem Inhalt und möchte, ein wenig klüger geworden, die Geschichte schlussendlich noch einmal Revue passieren lassen können. Verstehen und sich etwas einfinden, um der ganzen Problematik näher zu sein. Julia Hoban, eine scheinbar bisher sehr erfolgreiche Autorin, hat daher sicherlich nicht umsonst das Interesse vieler Leser geweckt. Denn ihr Jugendbuch befasst sich mit dem Ritzen; der Selbstverstümmelung, die es dem Protagonisten erlaubt, nichts zu fühlen und seinen Problemen auf diese Weise entfliehen zu können. Und wenn Julia Hoban etwas wirklich gut vermittelt, dann das. Akribisch beschäftigt sich der Leser deshalb von Beginn an nur mit Willows tiefsten Wunsch, sich eine Klinge über Arme, Beine oder auch über ihren Bauch zu ziehen. Manchmal oberflächlich oder eben auch sehr tief; so wie es gerade ihre Situation und Stimmung verlangt. Und Situationen, die das High Scool Mädchen überfordern, gibt es in Hülle und Fülle. Sei es die abwegige Ahnung, dass alle Schüler nur über sie tuscheln, ein strenges Wort des Lehrers oder der Umgang mit ihrem Bruder, der für Willow unerträglich geworden ist. Ständig kann sie nur an eines denken: Ihre Klingen. Gedanken, die der geneigte Leser erwartet hat, ihn dennoch aber rasch abstumpfen lassen. Denn Stück für Stück wird der Alltag des Mädchens verfolgt und man kann zwar entfernt nachvollziehen, warum Willow sich verletzt, aber so wirklich kommt der Schmerz und die Verzweiflung nicht an. Dafür arbeitet Julia Hoban zu sehr mit Bildern und leider zu wenig mit Gefühl. Potenzial wird schmerzlich außen vorgelassen und dieser Eindruck bleibt leider bis zum Ende hin bestehen. Denn Bis unter die Haut ist eintönig. Das angekündigte Thema wird zwar mehr als nur offensichtlich angekratzt, jedoch nur oberflächlich und wenig vielfältig. Eine andere, liebevollere Umsetzung wäre dem vorzuziehen und angemessener gewesen.

Stattdessen wankt das Geschehen abwechselnd zwischen dem neuen Zuhause, Willows Treffen mit Guy, ihrem Arbeitsplatz oder aber dem blühenden Park hin und her. Und das völlig handlungsfrei. Das Thema bleibt durchschaubar; Willow dem Leser weiterhin fern und dieser Eindruck wandelt sich nur dann, in manchen Momenten, wenn sie mit Guy zusammen ist und ihm langsam vertraut. Warum sich das Mädchen jedoch so schnell in eine solche Richtung entwickelt bleibt ein Rätsel. Denn mag es gerade für junge Leser noch so romantisch sein, so fehlt der Bezug zur Realität und zur Sucht, sich selbst zu verletzten. Eine, die betroffene Personen eben nicht einfach loslässt. Nicht in solch einer Form und mit solchen Auswüchsen. Dennoch ist Willow dem Leser nicht völlig egal. Man beobachtet sie (etwas ermüdetet) gern weiter und nimmt zwiespältig zur Kenntnis, wie es ihr gelingt (bis auf wenige, quälende Ausnahmen) beinahe von einen Tag auf den anderen aufzuhören. Erklärt wird dieser Umstand mit Zeitmangel und einem vorerst noch undefinierbaren Gefühl für Guy. Und ab diesem Moment rückt die Liebesgeschichte der beiden und ihr Ringen mit der Situation in den Vordergrund. Ihre Gespräche erheitern manchmal; bieten Abwechslung und befreien auch den Leser. Die Liebe der beiden ist zwar nicht ganz erklärbar (wie so manch anderes) da zu wenig Raum und vor allem viel zu wenig Zeit zum entwickeln gegeben wurde, dennoch ist es recht nett die beiden beobachten zu können. Guys Probleme mit Willows Verstümmelungen bringen hierbei wieder etwas Glaubwürdigkeit ein; sind verständlich und lassen sich großteils nachvollziehen. Ein Pluspunkt der gefällt, dennoch aber nicht die authentische Sichtweise auf die Problematik retten kann. Denn von dieser Seite betrachtet, hat Julia Hoban zu viel verspielt. Mehr Zeit und mehr Umfang hätten dem Ganzen gut getan. Sieben Monate Höllenqualen sollten nicht so einfach wegzuwischen sein und auch, wenn am Ende genügend Schmerz in Willow bleibt, so ist es doch zu wenig, um den Leser noch überzeugen zu können. Und eben deshalb wird dieses Buch zur Seite gelegt mit dem Gefühl schlicht unterhalten, aber kein Stück klüger geworden zu sein. Das Thema wurde aufgegriffen, um ein Drama zu gestalten, nicht aber um einen Zugang zu erleichtern und das ist wohl die größte Enttäuschung an diesem Roman.

Empfohlen wird Bis unter die Haut für Kinder ab zwölf Jahren und wieder einmal kann man bei diesem Gedanken nur den Kopf schütteln. Willow ist fast erwachsen; besitzt den Führerschein. Ein Einfinden in ihre Gedanken und in diese Liebesbeziehung ist wohl am meisten Gleichaltrigen möglich. Jugendliche, die schlussendlich mit Julias Hobans Moral gefüttert werden, dass Liebe und Zusammenhalt irgendwann alles heilt. Zumindest das lesen auch reifere Leser gern.


Fazit

Style over Substance – Bis unter die Haut beweist sehr klassisch, wie man ein so schwerwiegendes Thema aufgreifen kann, um den Anschein zu geben, es wirklich auseinander zu nehmen, jedoch im Grunde eher Oberflächen kratzt. Vor allem jugendliche oder weniger kritische Leser werden sich daran jedoch wenig stören und vermutlich sogar gefallen an der doch durch das Thema eher eintönigen Romance finden. Denn dass sich ein netter Junge um ein Mädchen kümmert, dessen Schmerz unendlich ist wird schlussendlich gerne gelesen und gesehen. Erwachsenen Lesern oder solche, die sich mit diesem Thema wirklich beschäftigen wollen, sei jedoch anderer Lesestoff empfohlen.


Pro & Contra

+ Grundgedanken und manche psychologische Tiefen
+ zum Teil spannend, besonders für Jugendliche
+ schlussendliche Moral annehmbar
+ nettes, unterhaltendes Jugendbuch
+ liebenswerte, aber auch immer noch etwas ...

o ab vierzehn Jahren geeignet
o simpler Stil im Präsens gehalten

- ... zu lasch und wenig tiefgründig gezeichnete Charaktere
- für erwachsene oder kritisch hinterfragende Leser nur bedingt interessant
- grundlegende Hemmungen werden zu leicht verabschiedet
- Problematik an sich zu leicht gelöst für solch eine Vorgeschichte
- Thema teils mangelhaft umgesetzt
- wenig nachdenklich machend
- kaum vorhandener Handlungsverlauf
- eintönig und sich leicht wiederholend

Wertung:

Charaktere: 3 / 5
Handlung: 2,5 / 5
Lesespaß: 3 / 5
Thematik: 2 / 5
Preis/Leistung: 3 / 5