Ein Versteck im Himmel (Irma Krauß)

cbt (April 2011)
Taschenbuch, 160 Seiten
ISBN: 978-3570222379
€ 5,99 [D] | € 6,20 [A]

Genre: Belletristik / Jugendbuch


Klappentext

Es ist ein Aprilmorgen im Jahr 1942. Gemeinsam mit den letzten jüdischen Bewohnern der kleinen Stadt hat man Jascha Rosen zum Bahnhof getrieben. Aber Jascha flieht – halsbrecherisch – in die Kirche und auf den hohen Kirchturm. Er muss durchalten, er muss überleben, das hat er seinem großen Bruder Hermann versprochen. Aber wie soll ein 10-jähriger Junge überleben, wenn alle anderen ihn jagen?


Rezension

Irma Krauß arbeitete nach einem Pädagogikstudium zunächst als Lehrerin und veröffentlichte danach sowie währenddessen zahlreiche Kinder- und Jugendbücher. Vor elf Jahren mit dem „Peter-Härtling-Preis“ ausgezeichnet, wird sie seither mit den Worten meisterlich und bravourös beschrieben. Ihr neuer Roman „Ein Versteck im Himmel“ bietet nun vor allem jüngeren Lesern die Gelegenheit, den Inhalten des preisgekrönten Jugendromans „Das Wolkenzimmer“ näher zu kommen.

>> Er hat die rostige Tür verschlossen und verriegelt und ein paar Holzscheite davor geworfen, dass es knallte. Jascha kichert nicht mehr. Die Dunkelheit ist vollkommen, kein Schimmer kommt von oben. Der Rauchfang muss sehr hoch sein, da über der Türmerstube noch zwei Stockwerke liegen. <<

Jascha Rosen ist allein auf sich gestellt, als er vor den Nationalsozialisten fliehen muss. Denn der zehnjährige Jude hat es seinem Bruder versprochen: er würde überleben, etwas zu essen finden und sich nicht erwischen lassen. Doch der Großteil Jaschas Familie ist bereits tot; der andere ohne ihm geflohen. Nur das Versprechen, dass er sobald als möglich nachgeholt wird, bleibt. Doch Essen zu finden und zu überleben ist eine schwierige Angelegenheit und als Jascha beinahe erwischt wird, schafft er es eine Tür zu öffnen. Eine Tür in den Himmel. Doch auch dort ist es nicht leicht. Zwischen Angst und Freundschaft. Drohendem Verrat und unzähligen Balken muss Jascha ausharren, auf ein Ende des Krieges hoffend ...

Nicht leicht scheint es zu sein, sich mit solch einem Thema an eine so junge Zielgruppe zu richten. Denn Jaschas Geschichte ist vor allem für Zehn- bis Zwölfjährige Schüler konzipiert. Überaus gelungen gelingt es Irma Krauß jedoch, die Zeit des dritten Reichs und einzelne Entwicklungen, ohne dem Leser wahrlich blutige Brutalitäten miterleben zu lassen, näher zu bringen. Ein Vorgehen, das durchaus auch älteren Lesern gefällt. Fans längerer Geschichten werden vermutlich geneigt sein, sich der längeren Version „Das Wolkenzimmer“ zu widmen, doch auch dieses vorliegende, kompakte Büchlein weiß seine Stärken durchaus gut zu präsentieren. Immer noch schlüssig, einfach erzählt und geschmückt mit simplen Andeutungen, erzählt die erfahrende Autorin Irma Krauß vorwiegend altersgerecht und schultauglich. Überaus treffend wird in ihrem Roman gezeigt, dass sich auch mit wenig, viel bewirken lässt. Denn während der Leser nach und nach Jaschas Alltag im Turm begleitet, wird er mit dem Verlauf des Krieges konfrontiert. Beginnend mit dem April des Jahres 1942 werden, mit diversen Unterbrechugen, drei Jahre geschildert. Drei für Jascha nicht einfache Jahre, die er zumeist in irgendeinem dunklen Loch verbringen muss, bis schließlich 1945 die Bomben fallen. Sein einziger Ansprechpartner ist in dieser langen Zeit ein einarmiger Türmer. Ein Mann, der dem Leser ungemein gefällt. Seine Art ist authentisch, verhalten und anfangs sehr vorsichtig. Mitunter auch auf diese subtilere Art wird der Druck aufgebaut, den die Regierung selbst den eigenen Leuten auferlegt. Spannung folgt und schließlich darf man eine langsam reifende, klischeelose Verbindung erleben, die mitunter sehr berühren kann. Alles soll nach und nach demonstrieren: Juden sind auch nur normale Menschen und Kriege etwas schrecklich Nutzloses – ein Gewitter mit zu vielen Regentropfen, das unvorstellbares Leid mit sich bringt. Darauf und auf andere, wesentliche Dinge weißt Irma Krauß schon zu Beginn in einem knappen Vorwort sehr gut, vor allem aber kindgerecht, hin. Ihre Erklärungen sind kurz und prägnant; einzelne Begriffe schlussendlich im letzteren Teil eigens zu finden.

Einziges Manko ist und bleibt die doch immer wieder zu schwach gezeichnete Emotionalität des Protagonisten, die man vor allem zu Beginn und im Mittelteil immer wieder vermisst. Denn Jascha ist, für sein Alter, doch relativ beherrscht. Etwas mehr wäre in diesem Punkt möglich gewesen, auch wenn es verständlich ist, an psychischen Aussetzern für Leser in diesem Alter zu sparen. Trotzdem weiß seine Geschichte im Dauerlauf zu berühren, manchmal sogar auch zu überraschen und lädt dringendst zum Lesen sein. Denn so weit entfernt diese Vergangenheit auch wirkt, man sollte sich – so früh wie möglich – mit diesem Thema durchaus befassen, das im Endeffekt sehr viel lehren kann. Eine Tatsache, die Irma Krauß in „Ein Versteck im Himmel“ durchaus zu beweisen versteht.

Wenn der Heulton an- und abschwillt und die Bomber kommen, sieht Jascha ihn stumm am Fenster stehen. Er hat seinen Dolch in der Faust, als könnte er damit das Geschwader zwingen, wieder drüber wegzufliegen und die Bomben woanders abzuwerfen. Bei Entwarnung geht er aufatmend zum Balken und setzt eine Kerbe.

(Seite 105)


Fazit

Auf einhundertsechzig Seiten erzählt Irma Krauß eine sehr bewegende Geschichte, die durch Umfang und Inhalt besonders für Schüler und deren Erstkontakt zur Hitlerherrschaft geeignet ist. Bewegend, unterhaltend und trotz eingeschränkter Charaktere sowie leicht eintönigem Umfeld ist und bleibt „Ein Versteck im Himmel“ ein sehr empfehlenswertes Büchlein. Auch für interessierte Erwachsene!


Pro & Contra

+ unterhaltende, altersgerechte Annäherung zum Thema
+ zum Teil sehr spannend, besonders für junge Leser
+ menschlich, bewegend und nachvollziehbar
+ Moral ohne erhobenen Zeigefinger
+ übersichtlich und informativ gestaltet
+ wundervolle Protagonisten

o als Schullektüre ohne Vorbehalte geeignet

- leichte, emotionale Eintönigkeit

Wertung:

Charaktere: 4 / 5
Handlung: 4 / 5
Lesespaß: 4 / 5
Preis/Leistung: 4 / 5