Rezensionen im Oktober (2011)

Liebe LeserInnen,

ehe man’s sich versieht, ist auch der Monat der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2011 schon wieder vorbei. Neben zahlreichen Neuerscheinungen und Nachrichten rund um die Literatur sind wir stolz darauf, dass wir trotz des Messestresses im Oktober sieben brandaktuelle Interviews für euch führen und außerdem fünfzig neue Rezensionen liefern konnten. In alter Manier gibt es zum Monatsbeginn natürlich einen kurzen Überblick der TopTitel unserer Redaktion.



Belletristik

Was kann in zehn Jahren alles passieren? Kann man sich so sehr verändern, dass man sich selber nicht mehr wiedererkennt? "Vergiss ihn nicht" von Liane Moriarty ist ein Buch zum Reflektieren und zum Rückbesinnen auf das eigene Leben, zum Innehalten und zum Schauen, ob man genau in der Spur ist, in der man vor zehn Jahren sein wollte.

"Die Seidenrose" von Julia von Droste ist ein Ausflug in die Kinderschuhe der Wellness und der Kosmetik. Mit wie vielen Schwierigkeiten die Frauen doch früher zu kämpfen hatten, wenn sie ihre Kosmetik auf dem eigenen Herd zuhause hergestellt haben. Die Anfänge der Wellness-Tempel, wie wir sie heute kennen, hier wird eindringlich und hochinteressant erzählt, wer sie erschaffen hat.

Historik

"Cherubim" von Kathrin Lange entfaltet beim Lesen farbenprächtige Schwingen, deren Flügelschlag uns den Hauch der Geschichte ins Gesicht treibt: voller aufregender, fremder, seltsamer Gerüche, aber auch voller Nuancen, die uns vertraut berühren. Eine ungewöhnliche, fesselnde Mischung, spannend und professionell erzählt.

"Der Ring des Falken" von Frederik Berger erzählt die Lebens- sowie Abenteuer Geschichte eines Mannes, der früh die Grenzen seines Standes erkennen muss und von da an versucht, sich in einer Welt voller Regeln und Armut zu Recht zu finden. Frederik Berger lässt sich Zeit in seiner Erzählung, verpackt viel Inhalt auf (leider zu) wenig Raum und versteht es meisterlich historische Schwerpunkte, Kultur und emotional behaftete Schicksale zu vermengen. Eine klare Leseempfehlung für Leser anspruchsvoller Geschichten, die viel erfahren sowie durchaus auch lernen wollen und dafür eben auch an manchen Stellen auf groß angelegten Unterhaltungswert verzichten.

Dark Fantasy

Lynn Raven hat mit "Blutbraut" einen sehr gelungenen Dark Fantasy Roman verfasst, der trotz kleinerer Mängel in vielerlei Hinsicht bezaubern kann, den Leser förmlich entführt und wieder einmal Lust macht auf viel, viel mehr aus der Feder dieser Autorin! Fans des Genres sollten unbedingt zugreifen und sich diese Geschichte, voller nachvollziehbarer Gefühle und Romantik, nicht entgehen lassen!

In "Verbrannt" von P.C. und Kristin Cast gibt Zoey wieder einmal die Hauptrolle ab, was erschreckenderweise der Geschichte richtig gut tut. Wieder einmal übernehmen Stevie Rae, Stark und Aphrodite den treibenden Part. Alleine ihrem Einfallsreichtum ist es zu verdanken, dass dieses Buch nicht in Belanglosigkeiten abdriftet. Die neue Wendung ist zu verkraften und man mag wieder einmal gespannt sein, wo uns die Autorinnen noch hinführen werden.

Fantasy

Spritzige Dialoge, heiße Szenen und überaus sympathische Charaktere durch die Bank weg – in gewohnter Manier unterhält Katie MacAlister auch mit "Steamed: 30° West – 100° Liebe" ihre lesende Anhängerschaft und schafft trotz eher mittelmäßiger Grundstory einmal mehr vergnügliche Lesestunden.

Mit "Nephilim" beweist Gesa Schwartz, dass sie sich selbst noch übertreffen kann und liefert einen traumhaften Trilogieauftakt ab, der dem Leser den Spiegel vorhält und in die eigene Finsternis blicken lässt. Ein packendes Abenteuer zwischen schwärzestem Licht und gleißender Dunkelheit, das berührt, nachdenklich stimmt und einen immer wieder staunen lässt!

Horror / Mystery

"Das Buch ohne Namen" von Anonymus ist bösartig und voll tiefschwarzem Humor, der von derben Dialogen und sinnloser Gewalt getragen wird. Die Charaktere sind keine Sympathieträger, sorgen jedoch für reichlich Zerstreuung und weisen genug Ecken und Kanten auf, um grundlos aneinander zu geraten. Wenn es dann doch mal einen Grund gibt, dann Gnade einem Gott – doch der scheint sich von Santa Mondega abgewandt zu haben. Originell geschrieben, voller Überraschungen und extrem unterhaltsam!

Auch der Nachfolger weiß zu überzeugen: “Das Buch ohne Gnade“ deckt die zwielichtigen Machenschaften einer Castingshow gnadenlos auf und führt sie ad absurdum. Das neue Setting glänzt mit kreativen Einfällen, die Spannung bis zur letzten Seite garantieren. Raffinierte Wendungen runden den wahnsinnigen Lesespaß ab – allerdings sollte man einem bitterbösen Humor etwas abgewinnen können. Wenn man es kann, wird man diesen Roman lieben!

Science Fiction

"Weit im Norden" ragt aus der Masse der postapokalyptischen Romane heraus; mit viel Feingefühl und erzählerischem Talent beschreibt Marcel Theroux das Leben im Norden, der so viele Rätsel aufgibt und die Menschen so hart macht, wie das Land selbst – oberflächlich betrachtet. Denn mit seiner Protagonistin gelingt ihm darüber hinaus ein vielschichtiger Charakter, den man auch nach Beendigung der Lektüre nicht so schnell vergisst.

"Sternenwind" von Brenda Cooper ist Science Fiction mit gesellschaftskritischen Tönen, eine Mischung, die durchaus spannend dargereicht wird. Der Roman garantiert keine überragende, jedoch solide Unterhaltung für Leser, die statt eines actiongeladenen, technischen Feuerwerkes eher Wert auf Psychologie und menschliche Schicksale legen.

Thriller

Chevy Stevens setzt ihr ganz persönliches Erfolgsrezept fort und kann sogar noch einen draufsetzen. Die Geschichte einer Frau auf der Suche nach ihrer Vergangenheit und ihren Wurzeln reißt den Leser aus seiner Lethargie und mit sich - spannend, selbstironisch, packend und selbst nach Ende noch immer Gedanken fesselnd. Wenn "Never Knowing - Endlose Angst" kein nahezu perfekter Psychothriller ist, was dann?!

Mit "Das Geständnis" ist Bestsellerautor John Grisham wieder einmal ein ganz großer Wurf gelungen – ein Roman, der mit viel Leidenschaft und Spannung das brisante Thema der Todesstrafe angeht und dem Leser auf eindringliche Art näher bringt.

Krimi

Man kann den zweiten Fall mit Pia Korittki auch ohne den Vorgänger lesen, alles wichtige Private wird erläutert. Stimmige Atmosphäre, ein ungewöhnliches Mordmotiv, normale Ermittler und eine Kommissarin, die noch nicht richtig angekommen ist, ergeben in "Engelsgrube" eine gute Mischung aus Gewöhnlichkeit und Intuition, aus Überdruss, Hochnäsigkeit und doch Anerkennung zollend. Die Ermittlungen sind zwar zwischendurch etwas langwierig, doch man bleibt einfach am Ball, nur um zu sehen, ob sich Pias Sturheit bezahlt macht. Leider lässt Eva Almstädt am Ende einige Fragen offen und ein bisschen Wehmut über den Weggang einer Person ist auch dabei.

Bei der Erstveröffentlichung im Jahr 2000 schlug "Messerscharf" mit großer Wahrscheinlichkeit wie ein Blitz ein. Nachdem das Thriller-Genre inzwischen große Schritte nach vorn gemacht hat, wäre eine Komplettüberarbeitung vor der zweiten Veröffentlichung bei einem neuen Verlag jedoch eine zu überdenkende Maßnahme gewesen - nach heutigem Stand bleibt Silvia Kaffkes Debüt daher leider nur im Mittelfeld hängen.

Manga / Comic

Erzählerisch und inhaltlich nichts Neues bietend, liegt das Hauptaugenmerk von "Odin" eindeutig auf den Zeichnungen von Nicolas Jarry und Erwan Seure – Le Bihan. Und die haben es in sich. Überwältigen sie den Leser doch mühelos und lassen ihn minutenlang ein einzelnes Bild betrachten. Besser geht es nicht.

"Pik As" holt zum zweiten Schlag aus und macht erneut den Stich. Selten findet sich auf dem Comicmarkt eine gleichermaßen unterhaltsame und spannende Symbiose aus Krimi und Phantastik, die Thierry Gloris und Jacques Lamontagne liefern. Bitte schnell mehr davon.

Sachbuch

"Ehrenmord. Ein deutsches Schicksal" ist ein wichtiges Buch. Es beschäftigt sich mit dem gewaltsamen Tod eines Mädchens, das zwar kurdischer Herkunft war, aber hier in Deutschland, neben uns, ermordet wurde. Es versucht, die Gründe zu beleuchten, indem der Täter und die Familie des Mädchens befragt werden. Bei der Beantwortung der Frage nach dem "Warum" scheitern Matthias Deiß und Jo Goll letztlich, aber das Buch wirft auf dem Weg dorthin viele wichtige weitere Fragen und Erkenntnisse auf, mit denen die deutsche Gesellschaft sich noch wird beschäftigen müssen.

Sonstiges

Dirk Bernemanns dritter Roman beweist einmal mehr, dass es genug Dreck auf der Welt gibt, über den es sich zu schreiben lohnt, ohne dass man ihn hübsch verpacken oder schön umschreiben muss. Drei voneinander unabhängige Charaktere, die allein vielleicht ein recht langweiliges und unspektakuläres Leben führen, werden in "Trisomie so ich dir" zu einer Einheit verknotet, von der sich auch der Leser als ein Teil fühlt - wenn auch nicht immer freiwillig oder mit einem guten Gefühl.



Nun starten wir in den goldenen Herbst und die letzten zwei Monate dieses literaturreichen Jahres. Auch im November planen wir wieder zahlreiche Interviews und Rezensionen, ein Blick in unsere Rezensionsübersicht wird sich also auch vor dem nächsten Rückblick immer wieder lohnen.

Einen bunten Herbst und viele Lesestunden mit einem heißen Tee oder Kakao
wünscht euer Literatopia-Team