Orkus (Gerhard Roth)

S. Fischer, 1. Auflage April 2011
Gebunden, 668 Seiten
€ 24,95 [D] | € 25,70 [A] | CHF 37,90
ISBN: 978-3-10-066083-8

Genre: Belletristik


Inhalt

32 Jahre lang hat Gerhard Roth an seinen beiden Romanzyklen "Die Archive des Schweigens" und "Orkus" gearbeitet ein einzigartiger Kosmos der Literatur und des Denkens, der neben klassischen Romanen auch dokumentarische und essayistische Bände umfasst.
Der Band "Orkus" ist der Schlussstein dieser monumentalen Arbeit und nicht überbietbarer Endpunkt: ein autobiographischer Roman, in dem das Leben des Autors mit dem seiner Figuren auf faszinierende Weise verschmilzt. "Orkus" ist die Essenz eines Schriftstellerlebens: ein Buch über das Wesen des Menschen, die Wahrnehmung der Welt, die Suche nach einer anderen Wirklichkeit. Eine lange Reise zu den Toten und der grandiose Versuch, das Leben zu verstehen, ohne es zu zerstören.

Leseprobe


Der Autor

Der österreichische Schriftsteller Gerhard Roth wurde 1942 in Graz geboren. Er lebt als freier Schriftsteller in Wien und der Südsteiermark. Er ist Autor einer Reihe von Romanen, Erzählungen, Essays, Theaterstücken und Fotobüchern. „Orkus“ schließt Roths acht Bände umfassenden gleichnamigen Zyklus ab. Roth hat für sein Werk zahlreiche Literaturpreise erhalten.


Rezension

Roths Romanzyklus orientiert sich an Homers „Odyssee“ und, mehr noch, Dantes „Die Göttliche Komödie“. Die Hauptfigur von „Orkus“ ist ein Suchender, der durch fremde Länder und Kulturen reist, der die Unterwelt besucht. Der Ich-Erzähler Gerhard Roth ist dabei als nicht-eindeutige Figur angelegt. So gibt es wiederholte Hinweise darauf, dass er auch der Autor des Romans sein könnte. Er begegnet einem Doppelgänger mit gleichem Namen und Geburtsdatum, einem Physiker und Mediziner. Roth liebt Verdopplungen und Symmetrien, wie er mit Hinweis auf Lewis Carroll bemerkt.

Ausgangspunkt seiner „Reise zu den Toten“, so der Untertitel des Romans, ist die Neugierde auf das Unglück: Tod, Selbstmord, Verbrechen, Hass und Wahnsinn üben eine starke Anziehungskraft auf ihn aus. In „Orkus“ durchdringt die Fiktion das Reale und umgekehrt. Die erfundenen Figuren treffen auf wirkliche Menschen. Darunter sind Philosophen, Maler, Schriftsteller, Menschen auf der Suche nach einem Paradies, Menschen, die ihr Leben oder die Welt in eine Hölle verwandelt haben. Roth ist überzeugt, dass alle Sinnsysteme, Ideologien, Philosophien und ethischen Gebote und alle großen geistigen Strömungen versagt haben. Wer „Orkus“ liest, geht aus diesem Prozess zumindest mit guten Argumenten dafür hervor, dass das Böse und der Wille zur Vernichtung den Menschen innewohnen.

Roths Alter Ego, der Untersuchungsrichter Sonnenberg, eine wiederkehrende Figur im Werk des Schriftstellers, betrachtet während einer Italienreise Gemälde, die durch die Göttliche Komödie inspiriert sind und auf das zwanzigste Jahrhundert als den vorläufigen Höhepunkt von Menschen erzeugten Grauens hinweisen. Das letzte Kapitel des Romans, „Florenz oder Sonnenbergs Wahn“, zeigt uns komprimiert den Abstieg eines Menschen in den Wahnsinn, eines Menschen, der mit sich und der Welt überfordert ist und darauf nur mit Depression und Verzweiflung antworten kann. Der Roman selbst endet im Gestammel Sonnenbergs und kann die Fragen, die während der Reise in die Unterwelt gestellt werden, nicht beantworten. Roth unterlässt es, den Roman so zu schließen, dass, wie er in anderem Zusammenhang einmal schreibt, „alles in einem breiigen Verständnis erstickt, bis jeglicher Funke Wahrheit eine Täuschung und die Wirklichkeit zu einer Fälschung geworden ist.“ (S.82)


Fazit

Gerhard Roth ist in Österreich ein literarisches Schwergewicht, während er in Deutschland eine Randexistenz führt. „Orkus“ ist ein ästhetisches Projekt, das die Realität in die Fiktion überträgt, um auf diesem Wege zu einer anderen Form von Wahrheit zu gelangen. Weitab davon, das Bedürfnis nach Unterhaltung befriedigen zu wollen, ist der Roman eine Herausforderung an das Lesen. Wer sich auf dieses hoch komplexe Werk einlässt, erfährt viel Aufschlussreiches über den Menschen und das Leben, über eine Welt, die sich um die Finsternis dreht.


Pro & Contra

+ Roman ohne Entsprechung in der europäischen Literatur, abgesehen von Roth selbst
+ reizvolle Verbindung aus Roman, Autobiografie, Biografie, Essays, Abenteuer- und Reiseliteratur, Realität und Fiktion
+ inspirierendes Leseerlebnis

o keine Kritik am Roman selbst, dennoch: es bleibt unklar, was an den interessanten Begegnungen mit realen Personen Realität, was Fiktion ist.

Wertung:

Handlung: 5/5
Charaktere: 5/5
"Lesespaß": 4/5
Preis/Leistung: 4/5


Dies ist eine Gastrezension von Almut Oetjen. Vielen Dank!