Memory - Stadt der Träume (Christoph Marzi)

Arena (September 2011)
Gebunden, mit Silberfolienprägung
328 Seiten, 14,99 EUR
ISBN: 978-3-401-06622-6

Genre: Urban Fantasy / Jugendbuch


Klappentext

So oft er kann, flüchtet Jude Finney sich auf den Highgate Cemetery, einen der ältesten Friedhöfe Londons. Hier trifft er all jene Gestalten, die an dem seltsamen Ort zwischen Traum und Realität ihre letzte Zuflucht gefunden haben. Und hier stößt er eines Nachts auch auf das geheimnisvolle Mädchen, das keine Erinnerungen, ja nicht einmal mehr einen eigenen Namen besitzt. Ihre Haut leuchtet. Doch zugleich fühlt sie sich warm an, wie jemand, dessen Herz noch schlägt. Bald ahnt Jude, wie groß die Gefahr ist, in der die Fremde schwebt. Als er erkennt, dass er der Einzige ist, der ihr helfen kann, ist es fast schon zu spät.


Rezension

Der mausgraue Junge Jude begegnet auf dem Highgate Cemetery einem ungewöhnliche Geist – einem Mädchen, das seine Geschichte verloren hat und trotz, dass er bei einer Berührung in sie hineinsinkt, warm ist. Kurzerhand entscheidet Jude, das Mädchen zu seinen Geisterfreunden zu bringen, zu denen unter anderem der verstorbene Rockstar Gaskell und eine geheimnisvolle Füchsin zählen. Sie geben dem Mädchen den Namen Story und meinen, dass sie sich wohl in einem Zustand zwischen Leben und Tod befände und sich deshalb nicht an ihr Leben erinnern kann. Denn normalerweise erinnern sich Geister an ihr Leben und auch an ihren Tod. Die Geister des Highgate Cemetery und Jude beschließen, Story zu helfen, und bald ist klar, dass das Mädchen entführt wurde. Jude begibt sich auf die Suche nach ihrer Geschichte, in der Hoffnung, so auch ihren Körper zu finden. Dabei ist Storys Geschichte eng verbunden mit dem Verschwinden von Geistern auf anderen Friedhöfen …

„Memory – Stadt der Träume“ haftet wie den meisten Büchern von Christoph Marzi eine märchenhafte Atmosphäre an, die sich hier mit dem Charme der alten Londoner Friedhöfe mischt. In der Nacht erscheinen ihre Schatten bedrohlich, doch tagsüber herrschen dort die bunten Farben des Herbstes und eine eigentümliche Ruhe, die Jude viel vertrauter ist als sein mausgraues Schülerleben. Zwar kommt er mit allen Mitschülern gut klar, aber es gibt kaum jemanden, den er als richtigen Freund bezeichnen könnte. Ganz anders als die Geister von Highgate, die vom Leben träumen und deshalb auch nach dem Tod noch als Geister existieren. Allerdings sind sie an ihren Körper gebunden und müssen so auf dem Friedhof bleiben oder zumindest in der Nähe. Die phantastische Seite des Romans wartet mit originellen Ideen und schönen Metaphern auf, die sowohl Jugendlichen als auch Erwachsenen Freude machen. Christoph Marzi glänzt auch hier mit seinem großen erzählerischen Talent.

Da sich die Geschichte stark auf Jude und Story konzentriert, erfährt man relativ wenig über den Alltag dieser Geister. Trotzdem kann man sich von den meisten dank knapper aber konkreter Charakterisierungen ein gutes Bild machen. Jude hingegen ist durchaus als jugendliche Identifikationsfigur geeignet. Die Probleme mit dem Vater dürften vielen Lesern aus eigener Erfahrung bekannt sein, auch wenn das Geheimnis von Judes Herkunft in diesem Fall vollkommen phantastisch ist. Doch Familiengeheimnisse sind keine Seltenheit und die Reaktionen von Jude auf das Schweigen seines Vaters sind durchweg glaubwürdig. Auch Story bleibt im Rahmen ihres Gedächtnisverlustes authentisch. Man leidet regelrecht mit dem Mädchen mit, dass sich einerseits nichts sehnlicher wünscht, als sich an irgendetwas aus ihrem Leben zu erinnern, andererseits jedoch jede Erinnerung als Zeichen werten muss, dass sie dem Tod näher kommt.

Ein wenig unglücklich gestaltet sich der eher realistische Part der Handlung. Zwar passen die modernen Recherchiermethoden von Jude via Facebook und Co. hervorragend in unsere Zeit, doch die weltliche Motivation der Gegenspieler kommt recht holprig daher. Es scheint, als würde Christoph Marzi die Phantastik einfach viel besser liegen als kriminalistische Elemente. Dennoch bietet die Handlung Spannung bis zur letzten Seiten und hält einige Überraschungen parat. Besonders schön lesen sich die Rückblenden und kleinen Geschichten innerhalb des Romans, die ebenso beweisen, dass der Autor ein wunderbarer Erzähler ist. „Memory – Stadt der Träume“ liest sich wie ein modernes Märchen im Urban Fantasy-Gewand. Am Ende bleiben einige Fragen offen –und dabei hat man das Gefühl, dass gar nicht alles aufgeklärt werden muss. Dem Zauber der Geschichte tun fehlende Antworten jedenfalls keinen Abbruch. Zauberhaft ist übrigens auch die Gestaltung des Hardcovers, das mit seiner Silberprägung besonders edel aussieht. Wer "Heaven - Stadt der Feen" mochte, wird auch an diesem Buch Gefallen finden.


Fazit

„Memory – Stadt der Träume“ ist ein modernes Märchen mit einem morbiden Zauber, der sowohl junge als auch erwachsene Leser in seinen Bann zu schlagen vermag. Jude und Story schließt man schnell ins Herz und fiebert mit ihnen bis zur letzten Seite mit. Christoph Marzi ist einfach ein wunderbarer Erzähler, den man auch kleine Stolpersteine verzeiht!


Pro & Contra

+ märchenhafte Atmosphäre
+ supersympathische Protagonisten
+ originelle Ideen und schöne Metaphern
+ tolles Geisterbild
+ stimmungsvoller Schreibstil

- „realistische“ Seite des Romans

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5


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