0.4 - Eine perfekte neue Welt (Mike Lancaster)

Oetinger (September 2011)
Gebunden mit Schutzumschlag
272 Seiten, 14,95 EUR, ab 12 Jahren
ISBN: 978-3-7891-4120-1

Genre: Science Fiction / Mystery / Jugendbuch


Klappentext

"Wenn ihr gegen alle Wahrscheinlichkeit irgendwann diese Kassetten finden solltet, dann spielt sie ab, hört meine Stimme, ich bitte euch. Damit ihr wisst, dass es uns gegeben hat, dass es uns gibt und dass wir euch alle vermissen."

Niemals hätte der fünfzehnjährige Kyle Straker gedacht, dass er ein Außenseiter werden könnte, ein 0.4er, vergessen und verschollen in einer perfekten neuen Welt. Doch das Unmögliche wird Wirklichkeit, und eines Tages muss Kyle feststellen, dass die Welt, wie er sie kennt, nicht mehr existiert. Nur eine Hoffnung bleibt ihm noch: Dass sein Bericht gefunden, seine Stimme gehört wird …


Rezension

Kyle Straker ist ein ganz normaler Jugendlicher in einer englischen Kleinstadt, dessen Familie relativ normale Probleme hat. Noch dazu geht sein bester Freund jetzt mit dem Mädchen, das Kyle eigentlich mag. Doch abgesehen von diesen kleinen Widrigkeiten läuft es für ihn ganz gut – ganz anders als für den Nachbarsjungen Danny, der mit seinen absonderlichen Interessen wie Zauberei nur Spott erntet. Als Danny behauptet, dass er seine Schwester hypnotisiert hätte, glaubt ihm natürlich niemand ein Wort – bis er den Beweis bei der kleinen Talentshow des Dorfes liefert. Es gelingt ihm tatsächlich, Kyle und drei weitere Personen zu hypnotisieren. Als diese aus ihrer Trance erwachen, scheint die Welt still zu stehen, doch eigentlich sind es nur die Menschen. Kyle und die anderen begeben sich auf die Suche nach der Ursache des Phänomens, das ihnen Angst macht und an der Wirklichkeit zweifeln lässt …

Um es vorweg zu nehmen: „0.4 – Eine perfekte neue Welt“ ist keine Dystopie und der im Klappentext beschriebene Inhalt bezieht sich auf das letzte Drittel des Buches. Die eigentlich Handlung spielt vornehmlich in der Gegenwart und zwar zu dem Zeitpunkt, als die Welt begonnen hat, sich zu verändern. Der Protagonist Kyle Straker hat seine Erlebnisse in einem Bericht zusammengefasst und auf drei altmodischen Tonkassetten aufgenommen, die Jugendliche wohl höchstens noch aus der alten Musiksammlung der Eltern kennen dürften. Sein Bericht wurde in der Zukunft von einer neuen Gesellschaft entdeckt und in einem Buch zusammengefasst, was man anhand von kleinen Anmerkungen im Text erkennt. Diese neue Gesellschaft hat offensichtlich wenig mit der heutigen gemein, denn es gibt in ihr keine Kriege, keine überschäumenden Emotionen und keinen Konsumwahnsinn. Vegetarismus ist eine selbstverständliche Pflicht und der Bericht von Kyle Straker wird in verschiedenen Forschungsarbeiten aufgearbeitet und diskutiert.

Der Aufbau ist also durchaus originell und gut durchdacht, was sich auch an verschiedenen Lücken zeigt, die dadurch entstanden sind, dass Kyle Straker nicht weiß, dass eine Kassette am Ende nicht mehr weiter aufnimmt. Was der junge Mann potentiellen Zuhörern (Lesern) mitteilen wollte, bleibt der eigenen Interpretation und Phantasie überlassen. Rein handwerklich sind die Lücken ein gelungener Kunstgriff, der jedoch nicht gänzlich zu einem Jugendbuch, das angeblich ab 12 Jahren geeignet sein soll, passt. Ebenso sind diverse Anspielungen auf Science Fiction-Filme im Buch enthalten, die der aktuell jungen Generation allerdings wenig sagen dürften. Höchstens „Matrix“ sollte vielen ein Begriff sein und in der Tat wird in „0.4 – Eine perfekte neue Welt“ eine ähnliche Thematik angeschnitten: Was ist die Wirklichkeit? Sehen wir die Dinge, wie sie wirklich sind oder wie wir sie sehen sollen? Bis diese Fragen jedoch relevant werden, liest sich der Roman wie ein jugendlicher Mystery-Thriller, der ein wenig an „Signs“ erinnert. In dieser Hinsicht liest sich Kyle Strakers Bericht durchaus stimmungsvoll und spannend.

Kyle selbst reagiert meistens authentisch auf den eigenartigen Stillstand der Menschen und später auf die Veränderungen in seiner Umwelt. Insgesamt bleibt er für sein junges Alter jedoch oftmals zu ruhig – erst in der zweiten Hälfte des Buches erlebt man ihn an seinen Grenzen. Die Nebencharaktere nehmen in der recht linearen Handlung wenig Raum ein und sind relativ stereotyp geraten. Sie erfüllen interessante Rollen und tragen ihren Teil zur Geschichte bei, doch als Leser fällt es schwer, eine echte Verbindung zu ihnen aufzubauen. Zum Ende hin wird der Roman dann zunehmend abstruser: Mike Lancaster glänzt zwar mit originellen Ideen, die jedoch von dem vorherrschenden Mischmasch von Science Fiction-Elementen aus diversen Filmen regelrecht erdrückt werden. Die Aufklärung selbst ist dabei dennoch gut gelungen, nur der Weg dorthin gestaltet sich im letzten Drittel unglaubwürdig. Da tritt eine Person aus dem Hintergrund und erklärt, wie der Hase wirklich läuft. Das hätte man wirklich besser verpacken können. Vielleicht sind die holprigen Erklärungen auch dem geschuldet, dass es sich hier um das Jugendbuchdebüt des Autors handelt.

Nichtsdestotrotz kann „0.4 – Eine perfekte neue Welt“ als kurzweiliger Lesespaß überzeugen, wenn man nicht mit den falschen Erwartungen herangeht. Der Roman ist keine Dystopie wie viele derzeit populäre Jugendromane, sondern kleidet Mysteryelemente in ein Science Fiction-Gewand, das Genreneulingen stellenweise sicherlich zu hart erscheinen dürfte und Genrekennern zu seicht. Die Thematik schreit dabei geradezu danach, in eine anständige Erwachsenenversion transformiert zu werden, denn die Frage nach der Wirklichkeit ist nach wie vor einer der interessantesten Grundgedanken der Science Fiction. Entsprechend bietet auch „0.4 – Eine perfekte neue Welt“ viel Raum zum Nachdenken, der sich vor allem dann auftut, wenn man sich ein wenig im Genre auskennt. Wer jedoch eine moderne Jugenddystopie mit eventueller Lovestory erwartet, wird sicherlich enttäuscht werden. Eine kleine, schmucklose Rolle spielt die Liebe dann aber doch noch – und fügt sich recht nett in die Geschichte ein.


Fazit

„0.4 – Eine perfekte neue Welt“ leidet ein wenig unter den Erwartungen, die die Aufmachung und der aktuelle Trend zur Dystopie im Jugendbuchsegment hervorrufen. Mike Lancasters Roman ist keine Dystopie, sondern ein Genremix aus Mystery-Thriller und Science Fiction, der sich der Frage nach der Wirklichkeit widmet. Ein kurzweiliger Lesespaß, der Spannung und einen originellen Aufbau bietet, jedoch in den Details zu seicht geraten ist.


Pro & Contra

+ origineller Aufbau (Tonkassetten)
+ Kyle wirkt sympathisch und authentisch
+ interessante Auflösung
+ Frage nach der Wirklichkeit
+ regt zum Nachdenken an
+ durchweg spannend / Gruselmomente

o keine Dystopie!
o zu harmlos für die Thematik (weil Jugendbuch)

- Erklärungen am Ende sind ein wenig holprig
- wirkt stellenweise wie ein Mischmasch verschiedener Filme
- Thematik zu komplex für die Kürze des Romans

Wertung:

Handlung: 3/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5