Ralf Isau (22.12.2011)

Interview mit Ralf Isau

Literatopia: Hallo Herr Isau! Schön, dass Sie Zeit für unser Interview gefunden haben. Kürzlich ist „Das Geheimnis der steinernen Träume“ bei cbj erschienen. Könnten Sie für unsere Leser umreißen, worum es geht? Was hat es mit den versteinerten Träumen auf sich?

Ralf Isau: Der 15-jährige Leo hat eine besondere Begabung: Er kann seine Träume bewusst steuern, ja, er vermag sogar Dinge aus seinen Träumen ins richtige Leben zu holen. Die Geschichte beginn damit, dass er eines Morgens erwacht und neben sich im Bett einen Wetterhahn findet. Die scharfkantige Kupferfigur ist nicht das erste merkwürdige Mitbringsel aus seinen Träumen, doch keines hat bisher einen solchen Wirbel verursacht. Leo kann dankbar sein, dass er statt in der Psychiatrie in einem geheimnisvollen Internat am Bodensee landet: Die Traumakademie wurde als Nachwuchsschmiede der Firma YourDream gegründet. Sie beliefert Millionen begeisterte Kunden mit maßgefertigten Träumen, die man sich mit einem Mausklick aus dem Internet herunterladen kann. Hinter dem Geschäft mit den Designerträumen steckt ein gefährlicher Mann: Refi Zul, Herrscher über den unsichtbaren Kontinent Illúsion, das Reich der ungeträumten Träume. Er zieht immer mehr Traumenergie aus der Menschenwelt ab und bringt die beiden Welten damit aus dem Gleichgewicht. Um eine Katastrophe globalen Ausmaßes zu verhindern, müssen Leo und seine Mitschülerin Orla das Geheimnis der versteinerten Träume lösen. Worum es sich dabei handelt, möchte ich an dieser Stelle natürlich nicht verraten.

Literatopia: Schreiben und Träumen gehört praktisch zusammen – wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Traum selbst in den Mittelpunkt einer Geschichte zu stellen? Was ist für Sie „die Kraft der Träume“?

Ralf Isau: Mein erster Roman hieß „Die Träume des Jonathan Jabbok“. In fast allen meinen Büchern spielen Träume irgendeine Rolle, manchmal auch eine besondere. Warum ist das so? Nun, ich denke Träume sind der beste Beweis, dass jedem Menschen Phantasie innewohnt. Selbst Personen, die für Phantastereien sonst nichts übrig haben, träumen die verrücktesten Sachen. Das beste Beispiel ist meine Frau. Aus ihren Träumen hätte man schon Dutzende von phantastischen Romanen schreiben können. Vor allem die Horrorelemente in ihren Träumen überraschen mich immer wieder. Da liegt es nahe, dass man dem Phänomen der Träume etwas gründlicher auf den Zahn fühlt. Im „Geheimnis der versteinerten Träume“ habe ich das nun getan.

Literatopia: Berith, „Die zerbrochene Welt“, besticht durch eine mit erkennbarer Begeisterung und viel Perfektionismus aufgebauten Flora und Fauna. Wie sind Sie an diese gewaltige Aufgabe herangegangen? Haben Sie biologische Fachbücher gewälzt oder hatten Sie Unterstützung von biologisch bewanderten Freunden?

Ralf Isau: Für den Berith-Zyklus habe ich tatsächlich viele Fachquellen zu Rate gezogen. Vor allem urzeitliche Lebensformen haben mich fasziniert. So mancher Saurier hat, in künstlerisch verfremdeter Form, in die Romane von der zerbrochenen Welt Eingang gefunden. Dabei habe ich viel Herzblut darin gelegt, zunächst die Welt zu entwerfen, sie zu „erschaffen“ – Phantasten nennt man ja nicht von ungefähr „Weltenschöpfer“. Daraus ist eine sehr detaillierte Datenbank erschaffen. Den Extrakt dieser Arbeit findet man übrigens als Berith-Lexikon am Ende jeden Bandes. Außerdem können sich die Leser für den im Herbst 2012 erscheinenden dritten Teil der Trilogie auf eine Karte von der Scherbenwelt Berith freuen.

Literatopia: Beeindruckend erscheint in „Die zerbrochene Welt“ auch die unglaubliche Namensvielfalt. Bei einigen, wie beispielsweise den beiden Hunden Racost und Ullpox, erkennt man den Bezug zur Mythologie. Wie kommen bei Ihnen all die Personen, Dinge und Örtlichkeiten sonst noch zu ihren Namen?

Ralf Isau: Das haben Sie gut beobachtet. Bei Racost und Ullpox haben Castor und Pollux aus der griechischen Sagenwelt Pate gestanden. Manchmal stammen die Namen in meinen Romanen aus exotischen Sprachen wie Sanskrit. Andere sind frei erfunden. Gelegentlich verändere ich einfach einen realen Namen. Aus dem Mädchennamen „Tanja“ kann durch Vertauschen des Anfangsbuchstaben also schnell der Held „Banja“ werden. Manche Namen enthalten auch versteckte Hinweise auf deren Träger. Der Name des geheimnisvollen Bibliothekars Reven Niaga im Roman Das Museum der gestohlenen Erinnerungen etwa liest sich in umgekehrter Reihenfolge never again und mahnt uns, vergangenes Unrecht wie etwa den Holocaust „niemals wieder“ zu begehen. Dieses „Never again“ ist übrigens auch auf einer Tafel in der Mahn- und Gedenkstätte auf dem Areal des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau zu finden. In einem künftigen Roman wird möglicherweise ein Großteil der handelnden Personen nach den Namen von Pflanzen, deren Gattungen und Familien, benannt werden. Meine Phantasie erschließt ständig neue Quellen, aus denen ich die Namen für meine Bücher schöpfe. Ihre Frage wird daher nie abschließend beantwortet werden können.

Literatopia: Im zweiten Band der Berith-Trilogie findet sich auch ein kurzer Hinweis auf unsere Welt. Wird diese Verbindung in Band drei weiter ausgebaut werden?

Ralf Isau: Nicht unbedingt. Die Wurzel dieses Hinweises findet der Leser in der Neschan-Trilogie. Auch die Mirad-Trilogie liefert einen weiteren Mosaikstein, der diesen Kosmos erschließt. Vielleicht werde ich irgendwann einen Roman über den Äonenschläfer Olam schreiben, in dem dann alles aufgeklärt wird und der Leser erfährt, was für ein groß angelegter Kosmos hier geschaffen wurde.

Literatopia: Die Cover Ihrer Bücher sind optisch äußerst ansprechend. Konnten Sie auf deren Gestaltung persönlichen Einfluss nehmen? Gab es zum Beispiel mehrere Entwürfe, von denen Sie einen aussuchen durften?

Ralf Isau: Ich bitte stets darum, bei der Covergestaltung mit einbezogen zu werden. Bei Berith hatten wir zum Beispiel mehrere stark voneinander abweichende Entwürfe. Manchmal liefere ich auch eigene Skizzen und Ideen. Letztlich liegt die Entscheidung jedoch beim Verlag, der nicht nur künstlerische, sondern hauptsächlich auch Marketingaspekte berücksichtigen muss.

Literatopia: Wie konzipieren Sie Ihre Protagonisten? Bekommen diese eine ausführliche Vita und möglichst genaue Vorgaben über Aussehen, Vorlieben etc., oder lassen Sie sich lieber mit dem Fortgang einer Geschichte von ihnen überraschen? Und ist es Ihnen schon passiert, dass einer Ihrer Charaktere dann ein völlig ungeplantes Eigenleben entwickelt hat?

Ralf Isau: Zweimal ja. Zu jedem Roman gibt es ein Dossier und eine Datenbank mit teilweise sehr ausführlichen Informationen zu den Figuren, Artefakten, Orten usw. Dennoch tun die Figuren nicht immer das, was ich mir da ausgedacht habe. Sie werden lebendig und entwickeln ihren eigenen Kopf. Meistens lasse ich sie dann gewähren, denn nichts schlimmer als für eine fantastische Geschichte als künstliche Charaktere und eine konstruierte Handlung. Faustregel: Je organischer, desto überzeugender und lebendiger.

Literatopia: Woher rührt eigentlich Ihre Liebe zur Fantasy? Hab es da eine Art „Initialzündung“?

Ralf Isau: Mein Vater war ein meisterhafter Geschichtenerzähler. Wenn er aus seinem Leben erzählt hat, waren die Geschichten jedes Mal anders – obwohl er sie doch erlebt zu haben behauptete. Als Kind und Jugendlicher habe ich gerne fantastische Geschichten gelesen. Das mag damit zusammenhängen, dass ich selbst eine blühende Fantasie besitze, die „gefüttert“ werden will.

Literatopia: Gibt es Autoren, die Sie besonders schätzen? Und haben Sie vielleicht ein oder mehrere Lieblingsbücher, von denen Sie uns etwas erzählen können?

Ralf Isau: Besonders inspirierend waren für mich Michael Ende und David Eddings. Beide belegen mit ihren Werken in meiner Bibliothek ein ganzes Regalbrett. Michael Ende verdanke ich letztlich auch den Weg in die berufliche Schriftstellerei. Er hatte mich seinerzeit dem Thienemann-Verlag empfohlen. Seine Unendliche Geschichte ist und bleibt für mich eines der ganz großen Meisterwerke der phantastischen Literatur.

Literatopia: Von Ihnen stammt der Begriff ‚Phantaversum’; möchten Sie näher erläutern, was sich dahinter verbirgt?

Ralf Isau: Das Phantaversum ist der Kosmos, der sämtliche Fantasiewelten und das materielle Universum umfasst. In meinem Phantanautenzyklus beschreibe ich, dass sämtliche Welten der Fantasie Gestade im Meer der Träume sind. Demnach könnte man das Phantaversum in folgender Formel ausdrücken: Meer der Träume + sichtbares Universum = Phantaversum. Ausführliche Infos zu meinem fantastischen Weltmodell gibt’s online auf meiner Website unter http://www.isau.de/werk/phantaversum.html

Literatopia: Worin liegt Ihrer Meinung nach die besondere Herausforderung bei Jugendbüchern? Und was halten Sie eigentlich vom aktuellen Trend zu dystopischen Jugendromanen?

Ralf Isau: Kinder und Jugendliche sind ein sehr kritisches Publikum. Wir Erwachsene fressen uns oft auch dann durch ein Buch hindurch, wenn es uns nicht hundertprozentig überzeugt. Bei der Reizüberflutung durch elektronische Medien muss das klassische Buch umso fesselnder sein, um den jungen Leser bei der Stange zu halten. Er muss die Geschichte als Film in seinem Kopf zum Leben erwecken, wobei jeder Leser seine eigenen, subjektiven Bilder erschafft. Wenn dies gelingt, ist und bleibt das Lesen ein einzigartiges Erlebnis, das Computerspiele oder Videos nicht ersetzen können. Darüberhinaus gilt für Kinder- und Jugendliteratur sicher mehr als in der Belletristik der Anspruch, Orientierung in einer zunehmend orientierungslosen Welt zu geben. Wenn über das reine Leseerlebnis hinaus etwas beim Leser ausgelöst wird – ein Denkprozess, ein Perspektivwechsel, kreatives Schaffen etc. –, dann hat der Autor seine Arbeit gut gemacht. Leider beobachte ich den Trend, dass Jugendbücher zunehmend „nur“ Unterhaltung sind. Wenn beides gelingt, spannende Unterhaltung und das Anstiften zum Selberdenken, dann ist es für mich ein gewichtiges Jugendbuch. Ich strebe stets an, solche Romane zu schreiben.

Literatopia: Und hier nun die Standardfrage eines jeden Autoreninterviews: Wie sind Sie eigentlich zum Schreiben bekommen?

Ralf Isau: Es begann an einem regnerischen Dezembertag im Jahre 1988. Seit einiger Zeit ging mir schon die Idee zu einer Geschichte im Kopf herum. Inzwischen war ich Vater einer neunjährigen Tochter und ich konnte mir für die kleine Mirjam kein schöneres Geschenk vorstellen als ein selbst verfasstes Buch. Richtig dick sollte es sein, ein Schmöker, den man unter der Bettdecke noch mit der Taschenlampe weiterliest, wenn die Eltern längst zum Schlafen mahnen. So begann ich mit der Arbeit an dem Roman Die Träume des Jonathan Jabbok. Etwa 1800 Seiten später war eine Trilogie daraus geworden, an der ich insgesamt sieben Jahre gearbeitet habe.

Literatopia: Gehören Sie zu den Autoren, die eine Idee haben und einfach drauflos schreiben, oder erstellen Sie lieber zuerst ein ausführliches Konzept, stellen Recherchen vornan etc.?

Ralf Isau: Eher Letzeres. Wobei es so ist, dass die Recherchen nie ganz im Voraus erledigt werden können. Beim Schreiben stößt man immer auf viele weitere Fragen, die ein gründliches Nachforschen erfordern.

Literatopia: Welche der von Ihnen bereits veröffentlichten Romanen erscheinen Ihnen besonders gelungen? Und sind möglicherweise auch einige darunter, bei denen Sie im Nachhinein noch Verbesserungspotential sehen?

Ralf Isau: Mein persönliches Lieblingsbuch unter den eigenen Titeln ist Das Museum der gestohlenen Erinnerungen. Auch der neue Roman Das Geheimnis der versteinerten Träume ist wieder, finde ich, ein besonders schönes Buch geworden. Mit meinen Romanen ist es ein bisschen wie mit den eigenen Kindern: Man hat sie alle lieb und das Jüngste wird immer besonders verhätschelt.

Literatopia: Das Internet ermöglicht es durch Facebook und Co. vielen Autoren ihre Werke selbst zu bewerben und mit Lesern in Kontakt zu treten. Wie nutzen Sie die Möglichkeiten des Internets? Und wie bedeutsam sind Onlinemedien?  

Ralf Isau: Ich nutze diese Medien, allerdings sehr sparsam. Die sozialen Netze sind für mich ein riesiger Zeitfresser und die Vorteile wiegen nicht unbedingt die Nachteile auf, die durch eine Vernachlässigung „echter“ zwischenmenschlicher Kontakte entstehen. In den letzten Jahren ist gleichwohl die Bedeutung der Onlinemedien in Sachen Literatur stark gestiegen. Die meisten Rezensionen erscheinen mittlerweile im Web. Das ist einerseits schön, andererseits etwas schade.

Literatopia: Haben Sie bereits Pläne für neue Projekte nach Vollendung der Berith-Trilogie? Wenn ja, könnten Sie uns schon ein bisschen verraten, worauf sich die Leser als nächstes freuen dürfen?

Ralf Isau: Seit Längerem beschäftige ich mich mit alten Sagen und Legenden rund um das Thema Jungbrunnen, Lebensbaum, Lebenselixier usw. Daraus möchte ich gerne einen fantastischen Thriller „stricken“. Außerdem reizt es mich, mal wieder eine Synthese aus historischem Stoff und Phantastik umzusetzen. Ich denke, da werden sich meine Leser im Herbst 2013 auf einen neuen spannenden Schmöker freuen können. Mehr wird noch nicht verraten.

Literatopia: Herzlichen Dank für das ausführliche Interview, Herr Isau!

Ralf Isau: Ich habe zu danken.


Autorenfoto: Copyright by Isabelle Grubert / RandomHouse

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Dieses Interview wurde von Maria Jahn für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.