Arkadien brennt (Kai Meyer)

Carlsen (September 2010)
Gebunden mit Schutzumschlag
400 Seiten, 19,90 EUR, ab 14 Jahren
ISBN 978-3-551-58202-7

Genre: Phantastik / Jugend-Thriller


Klappentext

Menschen, die sich in Tiere verwandeln. Blutfehden zwischen Mafiaclans. Die verbotene Liebe zu Alessandro ... Rosa braucht dringend Abstand zu den Ereignissen auf Sizilien. Auf den Spuren ihres alten Lebens reist sie zurück nach New York. Aber auch dort kommt sie nicht zur Ruhe. Die mächtigen Stellvertreter der amerikanischen Clans erwarten sie bereits. Dann stößt Rosa auf beunruhigende Details über ihre Vergangenheit. Und über ihren toten Vater. Aber warum spielt dabei immer wieder Alessandro eine Rolle? In Rosa keimt ein schrecklicher Verdacht ...


Rezension

Rosas Rückkehr nach New York haftet so gar nichts von Heimatgefühlen an. Als Clanführerin der Alcantaras steigt sie in einem noblen Hotel ab und erlebt die Metropole aus der Sicht der Touristen, die sich dicht gedrängt über den Times Square schieben. Aufgewachsen ist Rosa allerdings in einer eher schäbigen Wohnung außerhalb des glitzernden Stadtkerns. Kurz vor ihrem Tod erwähnte ihre Schwester Zoe eine Verbindung des gemeinsamen Vaters mit TABULA, einer Organisation, die Arkadier in Tiergestalt einsperren und schreckliche Experimente mit ihnen durchführen soll. Rosa möchte mit ihrer Mutter über den verstorbenen Vater sprechen, doch als sie vor dem Haus steht, ergreift sie die Flucht und begibt sich auf die Suche nach Valerie – ihrer Freundin, mit der sie seit der Nacht der Vergewaltigung keinen Kontakt mehr hatte. Dabei läuft sie den amerikanischen Carnevares in die Arme, für die sie eine willkommene Beute ist. Doch auch auf Sizilien wird sie gejagt – und zwar von ihren Beratern und Verwandten, die bei den Clangeschäften möglichst viel für sich herausschlagen wollen …

„Arkadien brennt“ beginnt ebenso turbulent, wie der Vorgänger zu Ende ging. Das winterliche New York bietet jedoch ein gänzlich neues Setting, das ebenso filmreif umgesetzt wurde wie das sommerliche Sizilien. Überhaupt liest sich die Arkadien-Trilogie immer stärker wie ein phantastischer Jugend-Thriller, den man sich sehr gut auf der Leinwand vorstellen kann. Kai Meyer schreibt actionlastig und spannend und lässt seine Protagonisten anfangs kaum zur Ruhe kommen. Zwar weiß man, dass Rosa wohl kaum auf den ersten Seiten etwas zustoßen kann, dennoch fiebert man mit, dass ihr nicht noch Schlimmeres widerfährt. Sie hat in ihrem jungen Leben verdammt viel durchgemacht und auch wenn sie kein wehrloses, weinerliches Ding ist und sich gut wehren kann, so springt sie dem Tod oftmals nur knapp von der Schippe. Im Kontrast zur rasanten Story steht die Beziehung zu Alessandro, die unter Clanfehden und den arkadischen Geheimnissen leidet. Auch können sich die beiden körperlich kaum nahe sein, denn ihre emotionale Aufregung führt sofort zur Verwandlung. Allen Widrigkeiten zum Trotz sind sich Rosa und Alessandro jedoch emotional unglaublich nahe. Egal wie oft Alessandro unter einen schrecklichen Verdacht gerät, der Leser hat inzwischen ein mindestens genauso großes Vertrauen in ihn wie Rosa.

Die Liebe der beiden Protagonisten überzeugt mit einer tiefen Ehrlichkeit und kommt gänzlich ohne Kitsch aus. Romantisch veranlagte LeserInnen würden sich sicherlich mehr ruhige Momente zu zweit wünschen, doch auch die wenigen ruhigen Szenen sind so intensiv, dass sie das Chaos für kurze Zeit verdrängen. Kai Meyer gelingt es geradezu spielerisch, große Gefühle und filmreife Action zu vereinen. Dass zwei so junge Menschen dabei Mafiabosse sind, liest sich etwas unrealistisch, aber darauf kommt es in phantastischen Romanen ja auch nicht unbedingt an. Spannend ist vor allem Rosas Wandlung: Zwar war sie nie ein braves Mädchen und zeiget bereits im ersten Band kriminelle Energien, doch zur Mafia wollte sie gar nicht passen. Inzwischen ist sie durch viele dramatische Situationen abgehärtet und entdeckt immer mehr kalte und gewaltbereite Seiten an ihr. Die Macht, die sie geerbt hat, verändert sie, auch wenn sie sich gegen die Methoden der Mafia wehrt. Ironischerweise sind es ausgerechnet ihre Vernunft und Gnade, die bestraft werden. Wäre sie eine eiskalte Mörderin, hätte sie sich so manches ersparen können. Es bleibt daher spannend, wie sich Rosa in „Arkadien fällt“ entwickeln wird – wird sie sich ihre Wertvorstellungen bewahren können oder wird sie letztlich von ihrem Erbe verschlungen?

Alessandro ist dagegen in der Mafia aufgewachsen und mit ihren Methoden bestens vertraut. Rosa ist die einzige, die ihn sanft und zuweilen auch zweifelnd erlebt. Nach außen hin ist er jedoch ein „capo“, der scheinbar emotionslos grausame Entscheidungen trifft. Und wenn jemand es wagt, Rosa zu verletzen, verwandelt sich Alessandro in eine kaltblütige, rachewütige Bestie. Erstaunlicherweise finden das Rosa und auch der Leser irgendwie richtig gut. Genau das ist gewissermaßen die Stärke der Arkadien-Trilogie: Oberflächlich betrachtet wirkt vieles etwas überzogen, doch taucht man erst einmal richtig in die Geschichte ein, lässt man sich mitreißen und erlebt alles wie in einem cineastischen Effektfeuerwerk. Man kann zwar vieles hinterfragen, doch man kann sich auch einfach bestens unterhalten lassen. Denn eines ist die Arkadien-Trilogie ganz sicher: Großartige Unterhaltung. Auch wenn man über so manche Idee den Kopf schütteln mag, so wird man sich doch dabei erwischen, das Buch in Rekordzeit zu verschlingen. Noch dazu schreibt Kai Meyer extrem gut, wobei insbesondere die Dialoge wunderbar gelungen sind. Oftmals reicht ein schlichter Wortwechsel und der Leser erlebt die ganze Bandbreite der Emotionen.

Für junge Leser könnten manche Szenen allerdings etwas zu grausam sein. Kai Meyer erspart seinen Protagonisten fast nichts und Rosas Vergangenheit ist stockfinster. Ihre Vergewaltigung in den Mittelpunkt des Romans zu stellen, ist ein Balanceakt, der einem phasenweise zu gewagt erscheint. Und auch andere Situationen sind von einer emotionalen Grausamkeit, die man besonders sensiblen Lesern nicht zumuten mag. Allerdings entsteht dadurch auch eine außergewöhnliche Spannung, die der Story einen gewissen Kick gibt – denn gerade in diesem Punkt kann man Alessandro in seiner blinden Rachelust bestens verstehen. Wie bereits der erste Band ist auch „Arkadien brennt“ ein optischer Leckerbissen und das Hardcover gibt es zum akzeptablen Preis. Bei so schön gestalteten Büchern lohnt sich die Investition – wer es günstiger haben mag und Geduld mitbringt, kann zur Taschenbuchausgabe greifen. Zumindest vom ersten Band ist bereits eine erschienen.


Fazit

In „Arkadien brennt“ entfesselt Kai Meyer ein cineastisches Abenteuer, das emotional mitreißt und mit außergewöhnlichen Ideen überzeugt. Insbesondere Rosas Veränderungen als Clanführerin versprechen ein fulminantes Finale in „Arkadien fällt“. Mafia und Gestaltwandler ergeben eine etwas seltsame aber dafür umso explosivere Mischung - und vor allem großartige Unterhaltung!


Pro & Contra

+ Rosas innere Wandlung
+ Alessandro ist nach wie vor unheimlich charmant
+ winterliches New York (zu Beginn des Romans)
+ eigentümliche Atmosphäre auf Sizilien
+ mehr Hintergrundinformationen
+ wieder unglaublich spannend
+ überraschende Wendungen
+ toller Schreibstil

o emotionale Grausamkeit
o relativ wenig Phantastik

- wieder etwas zu viele glückliche Fügungen

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4,5/5
Preis/Leistung: 4/5


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