Eine Insel (Terry Pratchett)

Manhatten (April 2009)
Originaltitel: Nation
Aus dem Englischen von Peder Brehnkmann
Gebundenes Buch mit Schutzumschlag,
448 Seiten, 12,5 x 20,0 cm
10 s/w Abbildungen
€ 19,95 [D] | € 20,60 [A] | CHF 34,90
ISBN: 978-3-442-54655-8

Genre: Fantasy


Klappentext

Einen Monat hat Mau allein auf einem winzigen Atoll im großen Pelagischen Ozean verbracht. Als Junge hat er seine Familie verlassen, als Mann kehrt er nun heim zur Insel des Lichts. Doch am Tag seiner Rückkehr zieht ein vernichtender Sturm auf und eine gigantische Welle tötet alle Bewohner seiner Heimat. Allerdings ist Mau nicht allein: Eines Tages steht ein fremdes, weißes Mädchen vor ihm – Daphne, die einzige Überlebende des gestrandeten Segelschiffs >>Sweet Judy<< und eine entfernte Verwandte der königlichen Familie. Zusammen mit ihr, einem fluchenden Schiffspapagei und weiteren Gestrandeten wagt Mau einen neuen Anfang. Gemeinsam bieten sie dem Schicksal die Stirn und stellen sich dem größten Abenteuer ihres Lebens.


Rezension

Terry Pratchett hat unzählige Leser begeistert, sie in die Weiten der Scheibenwelt entführt, über Teppiche gejagt, mit dem Tod verkuppelt und noch vieles mehr. Stunden, Tage, gar Wochen wurden auf diese Art mit Tiefgang, Humor und unvergleichlichen Charme versüßt.

Mit seinem neuen Buch „Eine Insel“ …

Mau ist einsam und allein, nachdem eine Riesenwelle seine Heimat, aber damit nicht genug, auch seine Seele fortgerissen hat. Innerlich verbrannt am Schmerz des erlittenen Verlustes, übergibt er Locaha – dem Gott des Todes - die letzten Überreste seiner Familie. Jeder Lebenswille scheint dabei mit der Vergangenheit zu verblassen, bis er Daphne kennenlernt.
Als „Hosenmenschenmädchen“ sieht die Dreizehnjährige anfangs nur eine Chance, sich mit dem ihr bietenden Chaos zu arrangieren: Würde bewahren. Egal ob ein schweres Kleid bei Hitze oder sprachliche Widrigkeiten, sie ist felsenfest davon überzeugt, dass in jeder Situation das Schreiben von Einladungen, Backen von Kuchen, Falten von Servietten oder andere von der Etikette vorgeschriebene Verhaltensweisen dringende, ja fast lebensabhängige Notwendigkeiten sind.

Zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch sie retten sich das Leben mit einer einfachen, fast banal wirkenden Wahrheit: Einer allein ist nichts, zwei dagegen sind eine Gemeinschaft. Eine Nation.

… wagt er nun den Sprung in eine sonderbare Parallelwelt, tief im pelagischen Ozean.

„Nation“, der englische Titel, verliert leider in der Übersetzung seine eigentliche Bedeutung, denn es geht nicht um eine, sondern um die Insel. Die Nation – so nennen Mau und die letzten Überlebenden ihr kleines Reich, das den Mittelpunkt des Romans bildet. Einen, den man mit Terry Pratchetts früheren Werken nicht vergleichen kann. Weitab der Scheibenwelt zeigt sich zwar der beliebte Humor des Autors, doch auch ein ungewohnt schneidender Ernst. Brutalität und Kaltblütigkeit vermengen sich mit Wärme und unvergleichlichem Tiefsinn zu einer oft schwer verdaulichen Mischung. Abgründe werden aufgetan, unergründlich intensiv, Religionen hinterfragt, Wissenschaften auf den Kopf gestellt und Rassenunterschiede geklärt. Egal ob kulturelle (Un-)Gleichungen, Glaube oder einfach nur die tiefe Aufrichtigkeit einer Freundschaft – beinahe jede menschliche Eigenheit wird aufgegriffen und zu einer lehrreichen Schluckimpfung zersetzt, die ein ums andere Mal verdeutlichen soll, wie wichtig es ist, zu hinterfragen.

Doch der Weg zur Einsicht ist steinig. Und so müssen sich Mau und Daphne über Verständigungsschwierigkeiten hinwegsetzen, dem Tod trotzen, Bier brauen, Schweine melken und langsam – Stück für Stück – wieder aufbauen, was verloren schien. Das dabei entstehende Spektrum an Facetten ermöglicht es Lesern aller Altersgruppen, etwas in dem Buch zu finden, für das man es schließlich tief ins Herz schließen muss.

Als Highlight für langjährige Fans können in "Eine Insel" mit Sicherheit die Anspielungen bzw. dunklen Spiegelbilder TODS, der diesmal unter dem Namen Locaha gänzlich anders in Szene gesetzt wird, betrachtet werden. Was in „Gevatter Tod“ noch die Lachmuskeln forderte, wird hier mit dunklen Farben übermalt und zeigt schlussendlich eine Reife, die diesem Werk erschütternde Ernsthaftigkeit verleiht.

Klingt spannend, interessant und lesenswert? Ist es auch, jedoch nicht weniger als die Großvatervögel, die über die „Nation“ stolpern und das beinahe andauernd stockbesoffen. Oder den wüst schimpfenden Papagei, der sie jagt, obwohl sie viel größer sind als er. Egal, in welches Kapitel man blättert, Lesenswertes & Ungewöhnliches liest man zuhauf und genau hier scheint Terry Pratchett wieder in seinem Element zu sein. Er verzichtet auf Elfen, Feen, tollpatschige Trolle oder andere magische Wesen, bleibt dem übersinnlichen Quantenspiel jedoch treu und schmückt mit liebenswert amüsanten Details sein viktorianisch angehauchtes Paralleluniversum, das man nicht so schnell wieder verlassen möchte.


Fazit

Eine lieblich furiose Mischung erwartet den geneigten, motivierten und überaus händeringenden Leser, der sich diese wunderschöne Hardcover-Ausgabe nicht nehmen lassen will. Und die ist ihr Geld Wert. Ein fabelhaft passender Buchumschlag, Weltkarten und wundervolle Kapitelzeichnungen runden Pratchetts neues Werk auch optisch ab, der sich diesmal an eine Hauptspeise gewagt hat, deren Beilagen ungleich verlockender geworden sind. Sprich: Ein Meistermenü der schillernden Pratchett-Fantasy.


Pro und Kontra

+ wunderbar ausgearbeitete Charaktere
+ flüssig zu lesender Pratchett-Stil
+ (herrlich amüsante) Fußnoten
+ beispielloser Tiefgang
+ ernster Witz

- Längen im ersten Teil

Bewertung:

Handlung: 5 / 5
Charaktere: 5 / 5
Lesespaß: 5 / 5
Preis/Leistung: 4 / 5

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Tags: Terry Pratchett