Leichenblässe (Simon Beckett)

Verlag Wunderlich (Januar 2009)
Übersetzt von Andree Hesse
416 Seiten,  19,90 EUR
ISBN: 978-3805208666

Genre: Thriller


Klappentext

Bei seinem letzten Einsatz ist der forensische Anthropologe David Hunter nur knapp dem Tod entronnen. Von einer vollständigen Genesung ist er weit entfernt, ihn quält die Frage, ob er seinem Beruf noch gewachsen ist. Zunächst sagt David alle neuen Aufträge ab, dennoch kommt er nicht zur Ruhe. Er beschließt, einen Forschungsaufenthalt auf der "Body Farm" in Tennessee einzulegen - einer bekannten Akademie für forensische Anthropologie, an der er vor vielen Jahren sein Handwerk erlernt hat. Dort trifft David seinen Mentor Tom Lieberman wieder. Tom bittet ihn, ihm bei einem schwierigen Fall zu helfen. Das Opfer wurde gefoltert, die Leiche ist bis zur Unkenntlichkeit zersetzt - weit stärker, als es der Fall sein dürfte. Am Tatort finden sich Fingerabdrücke, der Täter scheint festzustehen. Doch schon bald stellt sich heraus, dass nichts so ist, wie es auf den ersten Blick aussieht.


Rezension

Endlich ist er da, der dritte Fall mit dem sympathischen forensischen Anthropologen Dr. David Hunter. Und sofort drängen sich zwei Fragen auf: Kann dieser Fall auch an seine brillanten Vorgänger "Die Chemie des Todes" und "Kalte Asche" anknüpfen? Und kann man diesen Teil auch ohne Kenntnisse aus den vorherigen Büchern lesen? Eindeutig ja, allerdings sollten Neuleser sich bewusst sein, dass hier der Täter aus "Kalte Asche" verraten wird. Ansonsten gibt es keine Anspielungen auf die alten Fälle, nur die Person Dr. Hunters verändert sich natürlich, und obwohl das meiste kurz erklärt wird, ist das Verständnis für sein Handeln dann vielleicht ein wenig besser - aber nicht zwingend notwendig.

Im Gegensatz zu den ersten beiden Büchern ist das Setting hier ein bisschen anders. Die eingeschworenen Dorfgemeinschaften gibt es diesmal nicht und es spielt noch nicht einmal in England, sondern in Amerika, Tennessee. David Hunter besucht dort zu Forschungszwecken seinen alten Mentor, Dr. Tom Lieberman, ein anerkannter Anthropologe auf der weltbekannten Body Farm, auf der die Verwesung von menschlichen Leichen unter verschiedenen Bedingungen studiert wird. Da Tom herzkrank und ziemlich erschöpft ist, begleitet David ihn zu einem aktuellen Fall. Allerdings stößt er am Tatort als Brite auf Vorurteile, man traut seinem Urteil nicht und hat Angst, dass durch seine Anwesenheit der Tatort verunreinigt werden könnte, da Hunter bei einer Verfahrensaufnahme wahrscheinlich schon wieder in England ist und nicht als Zeuge herangezogen werden kann. Da David stark an sich selbst zweifelt, kommen ihm die Vorwürfe ganz recht, um sich zurückziehen zu können und aufzugeben. Aber Tom lässt das nicht zu und so wird David mehr und mehr in den Fall hineingezogen, ob er nun will oder nicht. Aber mit jeder weiteren Entwicklung kommt auch sein Selbstvertrauen wieder, und so ist es nicht verwunderlich, dass er am Ende auch den Täter erkennt.

Becketts Schreibstil zieht einen sofort in seinen Bann. Am Anfang zieht es sich allerdings ein wenig hin, die ständigen Selbstzweifel von David nehmen einen zu großen Raum ein, und seine Paranoia bezüglich der Attentäterin, die ihn schwer verletzt hat, wirft ihn ein ums andere Mal immer wieder zurück. Seine Panik, Angst und Zweifel werden eindringlich beschrieben, und es wird einem verdeutlicht, dass es mit der Heilung einer Wunde nicht getan ist, sondern dass nicht nur sichtbare Narben zurückbleiben. Die unsichtbaren behindern einen stärker, als mancher es wahrhaben möchte. Je mehr David in den Fall involviert wird, desto rasanter wird die Geschichte und es kommt zu einem furiosen Finale, welches vielleicht ein bisschen übertrieben und unglaubwürdig ist.

Insgesamt handelt es sich bei "Leichenblässe" um einen sehr interessanten Thriller. Beckett schafft es, viele relevante Details über die Anthropologie einzubringen, ohne belehrend zu werden. Auch für Laien verständlich, wobei man froh ist, dass aus Büchern keine Gerüche entströmen können, denn mit ekeligen Details wird nicht gespart. Der Täter legt auf eine sehr ausgeklüngelte Art und Weise falsche Indizien, die zwar recht schnell von David und Tom aufgedeckt werden, aber immer weitere Nachforschungen und neue Erkenntnisse nach sich ziehen. Auch sind manche Passagen, optisch kursiv gedruckt, aus der Sicht des Täters geschrieben, und so findet man sich in einer völlig anderen Welt wieder, die aber sehr anschaulich die Beweggründe und Absichten des Täters wiedergibt.


Fazit

Leichenblässe kommt nicht ganz an die Atmosphäre von "Die Chemie des Todes" und "Kalte Asche" heran, ist aber immer noch ein handwerklich geschickt gemachter Thriller mit einem überraschenden Täter. Wer die Vorgänger nicht kennt, wird einen spannenden und interessanten Roman finden, der einem die Forensik auf eindringliche Art sehr nahe bringt. Für alle anderen ist es eine Weiterentwicklung der Person David Hunters, der uns ausführlich an seinen Gedanken teilhaben lässt und nebenbei noch in einem höchst bemerkenswerten Fall ermittelt.


Pro und Contra

+ fesselnder Erzählstil
+ viele Verdächtige
+ ein hochintelligenter Täter mit einem interessanten Manko
+ viele Einblicke und Erläuterungen in die forensische Anthropologie
+ Einblicke in David Hunters Leben und Gedanken
+ Erzählteile aus der Sicht des Täters

- einige Längen am Anfang
- zuviele Gedanken und Gefühle von Dr. Hunter, die nichts mit dem Fall zu tun haben

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


Rezension zu "Die Chemie des Todes"