Gefährten (Michael Morpurgo)

carlsen (Januar 2012)
173 Seiten, 6,95 Euro
ISBN: 978-3-551-31121-4

Genre: Belletristik / Jugendbuch ab 12 Jahren


Klappentext

Wir schreiben das Jahr 1914 und Europa rüstet sich zum großen Krieg. Wie viele andere Tiere wird das Pferd Joey an die Armee verkauft. Es muss den heimatlichen Hof in England und seinen Freund, den Bauernsohn Albert, verlassen, um mit den Soldaten an die französische Westfront zu ziehen. Dort wird Joey Zeuge grausamer Kämpfe, findet aber in all der Trostlosigkeit auch Hoffnung und Fairness, sei es von englischer, französischer oder auch deutscher Seite. Doch Joey will nur zurück auf seinen Bauernhof – und zu Albert. Ob er ihn je wiedersehen wird?


Rezension

Michael Morpurgo wurde in London geboren und arbeitete lange Zeit als Lehrer, bevor er mit seiner Frau das Projekt „Bauernhöfe für Stadtkinder“ gründete. Viele seiner Romane, bisher über neunzig verschiedene Geschichten, wurden preisgekrönt. Mit „Gefährten“ erzählt er die berührende Geschichte eines Pferdes, gefangen zwischen Krieg und Hoffnung.

>> „Du hast das schon mal eine Zeit lang gemacht, mein Freund“, sagte er. „Das sehe ich dir an. Ich hab immer gewusst, dass die Engländer verrückt sind. Jetzt, da ich weiß dass sie Pferde wie dich als Kutschgäule einsetzen, bin ich mir sicher. Darum geht es in diesem Krieg, mein Freund. Es geht darum, wer von uns verrückter ist. Und ihr Engländer habt eindeutig mit einem Vorsprung angefangen. <<

Tiergeschichten haben Kinder, Jugendliche und auch junggebliebene Erwachsene stets schon fasziniert. Meist sehr einfühlsam erzählt, ermöglichen sie eine andere Sicht der Dinge, decken gesellschaftskritische Probleme auf, oder aber ungewöhnlichere Formen von Glück, Toleranz sowie Zuneigung. Mit „Gefährten“ bedient sich Michael Morpurgo genau solchen Schlüsselreizen. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive und damit landet Joey von Beginn im Brennpunkt des Geschehens: ein Hengstfohlen, das erst die Trennung von seiner Mutter überstehen, neue Freunde finden und dann eine schicksalhafte Reise antreten muss. Die beschaulichen Tage auf der Farm, gemeinsam mit Albert, sind damit vorbei. Joey wird zwar erst einmal liebevoll im „Netz“ des Militärs gefangen, leidet aber unter der ungewohnten Ausbildung, einer beängstigenden Verschiffung, sowie des ersten, blutigen Manövers. Obwohl der Autor sich bewusst zu mühen schien, die Gräuel des (für ihn vollkommen sinnlosen) Krieges zu umschreiben, ruht sein Augenmerk beinahe zu jeder Zeit auf Kinderfreundlichkeit. Unschöne, oder nicht altersgerechte Bilder werden akribisch in Watte gepackt, dennoch weiß der erwachsene Leser in vielen Momenten ohnehin die richtigen Schlüsse zu ziehen. Joey kämpft letztendlich an allen Fronten. Egal ob als Sprinter in der englischen Kavallerie, Kutschenpferd im Gespann, Zugtier von gewaltigen Geschützen oder Hoffnungsträger für kleine, sich in den Wirren des Krieges befindende Mädchen: die Geschichte lebt von ihrer (leider für diesen Umfang zu üppigen) Vielseitigkeit.

Auf über einhundertsiebzig Seiten begegnet man Narzissten, großen Strategen, leidenschaftlichen Sanitätern und einfachen Soldaten. Joeys Sicht ist sehr differenziert. Mit manchen Einschätzungen stimmt der Leser gerne überein, andere wirken allerdings überladen mit Kitsch und unpassender Schöngeistigkeit – zumindest dann, wenn man gewillt ist, dieses liebevoll gestaltete Kinderbuch kritisch zu betrachten. Etwas, das zugegebener Maßen schwer gelingt, denn Handlung sowie Setting bleiben nun einmal höchst fiktiv. Es versteht sich somit von selbst, dass gewisse Dinge überzeichnet und realitätsnahe Reaktionen entschärft sind. Selbst die Freundschaft zu Joeys Freund Albert bekommt nur oberflächlichen Glanz, denn in ihrer Endkonsequenz wäre der Leidensdruck für beide Charaktere, mit allzu tiefschürfenden Zeichnungen, zu verstörend, um generationsübergreifend zu gefallen. Ist man sich dieser Tatsache bewusst und weiß sie zu akzeptieren, stellt sich „Gefährten“ als netter und vor allem schnell zu lesender Denkanstoß für junge Leser heraus. Berührend, fiktiv und in jedem Fall für Liebhaber solcher Geschichten, wie Schulklassen interessant.

Zur (aktuellen Kino-)Verfilmung ein paar Worte: Steven Spielbergs Version dieser Geschichte ist alles in allem brillant gelungen. Er erweitert wohltuend, wo es wichtig ist, greift ebenso häufig Situationen detailgetreu auf, lässt jedoch eine (im Vergleich zum Buch) intensivere Grundstimmung entstehen, nicht aber, weil der Roman unvollkommen ist. Ausschlaggebend hierfür war und ist (einmal mehr) die Kürze der Vorlage, die visuell mit episch anmutenden Bildern natürlich wunderbar(er) in Szene gesetzt und ausgeschmückt werden kann. Vor allem, wenn Cast und Crew gezwungen sind, die Altersansprüche, aufgrund von Massentauglichkeit, merklich zu erhöhen. Gelungen, wenn auch etwas überlang. Protagonist Joey, ist darüber hinaus einfach traumhaft inspirierend besetzt.

„In einer Stunde, vielleicht in zwei“, sagte er, „werden wir wieder unser Bestes geben, um uns gegenseitig zu töten. Nur Gott weiß, warum wir das tun, und ich schätze, er hat es vergessen. Alles Gute, Mann aus Wales. Wir haben´s ihnen gezeigt, was? Wir haben ihnen gezeigt, dass jedes Problem zwischen den Menschen gelöst werden kann, wenn sie einander nur vertrauen. Mehr braucht es nicht, oder?“

(Seite 129)


Fazit

Michael Morpurgo betrachtet den Ersten Weltkrieg mit „Gefährten“ in einem absichtlich naiveren Licht und schrammt dabei weit an der Möglichkeit vorbei, aus dieser Thematik ein Meisterwerk zu machen. An Joeys Seite erlebt der Leser stattdessen mehrere, sehr berührende Tier-Mensch-Beziehungen, ebenso aber Gräuel, die nach dem Beenden des Romans, auch ohne ausführliche Beschreibung, nicht einfach wegzuwischen sind. Locker und flüssig geschrieben, ohne dabei auf wichtige, moralische Fragen zu verzichten, ist „Gefährten“ besonders für jüngere, tierliebe Leser ein perfektes Buch, um in die Thematik „Krieg“ ohne allzu fest sitzende Scheuklappen einzutauchen.


Pro und Kontra

+ vielschichte Darstellung des Geschehens
+ ungewohnte Sichtweise
+ Szenen-Bilder aus dem (Kino-)Film
+ Herz, Verstand und Gefühl
+ regt zum Nachdenken an
+ vielschichte Darstellung des Geschehens …

o simpler Stil / kindgerecht

- … trotz der Kürze
- verschenktes Potenzial / zu oberflächlich

Wertung:

Handlung: 3/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 4/5