Der Kult (Michael Cordy)

cordy m-der kult

Heyne Verlag, 1. Auflage April 2012
Taschenbuch, 480 Seiten
ins Deutsche übersetzt von Katja Bendels
ISBN: 978-3-453-43635-0
€ 12,99 [D] | € 13,40 [A] | CHF 18,90


Genre: Thriller


 

Klappentext

Sie kennt die Farbe des Todes
Eine junge Frau befreit mehrere Personen aus einem brennenden Haus. Doch der namenlosen Heldin fehlt jede Erinnerung an ihr früheres Leben. Dafür besitzt sie die Gabe der Synästhesie und ist in der Lage, die Farbe der Aura zu erkennen, die jeden Menschen umgibt. Eine seltene Fähigkeit, für die sich nicht nur ein psychopathischer Killer, sondern auch der charismatische Anführer eines rätselhaften Kults brennend interessieren. Gemeinsam mit dem Psychiater Dr. Nathan Fox, zu dem sie eine tiefe Zuneigung entwickelt, macht sich die Unbekannte auf die Suche nach ihrer Vergangenheit.


Über den Autor

Michael Cordy war bis 1993 als Marketingleiter in einem englischen Konzern tätig, bis ihm mit „Das Nazareth-Gen“ auf Anhieb ein Bestseller gelang, der in über 25 Ländern erfolgreich war. Mit „Mutation“ konnte er sich als einer der besten britischen Thrillerautoren etablieren. Michael Cordy lebt mit seiner Frau Jenny in London.


Rezension

Alles beginnt mit einer dramatischen Rettung. Eine junge Frau befreit mehrere Mädchen aus dem Keller eines Hauses und wird bei der Flucht von einem der Menschenhändler am Kopf verletzt. Im Krankenhaus folgt die Diagnose: Retrograde Amnesie. So wie sie sich selbst vergessen hat, scheint auch die Welt dies getan zu haben, denn auch nach Tagen meldet sich niemand auf die Aufrufe in den Medien. Weil Jane Doe von Albträumen und grässlichen Halluzinationen geplagt wird, bittet man schließlich den talentierten Psychiater Nathan Fox um Rat. Dieser wehrt sich zu erst, entdeckt aber schnell die unglaubliche Begabung seiner Patientin: Synästhesie, die angeborene Verknüpfung zwei oder mehrerer Sinne – nur scheint sie bei Jane Doe alle Sinne zu umfassen. Auch die Halluzinationen offenbaren bald eine grausige Wahrheit.

"Ein Streifenwagen näherte sich, das Brummen seines Motors eine Symphonie aus Grüntönen. Ängstlich umklammerte sie das Medaillon noch etwas fester und glitt in den unbeleuchteten Gartenweg des nächsten Hauses. Als der Wagen im Dunkel der Nacht verschwand, atmete sie erleichtert auf und lehnte sich gegen die Mauer. Doch plötzlich, als hätte sie sich an den roten Klinkern verbrannt, bog sie den Rücken durch und machte einen Satz nach vorn. Das stille, unbeleuchtete Haus unterschied sich äußerlich nicht von den anderen – zwei Etagen, geschlossene Fensterläden und ein rotes Ziegeldach –, doch sie hatte gelernt, wie sehr der Schein trügen konnte. Vorsichtig, wie ein Arzt, der sein Stethoskop an die Brust seines Patienten hält, legte sie die Handfläche gegen die Mauer."

Viel Zeit, ihre Fähigkeiten zu erforschen und somit vielleicht hinter die Identität seiner Patientin zu kommen, bleibt Nathan jedoch nicht, denn grausige Morde erschüttern die Stadt, und an jedem Tatort findet sich ein Bild von Jane Doe.

Schon bald überschlagen sich die Ereignisse: Jane wird überfallen, der charismatische Anführer eines Kults taucht auf und behauptet ihr Vater zu sein und die junge Amnesie-Patientin steht vor der Entscheidung zwischen ihrem alten Leben in Isolation, das ihr ihre Identität zurückgeben könnte, oder der Wahl, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, um ein Leben mit Nathan aufzubauen. Dieser hat allerdings nach dem gewaltsamen Tod seiner Familie im Kindesalter Bindungsängste. Jane Doe geht als Sorcha mit ihrem Vater, ohne zu ahnen, was sich hinter der Fassade der Indigo-Familie, des Kultes ihres Vaters, verbirgt. Und auch der Mörder ist näher als sie vermutet.

Sorcha, alias Jane Doe, ist die Heldin in Michael Cordys Buch Der Kult (englisch The Colour of Death – meines Erachtens die bessere Wahl für einen Titel). Wie Nathan Fox, dem jungen Psychiater und Gerichtsmediziner an ihrer Seite, ist sie sehr sympathisch gezeichnet und wirkt in sich schlüssig. Ihre Gabe der Synästhesie ist faszinierend beschrieben, wirkt in ihrer Umfassenheit allerdings ein wenig übertrieben, denn wenn jeder Sinn mit jedem verknüpft ist, müsste sie an der Flut von Sinneseindrücken eigentlich ersticken. Gleiches gilt für Nathan, der Karate-Experte ist, erfolgreicher Psychiater, Gerichtsmediziner und Berater für die Polizei – all dies in einem Alter, das Anfang der Dreißig liegt. So wundert es dann auch kaum, dass die anderen Charaktere blass und ein wenig beschränkt wirken. Nathans Tante wird zwar als hochintelligente Professorin vorgestellt, ist aber eigentlich nur zu Hause, um ihrem Neffen und Sorcha mit großmütterlichem Rat beiseite zu stehen. Schlimmer noch hat es Chief Detective Jordache erwischt, der immer wieder auf Nathans Rat angewiesen scheint und auch im Einsatz wenig überzeugt, wenn er zum Beispiel Minuten braucht, um in einer Situation von Leben und Tod eine Treppe hochzueilen, stattdessen jedoch genügend Zeit und Luft findest, sich mit Nathan zu unterhalten. Positiv hingegen überzeugen dann wieder Sorchas Vater in seinem glühenden Fanatismus sowie der Mörder, dessen tragisches Schicksal sich mit all den Facetten dem Leser nach und nach entfaltet.

Der schnörkellose Stil und die wechselnden Erzählperspektiven halten die Geschwindigkeit angenehm hoch, richtig zu fesseln, schafft die Geschichte allerdings nicht. Das mag zum einen an den kleineren Längen liegen, in denen die Theorien hinter Sorchas Fähigkeiten und der Glauben der Indigo-Kinder ausführlicher als nötig erläutert wird. Hauptsächlich aber einfach daran, dass sich Cordy durch zu viele Erzählperspektiven selbst ein Bein stellt. Denn neben Sorcha und Nathan erhält der Leser ebenfalls Einblick in die Vergangenheit und Gedanken des Mörders und viel wichtiger: Sorchas Vater, welche der Handlung nicht selten vorausgreifen.

So ergibt sich ein wechselhaftes Gesamtkonzept aus interessanten Charakteren, packenden Szenen (Sorchas Halluzinationen) und interessanten Ideen, das jedoch an einem mangelndem Thrill-Faktor und Cordys Wunsch, alles aufzuklären, kränkelt.

Gelungen ist Heyne dieses Mal auch das Titelbild zum Cordys Werk. Hier wird nicht nur das Indigoblau des Kultes eingefangen, sondern auch die Tür zum Turm, der in den Plänen des Kultes eine bedeutende Rolle spielt.


 

Fazit

Mit Der Kult liefert Michael Cordy eine Geschichte, der durch interessante Charaktere, spannende Verwicklungen und verblendete Antihelden zu überzeugen weiß. Wer sich an einem etwas trotteligen Polizisten nicht stört, und ein winziges Auge zudrücken kann, wenn es um alleskönnende Protagonisten und Vorhersehbarkeit geht, wird hier gut unterhalten.


Pro und Kontra

+ Sorchas Fähigkeiten
+ Facettenreichtum des Mörders

o schlichter Stil, ohne besondere Edge

- Handlungen der Charaktere manchmal nicht nachvollziehbar
- Charaktere sind entweder ein wenig unter- oder überzeichnet

Bewertung: alt

Handlung: 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5

Preis/Leistung: 4/5