Nina Blazon (30.06.2012)

Interview mit Nina Blazon

Literatopia: Hallo Nina! Schön, mal wieder mit Dir zu plaudern. Kürzlich ist mit „Wolfszeit“ ein eher historisch geprägter Jugendroman von Dir erschienen. Wie ist die Geschichte zur Bestie von Gévaudan entstanden? Verbindet Dich etwas mit der Auvergne, in der der Roman spielt?

Nina Blazon: Mich hat der historische Kriminalfall interessiert – denn bis heute konnte ja nicht in Erfahrung gebracht werden, wer oder was die Morde tatsächlich begangen hat. Wie bei „Jack The Ripper“ gibt es sehr viele Theorien dazu. Ich habe mir die neuesten Forschungsergebnisse vorgenommen und die Geschichte so aufgebaut, wie sie meiner Meinung nach am logischsten zu erklären ist. So hat sich die Grundstory ganz logisch aus den Fakten entwickelt. Den Schauplatz der Bestiengeschichte – die Auvergne - kannte ich vor meiner Recherchereise noch nicht, umso spannender war es, sich auf die Spur der Bestie zu begeben und vor Ort zu überprüfen, wie die Tatorte und die Wälder und Berge tatsächlich aussehen. Und ich freue mich schon jetzt darauf, das nächste Mal ganz privat dorthin zu reisen.

Literatopia: „Wolfszeit“ wird als Jugendroman deklariert, ist aber vielleicht aufgrund der grausamen Beschreibungen doch eher für Erwachsene geeignet. Was denkst Du? Ist „Wolfszeit“ für Dich tatsächlich ein Jugendbuch oder eher ein Erwachsenenroman?

Nina Blazon: Ja, das Thema ist schon heftig, aber bei den Beschreibungen habe ich mich sogar noch zurückgehalten (die historischen Überlieferungen sind viel grausamer) und mich vor allem auf die Ermittlungsarbeit konzentriert. Ich würde sagen, es ist ein Roman für ältere Jugendliche/junge Erwachsene und durchaus auch für ältere Leser.

Literatopia: Was kann man Jugendlichen Deiner Meinung nach „zumuten“? Wie detailliert dürfen Grausamkeiten in Jugendbüchern geschildert werden? Und was geht für Dich in Jugendromanen einfach gar nicht?

Nina Blazon: Bei dieser Frage gehen die Meinungen auch unter Jugendbuchkollegen oft auseinander. Ich persönlich achte darauf, dass es nicht allzu gewalttätig wird, und auch die Verbindung von Sexualität und Gewalt fände ich in einem Jugendbuch problematisch. Worauf ich Wert lege: Selbst wenn den Figuren etwas Schlimmes zustößt, versuche ich immer eine Botschaft mitschwingen zu lassen, die man mit „Du hast eine Handlungsmöglichkeit, du bist nicht völlig hilflos“ beschreiben könnte. Ein ganz und gar hoffnungsloses Ende geht nicht. Selbst wenn es kein Happy End gibt und der Hauptperson schreckliche Dinge zustoßen, versuche ich immer zu zeigen, dass die Figur immer noch eine Stärke besitzt, die aus ihr selbst kommt.

Literatopia: Wie hat sich Deine Recherche zu Wolfszeit gestaltet? Warst Du direkt vor Ort und hast mit Anwohnern gesprochen? Oder war vor allem das Internet Deine Informationsquelle?

Nina Blazon: Nein, das Internet ist keine verlässliche Quelle für eine solide Recherche für einen Historienroman. Hier bin ich an Originalquellen herangegangen, habe Fach- und Forschungsliteratur gesammelt und Experten kontaktiert. Auf der Recherchereise habe ich mir die Tatorte angeschaut, war in Museen, haben mit Leuten vor Ort gesprochen und sehr viel zum Fall gelesen. Die gesamten Vorarbeiten zu dem Buch erstreckten sich über zwei Jahre.

Literatopia: „Totenbraut“ und „Wolfszeit“ sind im Vergleich zu Romanen wie „Faunblut“ und „Zweilicht“ historische Romane. Wie haben Deine Leser auf den Genrewechsel reagiert? Sind sie genauso begeistert wie vorher? Oder gab es auch stimmen, die „mehr Fantasy“ fordern?

Nina Blazon: Ein richtiger Genre-Wechsel war es ja nicht, da ich schon seit jeher in beiden Genres schreibe. Aber es stimmt natürlich, dass einige Fantasy-Leser sich etwas wundern, wenn sie einen historischen Roman aus meiner Feder in die Hände bekommen, weil sie dieses Genre sonst nicht lesen. Ich verzichte ja auf Genre-Pseudonyme, sondern schreibe alles unter einem Namen. Das ist inzwischen wohl eher ungewöhnlich. Manche Fantasy-Leser waren da etwas irritiert. Umso schöner ist es natürlich, wenn sich auf diese Weise auch Leser zur Historie verführen lassen, auch sonst gar nichts in der Richtung lesen. Bisher habe ich dazu nur gute Rückmeldungen bekommen.

Literatopia: Was fasziniert Dich persönlich an Historik? Liest Du selbst gerne historische Romane? Und welches Zeitalter hat es Dir besonders angetan?

Nina Blazon: Es ist faszinierend zu sehen, wie viel Vergangenheit in unserer heutigen Zeit steckt. Warum wir mit Messer und Gabel essen, woher unser Verständnis vom Menschen stammt, unsere kulturellen Besonderheiten – all das hat sich entwickelt und es macht Spaß, diesen Spuren zu folgen und aus der „Vogelperspektive“ in Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig zu schauen. Deshalb lese ich auch gerne historische Romane, noch lieber aber Biographien und Sachbücher über verschiedene Epochen. Das Barockzeitalter hat es mir dabei besonders angetan, denn manches unterscheidet sich gar nicht so sehr von unserer Zeit.

Literatopia: Moderne Märchenumsetzungen sind dieses Jahr gefragt wie noch nie. Auch „Wolfszeit“ enthält Märchenelemente. Was denkst Du – warum sind Märchen nach wie vor so beliebt? Und was braucht ein modernes Märchen, um das heutige Publikum begeistern zu können?

Nina Blazon: Warum sie immer noch so beliebt sind? Hm, vielleicht, weil sie Grundthemen ansprechen, Grundkonflikte, Archetypen, die in jedem von uns etwas zum Klingen bringen. Ein modernes Märchen müsste, so denke ich, auf jeden Fall solche archetypischen Situationen und Figuren aufgreifen.

Literatopia: Deine Romane sind meist schwer zu durchschauen. Sobald der Leser eine Spur hat, passiert etwas vollkommen Unvorhersehbares, das die ganze Geschichte auf den Kopf stellt. Wie schaffst Du es, trotzdem den roten Faden zu behalten? Glaubwürdig zu bleiben? Hast Du schon am Anfang einer Geschichte alle Wendungen geplant oder ergeben sich die Ideen erst während dem Schreiben?

Nina Blazon: Ein bisschen ist es wie bei einem Schachspiel. Ich muss am Anfang schon vorausberechnen, auf welche Fährten ich den Leser schicke, inklusive aller falschen Fährten. Den roten Faden behalte ich dabei mit Skizzen und Pfeilen im Auge, die genau zeigen, wann Figur 1 an Ort A ist, wo B passiert, während Figur 2 an Ort C mit Figur 3 redet ... etc., etc.

Und glaubwürdig versuche ich zu bleiben, indem ich mich so tief wie möglich in die Figuren einfühle und so dicht wie möglich an ihren logischen Reaktionen entlangschreibe.
Manche Ideen ergeben sich dabei noch während des Schreibens, so kommt auch noch die eine oder andere Figur dazu.

Literatopia: „Zweilicht“ ist ein einzigartiges Buch, das den Leser von Beginn an fest in seinen Bann schlägt – aber so mancher könnte Dir vielleicht vorwerfen, dass einige Ideen aus bekannten Vorlagen wie beispielsweise „Matrix“ übernommen wurden. Lag darin tatsächlich Deine Inspiration? Oder sind Ähnlichkeiten rein zufällig?

Nina Blazon: Grundsätzlich habe ich ein Matrix-Zitat im Dialog (das Jay ja auch ausspricht) bewusst eingesetzt, es ist aber bei weitem nicht das einzige, denn für Zweilicht spiele ich sehr oft auf Filme an – das Medium der Illusionen und Parallelwelten. Es passt ganz wunderbar zum Plot. Man findet Blade Runner (Kunstmensch oder echter Mensch?) ebenso wie die Anspielung auf „Flucht ins 23. Jahrhundert“. Wobei viele jüngere Leser natürlich die alten Klassiker nicht kennen, das macht aber nichts, es funktioniert auch so.
Aber die Grundidee von Zweilicht ist eine andere. Ich greife bei Jays Welt auf Mythologien verschiedener Kulturen zurück, die im weitesten Sinne ebenfalls „Matrix“-Szenarien ähneln (aber natürlich viel älter sind und nichts mit dem Film zu tun haben). Die Idee ist also nicht übernommen, in Zweilicht finden sich auch weder virtuelle Welten noch Maschinen noch Rebellen und blaue und rote Pillen und auch keine feindliche „Programme“ als Gegenspieler. Mir ging es hier um etwas ganz anderes, einen alten japanischen Mythos (der am Ende des Buches auch erklärt wird), um die (sehr alte!) Idee von Trugwelten im Kopf eines Schläfers (oder Wachschläfers), Traumwelten, in denen Schläfer sich bewegen und in denen man sich begegnen kann. Um Magie! Und zwar eine ganz spezielle, die ich hier nicht verrate, um die Auflösung nicht vorwegzunehmen.

Ach, und noch ein Gedanke zu Matrix: Es ist interessant zu sehen, wen die Matrix-Macher in ihrer Film-Grundidee zitieren – dann landet man bei einem Klassiker, Platons Höhlengleichnis (inklusive der Liegen, auf denen die Protagonisten mit Kopf und Körper fixiert sind, während sie in die vermeintlich wirkliche Welt schauen). Und damit ist man bei einer der ältesten philosophischen Fragen: Wie wirklich ist unsere Wirklichkeit?

Literatopia: Oftmals wird bei Büchern mit ähnlicher Thematik gemeckert, dass Ideen „geklaut“ wurden. Dabei verlangen viele Grundideen geradezu nach verschiedenartigen Umsetzungen. Wie siehst Du das? Wo ziehst Du die Grenze zwischen „geklaut“ und „inspiriert“?

Nina Blazon: Ich muss sagen, seit ich selbst Bücher schreibe, bin ich sehr, sehr vorsichtig geworden mit Vermutungen wie „zu sehr inspiriert“, geschweige denn „geklaut“. Zu oft habe ich im Kollegenkreis erlebt, dass Ideen oder Themen manchmal seltsamerweise „in der Luft liegen“ und sogar Figuren sich zufällig ähneln können, ohne dass ein Autor bei einem anderen in die Schublade geschaut hat. Eine Kollegin hatte zum Beispiel das unangenehme Erlebnis, von dem Fanclub eines anderen Autors im Internet niedergemacht zu werden, nur weil ihre Handlung auch in einem Internat für übersinnlich begabte Jugendliche spielte und eine Figur darin ebenfalls rote Locken hatte (bei vier möglichen Haarfarben und zwölf Personen rechne sich jeder die Wahrscheinlichkeit selbst aus, dass in zwei Büchern eine rothaarige Schülerein auftaucht). Kurz: Ähnlichkeiten passieren und niemand ist dann betroffener als der Autor, dem gleich ein Plagiat unterstellt wird.

Und oft beziehen Autor A und Autor B sich einfach auf dieselbe Quelle – sei es ein Mythos, ein Märchen, eine Sage, ein Ereignis der Geschichte oder sonstiges kulturelles Allgemeingut (siehe auch oben erwähntes Höhlengleichnis von Plato). Da würde ein Blick in ein Lexikon genügen, um den Verdacht zu entkräften.
Aber jeder Autor erzählt „seine“ Geschichte anders und im besten Fall mit einigen neuen Facetten. Dann liest man auch die tausendste Variante einer verbotenen Liebe à la Romeo und Julia gerne und zittert mit den Jugendlichen, die gegeneinander kämpfen müssen wie in „Die Tribute von Panem“ und in „Battle Royale“ von Koushun Takami, auch wenn die Plots sich ähneln.

Literatopia: Die Cover von „Wolfszeit“ und „Zweilicht“ sehen einfach traumhaft aus. Wie gefallen sie Dir? Allgemein sehen phantastische Romane in den letzten Jahren viel besser aus als früher – empfindest Du das genauso? Was macht für Dich ein gutes Cover aus?

Nina Blazon: Ich habe auch den Eindruck, dass die Cover immer schöner werden. Sie wirken auf mich erwachsener, farbenprächtiger. Mir persönlich gefällt das sehr, denn ein gutes Cover sollte ein Seh-Erlebnis sein, das auf das Lese-Erlebnis Lust macht.

Literatopia: Deine Romane sind bisher immer in sich abgeschlossen. Hast Du schon einmal über einen Mehrteiler, vielleicht eine Trilogie nachgedacht? Oder schließt Du mehrere Bände grundsätzlich aus?

Nina Blazon: Grundsätzlich schließe ich es nicht aus, aber ich schreibe doch lieber abgeschlossene Geschichten. Die Figuren machen im Laufe des Buches eine Entwicklung durch. Und bei vielen wüsste ich nicht, was sie dann in Band zwei noch erleben sollten, ohne dass es eine Wiederholung wäre.

Literatopia: Auch Du warst auf der Fantasy-Lese-Insel in Leipzig vertreten und hast aus „Wolfszeit“ gelesen. Wie hat es Dir gefallen? Kann man im Rahmen des Messetrubels überhaupt eine richtige Lesung abhalten? Wie war das Publikum?

Nina Blazon: Leipzig ist immer eine Herausforderung, da man ja mitten im Trubel liest. Leute kommen und gehen, Besucher flanieren vorbei, im Hintergrund hört man Applaus und Musik von einer anderen Veranstaltung. Es ist ein sehr lebendiger Leseort und verlangt etwas Konzentration, um sich nicht von den Nebengeräuschen aus dem Konzept bringen zu lassen. Aber auch in diesem Jahr war das Publikum fantastisch und es hat einfach sehr viel Spaß gemacht!

Literatopia: Was wird Deine Leser in naher Zukunft von Dir erwarten? Wird es weiterhin historisch bleiben oder widmest Du Dich bald wieder gänzlich der Fantasy?

Nina Blazon: Erst einmal geht es im Genre Kinderbuch weiter. Zum einen mit einem Vorlesebuch ab sechs Jahren aus dem Hause Ravensburger. Das Buch heißt "Der Drache aus dem blauen Ei", illustriert wird es von der unvergleichlichen Dorota Wünsch, die auch schon den Räuber Grapsch und andere Figuren zum Leben erweckt hat. Die älteren Leser ab zehn reisen dagegen nach Venedig: "Laqua - Der Fluch der schwarzen Gondel" ist Abenteuer-Fantasy, und ich kann versprechen, dass es auch ein wenig gruselig wird.

Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview, Nina!


Autorenfoto: Copyright by Martin Link

Rezension zu "Wolfszeit"

Rezension zu "Zweilicht"

Rezension zu "Ascheherz"

Rezension zu "Faunblut"

altes Interview mit Nina Blazon (Februar 2009)


Dieses Interview wurde von Eva Wirtl und Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.