Die Mechanik des Herzens (Mathias Malzieu)

carl’s books (Juni 2012)
Originaltitel: La Mécanique du Coeur
Originalverlag: Flammarion, Paris 2007
Aus dem Französischen von Sonja Finck
Paperback, Klappenbroschur, 192 Seiten,
€ 12,99 [D] | € 13,40 [A] | CHF 18,90
ISBN: 978-3-570-58508-5

Genre: Phantastik


Klappentext

Jack ist ein besonderer Junge. Seit seiner Geburt hat er ein mechanisches Herz in Form einer Kuckucksuhr, die jeden Tag neu aufgezogen werden muss. Nur eines muss er dabei bedenken: Er darf sich niemals verlieben, denn das würde sein zartes Uhrwerk nicht aushalten. Als Jack eines Tages die bezaubernde Tänzerin Miss Acacia kennenlernt, spielt sein Herz sofort verrückt. Doch er lässt sich nicht entmutigen und kämpft um seine Liebe …

Ein phantastisches Märchen für Erwachsene über die Macht der Liebe.


Rezension

Jack wird 1874 am kältesten Tag aller Zeiten in Edinburgh geboren. Seine blutjunge Mutter bringt ihn bei Doktor Madeleine zur Welt und will ihr Neugeborenes nicht einmal sehen. Das Herz des kleinen Jungen ist gefroren und will nicht schlagen – also verbindet Doktor Madeleine das kleine Kinderherz mit einer Kuckucksuhr, die Jack das Leben rettet. Er wächst bei Doktor Madeleine auf, die die Kinder von Huren und Fehltritten zur Welt bringt und an reiche, kinderlose Paare vermittelt. Doch Jack mit seiner grotesken Kuckucksuhr möchte niemand haben und so verbringt er seine ganze Kindheit bei Doktor Madeleine, die ihn abends in den Schlaf singt. Als er eines Tages Miss Acacia auf der Straße tanzen sieht – ein junges Mädchen, das nicht richtig sieht, aber keine Brille tragen will – pfeift seine Kuckucksuhr sprichwörtlich aus dem letzten Loch. Sein Herz droht zu explodieren, als Doktor Madeleine ihn wegzieht und fortan eine Tafel aufhängt, auf der sie festhält: Verschenke niemals dein Herz – an niemanden! Doch Jack kann Miss Acacia nicht vergessen und so beginnt eine wunderliche Reise zur ganz großen Liebe …

Bereits auf den ersten Seiten wird der Leser mit Mathias Malzieus überschwängliche Wortgewalt konfrontiert: Seine Metaphern sind außergewöhnlich schön und seltsam, sein Schreibstil voller Leidenschaft. Die Bilder, die er heraufbeschwört, sind so eindringlich, dass man sich bereits nach wenigen Sätzen in der Geschichte verloren hat. „Die Mechanik des Herzens“ hat den Zauber von „Edward mit den Scherenhänden“ und setzt diesen literarisch hochwertig um. Dem ein oder anderen könnte die metaphernschwere Sprache zu viel des Guten sein, doch zur märchenhafte Geschichte passt sie wunderbar. Und diese ist herrlich romantisch, ziemlich skurril und ein klein wenig gruselig. Gemeinsam mit Jack erlebt der Leser sowohl die Licht- als auch die Schattenseiten der ganz großen Liebe, die einem schier den Verstand raubt. Sie lässt uns unüberlegt handeln, verengt die Wahrnehmung auf einen einzigen Menschen, richtet alles Handeln nur noch auf diese Person aus. Jack verliert sein Herz wirklich ganz und gar – und das, obwohl Doktor Madeleine ihn gewarnt hat: Verschenke niemals dein Herz!

Die Geschichte wird aus Jacks Sicht erzählt, wobei er sogar seine Geburt beschreibt und hin und wieder Gegebenheiten, über die er nichts wissen kann. Aber wer „Die Mechanik des Herzens“ liest, merkt schnell, dass sich Malzieu nicht um streng einzuhaltende Perspektiven schert. Er erzählt die Geschichte in sich stimmig, auf seine ganz eigene Art, die dieses Buch auszeichnet. Seine Formulierungen sind gekonnt, mal verträumt, mal sehr direkt, manchmal auch total daneben. Und trotzdem kann man sich der Magie dieses Märchens nicht entziehen. „Die Mechanik des Herzens“ steckt voller Übertreibungen, die die Macht der Liebe unterstreichen. Jack ist in seiner Verliebtheit einfach herrlich naiv, was ihm jedoch zum Verhängnis wird. Dazu gibt es noch einen Nebenbuhler, der in Jack das grünäugige Monster Eifersucht weckt. Ihm zur Seite steht zu Beginn Doktor Madeleine und als er wegen eines unglückseligen „Unfalls“ Edinburgh verlässt, kümmert sich der Magier Méliès um seine Uhr. Er ist das Gegenteil von Madeleine und ermuntert Jack, seiner Liebe zu folgen. Er selbst ist dabei ein leichtlebiger Mann, der zwar immer von der großen Liebe spricht, aber sich mit zahlreichen Affären vergnügt – wobei er angeblich die wahre Liebe nie aus den Augen verliert.

Nach Jacks tragischer Kindheit folgt eine rosarote Verliebtheitsphase, in der sich Malzieu immer wieder selbst mit neuen Bildern übertrifft. Doch in der zweiten Hälfte wird es zunehmend düsterer und komplizierter – Jack lernt die Schattenseiten der Liebe kennen. Das Wechselbad der Gefühle nimmt auch den Leser mit, der inständig hofft, dass sich alles zum Guten wendet. Das Ende bietet dabei einige Überraschungen, wobei die Geschichte zuvor recht linear und teilweise auch vorhersehbar verlief. Zwar ist man zunächst erstaunt, dass Jack tatsächlich durch Europa reist, um seine Miss Acacia zu finden, doch bald erkennt man die Absicht hinter gewissen Ereignissen zu Beginn der Geschichte. Nichtsdestotrotz wird es einem bei „Die Mechanik des Herzens“ sicher nicht langweilig, hat das Büchlein doch gerade einmal 192 Seiten. Viel mehr hätte es für diese Geschichte auch nicht sein sollen, auch wenn es bitterschade ist, dass sie so schnell vorbei ist. Doch Malzieu konzentriert sich schlichtweg auf das, was viele Menschen zur Verzweiflung treibt, sowohl Rettung als auch Fluch sein kann und jedwede Vernunft in rosa Zuckerwatte ertränkt: Die Liebe. Und für diese hat er mit „Die Mechanik des Herzens“ ein wundervolles Märchen geschrieben.

Besonders hervorzuheben ist zudem die Covergestaltung: Das verträumte und melancholisch anmutende Motiv stammt von Benjamin Lacombe und spiegelt die Atmosphäre von „Die Mechanik des Herzens“ gekonnt wieder. Benjamin Lacombe illustrierte unter anderem „Schneewittchen“ der Gebrüder Grimm und „Unheimliche Geschichten“ von Edgar Alan Poe, beides bei Jacoby & Stuart erschienen.


Fazit

„Die Mechanik des Herzens“ ist ein herrlich romantisches Märchen über die große Liebe, voller Leidenschaft und Überschwänglichkeit. Mathias Malzieus Sprache verzaubert den Leser mit ganz außergewöhnlichen und seltsamen Bildern, die das Herz berühren. Wunderbar verträumt, sehr kreativ und voll düsterem Charme!


Pro & Contra

+ außergewöhnliche Metaphorik
+ leidenschaftlicher Schreibstil
+ wunderbare Protagonisten
+ herrlich romantisch und melancholisch
+ gefühlsmäßige Achterbahnfahrt
+ extrem kreativ und charmant

o für manchen wohl etwas übertrieben

Wertung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


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Tags: Märchen, Zirkus