Error (Neal Stephenson)



Manhattan Verlag (Oktober 2012)
gebunden, mit Schutzumschlag und Leseband
1024 Seiten, EUR 24,99
ISBN: 978-3-442-54692-3

Genre: Thriller

Klappentext

Es ist nur ein Spiel.

Aber es geht um sehr viel Geld.

Und für manche bald um ihr Leben …

Richard Forthrast kann so leicht nichts erschüttern: Quasi aus dem Nichts hat er mit der Schöpfung des Compuerspiels T'Rain ein millionenschweres internationales Unternehmen geschaffen. Doch er ahnt nicht, was für eine dramatische Kettenreaktion er in Gang setzt, als er seiner Nichte Zula einen Job bei T'Rain verschafft. Denn es ist Zulas Freund Peter, der durch einen fatalen Fehler den Rechner eines sehr gefährlichen Mannes mit einem neuartigen Computervirus infiziert. Der Geschädigte sinnt auf Rache - und binnen kurzem reißt dieses Missgeschick Zula und alles, was Richard wichtig ist, in einen tödlichen Strudel der Gewalt …


Rezension

Mit Neal Stephenson springt einer der ganz Großen auf den neuartigen Zug der "Online-Thriller" auf - jenem offenbar angesagten neue Subgenre, das einen - je nach Auslegung des Autors unterschiedlich großen - Anteil der Handlung in eine Online-Rollenspiel-Welt verlegt. Und auch, wenn die sich hierdurch ergebenen Möglichkeiten sicher nicht von der Hand zu weisen sind, so muss man Stephenson doch dankbar sein, dass er diese Eskapaden auf ein Minimum begrenzt. Vielmehr liefert er mit "Error" einen geradlinigen, beinahe als "klassisch" zu bezeichnenden Thriller ab, der auf 1000 Seiten jede Menge Action, Witz und Raffinesse - aber auch so manche Länge mit sich bringt. Dieses "Klassische" wird hierbei jedoch ergänzt durch jede Menge neuer Ideen und Komponenten, die "Error" dann doch zu einem topmodernen Roman machen: Technologie, Google, Facebook, Youtube, Terrorismus, China - um nur einige Beispiele zu nennen. In einer aberwitzigen Story hetzt Stephenson dabei sein beträchtliches Charakteraufgebot zu den unterschiedlichsten und nicht minder außergewöhnlichen Schauplätzen: Washington State mit seiner Metropole Seattle, British Columbia, exotische chinesische Städte - all dies in einer Geschichte unterzubringen verlangt sicherlich eine mehr als außergewöhnliche Handlung. Und eine solche hat Stephenson denn auch parat.

Alles beginnt mit einem Satz gestohlener Daten, der an die russische Mafia verkauft werden soll. Dumm nur, dass auf dem USB-Stick ein Virus ist, das chinesische Hacker programmiert haben, um gewissermaßen Lösegeld für persöniche Daten fordern zu können. Diese Ausflüchte beeindrucken die Russen nicht - kurzerhand geht es auf nach China, um die Daten zurückzugewinnen und sich, nach bester Mafiamethode, den Programmierer des Virus persönlich vorzuknöpfen. Als wäre all das noch nicht genug, kommt in China auch noch eine islamistische Terrorzelle ins Spiel, um die Dinge wirklich interessant zu machen.
Was auf den ersten - und vermutlich auch zweiten - Blick verrückt klingt, entpuppt sich als wahnwitzige Mischung aus Actionspektakel, Spionagethriller und "Roadmovie" - eine Mischung, die aufgrund ihrer unkonventionellen Art sehr gewöhnungsbedürftig ist: Nicht selten wirkt die Handlung vollkommen willkürlich, so als habe Stephenson sich während des Schreibprozesses selber vom Fortgang der Handlung überraschen lassen. Praktisch das gesamte Buch über wird dem Leser so nicht recht klar, worauf Stephenson eigentlich hinaus will. Natürlich hat eine solche Art der Erzählung ihren Charme - denn das Leben schreibt nun einmal keine "vorgeplanten" Geschichten. Dennoch ist das auf über 1000 Seiten, die man im Dunkeln tappt, nur ein schwacher Trost. Es überwiegt das Gefühl der Beliebigkeit. Hinzu kommt, dass hin und wieder etwas weniger mehr gewesen wäre. Das bedeutet jedoch nicht, dass die einzelnen Abschnitte nicht spannend wären, denn hier legt Stephenson sich durchaus ins Zeug und fackelt ein wahres Feuerwerk an action- und temporeichen Szenen ab. Im Wechsel mit langsameren Szenen, in denen er Charaktere und Ideen entwickelt, entsteht eine Gesamtkomposition, die für sich allein betrachtet eigentlich gut funktionieren müsste. Und so scheitert sie auch einzig am Umfang des Buches, den Stephenson durch seine Art, sich geradezu auf Details zu stürzen, in die Höhe getrieben wird. Dafür scheint ihm kein Thema ungeeignet - für den Leser bedeutet dies, dass er jede Menge interessanter und gut recherchierter Fakten über eine Fülle von Themen erhält, die Stephenson gekonnt in die Handlung einflechtet. Zusammen jedoch mit seiner Angewohntheit, Szenen unnötigerweise in die Länge zu ziehen, entsteht so das Gefühl, als hätte das Buch mit ein paar hundert Seiten weniger ebenso funktioniert. In dieser Hinsicht ist "Error" sicherlich ein Extrembeispiel: Für die über 1000 Seiten ist einfach nicht genügend Handlung vorhanden, sodass es dem Leser mitunter so vorkommt, als schwadroniere Stephenson nur um der Wörterfülle willen vor sich hin.

Das mag verwundern für einen Autoren vom Schlage Stephensons, und in der Tat bleibt "Error" hinter dem zurück, was man von Stephenson gewohnt ist und erwartet. Das bedeutet nicht, dass das Buch schlecht wäre: Objektiv gesehen ist Error ein guter Thriller, wo man einen sehr guten erwartet hätte. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass handwerklich natürlich alles stimmt. Der angenehme Schreibstil zeugt von jener routinierten Art der wirklich großen Autoren und auch in Sachen Settings und Charaktere leistet sich Stepehnson keine Schnitzer. Im Gegenteil - charaktertechnisch bietet "Error" eine interessante und bunte Mischung an Figuren, denen man gerne durch diese ungewöhnliche Geschichte folgt. Dabei sind die Hauptfiguren wirklich sehr schön plastisch - insbesondere Richard Forthrast - wohingegen Stephenson sich nicht scheut, unter den Nebencharakteren ein paar skurrile Typen zu positionieren, die die Handlung auf ironische Weise abrunden.


Fazit

Auch, wenn "Error" leicht hinter den Erwartungen zurückbleibt, die man als Leser an einen Autor wie Stephenson stellt, so ist dieser rasante (Techno-)Thriller doch größtenteils unterhaltsam und sprüht vor coolen Ideen. Die ziellose und in die Länge gezogene Handlung ist dabei aber ein Merkmal, das nicht so recht zu diesem modernen Thriller passen will.


Pro & Kontra

+ tolle Ideen
+ Schauplätze und Charaktere wirklich gelungen
+ technologische Überlegungen und Details gekonnt eingeflochten

o teilweise sehr irrwitzig und abgedreht

- Handlung zieht sich in die Länge
- man erkennt nicht, worauf Stephenson hinaus will

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


Rezension zu "Anathem"