Charlotte Schaefer (04.03.2013)

Interview mit Charlotte Schaefer

zum Erscheinen von "Léonide"

Literatopia: Hallo Charlotte, schön, wieder einmal mit Dir zu plaudern! Demnächst erscheint im Sieben-Verlag Dein neuer Roman „Léonide“ – erzähl uns doch zuerst ein wenig davon.

Charlotte Schaefer: Liebe Judith, danke, das finde ich auch! „Léonide“ ist der Titel des Romans und zugleich der Name der weiblichen Hauptfigur, die im Laufe des Buches nicht nur den Tod ihres Bruders Willem verwinden, sondern auch der Frage nach dessen Umständen auf den Grund gehen muss. Aus naheliegenden Gründen verdächtigt sie den italienischen Mediziner und Alchimisten Costantini, seine Finger mit im Spiel zu haben. Nach und nach beginnen die Grenzen zwischen Träumen, Halluzinationen und der Wirklichkeit eines südfranzösischen Sommers zu verschwimmen und Léonide fängt an, den Glauben an sich selbst zu verlieren. Hat Costantini tatsächlich etwas mit Willems Tod zu tun oder bildet sie sich all das bloß ein? Auf ihrer Reise durch die Provence steht ihr Willems Arzt Frédéric zur Seite, mit dem sie bald mehr als nur eine Freundschaft verbindet ...

Literatopia: Léonides Bruder Willem erlebt man zu Beginn des Romans als schwerkranken jungen Mann – handelt es sich um eine reale Erkrankung, für die es damals noch keinen Namen gab?

Charlotte Schaefer: Hier habe ich mich an der Lebensgeschichte von Vincent van Gogh, Willems Alter Ego, orientiert. Halluzinationen, Fieberwahn, Anfälle, Nervenzusammenbrüche, dazu ein Hang zur Selbstzerstörung – all das war Teil seiner Erkrankung, die ihn schließlich in die Nervenheilanstalt zwang. Unter welcher Krankheit van Gogh litt, ist bis heute nicht geklärt und Gegenstand zahlreicher Spekulationen – vermutet werden unter anderem Schizophrenie und Epilepsie. Ich muss also antworten: Ja, es handelt sich um eine reale Erkrankung, allerdings fiel es den Ärzten zum damaligen Zeitpunkt schwer, sie zu diagnostizieren – etwas, das sich bis heute nicht geändert hat, weshalb auch ich darauf verzichtet habe, Willems Krankheit genau zu benennen. In meiner Darstellung der Krankheitssymptome habe ich versucht, mich so nah wie möglich an die Fakten zu halten – so orientiert sich auch die Textstelle, in der ich erwähne, dass Willem seine Farben gegessen und Terpentin getrunken hat, an der Wahrheit, also an van Goghs Lebenslauf.

Literatopia: Wie würdest Du Léonide unseren Lesern beschreiben? Ist sie ein typisches Mädchen ihrer Zeit?

Charlotte Schaefer: Léonide ist insofern ungewöhnlich, als dass sie nicht dem Frauenbild des 19. Jahrhunderts entspricht und sich dagegen wehrt, sich dem Willen der männerdominierten Welt unterzuordnen. So hat sie keinerlei Interesse daran, zu heiraten oder eine Familie zu gründen und träumt stattdessen von einem freien, selbstbestimmten Leben - ein Umstand, der nicht selten zu Spannungen zwischen ihr und ihrer Umwelt führt.

Literatopia: „Léonide“ spielt im Südfrankreich des 19. Jahrhunderts. Wie können wir uns diese Zeit vorstellen? Und wie stark hält sich der Roman an historische Fakten?

Charlotte Schaefer: Der Roman verschiebt - wie bereits erwähnt - die Grenze zwischen Fantasie und Realität, was auch für die historischen Fakten gilt. Insbesondere die Lebenswelt der Patienten von Saint-Paul-de-Mausole in Saint-Rémy habe ich genau zu recherchieren versucht, dasselbe gilt für alles, was die Malerei betrifft. Allerdings erhebe ich keinen Anspruch auf historische Akkuratesse und würde „Léonide“ nicht als historischen, sondern eher als pseudo-historischen Roman bezeichnen, der sein Hauptaugenmerk auf die Figuren legt und auf Motive wie die fantastische Ungewissheit zurückgreift.

Literatopia: Wie hast Du für „Léonide“ recherchiert? Gibt es die Schauplätze des Romans wirklich?

Charlotte Schaefer: Die Idee zu „Léonide“ kam mir während eines Aufenthalts in der Provence, in dessen Verlauf ich sowohl Arles als auch Saint-Rémy, Roussillon und Les Baux besucht habe - die Schauplätze existieren also tatsächlich. Allein die Beschreibung von Cassis entstammt zu großen Teilen meiner Fantasie, weil ich es nicht mehr selbst dorthin geschafft habe und daher mit Fotografien Vorlieb nehmen musste. Besonders beeindruckt hat mich der Besuch der Abtei Saint-Paul-de-Mausole, die nach der Französischen Revolution als Heilanstalt eingerichtet wurde und in der noch heute Patienten behandelt werden. Willems Alter Ego Vincent van Gogh, dessen Lebensgeschichte mich zu „Léonide“ inspiriert hat, lebte von 1889 bis 1890 im Kloster und ließ sich dort behandeln - so bildete auch die „Hydrotherapie“, die zu Beginn des Romans erwähnt wird, einen bedeutsamen Bestandteil seiner Behandlung. Manches, was in „Léonide“ zur Sprache kommt, geht auf Details aus van Goghs Leben oder auf Motive aus seinen Gemälden zurück, das Meiste jedoch ist frei erfunden - ich hoffe, dass meine Leser mir diese kleine Spielerei nachsehen.

Literatopia: Aus Not lässt sich Léonide mit dem Alchemisten Costantini ein. Welche Rolle spielt die Alchemie im Roman?

Charlotte Schaefer: Die Alchemie ist eines der Romanmotive, die ich als „pseudo-historisch“ bezeichnen würde, da die Alchemie im Grunde genommen schon vor dem 19. Jahrhundert von den modernen Wissenschaften abgelöst wurde. Für mich hat sie eher einen spannungssteigernden Wert und dient dazu, Léonides Gegenspieler Costantini zu charakterisieren. Zudem ist sie meine kleine Hommage an Klassiker wie E. T. A. Hoffmanns „Sandmann“ oder moderne Unterhaltungsromane wie Kai Meyers „Alchimistin“.

Literatopia: Was fasziniert Dich persönlich an der Alchemie?

Charlotte Schaefer: Das zu beantworten fällt mir schwer. Ich denke, meine Faszination ist eng mit meinen Leseerfahrungen verknüpft. Aus irgendeinem Grund war ich schon immer eine Liebhaberin von Geschichten, die alchemistische Experimente zum Thema haben – allen voran „Der Sandmann“, den ich herrlich unheimlich finde. Vielleicht habe ich einfach einen kleinen, versteckten Hang zum Morbiden ;)

Literatopia: Wie gefällt Dir das Cover von „Léonide“ im Vergleich zu „Cedars Hollow“?

Charlotte Schaefer: Ganz ehrlich: Ich finde alle Cover schön. Während das der Taschenbuchausgabe von „Cedars Hollow“ düster und unheimlich ist, erscheint das der eBook-Ausgabe filigran und verträumt und passt meiner Meinung nach ein winziges Bisschen besser zu der romantischen Liebesgeschichte, die erzählt wird. Das Cover von „Léonide“ finde ich besonders toll – die verschiedenen Rottöne erinnern an Feuer und Hitze, das Weiß erweckt den Eindruck von Trockenheit und dem Brennen der südfranzösischen Sonne. Außerdem ähnelt die Frau auf dem Cover durchaus der Léonide aus meiner Vorstellung :)

Literatopia: Zwischen dem Erscheinen von „Cedars Hollow“ und „Léonide“ liegen vier Jahre – wie hat sich Dein Stil verändert?

Charlotte Schaefer: Als jemand, der viel Wert auf die sprachliche Gestaltung eines Textes legt, hoffe ich natürlich, dass mein Stil sich weiterentwickelt und verbessert hat. Allerdings bin ich selbst da ziemlich betriebsblind und denke daher, dass meine Leser das weitaus besser beurteilen können als ich selbst ;)

Literatopia: Die Vampirromane werden immer stärker von Dystopien und Romantic History verdrängt – sind auch für Dich Vampire inzwischen eher uninteressant geworden? Und könntest Du Dir vorstellen, einen dystopischen Roman zu schreiben?

Charlotte Schaefer: Ja, ich muss zugeben, dass auch meine Faszination für Vampire mittlerweile etwas nachgelassen hat ;) Ich denke, ich brauche einfach eine kleine Pause von dem Thema, um Neues ausprobieren zu können – das soll aber nicht heißen, dass ich mir nicht vorstellen kann, irgendwann einmal wieder zu den Blutsaugern zurückzukehren. Was Dystopien angeht: Ich lese sie unheimlich gerne, bin ein großer Fan von Autorinnen wie Lauren Oliver oder Ally Condie und könnte mir durchaus vorstellen, einmal in diese Richtung zu schreiben! Aber: So positiv mir der Trend zu Beginn auch erschien, mittlerweile finde ich die Flut an dystopischen Neuerscheinungen ein wenig erschreckend, weshalb ich lieber noch ein wenig mit dem Schreiben warten würde. Eine andere Möglichkeit wäre natürlich, die Dystopie so zu verpacken, dass sie kaum mehr als solche erkennbar ist, obwohl sie dieselben Themen behandelt …

Literatopia: „Léonide“ ist aus der Sicht der Protagonistin und im Präsens geschrieben – warum hast Du Dich für diese Perspektive entschieden?

Charlotte Schaefer: Aus einem relativ einfachen und - zugegebenermaßen - egoistischen Grund: Es hat mir schon immer riesigen Spaß gemacht, aus der Ich-Perspektive und im Präsens zu schreiben. Für mein Empfinden fühlt man sich den Figuren auf diese Art und Weise näher, kann ihre Ängste und Zweifel besser nachvollziehen und ihre Entwicklung ohne Umweg mitverfolgen. Dazu kommt, dass ich die Idee, eine historische Geschichte ins Präsens zu betten, schon immer toll fand - man gewinnt den Eindruck, als wäre man der Vergangenheit ganz nah.

Literatopia: In unserem letzten Interview hast Du erwähnt, an einem Roman zu schreiben, der in England um 1800 spielt – was ist daraus geworden?

Charlotte Schaefer: Das hat sich leider im Sande verlaufen, ganz einfach, weil nicht jedes Manuskript es schafft, mich bis zum Ende hin zu fesseln (ich plane meine Geschichten in der Regel nicht bis in jedes Detail – das führt hin und wieder auch dazu, dass ich mich während des Schreibens verlaufe). Bei besagtem Manuskript kam hinzu, dass ich es nicht an den Mann bringen konnte. Auf meinem PC sammeln sich zahllose Anfänge von Geschichten, die ich noch nicht zu Ende geschrieben habe – aber was nicht ist, kann ja noch werden … ;)

Literatopia: Hast Du schon Pläne für einen neuen Roman, vielleicht sogar schon einen in Arbeit? Und kann man Dich 2013 irgendwo live erleben?

Charlotte Schaefer: Ich habe einige Pläne und noch viel mehr Ideen, aber was davon mich im Endeffekt so fesseln wird, dass ich einen Roman daraus mache, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Eines jedoch weiß ich sicher: Auch im Mittelpunkt meines nächsten Buches wird ohne jeden Zweifel eine Liebesgeschichte stehen. Im Moment schreibe ich an einem Märchen, das von Kelpies, den schottischen Wassergeistern, handelt und mir eine Menge Spaß bereitet.

Pläne für Lesungen/Liveauftritte habe ich momentan leider noch keine, ich werde meine Leser aber auf dem Laufenden halten.

Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview, Charlotte!

Charlotte Schaefer: Keine Ursache! Danke für die Einladung :)


Autorenfoto: Copyright by Charlotte Schaefer

Autorenhomepage: www.charlotteschaefer.net

Rezension zu "Léonide"

Rezension zu "Cedars Hollow"

Interview mit Charlotte Schaefer von 2009


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.