Anna Palm (17.04.2013)

Interview mit Anna Palm

Literatopia: Hallo Anna! Erzähl uns doch zuerst einmal etwas über Dich – wie kam es dazu, dass Du bereits in so jungen Jahren auf mehrere Veröffentlichungen zurückblicken kannst?

Anna Palm: Hallo :-)! Ich habe mir mit drei Jahren das Alphabet mithilfe eines Mayerschen Buchstabenplakats beigebracht. Irgendwie haben mich diese "magischen Zeichen" einfach wahnsinnig fasziniert. Mit fünf Jahren habe ich dann schon regelmäßig am Computer Geschichten geschrieben. Ich weiß noch, wie stolz ich war, als ich das erste Mal 40 Din A4 Seiten hatte. Naja, ich habe dann weiter und weiter geschrieben, und 2010 habe ich dann mit meiner Kurzgeschichte "Karamellsommer" den Schreibwettbewerb "Frühlingsflattern" vom Schwarzkopf und Schwarzkopf Verlag in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Mädchen gewonnen. Damit hätte ich nie gerechnet, ich habe mich soo gefreut. 2011 ist dann mein Debütroman "Ellen, Schutzengel" erschienen, 2012 der Thriller "Die Selbstvergessenen" und 2013 die Dystopie "Schmetterling aus Staub".

Literatopia: Kürzlich ist Deine Dystopie „Schmetterling aus Staub“ erschienen. Was erwartet interessierte Leser?

Anna Palm: Eine gruselige Zukunftsvision Deutschlands, in der Menschen nach Persönlichkeitsmerkmalen selektiert werden, ein von vier Teenagern geführter Freiheitskampf, eine aufreibende Liebesgeschichte, eine Auseinandersetzung zwischen zwei vollkommen unterschiedlichen Mädchen, entsetzliche Grausamkeiten, aber auch witzige und ironische Dialoge.

Literatopia: Deine Protagonistin Mika ist zunächst gezwungenermaßen ein Harmoniemensch. Was hat es damit auf sich? Und welche anderen Gruppen gibt es in dieser Welt?

Anna Palm: Wenn man als "Harmoniemensch" selektiert wird, lebt man in Seelenheide. Seelenheide ist ein Dorf, in dem das ganze Jahr die Sonne scheint. Bunte Schmetterlinge fliegen durch die Luft, Blumen blühen, und jeder begegnet seinem Gegenüber mit Freundlichkeit und Respekt. Harmoniemenschen sollen ihre Kreativität ausleben, allerdings ist es ihnen nicht erlaubt, wissenschaftlich tätig zu sein. Zum Beispiel darf Mikas astronomischer Artikel nicht veröffentlicht werden. Außerdem wird ihre Nahrung mit Stoffen ergänzt, die Glückshormone anregen.

Die anderen Merkmalsgruppen sind Ehrgeiz, Macht und Risiko. Die Ehrgeizmenschen leben in Geistfurt. Im Kontrast zu den Harmoniemenschen sollen sie sich nur auf die Wissenschaft konzentrieren und das menschliche Miteinander überhaupt nicht mehr wahrnehmen. Die Machtmenschen aus Machthall hingegen sind Verbündete des Diktators. Die Manipulation anderer ist ihnen ein wahres Vergnügen und sie schrecken vor wenig zurück. Zuletzt sind da noch die Risikos. Da sie durch ihren Freigeist und ihre Abenteuerlust das System gefährden, pfercht der Diktator sie in Sturmbruch ein und deklariert sie zu den Monstern der Gesellschaft. Risikos gelten sozusagen als vogelfrei. Die Männer- und die Frauenstadt sind separiert, um Fortpflanzung zu vermeiden.

Literatopia: Wie sah Deine Recherche aus? Hat Dir beispielsweise Wissen aus dem Biologieunterricht geholfen bezüglich Hormone? Oder hat der Schulstoff eher nichts gebracht und Du musstest alles selbst nachschlagen?

Anna Palm: Es gibt ein geheimnisvolles Programm, das merkwürdigerweise immer alles weiß. Haha, Google ist einfach der beste Unterstützer, Proteinbiosynthese und so haben mir da eher weniger geholfen.

Literatopia: Was reizt Dich persönlich an (Jugend-)Dystopien? Und warum, denkst Du, sind Dystopien bei den jungen Lesern derzeit so beliebt? Macht sich die Jugend heute mehr Gedanken um die Zukunft der Gesellschaft als früher?

Anna Palm: Ich liebe Dystopien, weil ich finde, dass man die Unterdrückung der Menschen im Roman sogar physisch spüren kann. Ich werde dann immer ganz nervös und atme schneller. Man identifiziert sich zu hundert Prozent mit dem Protagonisten - meist Freiheitskämpfer - und betet mit ihm, dass das System zerstört werden kann. Es ist also eine enorme emotionale Verbundenheit. Außerdem finde ich die Visionen des technischen Fortschritts faszinierend. Ich würde einiges dafür geben, zu wissen, auf welchem Stand wir im Jahr 2222 sind.

Gerade in unserer ja doch recht stressigen und materialistischen Gesellschaft sind Dystopien gut zum Abschalten. Dort ist man sich immer klar, welches Ziel man verfolgt, nämlich dass die Menschen ihre Freiheit erlangen. Im Leben ist man ja manchmal auch planlos.
Ich denke schon, dass wir mehr über die Zukunft nachdenken. Wahrscheinlich, weil wir nicht um unsere Gegenwart fürchten müssen, wie einige Generationen vor uns.

Literatopia: In „Die Selbstvergessenen“ geht es um ein Internet, in dem der schöne Schein trügt. Was durchlebt Deine Protagonistin Sofia? Und was hat es mit dem Titel „Die Selbstvergessenen“ auf sich?

Anna Palm: Sofia hatte schon immer eine chronisch große Klappe. Doch eines Tages übertreibt sie es - und fliegt von der Schule. Von nun an soll sie auf ein Internat für Straftäter gehen, und wird dabei auch noch von ihrer Zwillingsschwester und besten Freundin Mila getrennt. Und als wäre dies noch nicht genug, Hellenwald entspricht überhaupt nicht den Klischees einer Schule für Straftäter. Seltsamerweise wirkt es eher wie ein Elite-Internat. Alle Schüler sehen perfekt aus, wissen auf jede Frage, die der Lehrer stellt, die Antwort, und schweben mehr, als sie gehen. Sofia gerät zum ersten Mal in ihrem Leben in eine Außenseiterposition. Sie versteht erst viel später, dass hässliche Spielchen hinter Hellenwalds hübscher Fassade laufen. Und verliebt sich obendrein noch in den smaragdäugigen Sam, der tagsüber eiskalt, nachts aber umso charmanter ist.
Die Selbstvergessenen ist eine Bezeichnung für die perfekten Schüler Hellenwalds, welche sich eigenartig teilnahmslos verhalten. Warum, müsst ihr nachlesen. ;-)

Literatopia: Als sehr junge Autorin hast Du bereits viel Medienaufmerksamkeit erfahren – wie war es für Dich, plötzlich im Rampenlicht zu stehen? Und hättest Du vielleicht manches anders gemacht?

Anna Palm: Das sind alles klasse Erfahrungen. Ich bin vorher immer nervös, aber wenn es dann drauf ankommt, plötzlich total ruhig. Ich freue mich, dass sich so viele für meine Bücher interessieren. Generell bereue ich eigentlich nichts. Vielleicht hätte ich bei Stefan Raab ein bisschen schneller die Treppe runter laufen sollen, aber ich hatte so eine Angst, dass ich hinfalle! ;-)

Literatopia: Liest Du alle Rezensionen zu Deinen Büchern? Gibt es eine Kritik, über die Du Dich besonders gefreut / geärgert hast?

Anna Palm: Ich bekomme die Rezensionen vom Verlag immer zugeschickt und freue mich über jede einzelne. Natürlich ist positive Kritik am Schönsten, aber auch negative Kritik finde ich hilfreich. Ich denke dann sorgfältig darüber nach, inwiefern die Person Recht hat, und ob ich das bei zukünftigen Büchern berücksichtigen sollte.

Auf leselustleseliebe.wordpress.com gibt es eine wunderschöne Rezension zu "Schmetterling aus Staub." Die Rezi ist wirklich außergewöhnlich, weil sie alle Dimensionen des Romans aufschichtet und von der bildlichen Sprache her schon selbst ein kleines Kunstwerk ist.

Literatopia: Wie ist der Kontakt mit Deinen Fans? Nutzt Du soziale Netzwerke? Oder ist Dir der persönliche Kontakt auf Lesungen und Signierstunden lieber?

Anna Palm: Ich bin auf Facebook, LovelyBooks und maedchen.de angemeldet. Auf Facebook habe ich den typischen Account, und in LovelyBooks finden Leserunden zu meinen Büchern statt, wo man Bücher gewinnen kann, wenn man sie im Gegenzug rezensiert. Ich bemühe mich, alle Fragen, die mir online gestellt werden, zu beantworten und freue mich über jedes Kompliment.

Trotzdem ist der persönliche Kontakt natürlich noch einmal schöner, ganz einfach weil das virtuelle Leben nie an die Realität rankommt.

Literatopia: Wenn Du bald mit der Schule fertig bist, möchtest Du dann hauptberuflich Autorin sein? Oder gibt es noch andere Berufsträume, die Du verwirklichen willst?

Anna Palm: Ich würde SO gerne hauptberuflich Autorin sein, aber darauf kann ich mich leider nicht verlassen. Deswegen möchte ich Journalismus studieren, am Liebsten an der TU Dortmund. Drückt mir die Daumen dafür! Und nebenbei schreibe ich natürlich immer weiter. Vielleicht habe ich irgendwann so viel Erfolg, dass ich davon leben kann, aber das ist nur ein Traum. ;-)

Literatopia: Schon seit Du schreiben kannst, verfasst Du auch eigene Geschichten. Kannst Du Dich noch an Deine ersten Werke erinnern? Und was war eigentlich Deine erste „richtige“ Geschichte?

Anna Palm: Eine meiner ersten Geschichten hieß "Senna und Milka." Ich habe mich damals lange mit meiner Mutter darüber gestritten, ob ein Mädchen "Milka" heißen darf. Laut meiner Mutter gab man einem Mädchen nicht den Namen einer Schokoladenmarke, aber in dieser Hinsicht war ich trotzig. ;-) Es ist eine Schande, dass ich diese Geschichte nicht mehr habe und ich weiß auch echt nicht, wieso sie einfach verschwunden ist. Allerdings weiß ich noch, dass es nach 30 Seiten einer vollkommen realistischen Geschichte plötzlich ab in den Märchenwald ging, um die chinesische Prinzessin zu befreien. Eher kein roter Faden, aber ich wollte meine künstlerische Freiheit. :D

Literatopia: Wann und wo schreibst Du eigentlich am liebsten? Und hast Du vielleicht ein System, mit dem Du Informationen über Charaktere und Weltentwurf ordnest?

Anna Palm: Am Liebsten schreibe ich in "Schwellensituationen" (das erwähne ich jetzt, weil ich's als Merkmal der romantischen Poesie für mein Deutschabi lernen musste) - also morgens oder abends, und zwar, weil man da mehr Ruhe hat. Vom Ort her bin ich relativ flexibel. Gerne in meinem Bett, aber auch gerne draußen. Viel wichtiger ist da ein Milchkaffee oder ein Karamelltee.

Generell schreibe ich mir vorher ein Exposé und eine Gliederung zu den Kapiteln. Die Figuren und die Welt charakterisiere ich in Stichworten kurz durch, und werde dabei schon ganz ungeduldig, weil ich endlich anfangen möchte zu schreiben.

Literatopia: Das klingt ja sehr organisiert – hast Du Schreibratgeber gelesen und beherzigt? Oder war diese Vorgehensweise mit Exposé, Gliederung und dann erst Schreiben von Anfang an logisch für Dich?

Anna Palm: Es ist schon länger her, aber ich habe wirklich mal einen Schreibratgeber durchgearbeitet. Der war auch absolut hilfreich. Da ich mich gerne in Strömen aus Fantasie verliere, hat mein Verlag mir geraten, vorher eine grobe Skizze des Romans zu erstellen. Zu Beginn ist mir das schwer gefallen. Als ich jünger war, habe ich immer direkt losgeschrieben. Inzwischen weiß ich aber, dass der Roman mit Exposé und Gliederung letztendlich viel übersichtlicher und sinnvoller erscheint.

Literatopia: Welche Genres tummeln sich in Deinem Bücherregal? Und findest Du neben dem Schreiben überhaupt noch Zeit, in Ruhe zu lesen?

Anna Palm: Hauptsächlich Fall Fantasy beziehungsweise Dystopien à la "Die Tribute von Panem", "City Of Bones", "Rubinrot", "Seelen", "Göttlich verdammt" und "Engelsnacht".
Normalerweise habe und nehme ich mir zum Lesen viel Zeit, nur momentan muss ich darauf verzichten, weil ich mitten im Abistress bin. Aber wenn ich an einem Roman schreibe, kommt das Lesen nie zu kurz.

Literatopia: Was wird uns in Zukunft von Dir erwarten? Arbeitest Du bereits an einem neuen Roman? Wenn ja, kannst Du uns schon etwas darüber verraten?

Anna Palm: Es wird auf jeden Fall einen neuen Roman geben, allerdings sind meine Lektorin und ich noch in der Ideenfindungsphase. Ich habe fünf Ideen und würde am liebsten fünf Bücher gleichzeitig schreiben. Es ist wahrscheinlich, dass es diesmal eine realistische Geschichte wird.

Literatopia: Herzlichen Dank für das ausführliche Interview, Anna!

Anna Palm: Hat Spaß gemacht!! :)


Autorenfotos: Copyright by Stefanie Heider

Romane von Anna Palm:

"Schmetterling aus Staub" (Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag) 

"Die Selbstvergessenen" (Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag)

"Ellen, Schutzengel" (Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag)


Dieses Interview wurde von Judith Gor für Literatopia.de geführt. Alle Rechte vorbehalten.