Blut ist im Schuh (Anna Schneider)

Thienemann (März 2013)
Paperback, Klappbroschur
empfohlen ab 12 Jahren
256 Seiten, 9,95 EUR
ISBN: ISBN: 978-3-522-50330-3

Genre: Jugendthriller mit Märchenelementen


Klappentext

Gespenstische Stille liegt über dem Friedhof – Amelies einzigem Zufluchtsort vor den Bosheiten ihrer Stiefschwester. Sarah hatte sie bestohlen, gedemütigt, verletzt ... Wie weit würde sie noch gehen? Schon spürt Amelie wieder das Stechen im Nacken, wie von eiskalten Augen, die ihr überallhin folgen. Ihr einziger Hoffnungsschimmer ist der Abschlussball mit Ben: Wird er sie wach küssen aus diesem Albtraum?


Rezension

Amelie und Sarah könnten auf den ersten Blick kaum unterschiedlicher sein, dabei teilen sie das gleiche Schicksal: beide haben einen Elternteil verloren und müssen mit einem neunen Partner zurechtkommen. Amelies Mutter ist gestorben, während Sarahs Vater die Familie verlassen und seine Tochter damit vergessen hat. Auch ihre große Schwester ist nach Sarahs Empfinden „abgehauen“. Ihre Stiefschwester Amelie empfindet sie nur als Bedrohung, denn diese hat nicht nur eine super Figur, sondern auch noch gute Noten. Sarah hingegen rutscht in der Schule immer weiter ab. Sie kleidet sich schwarz, gibt sich arrogant und betrinkt sich regelmäßig mit ihren Freunden. Amelie macht sie das Leben mit gemeinen Streichen zur Hölle, während zahlreiche Missverständnisse die Kluft zwischen den Mädchen unüberwindbar werden lassen. Dabei ahnen beide nicht, dass sie von einem Stalker beobachtet werden, der sich bald schon eines der Mädchen holen will …

Anna Schreiber hat es ihren Protagonistinnen ganz schön schwer gemacht, wobei zunächst vor allem Amelie unter der familiären Situation leidet. Sie will auf keinen Fall das neue Glück ihres Vaters zerstören, doch der Konflikt mit ihrer Stiefschwester wird von Tag zu Tag unerträglicher. So stiehlt diese ihr beispielsweise die Kleidung im Schwimmbad, was Amelie in eine äußerst peinliche Situation bringt. Sarahs Mutter stärkt ihrer Tochter den Rücken, die sich dadurch unbesiegbar fühlt. Auch ihre Clique gibt ihr zunächst Halt, doch je mehr Gemeinheiten Sarah sich leistet, desto mehr distanziert sich die Gruppe von ihr. Für Sarah ist wieder einmal Amelie an allem schuld, dabei erträgt diese die fiesen Attacken ihrer Stiefschwester meistens stillschweigend. Amelie ist einfach nicht der Typ, der sich lautstark wehrt. Unterstützt wird sie nur von ihrer besten Freundin Biene, die jedoch viel zu weit weg wohnt, um der gemobbten Amelie im Alltag beizustehen.

Die beiden Mädchen handeln im Rahmen ihrer Charaktereigenschaften stets nachvollziehbar. Selbst die heftigsten Zänkereien kann man verstehen, wenn man die Hintergründe kennt. Allerdings wissen die beiden nicht, wie es in ihrer Stiefschwester jeweils aussieht. Amelie ist nicht fähig, hinter Sarahs dunkle Fassade zu sehen und Sarah sieht hingegen nicht, dass Amelie sich in der neuen Stadt einsam fühlt und verletzt ist, dass ihre neue Familie sie ablehnt. Würden die beiden miteinander reden, hätte sich wohl so manches Missverständnis aus dem Weg räumen lassen. So schaukelt sich der Hass der beiden aufeinander jedoch immer weiter hoch und keine bemerkt, dass sie beobachtet wird. Dabei hat vor allem Amelie öfter das Gefühl, dass jemand sie beobachtet oder verfolgt. Auch registriert sie, dass auf unerklärliche Weise ihr Schal verschwunden ist. Aber durch den Stress mit Sarah macht sie sich keine weiteren Gedanken.

Auch wenn die Sicht beider Mädchen geschildert wird, konzentriert sich Anna Schreiber auf Amelie. Über ihr Innenleben erfährt man wesentlich mehr als über das ihrer Schwester Sarah, die in ihren Kapiteln meist nur darüber nachdenkt, was Amelie ihr alles wegnimmt. Ihre Gedankenwelt scheint nur aus Rache zu bestehen, dabei hätte man gerne mehr über die Trauer und Einsamkeit in ihrem Herzen gelesen. Zwar zeigt die Autorin in manchen Szenen, wie es in Sarah aussieht, doch insgesamt findet man zu ihr viel schlechter Zugang als zu Amelie. Von ihren äußerlichen Merkmalen sind beide Mädchen zu stereotyp: Amelie ist das hübsche Mauerblümchen, das aufblüht, sobald es die richtige Kleidung trägt. Und Sarah verschanzt sich hinter einer Mauer aus schwarzen Klamotten. Insbesondere bei Sarah kommen weitere Elemente dazu, die den Leser kaum überraschen dürften und die allerdings nicht authentisch genug umgesetzt sind. Ihre Gegensätzlich beinhaltet dennoch ausreichend Konfliktpotential, um den Roman durchweg spannend zu gestalten und der jugendlichen Zielgruppe zu zeigen, dass Äußerlichkeiten nicht alles sind.

Die Thrillerelemente sind jugendbuchtypisch etwas entschärft, wobei die Geschichte am Ende sehr relativ brutal wird. Anna Schneider hält sich jedoch mit zu expliziten Beschreibungen zurück und so ist „Blut ist im Schuh“ bedenkenlos wie vom Verlag angegeben an zwölf Jahren zu empfehlen. Der Fokus liegt auch der schwierigen familiären Situation der Protagonistinnen, doch zwischendrin kommt auch immer wieder der Stalker zu Wort. Dabei entsteht unweigerlich ein mulmiges Gefühl. Die Autorin legt geschickt verschiedene Fährten, sodass mehrere Charaktere als Stalker in Frage kommen – die Auflösung dürfte den aufmerksamen Leser jedoch nicht sonderlich überraschen. Doch auch wenn man ahnt, wer dahintersteckt, gibt es immer wieder Szenen, in denen andere Personen als mögliche Täter erscheinen. Der Roman bleibt bis zum Ende spannend, wobei die letzten Seiten etwas zu schnell abgehandelt werden.

Die Gestaltung des Paperbacks folgt dem Motto: außen lieb, innen böse. Damit spricht der Roman die weibliche Zielgruppe perfekt an und wartet dazu mit einem märchenhaften Schnörkeldruck auf den Buchrändern auf. Das schön gestaltete Buch gibt es zum Taschenbuchpreis – wer jugendliche Spannungsliteratur schätzt, kann bedenkenlos zugreifen.


Fazit

„Blut ist im Schuh“ ist eine sehr moderne und spannungsgeladene Interpretation des Märchens „Aschenputtel“, das man nur zwischen den Zeilen erkennt. Im Vordergrund steht die Patchworkfamilie mit zwei instabilen Jugendlichen und Elternteilen, die zu sehr mit sich beschäftigt sind. Während die eine Stiefschwester der anderen das Leben zur Hölle macht, merken beide gar nicht, in welcher Gefahr sie schweben. Ein gelungener Jugendthriller, der die Probleme junger Mädchen glaubhaft thematisiert.


Pro & Contra

+ gegensätzliche Stiefschwestern
+ diverse Anspielungen auf „Aschenputtel“
+ verschiedene Täter kommen in Frage
+ flüssiger, jugendgerechter Schreibstil

- übereiltes Ende
- Sarah kommt etwas zu kurz

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5


Interview mit Anna Schneider (Mai 2013)