Rache und andere Geister (Tatjana Stöckler)

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TextLustVerlag (Mai 2013)
Kaffeepausengeschichten, Band 8 (Phantastik)
Cover- und Innengrafik: Crossvalley Smith
Coverlayout: Atelier Bonzai
60 Seiten, Paperback, 4,95 EUR
ISBN 978-3-943295-52-8

Genre: Phantastik, Gänsehautgeschichten


Klappentext

Drei Geschichten, drei Wege, die geradewegs ins Verderben führen. Ob fatale Verquickung von Schuld und Rache, Suche nach Wärme für einsame Nächte oder einfach nur Neugier am falschen Ort – es lauert eine böse Überraschung, die das Schicksal für immer verändern wird.

Die Autoren und ihre Geschichten:
Tatjana Stöckler: Therapie, Winternacht, Kulturschätze

Jede Geschichte mit Tipps für einen besonderen Lesegenuss.


Rezension

Therapie

So unterschiedlich sie auch sein mögen, verbindet Maria und Uwe etwas: schreckliche Albträume, die sie jede Nacht heimsuchen und in den Wahnsinn treiben. Aber sind es wirklich Träume? Denn in Träumen kann man bekanntlich keinen Schmerz empfinden… Auch verbindet Sandra und die anderen der Selbsthilfegruppe etwas: der Schmerz eines verlorenen Menschen.

Erstens kommt es anders; und zweitens, als man denkt. Das zumindest assoziiert man, wenn man die Geschichte von Maria, Uwe, Sandra und der guten Josie liest. Denn Gut ist hier keinesfalls gut und das Böse hat wahrlich viele Gesichter. Die Figuren der Maria, Sandra und Uwe sind für den Leser sehr greifbar, beinahe stofflich. Man leidet mit ihnen und versteht den Standpunkt des jeweiligen Charakters – auch wenn diese gegensätzlich sind. Besonders gut wurde die Figur der Josie beschrieben, die den Leser am Ende mit offener Kinnlade zurücklässt. Eine durchweg spannende Kurzgeschichte, die man ohne vom Büchlein aufzusehen aufsaugt und den Leser mit bleicher Miene und ungläubigem Ausdruck im Gesicht zurücklässt. Denn wie Shakespeare schon sagte: „Denn an sich ist nichts weder gut noch böse; das Denken macht es erst dazu.“

Winternacht

Mitten im verschneitesten Winter macht sich Hank mit einem Schlitten voller Proviant auf, sich eine Frau zu kaufen. Allerdings soll es keine einfache Frau werden. Eine Indianerin würde er bevorzugen. Auf seinem Weg zu den Rothäuten trifft Hank auf einen nackten Jungen, der ihn unvermittelt angreift und verletzt. Doch auch dies hat eine gute Seite, denn dadurch trifft er auf eine kleine indianische Familie, die eine ihrer Töchter für Essen an Hank verkaufen. Vielleicht etwas zu leichtfertig verkauft?

Es ist Winter, es schneit und der Leser friert mit Hank um die Wette – der dem Leser wie ein lüsterner Cowboy, der auf normalem Wege nie eine Frau abbekommen würde, vorkommt. Tatjana Stöckler beschreibt den Charakter des tragischen Antihelden ohne Kompromisse und authentisch bis ins Mark. Aus diesem Grund kann der Leser auch mit der Nase rümpfen, wenn Hank etwas (für unsere Zeit) unmoralisches macht. Aber damals, im wilden Westen, waren es harte Zeiten - und nach Frauenrechten schrie kein Hahn. Leider tröpfelt auch der Spannungsbogen dahin wie ein undichter Wasserhahn. Das Ende kommt viel zu schnell und der Überraschungseffekt verpufft, ohne vom Leser richtig gefühlt zu werden.

Kulturschätze

Stefan soll ein Referat über ein Buch halten, das nicht im Internet zu finden ist. Keine leichte Aufgabe … und zu allem Überfluss muss er auch noch in diese alte, stinkige Bibliothek. Doch in einem verlassenen Raum der Bibliothek findet er nicht nur alte Bücher, sondern auch einen geheimen Weg, der ihn zu einem merkwürdigen Jungen führt. Stefan ist wie jeder gelangweilte Teenager nicht gut auf Schule und Bücher zu sprechen. Und ausgerechnet er soll für den blöden Deutschlehrer ein Referat über ein Buch halten, das es nicht im Internet gibt. Das heißt eins für Stefan: ab in die Bibliothek – die nicht gerade sein Lieblingsplatz ist. Schnell fährt der Leser in die Haut von Stefan und geht mit ihm in dieses Abenteuer – was hier in einer Bibliothek stattfindet. Als Charakter ist Stefan authentisch. Auch seine Reaktionen entsprechen genau dem, was man von einem Jugendlichen seines Alters erwartet. Was dem Leser einen heißkalten Schrecken durch die Glieder jagen wird ist der seltsame, einsame Junge namens Paul und das Ende, das hier schauerlicher und trauriger nicht sein kann.

Band 8 „Rache und andere Geister“ der Kaffeepausengeschichten, watet mit zwei starken und einer etwas müderen Geschichte auf. „Kulturschätze“ und „Therapie“ sind zwei Kurzgeschichten, die man durchaus in 20 Minuten weglesen kann, ohne auch nur daran zu denken an der richtigen Bushaltestelle auszusteigen. Man ist in diesen Welten gefangen – und will nicht einmal ausbrechen. Die Mischung zwischen Spannung, Charakteren und richtigem Timing greift hier eng verzahnt ineinander und spinnt dadurch Geschichten mit sehr starker Sogwirkung und hohem Gänsehautfaktor. Pantastik als Genre trifft hier nur am Rande zu, denn das eigentliche phantastische an der Geschichte ist die Gänsehaut und der Horror, der nach dem Ende über den Leser hereinbricht.


Fazit

„Rache und andere Geister“ sind kurzweilige Geschichten für zwischendurch. Die Autorin versteht ihr Handwerk und kann den Leser für ein paar Minuten aus dieser Realität ziehen. Wer Gänsehautgeschichten mag, dem kann ich diese Kurzgeschichtensammlung wärmstens ans Herz legen!


Pro & Contra

+ Gänsehautmomente
+ starke Spannungsbögen
+ glaubwürdige Charaktere
+ unterschiedliche Geschichten

o Gänsehaut und leichter Horror, keine reine Phantastik

- kleinere Schwächen im Spannungsaufbau

Bewertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 4/5
Sprache: 4,5/5
Preis/Leistung: 5/5

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