Dunkle Halunken (Terry Pratchett)

Verlag: ivi (17. September 2013)
Gebundene Ausgabe: 384 Seiten, 19,99 €
ISBN-13: 978-3492703017

Genre: Historik/ Humor


Klappentext

Der neue Bestseller des Schöpfers der Scheibenwelt!

Willkommen im London des 19.Jahrhunderts, in dem hilflose Schönheiten vor dunklen Feinden zittern, Schriftsteller sich als Detektive versuchen und mörderische Barbiere ihre Opfer nach allen Regeln der Kunst erledigen. Hier kann nur einer aufräumen – und das ist ausgerechnet der eigentlich nichtsnutzige Straßenjunge Dodger … Terry Pratchetts neuer Roman ist ein Muss für alle Fans des britischen Großmeisters!

„Dunkle Halunken ist ein Triumph!“ Guardian


Rezension

Wird der Name Terry Pratchett genannt, dürfte der erste Gedanke der meisten Menschen Scheibenwelt, Tod, Rincewind oder Oma Wetterwachs sein. Seit dem Erscheinen des ersten Scheibenweltromans ist seine Schöpfung so erfolgreich geworden, dass er kaum noch mit etwas anderem in Verbindung gebracht. Dabei hat Pratchett sich durchaus auch schon anderen Projekten und Welten gewidmet. Unter anderem begab er sich schon auf die Reise zu fremden Welten – im Weltraum und auf der Erde. Selbst im Sachbuchbereich ist er äußerst erfolgreich mit seinen Co-Autoren zu finden.

Mit Dunkle Halunken wendet sich Terry Pratchett nicht der Scheibenwelt zu, wie es der Klappentext suggeriert, sondern des Viktorianischen Zeitalters. Ort der Handlung ist, wie könnte es auch anders sein, London. Hier verdient sich der Waisenjunge Dodger mit „toshen“ seinen Lebensunterhalt. Wie hart dieser Beruf ist, ist schnell vor Augen geführt, denn Dodger macht nichts anderes, als in die Kanalisation hinabzusteigen und dort Wertgegenstände zu suchen, die von Wind und Regen hinein gespült wurden. Dass Tosher nicht wirklich alt oder reich werden, dürfte auf der Hand liegen, auch wenn es Dodger durchaus noch gut geht, verglichen mit anderen Bewohner der Armenviertel Londons. Sein bester Freund ist der alte Jude Solomon Cohen, der sein Leben in einer Mansardenwohnung fristet und Uhren repariert. Früher reiste er allerdings quer durch Europa, erlebte sehr viel und baute so einen großen Erfahrungsschatz auf, auf den Dodger nun immer wieder zurückgreifen kann. Dodgers großes Abenteuer beginnt als er eines Nachts die Entführung einer jungen Dame verhindert. Dadurch macht er die Bekanntschaft mit Charles Dickens, der zu dem Zeitpunkt als Journalist arbeitet und dessen Freundes Henry Mayhew. Und so findet sich Dodger plötzlich in einem Intrigenspiel zweier Staaten wieder, trifft auf Meuchelmörder und steht sogar dem berühmten Sweeney Todd gegenüber. Bevor sich alles zum Guten wenden kann, hat Dodger viel zu tun und steigt dabei unaufhaltsam die soziale Leiter hinauf, währenddessen sich er seiner Haut erwehren muss.

Eins fällt auf den ersten Blick beim Lesen von Dunkle Halunken auf: Terry Pratchett dürfte enorm viel Recherchearbeit geleistet haben, so detailliert stellt er das London zu Zeiten Queen Victorias dar. Viele unbekannte Tatsachen über dieses Zeitalter kommen ans Tageslicht und eine Fülle von Informationen bietet sich dem Leser in kleinen Happen dar. Wer will kann hier sehr viel aus dem Roman entnehmen und lernen. Und trotzdem liegt nicht dort Pratchetts Schwerpunkt. Vielmehr auf seinen Charakteren, die sich in ihrer jeweiligen Welt durchschlagen müssen. Vor allem auf Dodger. Jenen jungen Mann, der bislang höchstens nur an seinen nächsten Rundgang in der Kanalisation gedacht hat und nicht weiter. Durch Zufall ist er gezwungen herauszufinden, wer er ist, was ihn ausmacht. Terry Pratchett zeichnet dabei das Bild eines Menschen, der vielleicht nicht im herkömmlichen Sinne so gebildet ist, wie seine neuen Bekannten, aber was Moral und Anstand angeht, ihnen durchaus voraus ist. Er denkt nicht groß darüber nach, ob er etwas gutes tut, er tut aus seiner Sicht einfach das Richtige, auch wenn das bedeutet, dass er jemanden in Ausnahmefällen töten muss.
Die Nebencharaktere, so berühmt sie auch sein mögen, sind dabei die Katalysatoren seiner Verwandlung in einen Gentleman. Es lohnt sich übrigens sehr, sich über die auftauchenden Namen zu informieren, denn so entdeckt man sehr viel Neues und Interessantes, welches durchaus auch zu überraschen vermag. Sweeney Todd und Charles Dickens sind dabei gar nicht so bedeutsam, sondern vielmehr ein Henry Mayhew, der als Erster so eine Art Armutsbericht vorlegte, Angela Burdett-Coutts, die Lumpenschulen einrichtete oder auch ein Sir Robert Peel. Sie alle erwecken erst Dunkle Halunken zum Leben und lassen die Geschichte ein klein wenig schillern, lenken aber nie von dem Dreck Londons dieser Zeit ab. So ergibt sich durchaus eine spannende Geschichte, die mit Humor versetzt ist.

Pratchetts Humor ist in Dunkle Halunken von der leiseren Sorte, mehr hintergründig, weniger auf die großen Lacher setzend. Selten dürfte der Leser wirklich laut loslachen, stattdessen legt sich während der Lektüre ein kleines Lächeln um die Mundwinkel und lässt einen am Ende mit einem wohligen Gefühl zurück, welches einen durchaus durch den Tag tragen kann. Es entsteht der Eindruck, dass Terry Pratchett eine Geschichte erzählt, die ihm wirklich wichtig war und mit der er sich durchaus einreiht in die Reihe von Autoren, wie eben der von ihm genutzte Charles Dickens, dem er mit diesem Roman so etwas wie ein Denkmal setzt. Und so wird Dunkle Halunken zu einem kleinen, feinen Roman, der auf seine Art ein Meisterwerk ist und eine Geschichte aus einer vergangenen Zeit erzählt, die trotz allem aber immer noch für uns Relevanz hat.

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Andreas Brandhorst als Übersetzer eines Pratchett-Romans zurückgekehrt ist. Für viele sicher eine Erleichterung, angesichts der letzten Scheibenweltromane, deren Übersetzung nicht immer als geglückt angesehen werden kann.


Fazit

Dunkle Halunken liest sich anders als andere Pratchetts, aber auf keinen Fall schlechter. Nach wie vor versteht sich Terry Pratchett darauf seine Leser zu unterhalten. Auch abseits der Scheibenwelt.
Und so fügt sich in Dunkle Halunken alles zu einem kleinen Meisterwerk zusammen.


Pro & Contra

+ viele historische Persönlichkeiten wie Charles Dickens, Sir Robert Peel u.a.
+ spannende Geschichte
+ leiser Humor
+ Solomon Cohen
+ erweckt das viktorianische Zeitalter vorm geistigen Auge zum Leben

Bewertung:

Handlung: 4,5/5
Humor: 4/5
Charaktere: 4,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 3,5/5


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