Die Kinder der Meerfrau (Konrad Hansen)

Verlag: Hoffmann und Campe, Juli 2009
HC, 572 Seiten, € 22,00
ISBN 978- 3455401905

Genre: Historik


Klappentext

Am Anfang der Familie Gregersen steht eine denkwürdige Dreiecksbeziehung. Ties und Momme, die so ungleichen wie unzertrennlichen Brüder, bewahren eine Frau vor dem Tod in der Brandung. Die „Meerfrau“, wie sie Lena nennen, kann Mensch und Tier von Krankheiten heilen und besitzt die Gabe des Zweiten Gesichts. Die Vermutung, dass sie ihre übersinnlichen Fähigkeiten auch zum Schaden der Menschen verwenden kann, setzt sie dem Verdacht aus, eine Hexe zu sein. Sie lebt mit den Brüdern in einer von Eifersucht ungetrübten Ehe zu dritt und bringt vier Kinder zur Welt, von denen niemand weiß, ob sie von Ties oder Momme stammen. Die Lebenswege der Kinder geraten so unterschiedlich wie ihre Charaktere, führen auf einem Walfänger nach Grönland und auf einem dänischen Sklavenschiff zu den Jungferninseln in der Karibik.


Der Autor

Konrad Hansen wurde 1933 in Kiel geboren, war Rundfunkredakteur sowie Theaterintendant und schrieb zahlreiche Bühnenstücke, Fernsehfilme und Hörspiele. 1992 erschien sein erster historischer Romanerfolg »Die Männer vom Meer«. Es folgten »Simons Bericht« (1998), »Die Rückkehr der Wölfe« (2000) und »Der wilde Sommer« (2005). Zusammen mit seiner Frau lebt Konrad Hansen an der Kieler Förde.


Rezension

Konrad Hansens Roman breitet ein faszinierendes Panorama des 18. Jahrhunderts aus, erzählt lebendig vom rauen Dasein an der Küste und auf dem Meer, vom Walfang, von Glücksrittern und kühl kalkulierenden Kaufleuten, vom Sklavenhandel und von dessen Profiteuren.

Dieses Fazit aus dem Klappentext gibt ziemlich genau wieder, was man in diesem Buch erwarten kann. Kurz und knapp erzählt, in einer teilweise recht harten und derben Sprache, aber doch immer sehr lebendig und fesselnd wird der Leser in die harte Welt der armen Fischer geworfen, die mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten das Beste aus ihrem Leben machen wollen. Versetzt an die raue Ostseeküste erlebt man von Anfang an mit, wie Ties und Momme sich von ihrem gewalttätigen Vater befreien und wie sie sich als Fischer an einem neuen Platz ein Leben aufbauen. Sie finden die halbertrunkene Lena und leben fortan mit ihr zusammen. Lena ist eine tatkräftige, zupackende Frau, die auch so manches einstecken kann. Sie hatte es nicht leicht in ihrem vorherigen Leben und will eigentlich nur in Frieden weiterleben. Nichtsdestotrotz muss sie noch so manchen Schicksalsschlag einstecken, aber keiner kann sie zerbrechen.

Zusammen bekommen sie vier Kinder, die beiden Mädchen Ljuba und Ose und die beiden Jungen Mikkel und Boje. Die Lebensgeschichten der Kinder bestimmen hauptsächlich dieses Buch, jeder hat seine eigene Geschichte, jeder sein Abenteuer, jeder seine eigenen Ziele im Leben.

Mikkel und der uneheliche Sohn von Ose, Felix, nehmen den Hauptteil des restlichen Buches für sich in Anspruch. Immer wieder wird zwar auch das Leben der anderen Familienmitglieder gestreift, aber das Hauptaugenmerk liegt eindeutig bei den beiden. Und was für Abenteuer sie erleben – Konrad Hansen schafft es wirklich, den Leser in eine grobe und kämpferische Welt mitzunehmen, man fühlt und leidet mit den beiden und ist froh, dass man warm und sicher zuhause im Sessel sitzt.

Als Fünfzehnjähriger verlässt Mikkel sein Zuhause und sucht sich einen Job auf einem Walfänger. Dort geht es sehr rau zu, er muss sich früh beweisen und sich seinen Platz unter all den groben Männern suchen. Die teilweise recht barbarischen Sitten und Gebräuche auf dem Schiff fordern ihren Tribut und Mikkel muss sie bestehen – oder er geht unter. Ein Abenteuer jagt das nächste und Konrad Hansen schafft es, mit packenden Worten den Leser auf das Schiff zu katapultieren und ihn leibhaftig an der Jagd teilnehmen zu lassen. Fast erwartet man, Moby Dick zu begegnen. Bis ins kleinste Detail wird die Jagd geschildert, Spannung, Abscheu und Ekel wechseln sich ab, denn der gefangene Wal muss verarbeitet werden und so manches Ritual jagt einem Gänseschauer über den Rücken. Stürme, Packeis und Eisbären verdeutlichen das Abenteuer Überlebenskampf sehr – wird Mikkel das alles überleben und gestärkt daraus hervorgehen?

Zwischenzeitig geht das Leben der anderen natürlich auch weiter, manchmal gibt es große Zeitsprünge, manchmal nur kleine, aber man hat zu keiner Zeit das Gefühl, etwas zu verpassen oder sich zu langweilen.

Ausführlicher wird dann wieder über Felix’ Werdegang berichtet, er landet nach Irrungen in der Karibik, kauft sich dort eine Plantage und hat viel mit Sklaven zu tun. Nicht nur dass er auf einem Sklavenschiff hingefahren ist und auch selbst welche gekauft hat, er lässt sie auch auf seiner Plantage arbeiten. Man erfährt sehr viel über die Sklaven in der Karibik, detailgenau und auch etwas langatmig werden die Gebräuche geschildert, die im Umgang mit Sklaven und Herren vorherrschen. Hier schweift Konrad Hansen etwas ab und verliert sich in Nebensächlichkeiten, manches wird einfach zu ausführlich beschrieben und die Geschichte verliert insgesamt an Schwung. Aber man gewinnt den Eindruck, dass das Thema Sklavenhandel dem Autor doch sehr am Herzen liegt und er die früheren Gräueltaten dem Leser immer wieder ins Gedächtnis bringen möchte.

Zum Schluss kann er das Ruder aber noch einmal drehen, mit einem stimmigen und runden Abschluss beendet er die eindrucksvolle Familiensaga. Viele bekannte Orte finden sich wieder, die Atmosphäre ist stimmig und zeitweise mag man das Buch gar nicht aus der Hand legen. Durch die bildhafte Sprache kann man sich alles sehr schön vorstellen und man bekommt tiefe Einblicke in das Leben der ‚einfachen’ Leute von früher. Konrad Hansen hat hier ein Stück schöner Historie erschaffen, Geschichte wird lebendig und vorstellbar. Große Gefühle findet man hier allerdings nicht.


Fazit

Wer schon immer mal wissen wollte, wie es ist, in einem Wal zu leben, der sollte hier unbedingt zugreifen. Fesselnd wird man in eine historische Welt eingeführt, man ist ganz nah am Wal dabei und leidet mit den Sklaven auf einer karibischen Insel. Eine Familiensaga über eine ganze Generation, bei der jeder seine eigene Geschichte hat.


Pro und Contra

+ tolle Schauplätze
+ facettenreiche Charaktere
+ fesselnder Erzählstil
+ Einblick in die Geschichte
+ interessante Themen
+ viele packende Abenteuer
+ bekannte deutsche Schauplätze
+ lebendige Familiengeschichte

- Emotionen fehlen
- Sprache oft derb
- die Entwicklung in der Karibik zu langatmig

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3/5


zum Interview (30.09.2009)

Rezension zu "Die Männer vom Meer"