Dirk Bernemann (02.09.2009)

Interview mit Dirk Bernemann

Literatopia: Hallo Dirk, schön, dass Du Zeit für ein Interview findest! Deine gesellschaftskritischen Bücher sind in aller Munde (und dank Podcast auch in aller Ohren), trotzdem gibt es sicher noch immer Menschen, die mit Deinem Namen nichts anfangen können. Daher unsere erste, völlig unspektakuläre Frage: Wer ist Dirk Bernemann und was macht dieser Typ eigentlich?

Dirk Bernemann: Der Typ macht ne Menge kulturell relevantes Zeug, es gibt mittlerweile 4 Bücher von ihm und er entweiht regelmäßig Kulturstätten in Deutschland mit Lesungen und Performances. Meistens mag ich ihn sogar.

Literatopia: Mittlerweile hast Du vier Bücher auf den Markt gebracht und darfst Dich „erfolgreicher Schriftsteller“ nennen. Aber wie bist Du eigentlich zum Schreiben gekommen und in welchem Alter hast Du gemerkt, dass Worte mehr als nur Buchstaben auf dem Papier sind?

Dirk Bernemann: Das Worte mehr sind als ein Schriftbild, habe ich schon als Grundschüler verstanden. Die intensive Beschäftigung mit der Sprache (und gute Lehrer mit Experimentierfreudigkeit) verstärkten das Interesse noch und dann kamen Gedichte aus mir raus, die zu Kurzgeschichten wurden und damit hab ich heute Erfolg und ich muss sagen: Vielleicht kann ich wenig, aber das hier definitiv.

Literatopia: Männer haben als Kinder ja oft den Wunsch, später Polizist oder Feuerwehrmann zu werden. Ging es Dir ähnlich oder lag Dein Interessenfeld schon immer mehr in der Kunst? Wann und warum hast Du Dich für das Schreiben als Beruf entschieden?

Dirk Bernemann: Ich wollte immer Privatdetektiv werden und hab meine Nachbarschaft beobachtet und tatsächlich hatten einige Leichen im Keller. Kunst und deren Ausdrucksmöglichkeit war schon sehr früh in meinem speziellen Interesse. Das Schreiben kam aber erst spät dazu, zuvor hab ich schon gemalt (ich hab versucht Picassos zu fälschen) und in diversen lauten Gitarren- und Elektrobands gespielt. Schreiben ist ein sehr autistischer Beruf, aber er passt zu mir.

Literatopia: Der UBooks-Verlag ist bekannt für sein außergewöhnliches Programm neben dem Mainstream. Wie bist Du zu dem Verlag gestoßen? Hast Du „auf blauen Dunst“ einfach Dein Manuskript eingeschickt oder ist der Verlag auf Dich zugekommen? Was hat Dich bewogen, ausgerechnet dort einen Vertrag zu unterschreiben?

Dirk Bernemann: Ja, es war der Versuch, dass erste Buch an einen Verlag zu bekommen, ich hab das Manuskript an Freunde und an zwei oder drei Verlage weitergereicht, wovon Ubooks der einzige war, der sich dazu geäußert hat und ich wurde mit offenen Armen empfangen. Es hat sich gelohnt. Für alle Beteiligten.

Literatopia: Auf einer Internetverkaufsplattform findet man von Dir eine Kurzrezension zum Roman „Atmen – Jemand muss atmen!“ Deines Verlagskollegen Stefan Kalbers. Liest Du viele Bücher von den anderen UBooks-Autoren? Für welche Art Bücher interessierst Du Dich generell, für welches Genre kannst Du Dich besonders begeistern?? Und womit kannst Du im Gegensatz gar nichts anfangen?

Dirk Bernemann: Stefans Buch „Atmen“ gefällt mir gut, ich mag den Kalbers generell ziemlich gern, also das, was ich von ihm kenne, bin ja auch schon mal mit ihm aufgetreten und auch das hab ich nicht bereut. Ich mag Bücher, die sich in der Realität und in Traumversuchen aufhalten, nicht aber solche, die schon Träume sind, z. B. Fantasy oder die Biographie von Helmut Kohl.

Literatopia: Zurück zu Deinen Büchern: Warum ausgerechnet Gesellschaftskritik, und warum mit dieser besonderen Prise Sarkasmus und Ironie? Der Buchmarkt boomt derzeit im Fantasy-Genre – warum schreibt Dirk Bernemann nicht auch Geschichten über Vampire und ähnliche Fantasy-Gestalten?

Dirk Bernemann: Weil Vampire mich am Arsch lecken können, ich kenn die nicht und halte die für komische Dinge, die nachts rumlaufen und Leute erschrecken. Meine eigene Romantik finde ich aber eher auf der Müllhalde des Lebens. Außerdem pups ich regelmäßig dem Zeitgeist ins Gesicht. Denn, Zeitgeist, was soll das eigentlich sein, so’n Teil, was rumspuckt und Frösche in Prostituierte verzaubert. Ich schweife ab, aber das tut Fantasy ja als Hauptaufgabe.

Literatopia: Deine Texte sind sehr realitätsnah. Woher beziehst Du Deine Ideen? Sind alle Geschichten aus Deinem privaten Alltag gegriffen, kennst Du einige Deiner Charaktere vielleicht sogar persönlich? Oder entspringt der Großteil der Personen der Fiktion?

Dirk Bernemann: Wenn meine Texte realitätsnah sind, dann hab ich sie wahrscheinlich auch wohl da her, aus der Echtheit des Lebens. Das mag ich, da stürz ich mich rein und bin froh, das erleben zu dürfen, was mich da inspiriert. Natürlich ist auch Fiktion dabei, nicht alle Menschen, die ich beschreibe gibt es auch, aber Teile von denen sind immer ich oder andere, die ich kenne.

Literatopia: Stichwort Inspiration: Wo bist Du, wenn Du schreibst? Hörst Du Musik während der kreativen Phasen? Wenn ja, welche Musikrichtung und warum genau diese? Hältst Du Deine Ideen stichpunktartig fest, schreibst Du also nach Plan oder einfach wild drauf los, wie es Dir gerade in den Sinn kommt?

Dirk Bernemann: Wenn ich schreibe, ist es still. Davor und danach russische Klassik oder Grindcore aus England. Warum? Weil ich’s gut finde und dabei Gefühle habe. Mittlerweile bin ich disziplinierter Schriftsteller, der sich Pläne macht, die ersten drei Bücher sind aber aus dem Druck entstanden, schreiben zu müssen, das Ventil ging auf, das Buch floss raus. Tralala, fertig ...

Literatopia: Sowohl in „Ich hab die Unschuld kotzen sehen 1 + 2“ als auch im aktuellen „Ich bin schizophren und es geht mir allen gut“ wurden Gedichte veröffentlicht, die auf den Leser sehr persönlich wirken. Warum hast Du Dich entschieden, diese Stücke zu veröffentlichen, und wie wurde die Auswahl getroffen? Welchen Wert hat die Lyrik für Dich persönlich?

Dirk Bernemann: Lyrik ist das, wo ich herkomme, da sind die Wörter am schönsten, die Gefühle am direktesten. Meine Gedichte, bzw. ein Großteil, waren früher Songtexte von Bands, die ich betrieb. Die Auswahl war ein zufälliges Verfahren, ich hab ungefähr 1000 Zettel in die Luft geworfen und hab mich durchs Zimmer gerollt und was an mir hängenblieb, kam ins Buch ...

Literatopia: In der Anthologie „Wahre Märchen“ hast Du die Kindergeschichten „Dornröschen“ und „Hänsel und Gretel“ ein klein wenig umgeschrieben. Welchen Hintergrund hatten Deine Beiträge zu der Kurzgeschichtensammlung und warum hast Du Dich gerade für diese beiden Märchen entschieden?

Dirk Bernemann: Hänsel und Gretel finde ich mehr denn je aktuell. Es geht da ja auch im Originalmärchen um eine sozial verrottete Familie, die nicht mehr imstande ist, ihre Kinder adäquat zu versorgen. Bei Dornröschen mag ich die Romantik, den 100jährigen Schlaf und den Moment des Wachküssens.

Literatopia: Die Cover Deiner Bücher sind ziemlich unterschiedlich und recht unspektakulär, was gänzlich im Gegensatz zu ihrem Inhalt steht. Bist Du an der Covergestaltung beteiligt oder entscheidet der Verlag allein? Wie gefallen Dir selbst die Cover und wie verbindest Du sie mit dem Inhalt der Bücher?

Dirk Bernemann: Ich find die Covergestaltung gerade in ihrer Unspektakularität sehr gelungen. Die Puppe auf „Unschuld“ hat dieses lolitahafte, schwerst naive. Fast ein „easy to fuck“-Blick, der einen da entgegengeworfen wird. Den Gegensatz nehme ich gar nicht so wahr, ich finde es sehr passend, dass das so ist. Die Gestaltung findet in Kooperation mit dem Verlag statt.

Literatopia: Mit Ausnahme von „Satt. Sauber. Sicher.“ haben alle Deine Bücher ziemlich lange Titel. Dabei heißt es doch so schön, dass in der Kürze die Würze liegt. Wie kam es zur Titelwahl? Und warum versteckt sich in „Ich bin schizophren und es geht mir allen gut“ offensichtlich die Falschannahme, dass es sich bei Schizophrenie um eine Persönlichkeitsspaltung handele?

Dirk Bernemann: Oh, ja, das alte Vorurteil, bzw. die falsche medizinische Herangehensweise. Meine Protagonisten und Geschichteninsassen (schönes Wort übrigens für Dirk Bernemann Figuren) haben alle emotionale Über- oder Untersteuerungen, was ja ein Merkmal der Schizophrenie ist und auch wenn ich im Titeltext meinen eigenen Gedankeninhalt verwurste, dann heißt das nicht, dass ich mich als viele sehe, sondern als einer, der viel macht und fühlt.

Dass der Titel so lang ist, ist seinem Schönklang geschuldet. SattSauberSicher ist so kurz, weil ich da sehr sloganartig drauf war und eine Zeit lang auch nur so gesprochen habe. Ich wohn ja aufm Land, da spricht man manchmal Tage lang gar nicht ...

Literatopia: Auch wenn Du wahrscheinlich viel Kritik für Deine Bücher bekommst, hast Du ebenso eine große Fangemeinde. Wie wichtig ist Dir der Kontakt zu Deinen Lesern? Bist Du ein Star zum Anfassen, wirst Du auf der Straße erkannt? Gibt es ein besonderes Erlebnis mit einem Fan, das Dir in Erinnerung geblieben ist?

Dirk Bernemann: Meine Fans sind die geilsten. Von den meisten lass ich mich sogar anfassen, es sei denn, sie haben offensichtlich ansteckende Krankheiten. Auf der Straße hör ich mehr „Geh ausm Weg Du Penner“ oder „Gibts Dein Fahrrad auch in schön?“ als „Guck, mal, n Autor“. Nach Lesungen häng ich gern mit denen rum, die mir zugehört haben und trink Bier mit den Leuten, da kommen häufig gute Gespräche und Begegnungen zustande.

Literatopia: Jeder Mensch hat ein soziales Umfeld. Was sagen Freunde und Familie zu Deinen Büchern? Lesen sie diese überhaupt und wie wichtig ist Dir ihre Meinung? Glaubst Du, dass der Erfolg Dich in Bezug auf Dein Privatleben verändert hat?

Dirk Bernemann: Meine Freunde lesen nicht Dirk Bernemann, sie leben mit ihm. Da werd ich auch nicht als Künstler gesehen, sondern als Typ, der jeden Sonntag mit aufm Fußballfeld steht und noch genau so besoffen ist, wie die anderen Jungs. Mein Privatleben hat sich, seit ich nur noch schreibe, in sofern geändert, als dass ich einfach meinem Privatleben mehr Zeit geben kann. So viel Privatleben kann aber auch ganz schön anstrengend sein ...

Literatopia: Wenn Du Dich nicht kennen würdest und Deine Bücher nicht geschrieben hättest, wie würdest Du darauf reagieren? Würdest Du im Laden daran vorbeigehen oder fielen Dir die Titel sofort ins Auge? Wenn Letzteres, was genau würde Deine Aufmerksamkeit erregen?

Dirk Bernemann: Ich würde unbedingt und in jedem Falle mit mir schlafen wollen. Egal was für ein Geschlecht ich hätte, wenn ich nicht ich wäre. Ich würde denken, schon wieder einer, der schlicht provoziert und dann würde ich lesen und die Bekanntschaft eines Genies machen und dann würde ich das Genie ficken wollen, um selbst eins zu werden. Typisch Mensch, oder?

Literatopia: Auf Deiner Homepage ist die Info zu finden, dass Du noch nie im Ausland gelebt hast. Gibt es ein Land, das dich als Ort zum Leben besonders reizen würde? Wenn ja, welches und warum? Kommt Auswandern für Dich überhaupt in Frage oder hast Du Deine Wurzeln im Ruhrpott und wirst dort auch irgendwann begraben sein?

Dirk Bernemann: Ich hab meine Wurzeln im Münsterland und nicht im Pott. Das sind zwar nur 50 km, aber eine komplett andere Kulturregion. Aber ich reise gern. Ich bin einer, der gern wegfährt, aber genau so gerne zurück kommt. My home is where my art ist und die funktioniert überall, wo ich mich entfalten kann. Auswandern? Wüsste nicht wohin, vielleicht ins Ruhrgebiet ...

Literatopia: Ebenfalls auf Deiner Homepage gibt es die Ankündigung zu einer Veranstaltung names „LitCarl“. Was ist das, was kann man sich darunter vorstellen, wie ist die Idee entstanden und warum sollte man dort unbedingt mal hingehen?

Dirk Bernemann: „LitCarl“ ist mega-wichtig. Das ist ein Konzept, bei dem ich neue Autoren einlade, die ihrerseits neue Bücher haben und ich interviewe die Leute und sie haben Gelegenheit ihre Sachen vorzustellen. Natürlich lade ich nur Leute ein, die ich auch selber gut finde. Los geht’s am 05.11. in der Zeche Carl in Essen.

Literatopia: Du bist nahezu durchgängig auf Lesetour. Warum sollte man auf keinen Fall die Möglichkeit verpassen, Dich live zu erleben? Was erwartet die Besucher Deiner Lesungen und was zeichnet Deine Lesungen aus?

Dirk Bernemann: Meine Lesungen sind intensiv, ich glaube, nicht nur für mich. Ich bin auf der Bühne ein gefühlsbetonter Mensch, ich schreie, wüte, spucke, bin zärtlich zu mir selbst und nebenbei lese ich intensive Sachen vor, von denen ich glaube, dass sie imstande sind, Leute zu berühren. Manchmal singe und tanze ich auch, das liegt dann aber am Wein.

Literatopia: Kurz vor Schluss noch eine Frage für unsere Forenmitglieder, die zum Großteil selbst an einer Karriere als Autor arbeiten oder zumindest insgeheim davon träumen: Welche geheimen Tipps kannst Du uns verraten, die zum Erfolg führen? Gibt es überhaupt ein Patentrezept?

Dirk Bernemann: Ich habe sogar drei Tipps: Druck machen, Druck machen, Druck machen ist der erste, damit meine ich das künstlerische Ziel im Auge zu behalten und es immer wieder anzubieten.
Des Weiteren sollte man aber auch auf andere hören, z. B. Verleger und Lektoren, dadurch kann die eigene Arbeit nur reifen, wenn die Leute wissen, was sie da erzählen. Des Weiteren soll man bitte aufgeben, wenn man total scheiße schreibt, um Platz zu machen für die, die es können. Ich krieg auch häufiger Romankonzepte oder Lyrik aus fremder Feder auf meinen Schreibtisch und das ist zu 80 % der Fälle einfach nur peinlich und lustig. Also peinlich für den Autor und lustig für mich. Ich bin keine Bewertungsinstanz für so was, sondern ich habe einen ausgemachten Geschmack, in dem das meiste mir kredenzte Schriftwerk leider keinen Platz findet. Bah.

Literatopia: Und zu guter Letzt möchten wir natürlich wissen, was uns in Zukunft von Dirk Bernemann erwarten wird. Welche kurz- und auch langfristigen Pläne hast Du, worauf dürfen sich Deine Leser freuen?

Dirk Bernemann: Es wird ein Unschuld kotzen, Teil 3 geben, allerdings zunächst als Ebook, mein neuer Roman wird höchstwahrscheinlich im Oktober 2010 erscheinen. Außerdem arbeite ich an einem Kinderbuch und ich will noch mal fürs Theater schreiben.

Literatopia: Dirk, ganz herzlichen Dank für Deine Zeit und die interessanten Antworten!

Dirk Bernemann: Herzlich gern.

www.DirkBernemann.de


Dieses Interview wurde von Jessica Idczak für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.