Vor uns die Nacht (Bettina Belitz)

Script 5 (März 2014)
Hardcover mit Schutzumschlag,
Spotlack und Silberprägung
empfohlen ab 16 Jahren
384 Seiten, 17,95 EUR
ISBN: 978-3-8390-0159-2

Genre: Romantik / Young Adult


Klappentext

Niemand hat die 21-jährige Studentin Ronia bisher so fasziniert wie der rebellische Jan, der keine Konventionen kennt. Ronia und Jan kommen aus völlig verschiedenen Welten und fühlen sich doch magisch voneinander angezogen. Auch wenn Ronia zunächst dagegen ankämpft – es ist zwecklos, sie kann sich dem rätselhaften Jan nicht entziehen. Da sie jedoch einige bittere Enttäuschungen hinter sich hat, möchte sie diesmal alles anders machen: keine Träumereien, keine Versprechen, keine Liebesschwüre – sie will die Zügel in der Hand behalten. Und so beginnt ein hochexplosives, hingebungsvolles und nervenaufreibendes Spiel …


Rezension

An Weihnachten ist es wieder einmal so weit: Ronia wird verlassen. Trotzdem zieht sie das Kirchenprogramm mit ihren Eltern durch, denn ihr Vater ist Pfarrer und von seiner Tochter erwartet man, die Gemeinde zu grüßen und jedem ein Lächeln zu schenken. Danach verdrückt sich Ronia jedoch, um Heiligabend in einer heruntergekommenen Bar zu verbringen. Ihr bester Freund Jonas erwartet sie dort schon, er will sie nicht allein lassen – und er ist in sie verliebt, was ihre Freundschaft ziemlich kompliziert macht. Eigentlich will Ronia allein sein, doch sie bringt es nicht übers Herz, Jonas wegzuschicken. Da sieht sie einen jungen, fast schon unnatürlich attraktiven Mann, der lässig auf dem Geländer sitzt und sich eine Zigarette dreht. Jonas bemerkt ihr Starren und erzählt ihr, dass der Typ River genannt wird und der Polizei bekannt sowie kriminell sei. Zudem sei er ein Junkie. Doch Ronia ist fasziniert von dem Fremden und folgt ihm durch die Nacht …

Nach dieser ersten Begegnung mit River entwickelt sich quälend langsam ein seltsames Verhältnis zwischen ihm und Ronia, das von zufällig erscheinenden Treffen geprägt ist. River, der eigentlich Jan heißt, rettet Ronia vor drei zwielichtigen Typen und er schreibt ihr zweideutige und später eindeutige Nachrichten über Facebook. Zudem begegnen sie sich am Fluss, wo Ronia laufen geht, immer freitags. Anfangs glaubt Ronia die Geschichten, die über Jan erzählt werden, denn es spricht vieles dafür: Er sei ein Callboy, der älteren Damen und Drogen nicht abgeneigt ist. Trotzdem muss sie ständig an ihn denken und ihr Verstand schaltet sich aus, sobald sie ihn sieht. Irgendetwas an ihm berührt sie zutiefst, auch wenn er zwei Jahre jünger ist als sie und sein arrogantes Gehabe sie nicht beeindrucken sollte.

Mit gerade einmal 21 Jahren blickt Ronia auf zu viele gescheiterte Beziehungen zurück. Erst ist es die große Liebe und dann weichen die Männer ihren Blicken aus, fangen an zu stottern und machen schließlich Schluss. Als einer ihrer Ex-Freunde schlecht über sie redet, ist Ronia am Boden zerstört und das unverhohlene Interesse, das Jan an ihr zeigt, tut ihr gut. Vom ersten Moment an ist sie in ihn verknallt, aber sie redet sich ein, dass sie lediglich ein lockeres, erotisches Abenteuer wolle. Die Begegnungen zwischen ihr und Jan sind so intensiv und intim (obwohl objektiv betrachtet nicht viel passiert), dass man sich als Leser schnell mehr vorstellen kann, doch Jan lässt sich mit Ronia Zeit. Die beiden spielen miteinander, spüren aber gleichzeitig die beinahe überirdische Anziehungskraft. Wenn sie sich berühren, sind sie eins, aber wenn sie miteinander reden, streiten sie sich.

Ronia hat gänzlich andere Vorstellungen vom Leben als Jan. Sie ist in einer Pfarrersfamilie aufgewachsen, in der Rolle der braven und klugen Tochter. Ihren besten Freund und ihre beste Freundin kennt sie bereits aus dem Sandkasten. Einzig ihr überschäumendes Temperament lässt sie aus dieser Rolle ausbrechen, doch letztlich hat sie immer wieder ihren Platz eingenommen. Doch als sie Jan begegnet, wird der Drang, aus dem Alltagstrott auszubrechen, unerträglich. Ronias Leben konzentriert sich immer stärker auf Jan, der tatsächlich ab und an Drogen nimmt und ihr für sein Alter viel zu reif erscheint. Sie vernachlässig ihre Freunde und stößt ihre Eltern, die immer noch ihr kleines Mädchen in ihr sehen, mehrfach vor den Kopf. Das Verhältnis zu Jan ist neu und aufregend – und der Kerl scheint ihr direkt in die Seele schauen zu können. Auch als Leser ist man angetan von diesem erfrischend direkten jungen Mann, der mit sich im Reinen ist und weiß, was ihn glücklich macht.

„Vor uns die Nacht“ besitzt noch mehr als „Splitterherz“ die Magie der ersten Begegnung. Bereits in der ersten Sekunde ist klar, wie tief diese Beziehung gehen könnte, doch es braucht Zeit, bis sich Ronia und Jan annähern. Als Leser fiebert man jeder Begegnung entgegen und bei jeder Berührung zuckt man zusammen und spürt das Kribbeln, das Ronia um den Verstand bringt. Jan ist aus ihrer Sicht verstörend offen, beispielsweise wenn er ihr Sachen schreibt wie „Denkst du an mich, wenn du dich berührst?“. Gleichzeitig kommt er niemals vulgär oder plump rüber, seine Worte sind klar und direkt, aber auch intim und wohl gewählt. Sobald Ronia und Jan sich sehen, erblüht die Sprache des Romans zu verzauberter Poesie, wie man sie selten gelesen hat. Diese Magie ist genau das, was die Bücher von Bettina Belitz ausmacht. Der Zauber der ersten Treffen, das ewig Bekannte im Unbekannten.

Erst wenn die Geschichte fortschreitet, schleichen sich wieder jene dunkle Flecken ein, die die Nachfolger von „Splitterherz“ schwer verdaulich machten. Ronia gelingt der Spagat zwischen ihrer Affäre und ihrem alten Leben zunehmend schwerer, zudem reibt sie sich innerlich an ihren Gefühlen auf. Sie investiert zu schnell zu viel und interpretiert in Jans Handlungen Dinge hinein, die sie gar nicht wissen kann. In diesem Punkt verhält sie sich oftmals kindisch. Zu einem gewissen Grad kann man dieses Gefühlschaos gut nachvollziehen, so fühlt sich Verliebtheit nun einmal an, jedes Wort scheint nicht mehr gut genug und alles, was der andere tut, wird in Frage gestellt. Mag er mich wirklich? Findet er mich attraktiv? Usw. …

Doch irgendwann erreicht Ronia den Punkt, an dem sie sich zu sehr in Negativszenarien hineinsteigert, in denen sie die Magie, die zwischen ihr und Jan besteht, kaputtmacht, weil sie in falsche Richtungen denkt und nicht fähig ist, den Moment zu genießen. Dann wirkt sie wehleidig und zickig und dann mag man sie als Protagonistin auch nicht mehr. Doch Ronia fängt sich zum Glück wieder und betrachtet man den ganzen Roman, ist sie eine interessante junge Frau, mit der sich junge Erwachsene durchaus identifizieren können. Für zukünftige Romane von Bettina Belitz würde man sich dennoch eine positivere Frauenfigur wünschen, jemanden, der an seinen Gefühlen nicht so stark verzweifelt wie Ronia oder Ellie (aus der „Splitterherz“-Trilogie).


Fazit

„Vor uns die Nacht“ ist eine atemberaubende Liebesgeschichte voller Magie und Kribbeln im Bauch. Sobald ihre Protagonisten sich begegnen, erblüht die Sprache von Bettina Belitz zu tief berührender und intimer Poesie. Doch wenn sie sich nicht sehen, verzweifelt Ronia an ihren Gefühlen und ihre Gedanken werden so düster, dass man es als Leser kaum aushält. Dennoch bleibt „Vor uns die Nacht“ eine erfrischend andere Lovestory, in der man sich gerne verliert.


Pro & Contra

+ Magie der ersten Begegnung
+ Jan fasziniert den Leser ungemein
+ Ronias innere Entwicklung
+ berührende, poetische Sprache
+ intime, niveauvolle Erotik
+ verzwickte, äußere Umstände
+ freundschaftliche Beziehungen
+ wunderschöne Aufmachung des Buches

- Ronia verzweifelt zu sehr an ihren Gefühlen …
- … und kommt dadurch manchmal wehleidig und zickig rüber
- zwischendurch sehr negative Stimmung

Wertung: sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 4/5


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