Daniela Knor (31.10.2015)

Interview mit Daniela Knor

Literatopia: Hallo, Daniela! Kürzlich ist Dein phantastischer Jugendroman „Drachenblut“ bei Amrûn erschienen. Was erwartet die Leser?

Daniela Knor: Die Leser erwartet ein spannender Urban Fantasy-Roman für Jugendliche und junge Erwachsene, der im modernen Japan spielt. Es geht um Takeru, einen jungen Japaner, der in einer deutschen Adoptivfamilie aufgewachsen ist und glaubte, seine wahren Eltern seien bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Als er nach dem Abi nach Japan fliegen will, erfährt er jedoch, dass alles ganz anders war. Seine Eltern wurden ermordet, und wenn er zurückkehrt, um seine Familie zu suchen, begibt er sich in Gefahr. Natürlich macht er sich trotzdem auf den Weg, um seiner Herkunft auf die Spur zu kommen und den Mörder seiner Eltern zu finden. Dabei begegnet er der schönen Schwertkämpferin Ayumi, die ein dunkles Geheimnis hütet. Und je näher er dem Mörder kommt, desto mehr sieht er sich mit Magie und Fabelwesen konfrontiert.

Literatopia: Was ist Takeru für ein Mensch? Und wie findet er sich in seinem für ihn fremden Heimatland zurecht?

Daniela Knor: Die schlimmen Ereignisse in seiner Kindheit haben Takeru mehr geprägt, als ihm bewusst ist. Oberflächlich betrachtet wirkt er wie ein normaler deutscher Durchschnittsjugendlicher, aber unter der Oberfläche lauert die Angst, dass sich sein Leben in der Adoptivfamilie jeden Moment wieder in Chaos auflösen könnte, wie es mit seinem ursprünglichen Leben passiert ist. Deshalb ist er eigentlich kein Draufgänger, sondern eher etwas schüchtern und unsicher. Mit diesen Eigenschaften kommt er als „Fremder“ in Japan auch besser zurecht als ein Typ mit großer Klappe und großem Ego. Trotzdem tritt er noch in genügend Fettnäpfchen, weil er die Kultur seiner Heimat nur noch aus Filmen kennt.

Literatopia: „Drachenblut“ wurde von einer Japan-Reise inspiriert. Was hat Dich im Land der aufgehenden Sonne am meisten beeindruckt? Und in welche Fettnäpfchen bist Du getreten?

Daniela Knor: Ich bin sicher, dass ich in viel mehr Fettnäpfchen getreten bin, als ich bemerkt habe. Die Japaner waren nur zu höflich, um es mich merken zu lassen. Im Wesentlichen geht es im japanischen Alltag darum, die Mitmenschen möglichst wenig zu stören oder gar zu belästigen. Deshalb haben Japaner eine ganz andere Wahrnehmung dafür, ab wann oder womit man seine Umgebung unangemessen beeinträchtigt. Zum Beispiel war ich mit einem großen Rucksack unterwegs und habe ihn auch angelassen, wenn ich unterwegs schnell etwas einkaufen wollte. Wer käme bei uns schon auf die Idee, sein Gepäck unbeaufsichtigt stehen zu lassen? Aber mit dem sperrigen Rucksack habe ich auf dem engen Gang eines Ladens die Leute in Bedrängnis gebracht. Sie mussten mir ausweichen, um nicht gerammt zu werden, wenn ich mich zum Beispiel nichtsahnend umdrehte. Das wurde als sehr rücksichtslos empfunden. Ein Japaner hätte das Problem vorausgesehen und den Rucksack abgesetzt, um es zu vermeiden.

Was mich am meisten beeindruckt hat, waren die Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit vieler Japaner. Kaum standen wir einmal mit ratlosem Blick herum, hielt auch schon jemand an, um uns den Weg zu zeigen. Ich fand die Japaner daher gar nicht so distanziert, sondern oft sogar sehr freundlich und aufgeschlossen, weil sie sich so darüber freuten, dass wir „Westler“ uns ernsthaft für ihre Kultur interessierten. Ein Musiker-Ehepaar gab uns sogar spontan Unterricht auf der shamisen, der japanischen Laute, nachdem wir ihr Konzert besucht hatten. Da schwang natürlich auch ein wenig Neugier auf die fremdländischen Besucher mit, denn abseits der großen Touristenattraktionen und Städte wie Tokio und Kyoto sind westliche Ausländer ein eher seltener Anblick.

Literatopia: Als Takeru nach Japan reist, ist er ganz schön nervös. Spiegeln seine Erfahrungen am Flughafen und bei der Ankunft Deine eigenen wieder?

Daniela Knor: Zum Teil schon. Dass Takeru so nervös ist, finde ich normal. Er fliegt zum ersten Mal in seinem Leben ganz allein in ein fernes Land und weiß nicht, was ihn dort erwartet. Obendrein plant er, nach seiner Familie zu suchen, obwohl das gefährlich sein könnte. Wer wäre da nicht aufgeregt? Natürlich war ich auch nervös, als ich nach Japan flog, denn ich war vorher noch nie allein geflogen und konnte nur hoffen, dass meine Verabredung am Flughafen von Tokio wirklich klappt. Aber meine Anreise verlief nicht exakt wie Takerus, da ich zum Beispiel nicht in Tokio den Flughafen wechseln musste, und mich haben auch keine mysteriösen Männer verfolgt ;-) Manche Einzelheiten habe ich deshalb nach dem Vorbild anderer Erlebnisse in Japan gestaltet.

Literatopia: Drachen sind in der westlichen Fantasy sehr beliebt, über ihre japanischen Gegenstücke weiß man hier jedoch wenig. Was zeichnet japanische Drachen aus?

Daniela Knor: Ganz klassisch ist, dass japanische Drachen keine Flügel besitzen und dennoch fliegen können, weil sie durch und durch magische Wesen sind. Sie schlängeln sich eher wie Schlangen durch die Luft, mit denen sie auch optisch mehr Ähnlichkeit haben als unsere westlichen Drachen. Wie alle asiatischen Drachen können sie nicht einfach nur Feuer speien, sondern alle Elemente beherrschen. Dadurch wirken sie sehr mächtig, und der mythische Drachenkönig ist eigentlich eher ein Gott als nur ein Fabelwesen. Nicht umsonst führt das japanische Kaiserhaus seine Abstammung nicht nur auf die Himmelsgötter, sondern auch auf den Drachenkönig zurück.  Deshalb sind Drachen in Japan auch keine Feinde, die von Rittern besiegt werden müssen, wie das in unseren Sagen und in der christlichen Mythologie der Fall ist. Sie gelten viel mehr als Glücksbringer, weil sie zum Beispiel als Herren über das Wasserelement dafür sorgen, dass es auf den Feldern im Frühling genug regnet. Weshalb man aber nicht glauben sollte, dass alle Drachen freundliche Wohltäter sind, denn sie verfolgen auch eigene Interessen.

Literatopia: Im Nachwort von „Drachenblut“ bedankst Du Dich für den „amüsantesten Schwertkampfunterricht der Welt“ – bei wem hast Du diesen genossen? Und warum war er so amüsant?

Daniela Knor: Ich hatte einen Einführungskurs bei Sensei Tetsuro Shimaguchi gebucht, ohne zu wissen, um wen es sich handelt. Er bietet diese Veranstaltungen freundlicherweise gezielt für „Westler“ an, da er mit seiner Schwertkampf-Showtruppe schon im Ausland aufgetreten ist und das große Interesse an den Samurai hier im Westen kennt. Trotzdem war ich nur zufällig im Internet darüber gestolpert und erfuhr erst vor Ort in Tokio, dass er in den „Kill Bill“-Filmen mitgewirkt hat und bei den Dreharbeiten auch als Schwertkampftrainer tätig war.

Auch wenn wir durchaus ernsthaft Grundpositionen, verschiedene Hiebe und kurze Choreographien geübt haben, gab es zwischendurch viel zu lachen, weil Co-Trainer Takuro Munekata bei jedem „tödlichen“ Treffer übertrieben dramatisch zu Boden ging, im gespielten Todeskampf zuckte und ähnliche Faxen machte. Ich muss aber gestehen, dass ich auch deshalb viel gelacht habe, weil es einfach wahnsinnig viel Spaß gemacht hat, von solchen Könnern zu lernen, dem Meister Fragen stellen zu dürfen und zum Andenken mit ihnen „movie star style“ für Fotos zu posieren.

Knor Drachenblut AutorenfotoLiteratopia: In „Drachenblut“ gibt es unter anderem Gestaltwandler. Inwiefern unterscheiden sich diese von klassischen Werwesen?

Daniela Knor: Ich glaube, wenn man weit genug in die Vergangenheit zurückreisen könnte – in die Zeit, in der es noch keine schriftlichen Überlieferungen gab -, würde man feststellen, dass die japanischen und westlichen Gestaltwandlergeschichten einen gemeinsamen Ursprung im Weltbild der Schamanen haben. Deshalb gibt es in einigen Punkten Überschneidungen, auch wenn sie sich später unter dem Einfluss anderer Religionen und Kulturen unterschiedlich weiterentwickelt haben.  In Japan stehen bei den Gestaltwandlern nicht die stärksten Raubtiere (Wolf, Bär) im Vordergrund, sondern eher der schlaue, gerissene Fuchs und der Tanuki (Marderhund). Während bei den klassischen Werwesen daher die tierische Kraft und Wildheit gefürchtet wird, fürchtet man in Japan eher die Heimtücke der Verwandlungskünstler. Viele dieser Sagen handeln davon, wie der Held von einem Gestaltwandler in Menschengestalt in eine Falle gelockt wird. Deshalb eignen sie sich auch sehr gut als Boten, Spione und Attentäter, die im Auftrag mächtigerer Wesen unterwegs sind.

Literatopia: Gibt es den Aoyama-Schrein aus Deinem Roman wirklich? Oder hast Du die Gottheit frei erfunden?

Daniela Knor: Aoyama bedeutet „blauer Berg“ und ist ein relativ verbreiteter japanischer Nachname, weshalb ich nicht ausschließen möchte, dass es irgendwo in Japan einen Berggeist namens Aoyama gibt, dem auch ein Schrein gewidmet ist. Den konkreten Schrein aus dem Roman habe ich jedoch frei erfunden, um niemanden in Verlegenheit zu bringen. Er ist aber sehr genau den vielen Schreinen nachempfunden, die ich auf meiner Reise gesehen habe, und andere Schreine im Buch – zum Beispiel den im Badehaus am Fuß des Vulkans oder auch den in dem riesigen Baumstumpf einer alten Zeder – gibt es wirklich.

Literatopia: Wie sieht das Verhältnis der Japaner zu ihren Gottheiten aus? Nehmen sie ihren Glauben noch richtig ernst oder ist es ähnlich wie bei uns, wo viele höchstens zu Weihnachten in die Kirche gehen?

Daniela Knor: Mein Eindruck war, dass es sich ähnlich wie bei uns verhält. Man geht an Festtagen zum Schrein, weil es Tradition und ein schönes Erlebnis ist, und opfert und/oder befragt ein Orakel, weil es zumindest nicht schaden kann. Überhaupt geht es im Shinto-Glauben sehr stark darum, von den Göttern Wohltaten und Vorteile für das individuelle Leben zu erlangen. Das könnte man mit bei uns noch verbreiteten heidnischen Ritualen gleichsetzen (zum Beispiel eine Münze in einen bestimmten Brunnen werfen, weil es Glück bringen soll), die viele Leute ausführen, obwohl sie nicht ernsthaft an keltische oder andere Quellgöttinnen glauben. Im Gegensatz zum Christentum gibt es im Shintoismus keine zehn Gebote, die man einhalten muss, um automatisch das Wohlwollen eines Gottes zu erhalten, sondern man muss eben Geld, Sake oder andere Gaben opfern, damit man von der Gottheit wahrgenommen und belohnt wird. Je größer und beliebter der Schrein, desto mehr solcher Gaben habe ich dort gesehen.  

Literatopia: Auch dieses Jahr warst Du auf der Frankfurter Buchmesse unterwegs. Triffst Du dort hauptsächlich Bekannte oder hast Du auch das ein oder andere spannende Buch für Dich entdeckt?

Daniela Knor: Ehrlich gesagt hatte ich so viele Treffen und Termine, dass ich an den Ständen nur vorbeigerannt bin. Das hat sich im Lauf der Jahre völlig verändert. Früher war ich oft zwei Tage lang auf der Messe und habe etliche Stände besucht, um mir die Bücher genauer anzusehen. Mittlerweile nehme ich die einzelnen Bücher kaum noch wahr, weil ich in Gedanken beim bevorstehenden Termin bin oder über das nachdenke, was ich gerade mit Verlagsleuten oder Kollegen besprochen habe. Ich betrachte die Buchmesse also eher als Gelegenheit, Leute zu treffen, die ich das ganze Jahr über nicht sehe, und ausführlicher mit ihnen zu reden, als das im Arbeitsalltag per Mail oder am Telefon möglich ist. Aber immerhin habe ich von ihnen Tipps bekommen, welche Bücher einen genaueren Blick lohnen. Das ist fast so gut wie ein Messebummel.

Literatopia: Auf der Buchmesse waren phantastische Romane leider Mangelware. Steht es wirklich so schlecht um Fantasy und Science-Fiction? Und wie sah es auf dem BuchmesseConvent aus?

Daniela Knor: Daran kann man sehen, wie unterschiedlich der Eindruck aus den Gesprächen auf der Messe und von der Messe selbst sein kann. Aus den Gesprächen ging eigentlich klar hervor, dass Science-Fiction gerade im Aufwind ist. Einige Verlage (zum Beispiel Piper) haben deshalb ihre SF-Programme ausgeweitet oder haben sogar zum ersten Mal SF im Programm. Letzteres gilt auch für Fantasy, während sich andere aus diesem Genre zurückziehen, was sich am Ende aber wieder ausgleicht. Ich fand die Stimmung durchaus zufrieden-optimistisch.

Auf dem BuchmesseConvent war – zumindest nach meinem Empfinden – sogar mehr los als sonst. Es gab mehr Programm in mehr Räumen, und dennoch waren die Lesungen, die ich gesehen habe, alle gut besucht! Wenn man bedenkt, wie schlecht der BuCon von der Messe aus mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist, finde ich es erstaunlich, wie viele Phantastik-Fans den Weg nach Dreieich auf sich nehmen, obwohl auch auf der Messe selbst Lesungen und Signierstunden von bekannten Fantasy-Autoren geboten werden. Auf dem BuCon sind eher die Newcomer, aber natürlich auch „Schwergewichte“ wie Bernard Hennen und Wolfgang Hohlbein zu finden. Ich halte die Szene deshalb für lebendiger denn je.

Literatopia: Du hast inzwischen eine neue Homepage – die alte gibt es aber noch. Wieso hast Du sie stehen lassen? Und was gibt es auf Deiner neuen Website zu entdecken?

Daniela Knor: Die alte Homepage war für treue Fans viele Jahre lang der einzige Draht zu mir, deshalb wollte ich sie nicht einfach über Nacht vom Netz nehmen. Es hätte nach einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit ausgesehen, aber das soll der Wechsel zur neuen Homepage gar nicht sein. Ich finde es schöner, wenn die Leute am gewohnten Ort jetzt die Information finden, dass es eine neue Anlaufstelle gibt. Die alte ist aus heutiger Sicht einfach zu umständlich zu bedienen, weshalb die Hürde, sie aktuell zu halten, immer höher wurde. Deshalb der Wechsel. Nach und nach werde ich die Inhalte der alten Seiten jedoch löschen, weil viele Links nicht mehr funktionieren und die Infos veraltet sind. Die neue Homepage bietet den Lesern nun gebündelt Informationen zu allen Romanen, die noch oder wieder lieferbar sind. Außerdem finden sie dort - passend zu „Drachenblut“ - ein kleines Lexikon japanischer Begriffe, das ich gerade im Zweiwochentakt aufbaue. Und natürlich aktuelle Meldungen zu Leserunden, Verlosungen oder anderen Aktionen!

Literatopia: Deine Fans erinnern sich noch an die Elbensang-Trilogie, die leider noch keinen Abschlussband erhalten hat. Können wir auf eine baldige Fortsetzung hoffen?

Daniela Knor: Sicher ist den Fans, die schon den Weg auf die neue Homepage gefunden haben, aufgefallen, dass die Elbensang-Trilogie dort fehlt. Ich möchte niemanden mit Informationen zu Büchern verwirren, die gerade nicht im stationären Handel oder wenigstens als eBook erhältlich sind. Die Trilogie ist aber nicht vergessen, und da ich die Rechte an den ersten beiden Bänden zurückbekommen habe, plane ich, den dritten Band zu schreiben und dann die komplette Trilogie in einem Kleinverlag oder als self-publisher zu veröffentlichen. Für 2016 bin ich schon wieder ausgebucht, aber ich habe es mir für 2017 vorgenommen und hoffe, dass nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt. Es wird wirklich Zeit, dass die Geschichte zu Ende erzählt wird.

Literatopia: Herzlichen Dank für das schöne Interview, Daniela!


Autorenfotos: Copyright by Daniela Knor (oben) und Torsten Bieder (unten)

Autorenhomepage: https://danielaknor.wordpress.com

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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.