Chasm - Marika Herzog und Michel Decomain (20.12.2015)

Interview mit Marika Herzog und Michel Decomain (Chasm)

demon king camio1Literatopia: Hallo, Marika, hallo, Michel! Mit „Demon Lord Camio“ habt Ihr einen sehr humorvollen Shonen-Manga vorgelegt. Könnt Ihr für unsere Leser kurz umreißen, was sie erwartet?

Michel Decomain: Die Leserinnen und Leser können sich auf viel Action und schrägen Humor freuen, wenn sie Lord Camios Abenteuer verfolgen möchten. Der quirlige Dämonenlord kommt nämlich nach Berlin, um einen Beschwörer zu finden, der seinen Bruder aus dem Höllenverlies rausboxen kann. Nur ist der da nicht ohne Grund eingesperrt, und so legen bald Himmel und Hölle die Stadt Stück für Stück in Schutt und Asche ...  

Literatopia: Im Juni diesen Jahres ist der Nachfolgeband „Demon Kind Camio“ erschienen. Wird die Story nahtlos fortgeführt? Und wird Camio, dem Titel entsprechend, befördert?

Michel Decomain: Es gibt einen kleinen Zeitsprung nach dem ersten Band. Wer sich dafür interessiert, wie Camio seine Freizeit in Berlin verbringt, kann das in unserem Webcomic Leid & Verderben nachlesen.

Marika Herzog: Ansonsten wird die Handlung aber nahtlos fortgeführt.  Ob Camio seinen neuen Titel bekommt, können wir nicht verraten. Dazu müsst ihr schon den Manga lesen!

Literatopia: Ihr seid nach eigenen Aussagen stolz darauf, dass Camio ein Protagonist mit keiner einzigen positiven Eigenschaft ist. War er so geplant oder ist er quasi von selbst ein Fiesling geworden? Und gibt es wirklich nichts Nettes an ihm?

Michel Decomain: Fiesling ist eigentlich nicht so das richtige Wort. Er ist ja nicht wirklich böse, sondern einfach nur faul, egozentrisch und alles andere als empathisch. Man kann ihn nur zu einer guten Tat bewegen, wenn man ihn von den eigenen Vorteilen für ihn überzeugt. Ich glaube, diese chronische Selbstgenügsamkeit ist schon etwas, was bei uns allen im Hinterkopf mitschwingt, und daher mögen es wohl auch viele Fans, dass Camio das so völlig unbeschwert auslebt.

camio1Marika Herzog: Camio war am Anfang auch gar nicht so gedacht. Das hat sich erst so herauskristallisiert, nachdem wir beim Brainstorming sämtliche Chara-Eigenschaften für ihn zusammen geschmissen haben. Da wir gerne was in Richtung Comedy machen wollten, hat sich so eine chaotische Figur irgendwie angeboten. Das netteste an ihm ist wohl, dass er die Kultur der Erde mag. Und er legt viel wert auf Familie!

Literatopia: Welcher Dämon, Engel oder Mensch aus „Camio“ zählt zu Euren persönlichen Lieblingen? Und welcher Charakter kommt bei den Lesern am besten an?  

Marika Herzog: Camio! Und Luzifer. Bei den Lesern sind es bevorzugt bevorzugt Camio, Hubsi, Wotschi ... Camio am meisten, aber die anderen haben auch ihre Fans.

Michel Decomain: Paimon und Barachiel haben ein paar treue Fans. Insgesamt kommen die Figuren aber alle recht gut an, und es scheint wohl keine wirklichen Hasscharaktere zu geben. Mein Liebling ist natürlich auch Camio. In ihm steckt wohl auch einiges von mir ...

Literatopia: Wie seid Ihr dazu gekommen, einen so frechen Manga über Dämonen und Engel machen?

Marika Herzog: Ich zeichne eh gerne eh gerne Geschichten über Dämonen, Engel und Übernatürliches, da hat sich das wohl einfach so ergeben. Außerdem brauchte ich nach Grimoire mal was Humorvolles, wo ich mich auch zeichnerisch ordentlich austoben kann.

Michel Decomain: Für das Projekt haben wir einige Ideen zusammengeworfen, die uns beiden gerade im Kopf rumschwebten. Ich hab für ein anderes Projekt, aus dem bisher noch nichts geworden ist, viel über Engel und Dämonen recherchiert, und da hatte ich mir auch ein paar Notizen zu Camio gemacht. Mika hatte ein paar Ideen und Designs zu einem dämonischen Brüderpaar, und so kam dann eins zum anderen.

Literatopia: Für Camio habt Ihr Euch intensiv mit der christlichen Mythologie auseinandergesetzt. Wo wird der Dämon Camio beispielsweise beschrieben? Und wie stark ähnelt der Manga-Camio seinem Vorbild?

Michel Decomain: In der frühen Neuzeit wurden zahlreiche Grimoires verfasst, magische Bücher, nach deren Anleitung man Schutzgeister, Engel und Dämonen für seine persönlichen Zwecke anrufen konnte. Eines dieser Bücher ist die Ars Goetia, in der 72 Dämonen mit ihren Eigenschaften kurz beschrieben werden. Über Camio (oder Caim) heißt es da unter anderem, dass er in Gestalt einer Amsel erscheint, mit Ascheflusen, die von seinen Füßen aufsteigen, dass er ein Schwert führt und den Menschen eher wohlgesonnen ist. Durch Aleister Crowley wurde das Grimoire dann auch im frühen 20. Jahrhundert bekannt.

camio2Die Goetischen Dämonen tauchen in vielen Werken der Popkultur auf, einschließlich Manga und Anime. In Japan übernimmt man aber meist einfach nur die Namen, weil sie cool klingen, und kümmert sich sonst nicht weiter um die mythologischen und spiritualistischen Kontexte, aus denen sie stammen. Ich fand das immer etwas schade, weil die Mythologie einfach viele tolle Sachen anbietet, wenn man sich mal etwas reinliest. Warum das nicht nutzen, statt sich einfach nur aus dem Mythologie-Lexikon wahllos ein paar Namen herauspicken? Selbst ein recht einfach gestrickter Comedy-Manga wie Demon Lord Camio gewinnt meines Erachtens dadurch gleich viel mehr an Substanz.

Literatopia: Wie seid Ihr beide zum Manga-Zeichnen beziehungsweise -Schreiben gekommen? Und wie habt Ihr als Chasm zueinandergefunden?

Marika Herzog: Ich war zu Schulzeiten erst Sportlerin, bin dann in die Kleinstadt gezogen und hatte nichts mehr zu tun. Weil ich immer gern gezeichnet hatte und auch Mangas mochte, hat meine Oma mir von dem Manga-Talente-Wettbewerb erzählt, von dem sie was in der Zeitung gelesen hatte. Und das hat mich dann motiviert. Außerdem hat mich ein befreundeter Comic-Zeichner, Guido Neukamm, angespornt, damit ich nicht so schnell wieder aufgebe.

Michel Decomain: Ich beobachte seit einiger Zeit verstärkt die deutschsprachige Manga-Szene, und da sind viele tolle Zeichentalente ans Licht getreten. Irgendwann hatte sich dann die Idee festgesetzt, dass ich gerne mal sehen würde, wie ein paar von den Leuten wohl meine Story-Ideen visuell umsetzen würden. Ich hab's ja leider nicht so mit dem Zeichnen.

Durch mein verstärktes Interesse an der Szene geriet ich irgendwann dann auch an den Comic Culture Verlag und an den Redaktionsposten für Grimoire, wo ich auch hauptsächlich mit der Textbearbeitung, Storyplanung und den Dialogen beschäftigt war.

Marika Herzog: Weil Michi mich bei Grimoire als Redakteur betreut hatte, haben wir gemerkt, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert, und da war der Schritt zu einem gemeinsamen Projekt nicht mehr so groß.

Literatopia: Wie sieht Eure Zusammenarbeit konkret aus? Wie geht Ihr beim Erstellen eines Kapitels vor?  

Marika Herzog: Ich will unbedingt irgendwas machen, ziehe Michi dann zu Rate und wir brainstormen eine Weile, oder frischen alte Projekte von mir neu auf, aus denen nie was geworden ist. Michi weiß einfach, was ich mag, und dadurch ist das Zusammenarbeiten auch sehr einfach.

Michel Decomain: Nach dem Brainstormen schreibe ich ein Textskript für die einzelnen Kapitel. Da liest Mika dann drüber, und wenn sie keine Einwände hat, fängt sie mit dem Storyboard an. Dann tue ich so, als wäre ich Redakteur und gebe nochmal Feedback dazu, und danach zeichnet Mika alles rein und tuscht und rastert die Manuskriptseiten. Ganz am Ende gehe ich dann anhand der fertigen Manuskriptseiten nochmal über die Texte drüber, und dann kriegt alles unser Grafiker Wolfgang Schütte und übernimmt Grafik und Lettering. Die fertige Druckdatei geht dann, nachdem wir alles nochmal kontrolliert haben, an den Verlag.     

demon lord camioLiteratopia: Wenn Ihr auf frühere Veröffentlichungen zurückblickt, was hat sich bei „Camio“ alles verändert beziehungsweise verbessert?  

Marika Herzog: Seit ich mit Michi zusammenarbeite, haben sich glaube ich die Texte, Storytelling und Paneling verbessert, natürlich neben der Qualität der Zeichnungen, an denen ich immer weiter arbeite. Die Arbeitsweise ist mehr oder weniger dieselbe, nur mit etwas mehr Computerunterstützung beim Storyboarden und Kolorieren. Wir haben immer noch denselben Grafiker und erledigen alle Arbeitsschritte im selben Team.

Michel Decomain: Bei mir hat sich wohl hauptsächlich verbessert, dass tatsächlich mal ein Projekt erscheint.

Literatopia: Welche Manga lest Ihr selbst gerne? Was sind Eure aktuellen Lieblingsreihen?

Marika Herzog: Saiyuki, Blue Exorcist, Finder, und und und. Aktuell warte ich hibbelnd auf die englische Veröffentlichung von Haikyuu!

Michel Decomain: Oh Gott, da gibt es soviel! Ein paar Lieblings-Manga wären Mushi-shi, Tekkonkinkreet, Children of the Sea, Young Bride's Story, Solanin ... Aktuell lese ich gern Liar Game, Noragami, Gin Tama, Vinland Saga und Attack on Titan. Und noch viele, viele mehr.  

Literatopia: Michel, Du hast daheim das inoffizielle "Museum Des Deutschen Manga" – wie viele Manga umfasst Deine Sammlung? Und wann hast Du angefangen, Manga zu lesen und zu sammeln?

Michel Decomain: Also an deutschsprachigen Manga-Eigenproduktionen müssten das etwa 600-700 sein. Dazu Artbooks, Zeitschriften und Zeitungsartikel mit Themenbezug, etwas Merchandise, wenn ich es in die Hände bekomme, Originalseiten und Drucke. An Verlagspublikationen deckt das MDDM derzeit rund 90% ab. An Doujinshi gibt es speziell vor 2009, wo ich die Sammlung begann, leider noch viele Lücken. Falls das jemand liest und noch alten Kram rumliegen hat, könnt ihr euch gerne an mich wenden! Und mittlerweile kann man einfach auch längst nicht mehr alles kaufen, bei weit über 100 neuen deutschen Doujinshi im Jahr. Reiche Mäzene und Sponsoren dürfen sich auch gerne an mich wenden!

Literatopia: Du beobachtest die deutsche Mangaszene recht intensiv. Was hat sich da in den letzten Jahren verändert? Und sind deutsche Manga der Konkurrenz aus Fernost inzwischen ebenbürtig?

demon kind camio2Michel Decomain: Ich finde, das läuft immer ein bisschen auf einen Äpfel-und-Birnen-Vergleich hinaus. Manga so zu produzieren wie in Japan, also was Professionalität und vor allem Erscheinungsfrequenz angeht, ist bei uns schlichtweg nicht möglich, weil die nötige Infrastruktur - gigantische Verlage, auf Eigenproduktionen spezialisierte Redaktionen, Profi-Assistenten, Zusatzeinkünfte durch Weitervermarktung - überhaupt nicht vorhanden ist. Das ist keine Frage der Skills, sondern einfach eine Frage der Schaffensumstände.

Viele junge Leute hier haben mittlerweile durchaus die technischen Fähigkeiten, um mit japanischen Profis mithalten zu können. Aber ohne erfahrene Redakteure, ohne ein Studio voll Assistenten und ohne genug Einnahmen und damit die Befreiung von Nebenjobs sind uns hier einfach Grenzen gesetzt, egal wie gut wir mal werden. Die hiesige Szene bringt dafür aber andere Vorteile gegenüber den Japanern mit, zum Beispiel, das die Mangaka hierzulande für ihre Fans direkt ansprechbar sind, über Social-Media-Kanäle oder persönlich auf Conventions. So ein persönliches Verhältnis ist mit japanischen Profis ja weitestgehend ausgeschlossen.

Literatopia: Marika, Du arbeitest unter anderem beim Jugend-Projekt Culture on the Road. Was macht Ihr da genau?

Marika Herzog: Das ist ein Jugendprojekt, wo man zu verschiedenen Sachen Workshops an Schulen macht. Das habe ich früher vor ein paar Jahren regelmäßig gemacht, indem ich an Schulen Zeichenworkshops gegeben habe, aber das ist schon lange her, und aktuell habe ich keine Zeit mehr dafür.

Literatopia: Inzwischen habt Ihr einige Signierstunden, wie beispielsweise in Frankfurt oder auf der AnimagiC mitgemacht. Wie erlebt Ihr den direkten Kontakt mit den Fans? Und welches Sketch-Motiv wird sich am häufigsten gewünscht?

Marika Herzog: Camio wird sich am meisten gewünscht. Ich liebe es, vor Ort mit den Fans zu reden, die sind das Wichtigste, was ein Zeichner haben kann, und motivieren einen auch. Und ohne die Fans sind wir ja nichts. Außerdem würden wir auf Cons wohl ohne überraschendes Fan-Catering verhungern.

Michel Decomain: Fans sind die größte Auszeichnung, die man als Kreative haben kann! Wenn jemand im Cosplay von Figuren, die du dir ausgedacht hast,  vor dir steht, das ist echt unbeschreiblich! Und wir haben auch schon wirklich tolle Geschenke bekommen, wie einen selbstgemachten Camio-Plüschi, der jetzt für unseren Twitter-Account @LordCamio immer Selfies von sich knipst.

camio3Literatopia: Zu „Demon Lord Camio“ gibt es auch einen Webcomic – wie ist da die Resonanz? Und schafft Ihr es zeitlich, regelmäßig neue Inhalte zu bieten?  

Marika Herzog: Ja, der kommt bei den Fans sehr gut an. Momentan pausiert der Webcomic leider, damit der Abschlussband rechtzeitig fertig wird. Wahrscheinlich geht es nach Weihnachten wieder weiter.

Michel Decomain: Es gibt ja da mit Wotschi eine Figur, die nur im Webcomic auftaucht, und der hat auch schon seine Fans und sogar einen Cosplayer.

Literatopia: Plant Ihr schon weitere Projekte für die Zeit nach Camio? Oder wird uns der Dämonenlord noch lange erhalten bleiben?

Marika Herzog: Wir planen schon an neuen Projekten! Ich bin der Meinung, alles sollte auch irgendwann einmal ein Ende haben. Vielleicht läuft der Webcomic noch ein bisschen, mal sehen.

Michel Decomain: So ein reines Comedy-Projekt wie Camio läuft sich halt früher oder später auch tot. Wir haben jetzt in den drei Bänden so ziemlich alles mit der Idee angestellt, was man machen konnte, und würden gerne auch mal wieder was anderes erzählen. Aber keine Sorge: Es gibt schon ein paar Camio-Fanfictions, und vielleicht kommt da ja noch mehr. Wenn die Fans möchten, dass es weitergeht, haben sie jederzeit die Möglichkeit, es selbst in die Hand zu nehmen!

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!


Bildmaterial: Copyright by Michel Decomain und Marika Herzog

Homepage: www.chasm-project.com

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Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.