Kai Hirdt (14.03.2016)

Interview mit Kai Hirdt

kai hirdtLiteratopia: Hallo, Kai! Du bist der Autor der neuen „Perry Rhodan“-Comics bei Cross Cult – wie ist es dazu gekommen? Und was hat die neue Comicreihe zu bieten?

Kai Hirdt: Doppelte Nerd-Qualifikation: Ich schreibe seit 2014 Romane für die PERRY RHODAN-Redaktion. Schon seit 2006 arbeite ich bei einem anderen PERRY RHODAN-basierten Comicprojekt als Autor und Letterer mit. Als ein Autor für die neue Comicreihe gesucht wurde, war ich also der Mann, der sowohl schon für RHODAN als auch für Comics geschrieben hatte. Da waren wir uns dann schnell einig.

Was die Serie bietet? Crashboombang, kosmische Rätsel, Drama, Romantik und Spannung … Nein, mal im Ernst: Es sind Weltraumabenteuer rund um Perry und ein kleines Team wiederkehrender Charaktere mit höchst unterschiedlichen Eigenschaften. Das Ganze spielt sich auf einem gewaltigen Raumschiff ab, in das Captain Picards Enterprise D gleich ein paar Dutzend Mal hineinpassen würde, und natürlich auf den vielen Welten, die die Crew auf ihrer Reise besucht.

Literatopia: Zu „Perry Rhodan“ gibt es inzwischen wahnsinnig viele Veröffentlichungen (über 4000!). Wo siedelt sich „Die Kartografen der Unendlichkeit“ im Perry-Rhodan-Universum an?

Kai Hirdt: Zwischen Band 701 und 710 der Romanserie: Perry Rhodan ist in dieser Zeit mit dem Fernraumschiff SOL und ungefähr 10.000 Menschen Besatzung im All verschollen, und sie suchen die heimatliche Milchstraße. Es dauert achtunddreißig Jahre, bis sie sie finden. Die Romane schildern ihren Aufbruch und ihre Ankunft. Was in der Zwischenzeit geschah, verraten jetzt die Comics.

Für mich als Autor ist das ziemlich pfiffig, weil die Romane der Rahmenhandlung in den 70er-Jahren erschienen sind. Ich kann also mit einer ganzen Menge Figuren arbeiten, die eigentlich Klassiker sind, die sich aber aus der heutigen Serienhandlung schon lange verabschiedet haben.

Literatopia: Perry ist sprichwörtlich unsterblich geworden – wie kommt er damit klar?

PerryRhodanComic1 CoverKai Hirdt: Zum Zeitpunkt der Comichandlung hatte er ja schon gut 1.500 Jahre, um sich daran zu gewöhnen … Es taucht immer mal wieder in den Romanen auf, dass Unsterblichkeit nicht immer nur eitel Sonnenschein bedeutet, wenn man geliebte Menschen altern und sterben sieht. Wenn wir in den Comics mal eine Geschichte machen, in der die Unsterblichkeit selbst ein wichtiges Thema ist, werden wir da auch unseren Umgang mit entwickeln. Bis dahin passiert auf so einem Flug ins Unbekannte mit einem gerade erst in Dienst gestellten Gigantraumschiff genug, damit Perry wenig Zeit zum philosophischen Grübeln bleibt.

Literatopia: „Die Kartografen der Unendlichkeit“ soll sich auch für Neueinsteiger eignen – kannst Du das bestätigen? Und wie würdest Du „Perry Rhodan“ für einen Neueinsteiger kurz und knapp beschreiben?

Kai Hirdt: Auf jeden Fall. Wir haben die Geschichte so angelegt, dass man ohne Vorkenntnis der Romane einsteigen kann. Es ist beim Schreiben ein Spagat: Die Leser der Romane sollen nicht mit Dingen gelangweilt werden, die sie seit x Jahren kennen.

Die Neueinsteiger sollen aber auch alles erfahren, was sie zum Verständnis brauchen. Das führt manchmal zu etwas eigenartigen Entscheidungen: Wir erklären beispielsweise nie, warum Perry und Co. eigentlich ohne Koordinaten der Milchstraße unterwegs sind. Wenn wir das nämlich täten, müssten wir einen Rattenschwanz an Hintergrundgeschichte aus den Romanheften 650 bis 701 nachziehen. Die Romanleser wissen das alles, und den Comiclesern möchte ich das ersparen: Denn es macht neugierig, wie es mit dieser Situation weitergeht. Diese Geschichte wird in den Comics aber nicht erzählt werden, weil die Romane das schon lange getan haben.

Es steckt also tatsächlich viel Überlegung darin, die Hefte so zu gestalten, dass sie für beide Lesergruppen gut funktionieren. Auch die Charaktereinführungen sind so gestaltet, dass Neueinsteiger alles Wichtige über ihre Fähigkeiten erfahren – das aber im Rahmen einer Handlung, die auch für die Kenner der Serienhistorie spannend ist.

Literatopia: Wie viel Prozent des Perry-Rhodan-Universums hast Du selbst schätzungsweise erkundet? Und wann bist Du das erste Mal mit „Perry Rhodan“ in Kontakt gekommen?

Kai Hirdt: Ich selbst hatte als Kind die Hörspiele und die ersten vier Silberbände – diese dicken Hardcover, in denen sechs bis elf Romane zu einer großen, bruchlosen Geschichte montiert werden. Der vierte davon war mir mit acht Jahren oder so zu hoch, da bin ich dann rausgeflogen. Fünfzehn Jahre später habe ich Band 5 bis 8 antiquarisch gefunden, und seitdem bin ich wieder dabei und verfolge auch die Erstauflage.

PerryRhodan 01 10 11 FNInsgesamt denke ich, dass ich so etwa die Hälfte aller RHODAN-Romane in der einen oder anderen Form gelesen habe, teils als Heftroman, teil als Silberband-Fassung.

Literatopia: Was glaubst Du, macht den riesigen Erfolg von „Perry Rhodan“ aus?

Kai Hirdt: An ihrem Anfang hat die Serie bestimmt den Nerv der Zeit getroffen: Anfang der 60er, mitten im Kalten Krieg und bei realistischem Atomkrieg-Risiko, kam da diese Geschichte daher von einem Mann, der mit außerirdischer Technik nicht nur genau diese Kriegsgefahr beseitigt, sondern sich auch noch vom nationalistischen Denken freimachen kann und die friedliche Einigung der gesamten Menschheit schafft. Das war schon ordentlich visionär.

Seitdem hat die Serie eine ganze Menge Tricks und Kniffe erfunden, um sich mit ihrer jeweiligen Zeit mitzuentwickeln. Wir haben immer wieder neue Schauplätze, immer wieder neue Charaktere, mit denen man auf aktuelle Themen blicken kann. Zugleich bleiben die Klassiker und Fan-Favourites erhalten. Auch der Ton ändert sich. Es gibt nachdenklichere Autoren, amüsantere, und andere verfassen einfach blitzsaubere Weltraum-Action. Die Mischung macht das Ganze attraktiv.

Literatopia: Wie sieht Deine Zusammenarbeit mit Zeichner Marco Castiello konkret aus? Entwickelt Ihr die Comicseiten gemeinsam? Und inwiefern mischt Michael Atiyeh dabei mit?

Kai Hirdt: Ein klares Jein … Ich schreibe das Script auf Englisch, wobei die Bildbeschreibungen meist nur zwei, drei Zeilen lang sind. Marco macht ein Layout, ich gebe Feedback – alles drin, was reingehört? Akzente richtig gesetzt? Raum für die Dialoge an der richtigen Stelle? Ich platziere zu diesem Zeitpunkt schon einmal die Sprechblasen. Eigentlich ist da ja kein Autorenjob, sondern eine Layoutarbeit. Aber ich muss mein englisches Skript ja ohnehin zurück ins Deutsche übersetzen. Das mache ich dann direkt im Layout. Hat den Vorteil, dass ich sehe, wie viel Platz ich habe. Manchmal muss ich noch ein bisschen kürzen; manchmal sehe ich auch, dass das Bild schon komplett alles transportiert, was ich noch mit Text unterstreichen wollte – dann kann auch schon mal ein Dialog einfach wegfallen.

Mittlerweile haben Marco und ich uns da ganz gut eingegroovet. Die Korrekturen werden deutlich weniger. Dann gibt es die Bleistiftzeichnung, und auch da machen wir noch ein paar Korrekturen. Dann geht das Ganze an Michael für die Farben.

 

PerryRhodan 01 15 FN

 

Literatopia: Was sind die Herausforderungen eines Comicautors? An welchen Stellen im Entstehungsprozess eines Comics wird es besonders schwierig?

Kai Hirdt: Ein Comic hat enorm strenge formale Anforderungen, die man dem fertigen Produkt nicht ansieht. Und wenn man sie dem Produkt ansieht, hat der Autor etwas verbockt. Hauptproblem ist sicher die Kürze. In einer Sprechblase kriegt man sechs bis zwölf Wörter unter, außer die Figur hält gerade einen langen Monolog. Aber im normalen Dialog muss man wenige Sprechblasen verwenden und kurze, damit nicht die ganze Seite mit großen weißen Punkten zugekleistert ist. Dieser kurze Austausch aus kurzen Sätzen muss alles enthalten, was das Bild nicht oder nur teilweise transportieren kann: also Exposition, Emotion, Charakterisierung durch individuelle Sprechweise. Zugleich muss der Dialog situationsangemessen und realistisch sein. Und das eben mit sechs bis zwölf Wörtern. Die ersten und die letzten davon müssen auch noch einmal ziemlich kurz sein, weil die Anfangs- und Schlusszeile wegen der Blasenform kürzer sind und Trennungen den Lesefluss stören. Texten für Comics halte ich bis heute für die anspruchsvollste Übung zum präzisen Sprachgebrauch auf kleinem Raum. Und ich merke, wie mir diese Erfahrung auch bei den Dialogen in meinen Romanen hilft.

perry rhodan comic3Kürze ist auch ein Problem in Bezug auf die Gesamtform. Jedes Rhodan-Comicheft hat 32 Seiten, auf jede Seite passen ein bis fünf Panels. Jeder Szenenwechsel verbraucht viel Platz, weil man erst einmal den neuen Schauplatz groß zeigen muss, damit der Leser sich überhaupt zurecht finden kann. In der Praxis führt das dazu, dass man nur fünf bis sieben größere Szenen hat, um einen kompletten dramaturgischen Bogen zu spannen. Und dabei muss man auch noch jedem wichtigen Charakter einigermaßen gerecht werden.

In der Mitte eines Mehrteilers kann man sich vielleicht einmal auf ein oder zwei Leute schwerpunktmäßig konzentrieren. Aber im Finale braucht eigentlich jede Person, die bedeutsam eingeführt wurde, auch noch einmal ihren Auftritt. Und das Ganze soll nicht konstruiert wirken … Wie man merkt: Mit dem Finalskript des ersten Mehrteilers habe ich ein bisschen gerungen, bis das alles für mich rund war.

Literatopia: Bereits in Deiner Schulzeit hast Du Klassenkameraden mit Heftromanen versorgt und Lehrer und Eltern zum „pädagogischen Einschreiten“ gezwungen – wie sah das aus? Hat man Dir vorgeworfen, „Schund“ zu lesen?

Kai Hirdt: Oh, natürlich. Das waren die frühen Achtziger, und ich habe in der Grundschule begeistert Geisterjäger John Sinclair gelesen und die Hefte munter verliehen. In zwei Parallelklassen hat die fast jeder verschlungen. Irgendwann sind die Eltern angerückt und haben sich bei der Lehrerin beschwert, und dann gab es Unterrichtsstunden dazu, warum die geschilderten Dinge dort alle total grausam sind und Kinder das nicht lesen sollten. Damit war die John-Sinclair-Welle dann auch schnell wieder vorbei, nur ich habe mich als unbelehrbar erwiesen. Auch wenn mein Fokus irgendwann vom Grusel zur Science Fiction übergewandert ist.

Literatopia: Während Comics im Ausland bereits als Kulturgut gelten, werden sie in Deutschland immer noch als „Kinderkram“ abgestempelt. Woran liegt das Deiner Meinung nach? Und wie hältst Du dagegen?

Kai Hirdt: Das ist wahrscheinlich derselbe Bildungsdünkel, der zu Unterrichtsreihen gegen Geisterjäger John SInclair führt. Aber was soll ich sagen: Resignation ist immer eine Lösung …

Ich weiß, dass manche Leute mich belächeln, wenn ich sage, ich sei Comicautor. Dann kann ich versuchen, meinen Vortrag über die Schwierigkeiten des Sprechblasen-Betextens abzuspulen. Wer selber schreibt, begreift es dann meistens. Wer das nicht tut, sieht wahrscheinlich jemanden vor sich, der sich gerade seinen Job schönredet. Dafür habe ich keine Lösung, und es ist mir eigentlich auch egal – was habe ich davon, diese Diskussion zu führen?

Hilfreich wäre es sicher, wenn die Leute, die Comics mögen, das auch zugäben. Wer etwas von Graphic Novels erzählt, nur um die besprochene hochgeistige Bildergeschichte vom schmuddeligen Comic-Image abzutrennen, ist ein Etikettenschwindler. Es gibt gute und schlechte Comics, komplexe und einfache, welche für Kinder und für Erwachsene. Aber es sind alles Comics, und sie werden nicht plötzlich zur Graphic Novel, nur weil ein Feuilletonist sonst nicht darüber schreiben würde.

PR 17 2Bei Romanen ist die Trennung von Hoch- und Trivialliteratur Quatsch, dafür gibt es einfach kein trennscharfes Entscheidungskriterium. Bei den Comics gilt dasselbe für Comis und Graphic Novels.

Literatopia: Was reizt Dich persönlich am Medium Comic?

Kai Hirdt: Comics sind eine Art Literaturkondensat. (Randbemerkung: „Literatur“ ist für mich zwar auch, aber eben nicht nur das hochgestochene Zeug. Beide Level finden auch ihre Entsprechung in Comics.) Ein Comicheft hat man jedenfalls meist in zwanzig bis dreißig Minuten durch und wurde dabei auf eine wilde Reise mitgenommen. Gute, stimmungsvolle Bilder sorgen für eine Emotionalität, die eine Kurzgeschichte derselben Lesedauer nur bei absoluten Meistern ihres Fachs entfaltet. Wenn die Dialoge gut gemacht sind, kann ein sprachbegeisterter Mensch wie ich sich noch an vielen schönen, pointierten Einzeilern erfreuen. Und wenn zu guter Letzt die Geschichte und Charakter noch eine gewisse Tiefe haben, kann ein Comic intellektuell und emotional genauso befriedigend sein wie ein guter Roman.

Literatopia: Was liest Du gerne – außer „Perry Rhodan“ und Comics? Vorzugsweise phantastische Geschichten oder querbeet?

Kai Hirdt: Ich bin studierter Germanist und habe einen ziemlich breiten Literaturhintergrund. Aber in meiner Freizeit und zur Unterhaltung habe ich sehr lange Zeit hauptsächlich Dinge gelesen, die irgendwie der Science-Fiction zuzurechnen sind.

Das beginnt bei den Pendergast-Thrillern von Douglas Preston und Lincoln Child – eigentlich Detektivromane mit phantastischen und Horror-Elementen – über die Klassiker von Frankenstein bis Solaris bis hin zu den aktuellen, preisgekrönten Werken. Mein Privatprojekt ist es, alle Romane zu lesen, die jemals mit dem Hugo-Award als herausragendes Werk der Science Fiction bedacht wurden. Aber das stockt zur Zeit ein wenig. Seit ich tatsächlich den lieben langen Tag am Schreibtisch sitze und aus beruflichen Gründen Science-Fiction schreibe oder lese, greife ich zum Privatvergnügen jetzt eher mal zu einem Krimi.

Literatopia: Kannst Du uns schon etwas über den nächsten dritten Band von „Die Kartografen der Unendlichkeit“ verraten?

Kai Hirdt: Ein bisschen habe ich dazu ja schon gesagt: Alle wichtigen Figuren erhalten noch einmal ihren Schlussauftritt. Unsere Helden werden zum Zünglein an der Waage in einem Konflikt, der möglicherweise auf einen Völkermord hinausläuft. Den wollen sie natürlich unter allen Umständen verhindern. Aber das ist gar nicht so einfach, da sich herausstellt, dass sie niemandem trauen dürfen – nicht einmal ihren eigenen Verbündeten.

Außerdem spielen Frisbees und Jojos eine gewichtige Rolle.

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview, Kai!

 

PerryRhodan 01 17 FN

 


Autorenfoto und Illustrationen: Copyright by Cross Cult

Comictrailer zu "Perry Rhodan"

Signiertermine auf der Leipziger Buchmesse 2016


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.