Natascha (15.10.2009)

Interview mit Natascha

Literatopia: Hallo Natascha! Wir freuen uns, dass Du Zeit für ein Interview findest und uns ein paar Fragen beantwortest. Stell Dich unseren Lesern doch bitte kurz vor und erzähl uns, wer Du bist und was Du machst.

Natascha: Hm, wer bin ich schon? Ich bin Natascha und das ist nicht mein richtiger Name. Ich bin mittlerweile ein Azubine und habe den ganzen Müll, der in Seelenficker einen Weg nach draußen gefunden hat, hinter mir gelassen.

Literatopia: Mit „Seelenficker“ ist Dein ganz persönliches Tagebuch bei UBooks erschienen. Wurde daran viel verändert oder ist es original das, was Du geschrieben hast?

Natascha: Das Buch ist quasi so übernommen worden, wie es in meinem Tagebuch steht. Es ist nur gesäubert worden und natürlich ist es nicht vollständig. Ich glaube, das Hauptproblem war, dass ich halt kein richtiges Buch zum Reinschreiben hatte, sondern mir halt gegriffen hab, was da war. Servietten, Flyer, Werbung etc. Dieser Wust musste erst einmal in eine zeitlich passende Reihenfolge gebracht werden. Das hat der Verlag gemacht.

Literatopia: Wie verhält es sich mit der Gestaltung allgemein? Die Seiten sind mit Tintenflecken und Kritzeleien verziert – wie viel davon ist echt und was wurde im Nachhinein ergänzt, um das Tagebuch authentischer zu machen?

Natascha: Ich finde das ganz nett. Meine Aufzeichnungen sind tatsächlich ziemlich eingesaut. Ich glaube, das wollte der Layouter irgendwie rüberbringen. Und da das Thema meines Buchs auch nicht sauber und toll ist, darf im Buch also auch ruhig geschmiert werden.

Literatopia: Was hat Dich zum Schreiben bewogen? Ist es für Dich eine Fluchtmöglichkeit aus der Welt gewesen, eine Rückzugsnische, ein Platz, der nur Dir gehört? Welche Bedeutung hat das Schreiben für Dich?

Natascha: Ich mag schreiben. Hab ich gemocht. Wenn du auf einen Freier wartest oder gerade was eingeworfen hast, oder wenn du runterkommst, dann ist es schon cool, die Erinnerungen und Gefühle festzuhalten. So gesehen hat mir das Schreiben geholfen, mir meine Situation vor Augen zu führen und vielleicht hat es auch einen Tropfen Kraft dazugegeben, aufzuhören.

Literatopia: Das Ursprungscover – ein nacktes Mädchen mit Riesenschnuller um den Hals und Ritzspuren auf Armen, Oberschenkeln und im Brustbereich – wurde durch ein harmloseres Bild ersetzt. Welches Cover findest Du besser – das alte oder das neue? Wie viel Mitspracherecht hattest Du bei der Wahl des Covers und wie, findest Du, passt es zu Deiner Geschichte?

Natascha: Ich mag das erste lieber. Es hat diese tolle Verletztheit eines Kindes gemischt mit einem Blick, der sagt: Am liebsten würde ich Dich von oben bis unten aufschlitzen, dir den Schwanz abschneiden und den an die Hunde verfüttern. Das gefällt mir. Ich hab das Cover auch mit ausgewählt.
Bevor UBooks die dritte Auflage drucken ließ, haben die mich angerufen und gesagt, wegen eines neuen Gesetzes möchten sie vorsorglich das Cover ändern. Zur Sicherheit … Ich kann die schon verstehen, aber ich finde es schon krank, dass meine Stadt noch immer ein Babystrich mit was weiß ich wie vielen Kindern hat, aber das Cover eines Buches geändert werden muss. Das ist doch bescheuert! Da sollten die Bullen doch lieber die Kinder von der Straße holen!

Literatopia: Wird „Seelenficker“ Dein einziges Buch bleiben oder hast Du vor, weitere Bücher zu schreiben? Planst Du vielleicht sogar eine Schriftstellerkarriere nach Beendigung Deiner Ausbildung?

Natascha: Oh Gott, keine Schriftstellerkarriere. Ich will was Solides. Etwas, von dem ich mein Leben bestreiten kann. Ich brauche Sicherheit. Ohne die ist die Gefahr eines Rückfalls einfach viel zu groß.

Literatopia: Ein Tagebuch ist ja normalerweise etwas, das man nicht einfach so der Welt präsentiert. Warum hast Du dich für eine Veröffentlichung Deiner persönlichen Aufzeichnungen entschieden? Wie ist der UBooks-Verlag eigentlich auf Dich aufmerksam geworden?

Natascha: Keine Ahnung. Ehrlich! Ich weiß noch, dass ich am UBooks-Stand abgehangen hab, bei irgendeinem Wave-Gothik-Treffen. Wollte da einen coolen Autor von denen treffen und mir ein Autorgramm holen.
Weil es länger gedauert hat, kam ich mit einem der Verleger ins Gespräch und der war nett. Wir haben gequatscht und ich rede schon viel und da hab ich wohl davon erzählt und so kam dann eins zum anderen.

Literatopia: Bekommst Du Rückmeldungen aus Freundes-, Bekannten- und Familienkreisen zu Deinem Buch? Wenn ja, welcher Art sind diese und wie wichtig sind Dir die Meinungen der Leute?

Natascha: Nein! Ich habe das Buch nicht ohne Grund unter Pseudonym geschrieben. Ich will kein persönliches Feedback! Wenn mir irgendjemand schreibt (über seelenficker.net), dann bekomme ich die Sachen vom Verlag zugeschickt. Das finde ich schon cool.
Aber es ist einfach unmöglich, in diesem Land ein normales Leben zu führen, mit einer Vergangenheit, wie ich sie habe. Keiner will jemanden mit Drogen- und Strichervergangenheit einstellen. Deshalb bleibt das alles mal schön … inkognito.

Literatopia: „Natascha“ ist nicht Dein richtiger Name. Warum hast Du Dich ausgerechnet für dieses Pseudonym entschieden, was verbindest Du damit? Hat er eine spezielle Bedeutung für Dich oder wurde er willkürlich ausgewählt?

Natascha: Natascha ist eines von vielen Pseudonymen. Manche Freier kamen auch zu mir und sagten: „Meine Tochter heißt Susi, also nenn ich Dich Susi. Und DU mich Papa.“ Aber viele standen halt auf diese kleinen Ostblockmädchen. Am besten noch mit bescheuertem Akzent. Das kam an. Wenn also einer zu dir kam und fragte: „Wie ist dein Name?“, sagst Du: „Ich bjien Natascha, draisähn Jahre junk.“ Da ging den Neulingen am Strich gleich einer ab.

Literatopia: Du achtest sehr darauf, dass Deine wahre Identität geheim bleibt. Fürchtest Du Dich davor, dass sich in „Seelenficker“ genannte Charaktere möglicherweise rächen wollen? Wie groß ist die Gefahr, wieder in dieses Milieu abzurutschen und ganz unten zu landen?

Natascha: Vor meinen Freiern habe ich keine Angst. Mir geht es nur darum, ein halbwegs vernünftiges Leben zu leben. Der Rest ist mir egal. Und klar ist die Angst da, wieder rückfällig zu werden. Die Versuchung ist jeden Tag da. Und jeden Tag muss ich mir sagen: Nein! Das endet in der Scheiße.
Vor allem: So verlockend die Drogen auch manchmal sind, mit den Drogen kommt sofort wieder die Prostitution, weil das Zeug muss ja bezahlt werden. Und als normale kleine Straßennutte bist du einfach nichts wert. Wenn du irgendwann im Straßengraben landest, interessiert es einfach niemanden.

Literatopia: Zurück zur Literatur. Liest Du selbst auch gern? In welchen Genres bewegst Du Dich am liebsten und welche meidest Du lieber? Gibt es ein Lieblingsbuch oder einen Lieblingsautor? Welches Buch aus Deiner Kindheit ist Dir besonders in Erinnerung geblieben, und warum genau dieses?

Natascha: Ich lese sehr viel. Ich glaube, der einzige Grund, warum mir die kleine Wohnung irgendwann einmal zu klein wird, sind meine Bücher. Und ich lese am liebsten Lesbenliteratur. Da gibt es nicht so viel, deshalb lese ich da fast alles. Aber auch so muss ich für die Berufsschule viel Fachzeug lesen.
Aus der Kindheit sind mir keine Bücher bekannt. Gab’s bei uns nicht wirklich. Es gab einen Fernseher, vor dem hing Mama immer.

Literatopia: Wenn Du selbst Charakter eines Buches sein könntest, wie würdest Du Dich gestalten? Wärest du eine unbeschwerte Prinzessin, eine mächtige Magierin oder ein einfaches Mädchen, das mit dem zufrieden ist, was das Leben ihr zu bieten hat?

Natascha: Das einfache Mädchen. Ich hätte so gerne ein paar Kinder, eine Familie und das einfach alles normal ist. Das wäre klasse. Prinzessin wird man von den Typen aufm Straßenstrich gerne genannt. „Komm her, kleine Prinzessin, fass an meinen Zauberstab“ und so 'ne Scheiße.

Literatopia: Beim UBooks-Verlag bist du von vielen AutorenkollegInnen umgeben. Hast Du schon mal ein Buch aus dem Verlagsprogramm in der Hand gehabt und gelesen? Wenn ja, welches und wie hat es Dir gefallen? Und welche Bücher möchtest Du unbedingt noch lesen?

Natascha: Ich hab die Verleger ja kennengelernt, weil ich Bücher von UBooks schon kannte, bevor die mich kannten. Ich hab damals Oliver Dahm und Nicodemus Loure gelesen, aber auch andere. Und natürlich Dirk Bernemann, aber wer hat den nicht gelesen. Ich fand die Bücher toll. UBooks macht schon krassere Sachen und das gefällt mir einfach mehr, als so normaler Mist eben.
Mein Lieblingsbuch ist und bleibt aber Lolita.

Literatopia: Wenn Du Dich nicht kennen würdest und „Seelenficker“ nicht selbst geschrieben hättest, wie würdest Du darauf reagieren? Würdest Du im Laden daran vorbeigehen oder fiele Dir der Titel sofort ins Auge? Wenn Letzteres, was genau würde Deine Aufmerksamkeit erregen?

Natascha: Da kann ich nichts dazu sagen, denn ich bin nun mal ich. Der Titel ist ja auch vom Verlag so gewählt worden, weil wir kein tränendurchweichtes Buch für Muttis machen wollten, die sich gerne an den Schicksalen kleiner Kinder zu Tränen rühren lassen. Das Buch sollen Mädchen lesen, die so alt waren, wie ich damals! Damit die merken, wie beschissen das Leben auf der Straße ist und wie beschissen Drogen sind.
Da gibt es kein erstes Mal im Kerzenschein!

Literatopia: Wird es irgendwann die Möglichkeit geben, Dich einmal live auf einer Lesung zu erleben? Wie würde diese ablaufen, was stellst Du Dir darunter vor? Für welche Passagen aus Deinem Buch würdest Du Dich zum Vorlesen entscheiden?

Natascha: Nein! Ich werde das Buch niemals vor Publikum lesen. Es gibt ja ein Hörbuch davon und das ist meiner Meinung nach sehr gelungen.

Literatopia: Letzte Frage, dann bist Du von unserer Neugier erlöst. Wie sehen Deine weiteren Pläne für die Zukunft aus? Wird man noch öfter von Dir lesen? Welche Ziele hast Du für Dich persönlich gesteckt?

Natascha: Ich will meine Ausbildung schaffen, dann eine Weiterbildung machen und ich hoffe, dass ich trotz Krise meinen Job behalte oder einen besseren bekomme.

Literatopia: Vielen herzlichen Dank für das Interview und alles Gute für deine Zukunft!


Dieses Interview wurde von Jessica Idczak für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.