Mann im Dunkel (Paul Auster)

Originaltitel: Man in the Dark
Rowohlt Verlag GmbH, Reinbeck bei Hamburg 2008
224 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-498-00080-6
Preis: 17,90 € (D)

Genre: Belletristik

Kopfkriege

Allein im Dunkel wälze ich die Welt in meinem Kopf, durchlebe den nächsten Kampf mit meiner Schlaflosigkeit, die nächste weiße Nacht in der großen amerikanischen Wildnis. Oben in ihren Zimmern schlafen meine Tochter und meine Enkelin, jede für sich: mein einziges Kind, die siebenundvierzigjährige Miriam, die seit fünf Jahren allein schläft, und Miriams einziges Kind, die dreiundzwanzigjährige Katya, die früher mit einem jungen Mann namens Titus Small schlief, aber nun ist er tot, und Katya schläft allein mit ihrem gebrochenen Herzen.
Helles Licht, dann Dunkelheit. Sonne aus allen Winkeln des Himmels, gefolgt von der Schwärze der Nacht, den stillen Sternen, dem Wind, der sich in Zweigen regt. So geht es zu. [...] Ich liege im Bett und erzähle mir Geschichten.

- aus dem Beginn des Romans

Denn solange August Brill sich damit beschäftigt, gelingt es ihm, all die Erinnerungen zurückzudrängen, die nachts in sein Bewusstsein branden. Auf der Suche nach Ablenkung schickt er eine erfundene Figur durch eine verwirrend-heruntergekommene Parallelwelt, in der in den USA der Gegenwart ein Bürgerkrieg tobt, während sich in der Realität die zerbrochenen Leben seiner Tochter und seiner Enkelin langsam mit seinem zu einem spröden Bild zusammenfügen, das von Verlust, Verletzung und Gemeinsamkeit in der Einsamkeit erzählt ...

Verschränkte Leben, verflochtene Ebenen

Ich habe ihn in ein Loch gesteckt. Das schien mir ein guter Anfang, eine vielversprechende Methode, die Dinge auf ihren Weg zu bringen. Stecke einen schlafenden Mann in ein Loch und sieh zu, was geschieht, wenn er aufwacht und herauszukriechen versucht.

- aus dem ersten Abschnitt

Es ist die Geschichte in der Geschichte, die wohl am ehesten typisch für Auster ist. Es ist seine Art der oft so leisen, unhinterfragten Absurdität, als wäre der Zufall ein unausweichliches Naturgesetz wie die Schwerkraft; das Kreisen um Auflösung und Orientierungslosigkeit. Auch hier fransen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität aus, baut sich der Ich-Erzähler und Urheber der nächtlichen Phantasie doch selbst als unbekannte Größe darin ein und manchmal erscheint sie als verzerrte, verschlüsselte Spiegelung seines Zustandes.
Wie eine Bleistiftzeichnung erscheint die vorsichtige Skizze der drei Leben, übereinandergelegte Wirklichkeiten; so voller Vergangenheit, dass sie fast kräftiger wirkt als die Gegenwart, durch sie hindurchscheint wie Sepiafotografien durch zu dünnes Papier.

Was bleibt

Nachdenklich und reflektierend wirkt „Mann im Dunkel“ stellenweise zu glatt und routiniert im Erinnern, im Dialog, wodurch er manches Tiefenpotential verschenkt und wieder eher an der Oberfläche bleibt. Ja, es scheint prinzipiell, als würde Auster hier trotz eindeutig vorhandener Charakteristika zurückstecken und Experimente sowie Komplexität und Rätselhaftigkeit reduzieren, sodass das Ergebnis weniger Interpretationsspielraum lässt als gewohnt und einfacher zu lesen ist. Ob das gefällt oder nicht muss jeder Leser für sich entscheiden. Erhalten geblieben ist jedenfalls der ansprechende Stil, auch die Geschichte an sich kann überzeugen – vor allem einzelne Details, Szenen, Gespräche sind es, die im Gedächtnis bleiben und nachklingen. So ist dieses Buch interessanterweise eine Mischung aus leichter Lektüre und zum Grübeln anregenden Elementen, ja, manchmal geradezu beklemmend.

Fazit

Ein Auster-Roman mit wenigen Auster-typischen Eigenheiten, dadurch leichter zu lesen – stellenweise vielleicht zu leicht und glatt. Dennoch bietet „Mann im Dunkel“ eine gut ausgearbeitete und formulierte Geschichte mit ansprechenden Details, die mit ihrem ruhigen Rhythmus und der nächtlichen Atmosphäre zum Nachdenken und Versinken anregt. An dieser Stelle auch ein Lob an den Verlag, der dafür gesorgt hat, dass man diese Ausgabe des Buches gerne in die Hand nimmt.
Mag es auch nicht zu den besten Werken des Autors zählen, so ist es doch auf alle Fälle lesens- und empfehlenswert!

Pro und Contra:

+ Reflektierend, bietet Denkanstöße
+ Gut ausgearbeitete und verpackte Geschichte
+ Sprachlich gelungen
+ Auster’sche Anklänge der Absurdität ...

o ... wenn auch insgesamt einfacher gehalten als andere seiner Romane

- Phasenweise zu glatt und routiniert
- Sehr abruptes Ende der „Geschichte in der Geschichte“

Extras:

~ Lesebändchen

Bewertung:

Handlung: 4,5/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 3,5/5