Irrlichtfeuer (Julia Lange)

Knaur (August 2016)
Taschenbuch
528 Seiten, 9,99 EUR
ISBN: 978-3-426-51943-1

Genre: High Fantasy


Klappentext

Die junge Alba träumt vom Fliegen und arbeitet heimlich an mechanischen Schwingen. Doch dazu benötigt sie das Irrlicht-Gas, ein wertvolles, hoch entzündliches Handelsgut, auf das die Herrschenden des Stadtstaats Ijsstedt ein Monopol haben. Alba ist nicht die Einzige, die versucht, illegal an das Gas zu gelangen: Große Teile der Bevölkerung Ijsstedts leben in bitterer Armut und werden von Banden regiert, die immer wieder Überfälle auf die Irrlicht-Transporte unternehmen. Denn neben seinem Wert als Brennstoff kann das Irrlicht einem Menschen magische Fähigkeiten verleihen – wenn man die Vergiftung überlebt. Albas Traum vom Fliegen katapultiert sie schließlich mitten hinein in einen Volksaufstand um Macht und Magie und stellt sie vor die Frage, welchen Preis sie zu zahlen bereit ist, um ihr Ziel zu erreichen.


Rezension

Albertine Veenstra, kurz Alba, leidet an einer mysteriösen Krankheit. Immer wieder suchen sie Schwächeanfälle heim und es scheint, als hätte sie nicht mehr lange zu leben. Also bleibt ihr nur noch wenig Zeit, um sich ihren großen Traum zu erfüllen: Fliegen. Immer wieder schleicht sie aus der Villa ihrer privilegierten Familie, um in einer Werkstatt in einem ärmeren Viertel an mechanischen Schwingen zu arbeiten. Nur am Rande bekommt sie mit, dass sich im Volk ein Aufstand zusammenbraut: Ein Unfall in einem Irrlichtwerk hat zahlreiche Tote gefordert und die Menschen empören sich, dass es der Königin und den Adligen nur auf den Schutz des Irrlichts anzukommen scheint. Meret, die bei der Katastrophe ihre Familie verloren hat, findet sich an der Spitze der Bewegung wieder, doch nicht alle ihre Mitstreiter teilen ihre Ideale von friedlichem Protest.

Auch die Anführer der verschiedenen Banden Ijsstedts haben ihre ganz eigenen Ideen, wie sie den Zorn der Menschen für ihre Zwecke einspannen können. Sie alle wollen das gleiche: Macht und Irrlicht. Während einigen von ihnen, wie dem alternden Karel, dabei gewisse Grenzen heilig sind, gilt das für die meisten von ihnen keineswegs. Und auch nicht für Karels Sohn Raphael, dessen Besessenheit von der Kellnerin Mei ihn unerwartet in Kontakt mit einem ihrer größten Feinde bringt: Dem „Schatten“ Sora. Die Schatten sind eine Spezialeinheit aus sogenannten Irrlichtkindern – Menschen, die irrlichtinfusionierte Metallsplitter unter der Haut tragen und diesen beinahe magische Fähigkeiten verdanken, die von Irrlichtkind zu Irrlichtkind variieren können. Es ist die Aufgabe der Schatten, im Verborgenen zu agieren und Jagd auf die Feinde der Regierung zu machen. Doch auch bei ihnen brodelt die Unzufriedenheit und der Schatten Kass sucht nach einem Weg, wie er und seine engsten Freunde sich der Kontrolle der Regierung entziehen können.

Die Geschichten dieser Figuren sind miteinander verflochten und sie begegnen einander, geraten in Konflikt oder suchen nach Wegen, wie sie einander manipulieren können. „Irrlichtfeuer“ lässt sich nicht leicht zusammenfassen, immerhin erzählt Julia Lange eine komplexe, mehrsträngige Handlung in einer ungewöhnlichen Fantasywelt, in der viel der Erklärung bedarf. Der Roman steckt voller faszinierender Ideen. Diese werden in einer flüssigen Sprache präsentiert, aber leider so, dass es manchmal schwer ist, den Überblick zu behalten. Zu viele Nebenfiguren sind nicht mehr als ein Name, so dass man sich nicht mehr an sie erinnert, wenn sie wiederauftauchen (ich bin Fantasy-Romane mit umfangreichem Personal gewohnt, und habe trotzdem gelegentlich den Überblick verloren, wer wer ist und welches Ziel verfolgt). Auch sind einige Details nicht stimmig, z.B. ist Alba in der ersten Hälfte des Buches in so gut wie jeder wachen Minute von ihrer Krankheit beeinträchtigt, während in der zweiten Hälfte kaum etwas davon erwähnt wird. Wichtige Eigenschaften des Irrlichts und die Motivation vieler Figuren werden spät oder gar nicht enthüllt und teilweise handeln Charaktere inkonsequent oder schwer nachvollziehbar.

Dabei sind die Hauptfiguren eigentlich spannend angelegt und gerade Alba ist am Anfang des Romans eine echte Sympathieträgerin. Auch Sora betritt die Bühne auf außergewöhnliche Weise. Kass und Meret hätten interessante Figuren werden können und so einige Schatten aus Kass Einheit wecken den Wunsch, mehr über sie zu erfahren. Doch leider bleiben die Protagonisten teilweise sehr blass. Gerade weil ihre Ziele häufig so diffus sind, ist es schwer, sich in sie hineinzuversetzen (und eine Idee zu gewinnen, wo sich die Handlung hinbewegt). Ein weiterer Aspekt ist, dass sich viele wichtige Figuren im Laufe des Buches nicht zu ihrem Vorteil entwickeln und verblüffend egoistisch und ohne Rücksicht auf die Konsequenzen ihrer Entscheidungen handeln.


Fazit

Eine frühindustriell anmutende Stadt, die soziale Ungerechtigkeit in ein Pulverfass verwandelt hat. Eine Substanz, die nicht nur magische Kräfte verleiht, sondern auch ein wichtiger ökonomischer Faktor ist. Bandenführer und magisch begabte Soldaten, die im Verborgenen Kämpfe austragen. Ein Mädchen, das mit mechanischen Schwingen fliegen möchte… Julia Langes Roman „Irrlichtfeuer“ steckt voller Ideen, die die Zutaten zu einem außergewöhnlichen Fantasy-Abenteuer vor dem Hintergrund komplexer politischer und gesellschaftlicher Prozesse hätten sein können. Leider liest sich das Buch jedoch an vielen Stellen verwirrend und lädt teilweise sehr wenig zur Identifikation mit seinen Protagonisten ein.


Pro und Contra

+ das gut beschriebene Ijsstedt mit seinen gesellschaftlichen Konflikten
+ das irrlichtbasierte Magiesystem
+ Charaktere mit spannenden, sehr verschiedenen Hintergründen und Fähigkeiten
+ meist flüssige Sprache

- unstimmige Details
- Motivation vieler Figuren wird nicht klar
- viele Charaktere blass oder ohne Identifikationspotenzial
- wichtige Informationen über die Welt und die Situation werden zu spät geliefert

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5