Empire of Ink – Die Kraft der Fantasie (Jennifer Alice Jager)

Carlsen Impress (Juni 2017)
e-Book
313 Seiten, 3,99 EUR
ISBN: 978-3-646-60343-9

Genre: Urban Fantasy, Jugendbuch


Klappentext

Die 17-jährige Scarlett hält nicht viel von Schule oder Verpflichtungen. Am liebsten verfolgt sie ihre eigenen Ziele und die bestehen zum größten Teil aus Träumereien. Schon immer hatte sie eine ungewöhnlich lebhafte Fantasie, für die sie oft belächelt wurde und die sie zu verstecken versucht. Bis Scarlett dem draufgängerischen Soldaten Chris Cooper begegnet, der ihr erklärt, dass ihre Fantasien Einblicke in die Wirklichkeit sind. Er erzählt von einem Reich, das durch die Kraft des geschriebenen Wortes erschaffen wurde und dessen Grundpfeiler die Magie der Tinte ist. Eine Macht, die mehr und mehr aus der Welt verschwindet…


Rezension

Schon immer hat Scarlett Dinge gesehen, die für andere unsichtbar sind: Visionen einer mal schönen, mal beängstigenden Fantasiewelt, die fließend in Unsere übergeht. Sie hat gelernt, dass es klüger ist, über ihre Erfahrungen zu schweigen, auch wenn sie ihre Fantasien schätzen gelernt hat, was eine angenehme Abwechslung von der Idee der Auserwählten ist, die nur normal sein möchte. Als Scarlett in etwas hineinstolpert, was sie zunächst für einen Militäreinsatz hält, begegnet sie dem Soldaten Chris, der sie als das erkennt, was sie ist: Eine „Madhead“, ein Mensch mit der Gabe, die Welt der Tinte zu sehen. Diese existiert parallel zu der der Menschen. In ihr manifestieren sich Fantasien und Ideen, vorausgesetzt, dass sie von Hand und mit Tinte niedergeschrieben wurden. Nun, wo die meisten Menschen nahezu ausschließlich am Computer schreiben, sind die Welten ins Ungleichgewicht geraten und es haben sich Risse zwischen ihnen geöffnet.

Chris rekrutiert Scarlett für eine Organisation, deren Ziel es ist, die Welten wieder voneinander zu trennen, indem sie die Eindringlinge aus dem Reich der Tinte aufspüren und die handgeschriebenen Manuskripte vernichten, die die Risse hervorbringen. Die Organisation selbst erinnert verblüffend stark an eine typische YA-Highschool mit heißen Sportlern (offenbar ist es für ihre Soldaten eine Zugangsvoraussetzung, jung und gutaussehend zu sein) und pickligen, computerspieleversessenen Nerds (den anderen Madheads). Chris, der erkennt, wie mutig, tatkräftig und ehrgeizig Scarlett ist, kümmert sich persönlich um ihre Ausbildung, was seiner ebenso perfekt aussehenden wie zickigen Freundin nicht gerade gefällt.

Doch wenn Scarlett gerade nicht mit der Hackordnung und den Gefühlen beschäftigt ist, die es Chris schwermachen, ihr nur als Vorgesetzter und Ausbilder zu begegnen, macht sie beunruhigende Beobachtungen. Mehrfach begegnet ihr der Madhead Finn, der auf der Krankenstation festgehalten wird und verzweifelt versucht, der Organisation zu entkommen. Als Scarletts erster Einsatz eine katastrophale Wendung nimmt, wird sie nachdenklich. Ist Finn verrückt oder weiß er etwas über die Organisation, das diese Scarlett und dem nahezu blind gehorchenden Chris vorenthalten hat?

Trotzig, vorlaut und impulsiv bringt Ich-Erzählerin Scarlett sich oft in gefährliche oder unangenehme Situationen, die leicht vermeidbar gewesen wären. Aber diese Eigenschaften erweisen sich auch als Stärke, weil sie sich nicht einschüchtern lässt und Befehle hinterfragt. Trotzdem wünscht man sich als Leser oft, dass sie etwas länger nachdenken würde, bevor sie handelt. An einer Stelle im Buch versinkt Scarletts in Selbstmitleid, aber ihre Situation (die Autorin trifft eine kühne Entscheidung und gibt Scarletts misslungenem Einsatz Konsequenzen, die die gesamte Handlung und ihr Verhältnis zu anderen Figuren dauerhaft beeinflussen werden) macht dies nur zu verständlich. Andere Figuren sind, wie bereits erwähnt, ein wenig klischeehaft geraten, aber funktionieren in ihren Rollen gut. Gerade zum Ende hin gibt es aber überraschende Wendungen und man lernt einige Nebenfiguren als interessanter kennen, als es zunächst den Anschein hatte.

Die Grundlage der Parallelwelt jedoch ist ein wenig seltsam. Die Art, wie sie konstruiert ist, hat Vorteile für die Handlung, aber die pseudowissenschaftliche Erklärung, wieso gerade Tinte und Feder so mächtig sind (Druckertinte, das gesprochene Wort oder getippte Wörter haben keinen Effekt), kann nicht wirklich überzeugen. Doch auch wenn sie nicht befriedigend erklärt ist, ist die Welt der Tinte doch spannend konstruiert und in schönen, fantasievollen Bildern beschrieben und die Orte, wo die Welten sich so nahekommen, dass ihre Bewohner sich berühren und einander gefährlich werden können, werden zum Schauplatz dramatischer Szenen.

Viel bleibt rätselhaft. Die Motive hinter den Handlungen der schattenhaften Gegenspieler, die man schließlich erahnen kann, sind ein wenig schwammig. Auch über die Figuren von der anderen Seite fallen nur ein paar Andeutungen – die jedoch ebenso neugierig machen wie das unbefriedigend offene Ende. Vom Anfang des Buches bis dahin liest sich der Roman spannend und macht neugierig darauf, wie es weitergeht, auch wenn so einige Jugendbuch-Klischees einem allzu bekannt vorkommen. Einige wenige Formulierungen sind nicht perfekt und die langen Kapitelnamen balancieren zwischen lustig und affektiert, aber alles in allem ist die Sprache des Buches flüssig und mühelos zu lesen und passt gut zu Handlung und Protagonistin.


Fazit

„Empire of Ink – Die Kraft der Fantasie“ ist ein Roman mit einem originelle, spannenden, wenn auch nicht befriedigend erklärten Weltentwurf, der auf der ganz eigenen Magie von Fantasie und Literatur basiert. Jennifer Alice Jager bedient sich einiger allzu vertrauter Jugendbuch-Muster und lässt vielleicht ein paar Fragen zu viel offen, aber das ändert nichts daran, dass der Roman sich leicht, unterhaltsam und gelegentlich überraschend liest und neugierig auf die Fortsetzung macht. Ein vielversprechender Serienauftakt.


Pro und Contra

+ Beschreibung der Parallelwelt, fließende Übergänge zwischen den Welten
+ magische Kraft von Fantasie und Literatur
+ Folgen von Scarletts Einsatz versprechen spannende Herausforderungen für die Zukunft
+ skeptische, rebellische Hauptfigur
+ durchgängig unterhaltsam

- Figuren(-konstellation) teilweise stereotyp
- offenes Ende fühlt sich sehr unbefriedigend an
- Scarlett gelegentlich zu impulsiv

Wertung:

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5