Der Weitseher (Robin Hobb)

Heyne Verlag (April 2009)
624 Seiten, 15,00 €
ISBN: 978-3-453-52481-1

Genre: Fantasy


Klappentext

Als der junge Fitz Chivalric an den Hof gebracht wird, wartet ein schweres Schicksal auf ihn: Er ist der Bastardsohn des Kronprinzen. Seine bloße Existenz ist ein Skandal und seine verborgene Gabe der Weitsicht vielen ein Dorn im Auge. Einzig der alte König erkennt seine wahren Fähigkeiten – und macht Fitz zu seinem Werkzeug. Denn das Königreich der Sechs Provinzen ist in großer Gefahr, und nur die magischen Weitseher können dem Verderben trotzen ...


Rezension

Robin Hobb, eine amerikanische Autorin und auch als Megan Lindholm bekannt, hatte sich vor einigen Jahren mit ihrer Weitseher-Chronik in deutschsprachigen Ländern einen Namen gemacht. Beinahe zehn Jahre sind inzwischen vergangen, doch die Faszination für Fitz Chivalric scheint immer noch - und das völlig zurecht - ungebrochen zu sein.

>> Die Feder entgleitet meinen knorrigen Fingern und hinterlässt eine geschlängelte Linie auf Fedwrens Papier. Ein weiterer Bogen des kostbaren Materials einem, wie ich befürchte, sinnlosen Unterfangen geopfert. Ich frage mich, ob ich diese Chronik schreiben kann oder ob jede Seite insgeheim von der Bitterkeit getränkt sein wird, die ich längst überwunden glaubte ... <<

Das Königreich der Sechs Provinzen sieht schweren Zeiten entgegen, denn rote Korsaren stürmen die Meeresgrenzen und belegen bald tausende Menschen mit einem furchtbaren Fluch: Ihre Opfer, die zurückkehren oder fliehen können, sind lebende Tote. Emotional erkaltet rauben sie ihre eigene Familien aus und töten sogar Kinder, wenn es um ihr Überleben oder ihren Hunger geht. Nur der Winter verschafft dem geplagten Königreich die nötige Luft, um sich von den vernichtenden Angriffen zu erholen und neue Kraft zu schöpfen.

In dieser sehr schweren, hartherzigen Zeit öffnen sich für einen kleinen Jungen die Tore zu einer neuen Welt. Einer Welt, die er nicht kennen möchte, doch als sein Großvater in Geldnot gerät bleibt ihm und seiner Familie keine Wahl. Er muss das Kind seiner Tochter entreißen und fortbringen. Zu seinem Vater, der sich nie um den Verbleib seines Sohnes kümmerte: Prinz Chivalric, dem Thronfolger des Königreichs.

>> Fitz – normannische Form von frz. fils, gelegentlich von illegitimen oder einer standesungleichen Ehe entstammenden Sprösslingen eines Königshauses im Namen geführt, wie Fitz-Clarence, Fitzroy etc. <<

Nach der Schande benannt, die er über seinen Vater durch seine bloße Existenz brachte, wächst Fitz am Königshof auf und dieser Zeitspanne ist der Schwerpunkt des Romans gewidmet. Der Thronprinz Chivalric – als Hoffnungsträger im ganzen Land verehrt gewesen – verdingt währenddessen seine Existenz im Exil und wird kurz darauf ermordet. Die Schuld an allem bekommt der kleine Fitz und damit auch der geneigte Leser deutlich bei jedem Schritt zu spüren. Nur ein treuer Hund, wenige Freunde und Stallmeister Burrich sind sein Halt in dieser für ihn düsteren Welt. Bis eines Tages, nach angemessener Zeit des Vergessens, der König dem kleinen Jungen ein verführerisches Angebot macht.

Allzu detailverliebt schildert Robin Hobb von dort an den Werdegang des Bastardsohnes, der sich seinem Großvater verpflichtete, um sein Überleben zu sichern und diesem auch einen Sinn zu geben. Im höfischen Gehabe unvertraut, erlebt man an der Seite des kleinen Jungen ganz nüchtern die Anspielungen, Verwirrungen und Intrigen, die Fitz nicht immer verstehen kann. Der Leser jedoch umso besser und damit leidet er meist mehr als der hinreißend liebe Protagonist selbst, der Jahre später schließlich als Assassine ausgebildet wird.

Mehr Handlung, als die eben beschriebene, darf man sich jedoch in diesem 600 Seiten dicken Buch nicht erwarten. „Der Weitseher“ ist kein schillernder Epos und kein Portrait namhafter Schlachten oder großspuriger Abenteuer. Im Gegenteil, alles ist klein und eng gehalten, so wie Fitz die Welt eben kennt, dafür jedoch umso farbiger ausgemalt. Ohne große Höhepunkte liest man sich, in dazu passender Ich-Perspektive, von Intrige zu Intrige und ist mit ganzem Herzen dabei, denn die Autorin schildert mit tiefer, merkbarer Begeisterung die kleinen Irrungen und Erlebnisse eines Jungen, ohne viel mehr als das zu wollen. Langweile kommt dabei meist keine auf. Zu sehr ist es dem Leser in Leib und Seele übergegangen mit Fitz den Alltag zu bestreiten und in seine ungewisse Zukunft zu blicken. Eine, die wie ein stilles, wunderbar spannendes Versprechen vor dem Leser liegt, neugierig macht auf Fortsetzungen und einem am Ende sogar versonnen lächeln lässt.

So wenig innovativ der Verlauf der Geschichte nach eingehendem Studieren klingen mag, die durch Grundstimmung und Handlungsverlauf entfernt an den Roman Das Lied der Dunkelheit erinnern lässt, so sehr besticht der Verlauf der Geschehnisse durch Details und Tiefsinnigkeit. Zwar wirkt Robin Hobbs Welt sehr schmuck- und graustufenlos, weiß aber mit Kultur und schlichten Facettenreichtum zu überzeugen. - Wundervolle Ideen, die vor allem gegen Ende und mit dem Erscheinen des Bergvolkes erneut den Leser in ihren Bann ziehen. Als Gegenstück zum Königreich der Sechs Provinzen bietet es einen schönen Kontrast und ist so malerisch zu Papier gebracht worden, dass es einem drängt, vor der Autorin sprichwörtlich den Hut zu ziehen. Denn auch hier – wie in allen Bereichen des Romans – bewahrt sie die bewundernswerte Natürlichkeit der Sprache, die dem Leser ein authentisches Lesevergnügen verspricht, ohne dabei farblos oder gar langweilig zu wirken.


Fazit

Die neue Heyne-Auflage hat „Der Weitseher“ in jedem Fall verdient! Neben dem wunderschönen Cover besticht Robin Hobbs Werk besonders durch die ansprechende Darstellung des Königshofes, der einem zum Ende hin sehr vertraut und lieb geworden ist. Fans besinnlicher Fantasy werden mit diesem Buch besonders viel Freude haben. Leser, die es hingegen unbedingt nach Kampf und Action verlangt, sollten Abstand halten und ihr Glück eher beiJoe Abercrombie oder Peter V. Brett suchen.


Pro und Kontra

+ liebenswerte und tiefgründige Charaktere
+ authentisches Bild eines Könighofes
+ ansprechende Intrigen
+ bestechende Nebencharaktere
+ detailvolle Fantasywelt
+ zeitlose All-Age-Fantasy

o wenig innovativ
o politisch orientiert

- kaum Höhepunkte
- Schwarz- und Weißmalerei

Bewertung:

Handlung 4 / 5
Charaktere: 5 / 5
Lesespaß: 4,5 / 5
Preis/Leistung: 4 / 5