Die Spiegelstadt (Justin Cronin)

die spiegelstadt

Goldmann (Oktober 2016)
Broschiert
992 Seiten, 24,99€
ISBN: 978-3-442-31180-4

Genre: Horror / Fantasy


Klappentext

Unsere Welt liegt in Ruinen – doch was wird daraus auferstehen? Die Zwölf – Wesen der Dunkelheit, Todfeinde der Menschen – sind vernichtet, ihre hundertjährige Schreckensherrschaft über die Welt ist vorüber. Nach und nach wagen sich die Überlebenden aus ihrer eng ummauerten Zuflucht, Hoffnung keimt auf. Auf den Ruinen der einstigen Zivilisation wollen sie eine neue, eine bessere Gesellschaft aufbauen: der älteste Traum der Menschheit.  Doch in einer fernen, verlassenen Stadt lauert der Eine: Zero. Der Erste. Der Vater der Zwölf, der den Ursprung des Virus in sich trägt. Einst ein hochbegabter Wissenschaftler, der, seit er seine große Liebe verlor, nur noch von Rachedurst und Wut erfüllt ist. Sein Ziel ist es, die Menschheit endgültig auszulöschen. Seine Truppen sind bereit. Und der Zeitpunkt ist gekommen. Nur Amy vermag ihn jetzt noch aufzuhalten, das Mädchen aus dem Nirgendwo, die einzige Hoffnung der Menschheit. Und so treten sie und ihre Freunde an zum letzten großen Kampf zwischen Licht und Dunkelheit ....


Rezension

Mit „Die Spiegelstadt“ beendet Justin Cronin endlich, was er 2011 mit „Der Übergang“ begonnen hat. Die Geschichte von Amy, dem Mädchen von Nirgendwo. Seit der ersten Seite sind 1872 Seiten und 100 Jahre vergangen, entsprechend viel ist passiert. Wie bereits in „Die Zwölf“ spendiert Cronin einen Prolog in dem zusammengefasst wird, was einst geschah, allerdings in kaum lesbarer Form: Einer Art altertümlicher, biblischer Sprache, die einfach nur nervtötend ist. Am besten frischt man seine Erinnerung auf den zahlreichen Internetseiten, die netterweise das Geschehen zusammengefasst haben, auf, überspringt den Prolog und taucht einfach ein in einen Roman voller Höhen und Tiefen.

Die Zwölf sind besiegt und mit ihnen sind alle Virals verschwunden. Seit Monaten wurden keine mehr gesehen und immer mehr Menschen erlauben sich, zu hoffen und verlassen die hohen Mauern der Zuflucht. Wagen sich in die neuen Siedlungen außerhalb, um Land zu bebauen und ein ruhiges Leben zu führen. Die Regierung indes bemüht sich, alte Strukturen wieder aufzubauen, um die Menschheit voran in eine gute Zukunft zu führen. Die Helden im Kampf gegen die Zwölf leben inzwischen ganz normale Leben. Sie haben normale Jobs und bemühen sich einen ereignislosen Alltag zu schaffen. Cronin investiert viel Zeit und Ruhe, um deren Leben zu beschreiben, wie man es von ihm gewohnt ist. Raum für Horror ist da leider keiner, es gibt nun mal keinen unmittelbaren Antagonisten. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen einen historischen Roman zu lesen. Dafür spürt man wieder die alte Vertrautheit zu den Charakteren und überhaupt ist die Sprache schlichtweg fesselnd, sodass es auch alles andere als langweilig wird. Außerdem herrscht immer ein unangenehmes Gefühl vor, dass sich die Situation jederzeit ändern wird, denn natürlich ist Zero, der erste Infizierte, noch am Leben. Dieser tritt dann auch bald zu Tage, woraufhin die Spannung einen dramatischen Dämpfer bekommt.

Justin Cronin. Man liebt seine Bücher oder langweilt sich zu Tode. 130 Jahre springt er in die Zeit zurück, als es gerade spannend wird, um von Timothy Fanning zu erzählen, der eines Tages Zero werden soll. Ein Stilmittel, dass der Autor gerne verwendet, allerdings waren die vorangegangenen Rückblenden spannender und im späteren Verlauf auch wichtiger. Diese 180(!) Seiten sind beeindruckend geschrieben, als wären sie aus Haruki Murakamis Feder. Die neuen Charaktere sind ab der ersten Seite lebendig und lebensnah und der Inhalt ist nicht uninteressant, aber hätte das wirklich sein müssen? Muss man so viel wissen, über den Vernichter der Menschheit? Welches College er besucht hat, ob er schüchtern war und wie sein Verhältnis zu seinem Vater war? Nicht wirklich. Der Fokus liegt dabei zudem auf einer Liebesgeschichte und ohne etwas preisgeben zu wollen, werden sich die Geister scheiden, ob es so eine klassische und klischeehafte Story brauchte, um Zero ein Gesicht zu geben. Unerfüllte Liebe war schon immer ein Motor für Geschichten aller Art, selbst Bram Stoker’s Dracula ist in seiner Essenz eine Liebesgeschichte. Aber nachdem es Cronin so lange gelungen war, keine Klischees zu bedienen, ist es doch ein wenig verwunderlich, dass er gerade hier zuschlägt. Zumal es eigentlich keines besonderen Motivs bedurfte. Im Gegenteil. Als erster Infizierter, wurde Fanning eben zum ersten „Vampir“, weil der Virus ihn dazu gemacht hatte. Interessanter wäre die Herkunft des Virus gewesen, aber diese Antwort soll Cronin schuldig bleiben.

Nach einem Drittel des Buchs hat „Die Spiegelstadt“ die Bezeichnung „Horror“ noch immer nicht verdient. Leider geht das auch so weiter. Immer wenn man denkt, es würde endlich etwas Spannung aufkommen, tippt Cronin eine neue Jahreszahl ein und aktiviert den Fluxkompensator. Springt Jahrzehnte in die Zukunft, führt neue Personen ein und beschreibt mit weiterhin stetiger Ruhe die Gegebenheit des aktuellen Lebens. Wer die Vorgängerbände mochte – und ab diesem Punkt der Reihe werden sich kaum Leser finden, die sie nicht mochten – werden nicht überrascht sein, über das Ausschweifen Cronins, allerdings übertreibt er es dieses Mal dann doch ein wenig. Bis er dann endlich kommt, der Wendepunkt auf den man gewartet hat und ab da geht es drunter und drüber, aber der Weg dahin ist ein wahres Geduldsspiel. Wer es durchhält wird wahrlich belohnt. Das blanke Grauen bahnt sich mit ungeahnter Macht zurück in das Leben der Menschen, mit einer elementaren Wucht. Erbarmungslos und Unaufhaltsam.


Fazit

„Die Spiegelstadt“ ist ein beeindruckend geschriebenes und spannendes Buch, das das Schicksal von Amy, dem Mädchen von Nirgendwo, und ihren Begleitern besiegelt. Ein guter Abschluss einer epischen Reihe auch wenn Justin Cronin es inhaltlich immer wieder zulässt, dass man sich fragt, ob dieser zähe Ausflug wirklich hätte sein müssen und man sich wünscht, das Buch hätte besser 100 Seiten früher seinen Schluss gefunden.


Pro und Contra

+ lebendige Charaktere
+ + bemerkenswerter Schreibstil
+ glaubwürdige Dystopieatmosphäre
+ spannend und brutal …

- - … wenn nicht gerade ereignislos und zäh
- Zeros Motive
- ideenloser Showdown
- die letzten 100 Seiten

Wertung:sterne4

Handlung: 3,5/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5


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