Die Hexenholzkrone 2. Der letzte König von Osten Ard (Tad Williams)

williams hexenholzkrone2

Klett-Cotta Verlag, 2017
Originaltitel: The Witchwood Crown. The Last King of Osten Ard 1 (2017)
Übersetzung von Cornelia Holfelder-von der Tann und Wolfram Ströle
Gebunden, 555 Seiten
€ 20,00 [D] | € 20,60 [A] | CHF 28,90
ISBN 978-3-608-96196-6

Genre: Fantasy


Rezension

Der zweite Teilband (Die Hexenholzkrone 2) schließt an den ersten (Die Hexenholzkrone 1) mit einer kurzen Textwiederholung an, gefolgt von Kapiteln 32 bis 40 des zweiten Teils, dem dritten Teil (In der Fremde), einem Nachspiel sowie dem 35 Seiten umfassenden Anhang, der auch im ersten Teilband enthalten ist.

Nach seiner Entdeckung, die er auf dem gesperrten Turm gemacht hat und über die er sich ausschweigt, wird Prinz Morgan auf eine Mission geschickt. Er soll mit Eolair die vergiftete Sitha Tanahaya zu ihrem Volk bringen, weil sie nur dort geheilt werden kann, und eine Positionsbestimmung des Waldvolkes vornehmen, die im Angesicht der gegebenen Bedrohung wichtig ist. Auch soll er herausfinden, was die Sithi über die Absichten der Nornen wissen. Die Sklavin Tzoja bereitet sich auf die Flucht von den Nornen vor. Die Hikeda’ya und Jarnulf suchen weiter nach dem Drachen. Im zweiten Teilband zeigt sich, dass manche Sterbliche nicht sind, was sie scheinen. Auch die anderen Handlungsstränge werden natürlich fortgeführt und neue eröffnet. Die Thritingbewohner erhalten mehr Spielzeit, ebenso die Sithi, Wranna und Nabbanai.

Worum geht es im Kern? Die Bühne des Geschehens ist Osten Ard. Es gibt zwei Hauptgruppierungen, die sich zusammenfassen lassen als Hochkönig Simon und seine Verbündeten auf der einen Seite, die Nornenkönigin Utuk’ku und ihre Getreuen auf der anderen Seite. Beide Seiten bereiten sich intensiv vor auf den großen Entscheidungskampf. Ist es schwierig, innerhalb der beiden Gruppierungen die Guten und die Bösen eindeutig auszumachen, so ist es umso einfacher, die Gruppen als solche schematisch zu fassen. Die Nornen als Böse und Simon nebst Verbündeten als Gute erkennt man daran, dass die Guten sich freiwillig zusammenschließen und grundsätzlich ohne Machtmissbrauch kommunizieren, während die Nornen-Gruppe manipulativ und mit Zwangsmitteln sowie Abschreckung im Inneren arbeitet. Das Programm der Nornen für den zweiten Erzähl-Zyklus wird so vorgestellt: “Wir werden die Sterblichen vom Angesicht der Erde tilgen! Wir werden die Hexenholzkrone für uns beanspruchen!” (S.222)

Die Frage, wer denn die Guten seien, kann man durch Beantwortung der Frage klären, in wessen Sphäre man selbst leben wollte. Persönliche Vorstellungen von einem „besseren“ politischen System, einer „lebenswerteren“ Gesellschaft und von Moral befinden mithin darüber, wer die Guten sind. Sobald man sich von diesem Schema verabschiedet und auszudifferenzieren beginnt, gibt es in beiden Sphären Hardliner und Kriegstreiber sowie den Frieden liebende, die einfach nur ihr Leben führen wollen. Nornen wie Sterbliche kennen machthungrige Akteure, die allein ihre Interessen durchsetzen wollen, sich in Kleinkriegen mit Nachbarn aufreiben und bereichern wollen – im zweiten Teilband recht häufig anzutreffen. Manche wollen einfach nur saufen, prügeln, vergewaltigen, töten - was das eigene Leben halt im Grenzbereich lebenswert erscheinen lässt.

Was sind Themen des Romans? Viel Raum gegeben wird der Familie als Keimzelle eines Machtgefüges, eines politischen Entscheidungsgefüges, schließlich eines emotionalen Bindegewebes. Soziale Bindungen werden durch Blut bestimmt, durch Liebe, durch Macht bis hin zu Besitzrechten an einer Person. Da liegt es nahe, dass es auch um Loyalität, Freundschaft und Verrat geht. Soweit die Gesellschaft betroffen ist, ist ein wichtiges Thema die Fähigkeit, sich im Dickicht sozialer Beziehungen möglichst schmerzfrei und wenig unangenehm zu bewegen. Macht spielt nicht in erster Linie als Macht einer Herrscherfigur oder einer tyrannischen Gruppe eine Rolle. Im gesellschaftlichen Kontext befindet sich Macht im Wandel, wenn man sie hat, besteht immer die Möglichkeit, sie wieder zu verlieren. Im privaten Raum hingegen hat die Macht einen eher stabilen Charakter, niemand nimmt sie einem weg.

Die Charaktere sind Vertreter mehrerer Generationen, und die wichtigsten unter ihnen sind nicht Jugendliche. Dies legt den Gedanken nahe, es handle sich nicht um Jugendliteratur. Aber Menschen wie Morgan, die in die familiäre, gesellschaftliche und politische Verantwortung hineinwachsen (müssen), geben dem Aspekt des Coming of age Raum. Entwicklung ist durch als langweilig empfundene Ausbildung möglich, etwas, dem Morgan wenig abgewinnen kann, und dadurch, dass man sich in der Auseinandersetzung mit der Welt bewährt, womit er schon sehr viel mehr anfangen kann. Dem kommt die Krise entgegen, in der sich das Reich befindet.

Am Ende von Die Hexenholzkrone kommt es trotz einiger kleinerer tödlicher Auseinandersetzungen nicht zum Krieg, auf den seit Beginn alles hinauszulaufen scheint. Vielmehr werden die Hauptfiguren alle in Situationen mit dem Charakter einer Zwischen-Klimax entlassen, die Leser und Leserinnen folgerichtig ins Ungewisse, in dem sich viele Fragen anhäufen. Einige Charaktere halten Informationen zurück. Morgan gerät in Situationen, deren Konsequenzen er vielleicht tragen muss, wobei Auswirkungen auf die Erkynländer und ihre Verbündeten möglich sind. Tiamak hat ein seit 200 Jahren verbotenes Buch gefunden, die Abhandlung über die ätherischen Flüsterstimmen. Und es ist noch unklar, was sich daraus im Weiteren ergibt.

Die Hikeda’ya Nezeru belügt und täuscht Makho, den Anführer der Hand aus fünf Klauen der Königin. Dies bedeutet, wie mehrfach zu lesen ist, im Grunde ihr Todesurteil. Spricht dies dafür, dass sie irgendwann gezwungen sein wird, die Seiten zu wechseln, wenn sie dazu nicht ohnehin bereits einen Katalog anderer Gründe vorweisen kann? Nezeru stellt ja bereits Handlungen der Nornen in Frage. Ihre Gespräche und Erfahrungen mit dem Rimmersgarder Jarnulf, einem menschlichen Jäger der Nornen-Königin, dürften dieser Entwicklung förderlich sein. Ihr Vater, Viyeki, Großmagister des Ordens der Bauleute, trägt auch den Keim der Rebellion in sich.

Im zweiten Teilband rückt Morgan stärker in Richtung des erzählerischen Zentrums, etwas ungewöhnlich, weil er eine der weniger sympathischen Figuren ist, ein eher banaler Charakter, umgeben von umso interessanteren Figuren. Im Gesamtkonzept der Reihe ist diese Entscheidung jedoch interessant, scheint Morgans Geschichte doch eine Parallele zu Simons Geschichte aus dem ersten Zyklus zu bilden.

Das sehr hilfreiche Glossar mit Angaben zu den Personen, Orten und Geschöpfen umfasst 24 Druckseiten in kleinerer Type als sie für den Erzähltext verwendet wird. Hinzu kommen elf Seiten mit Angaben zu sonstigen Begriffen, Sternbildern, Feiertagen, Nornenorden oder auch Wörtern und Sätzen aus mehreren Sprachen des Epos. Die Völker sprechen eigene Sprachen, die in der Erzählung in geringem Ausmaß verwendet werden, ihre Kultur und Geschichte ist detailhaltig entwickelt.

Im Vorspiel führt Williams die Sitha Tanahaya ein, die aus einem Hinterhalt von vier Pfeilen getroffen wird. Sie taucht halbtot rund 160 Seiten später wieder auf, als ein Wilderer sie findet und sie schlussendlich im Hochhorst landet. Dies ist eine effektive Möglichkeit, die Williams nutzt, um Schattenwürfe in die Zukunft zu erzeugen.


Fazit

Tad Williams setzt mit dem Zyklus Der letzte König von Osten Ard seine Fantasy-Reihe fort, die ihren Anfang mit dem Zyklus Das Geheimnis der Großen Schwerter nahm. The Witchwood Crown, in Deutschland in zwei Teilbänden als Die Hexenholzkrone 1 und Die Hexenholzkrone 2 veröffentlicht, erweitert und vertieft den Osten-Ard-Kosmos auf lesenswerte Weise. In der für den Autor typischen Vorgehensweise werden die Charaktere und die Handlung sehr detailfreudig und in langsamem Tempo entwickelt. Trotz erzählerischer Redundanz – manchmal werden Dinge auf wenigen Seiten dreimal wiederholt, zum Glück jedoch selten – eine unterhaltsame und ertragreiche Lektüre.


Pro und Kontra

+ Völker von Osten Ard mit eigener Geschichte, Sprache und Kultur
+ komplexe Struktur, die geschickt parallele Erzählstränge verbindet
+ realistische Charaktere

o extrem detailfreudig

- erzählerische Redundanzen

Wertung:sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 4/5


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