Zwischen zwei Sternen (Becky Chambers)

Fischer TOR (Februar 2018)
Übersetzt von: Karin Will
Taschenbuch, 461 Seiten, 9,99 EUR
ISBN: 978-3-596-03569-4

Genre: Space Opera / Science Fiction


Klappentext

»Zwischen zwei Sternen« ist Becky Chambers zweiter Science-Fiction-Roman aus dem Wayfarer Universum – eine optimistische Space Opera mit High-Tech-Städten auf fremden Planeten, künstlichen Intelligenzen, außergewöhnlichen Aliens und einer gehörigen Portion Tiefgang. Früher hatte Lovelace ihre Augen und Ohren überall. Als KI-System der Wayfarer bekam sie alles mit, was auf ihrem Raumschiff passierte, und sie sorgte für das Wohlbefinden der Crew, für die Lovelace immer mehr eine Freundin war als nur ein System.
Dann kam der totale Systemausfall. Ihre Crew sah nur eine Möglichkeit, Lovelace zu retten: ein Reboot all ihrer Systeme. Als sie aufwacht, ist sie in einem Bodykit gefangen, eingeschränkt auf modifizierte menschliche Körperfunktionen – in einer Gesellschaft, in der eine solche Umwandlung verboten ist.
Doch Lovelace ist nicht allein: Pepper, eine chaotische Technikerin, die ihr Leben riskiert hat, um die Künstliche Intelligenz zu retten, hilft Lovelace, ihren Platz in der Welt zu finden. Denn Pepper weiß selbst nur zu genau, wie es ist, ganz auf sich allein gestellt zu sein und das Universum neu kennenzulernen …


Rezension

Ihren ersten Roman, „Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten“, finanzierte Becky Chambers zunächst per Crowdfunding, bevor das Buch seinen Weg zu einem Verlag fand. Es wurde für einen Haufen Preise nominiert und ihr zweiter Roman aus dem nach dem Raumschiff in Teil 1 benannten „Wayfarer“-Universum hat es sogar unter die „Hugo“-Finalisten geschafft.

Dabei passiert eigentlich gar nicht viel. Wir folgen nicht einmal der Crew der Wayfarer weiter, die in Band 1 den herben Verlust ihrer KI Lovelace erlitten hat. Stattdessen geht es um besagte Lovelace und die Technikerin Pepper, die am Ende von Teil 1 nur einen Ausweg aus der vertrackten Situation rund im die KI des Schiffs gesehen hat: Sie lud die KI in ein illegales Bodykit und nahm sie mit. Die künstliche Intelligenz findet sich mehr oder weniger gegen ihren Willen in einem vollständig synthetischen Körper wieder, der ihr so ziemlich alles ermöglichen sollte, was einem Menschen möglich ist – aber kaum etwas von dem ermöglicht, was ihren Bedürfnissen als Schiffs-KI entspricht. Ganz davon abgesehen, dass ihre Existenz illegal ist, sie aber durch innere Protokolle dazu gezwungen ist, die Wahrheit zu sagen … Mit der etwas seltsam aussehenden Pepper, die klein, kahlköpfig und unmenschlich symmetrisch ist, kommt sie auf dem Planeten Coriol an und reist mit ihr in die kleine „Modder-Siedlung“ auf der dunklen Seite des Planeten, wo Pepper mit ihrem Freund Blue lebt und eine Reparaturwerkstatt betreibt.

Auf der ersten Seite des Buchs befindet sich der dezente Hinweis, einer der Handlungsstränge spiele zwanzig Jahre in der Vergangenheit. Ich weiß nicht, welche/r Lektor/in die Autorin verpflichtet hat, das erklärend voran zu setzen – es ist vom zweiten Kapitel an vollkommen klar, dass wir von nun an in jedem zweiten Kapitel in Peppers Kindheit reisen. Pepper kümmert sich um die KI (die sich von nun an Sidra nennt, da Lovelace nun mal ein eindeutiger Schiffs-KI-Markenname ist), weil sie selbst von einer KI aufgezogen wurde, und der zweite Handlungsstrang erzählt, wie es dazu kam. Pepper, die als Kind Jane 23 hieß, lebte mit einer ganzen Charge durchnummerierter Janes unter der Obhut emotionsloser „Mütter“-Maschinen in einer Fabrik. Ihr einziger Daseinszweck war es, wertvolle Rohstoffe aus Schrott zu extrahieren – auf einem Planeten, dessen Gesellschaft Technik mehr Wert beimisst als menschlichem Leben.

Die kleinen Janes ackern den ganzen Tag, laufen dann ein wenig auf dem Laufband, kriegen ein paar Tassen Nährlösung und schlafen immer zu zweit zusammengekuschelt (Menschen sind soziale Wesen!) in großen Schlafräumen. Bis einer der Janes ein Treibstoffrest in einem Schrottteil explodiert und ein Loch in die Wand sprengt. Durch dieses Loch kommt Jane 23, 10 Jahre alt, zum ersten Mal aus der Fabrik in eine feindliche Außenwelt, eine riesige Schrotthalde, auf der sie von wilden streunenden Hunden verfolgt wird und sich gerade so in ein gestrandetes Raumschiff retten kann. In diesem Raumschiff ist so ziemlich alles kaputt – doch die warmherzige KI Eule hat noch genügend Energie übrig, um Jane im Raumschiff vor den Raubtieren zu retten und das magere, verwirrte Kind vorerst am Leben zu erhalten.

Die beiden Handlungsstränge – der um Sidras Anpassungsschwierigkeiten und der um Janes zehn Jahre dauernden Versuch, das Raumschiff wieder flott zu machen – ziehen dich als Leser in ihren Bann, weil sie beide auf spannende Weise einfach vieles anders machen, als man so denkt. Ich hätte mehr „Sidra versucht, der Aufmerksamkeit der Behörden zu entgehen“-Action erwartet oder mehr „Sidra entdeckt menschliche Emotionen“, aber das ist beides nicht Thema des Buches. Die KIs bei Becky Chambers haben kein Problem mit Emotionen. Sie sind empfindungsfähig dank äluonischer Technik, sie sind reflektiert, sie haben sogar Kunst- und Literaturverständnis und die Befähigung zu Empathie und Neugierde. Und dennoch kann sich Sidra einfach nicht an ihren menschlichen Körper gewöhnen, an die blinden Stellen hinter ihr, an die Begrenzungen, die Bewegungen. Sie sieht sich selbst stets als den „Maschinengeist“ und das Bodykit … als „das Kit“. Ihre Selbstwahrnehmung leidet unter einer kalten Distanz zu ihrem Körper.

Sie freundet sich mit der Tätowiererin Tak an, die einer Spezies angehört, die vier Geschlechter hat, von denen eines zwischen männlich und weiblich hin- und herwechselt. Dabei wird unter anderem thematisiert, dass dieser zyklische Wechsel in den vor-technisierten Zeiten mit dem unangenehmen Gefühl verbunden war, im falschen Körper zu stecken, wohingegen es diesem Geschlecht heute möglich ist, sich mit Hilfe von einem Implantat tatsächlich zu wandeln. Somit wechselt Tak, der sich mit seiner Tattoo-Kunst damit auskennt, den Geist mit dem Körper zu verbinden, im Roman regelmäßig hin und her, und dann ändert sich auch sein Pronomen. In den Zwischenphasen ist ser unbestimmt, was ebenfalls durch das Pronomen ausgedrückt wird. Auch in Fällen, in denen man als Leser/in nicht weiß, ob ein Charakter oder eine KI männlich oder weiblich ist, wird auf das „ser“ zurückgegriffen, und ein Fauxpas ist eine peinliche Angelegenheit. Eine Welt, in der der Gender-Default „Alles ist immer erst mal männlich“ nicht existiert! Hurra! Das allein ist schon Utopie, die sich zu lesen lohnt!

Wer nach actiongeladener Space Opera sucht, ist bei Becky Chambers vermutlich falsch. Auch im ersten Teil hatte ich schon den Eindruck, gute Fanfiction zu lesen – in dem Sinne, dass der Fokus auf den Charakteren und ihrem Innenleben liegt. Es las sich gleichzeitig nicht zu blümchenhaft, und der zweite Teil schafft das erneut. Das Leben von Jane 23 auf den Schrotthalden des Klonerplaneten ist rau, widerlich, realistisch (nein, sie freundet sich nicht mit einem der streunenden Hunde an, sie tötet und isst sie) und hat mich mehr als einmal zu Tränen gerührt. Auch das Leben in der GU, wie die planetenübergreifende Staatenunion im Wayfarer-Universum heißt, ist nicht immer eitel Sonnenschein, Sidra und Pepper müssen stets die Entdeckung und Sidras Löschung fürchten. Für mich besticht die Romanreihe durch die ungewöhnliche Mischung aus großem Worldbuilding und sehr persönlichen Geschichten.


Fazit

„Zwischen zwei Sternen“ ist ein Buch, das sich so anfühlt, als hätte mein Tumblr-Stream es geschrieben: Mit dem optimistischen Geist politisch links-orientierter, inkludierender Menschen spricht es auf ruhige und philosophische Weise über Bestimmung und Selbstbestimmung, über Geschlechter und Empfindungen, über Andersartigkeit und Lebensberechtigung. Besonders der Storystrang um das entflohene Klon-Mädchen Jane ist ein echter Page-Turner.


Pro und Contra

+ Sindra, Pepper, Blue und Tak als leicht freakiges Protagonisten-Team
+ die Vision einer nicht durchweg, aber überwiegend positiven Zukunft im All
+ interessante Aliens, die Blickwinkel auf unsere eigene Gesellschaft im Wandel bieten
+ die Rückblenden-Kapitel um Jane und Eule sind unglaublich gut
+ auch ohne Teil 1 gut lesbar

- es passiert nicht wirklich viel
- mich persönlich hat es nicht gestört, aber einige Rezensenten offenbar sehr: Die Wayfarer-Crew aus Teil 1 kommt nicht vor

Wertung: sterne4.5

Handlung: 3/5
Charaktere: 5/5
Lesespaß: 5/5
Preis/Leistung: 5/5


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Tags: Space Opera, Künstliche Intelligenz, SF-Autorinnen, Becky Chambers, progressive Phantastik, Aliens