Das Buch des Phönix (Nnedi Okorafor)

Cross Cult, Oktober 2017
Originaltitel: The Book of Phoenix
Übersetzerin: Claudia Kern
Klappenbroschur
400 Seiten, 18,00 EUR
ISBN: 978-3-95981-493-5

Genre: Science Fiction


Klappentext

Man hat sie vieles genannt – ein Forschungsobjekt, ein Ding, eine Abscheulichkeit. Sie selbst nennt sich Phoenix und ist ein genetisches Experiment. Mit nicht mehr als zwei Lebensjahren verfügt Phoenix über den Körper und den Verstand einer Erwachsenen – und über Kräfte jenseits aller Vorstellungskraft. Eines Tages jedoch beschließt sie, nach Antworten zu suchen. Sie bricht aus ihrem Zuhause aus - dem mysteriösen Turm 7. Dabei muss sie erkennen, dass dieser keine Zuflucht war, sondern ein Gefängnis.


Rezension

Isoliert von einer Welt, die sie nur aus den unzähligen Büchern kennt, die sie gelesen hat, lebt Phönix in einem Hochhausturm im Herzen New Yorks. Hier, verborgen vor aller Augen, werden genetische Experimente durchgeführt. Die Ergebnisse sind Menschen wie Phönix, die sengende Hitze abstrahlen kann, Mmuo, der durch Wände geht, oder Saeed, der sich von Sand, Glas und Rost ernährt. Obwohl Phönix dank einer phänomenalen Auffassungsgabe tausende Bücher verschlungen hat und den genetischen Experimenten, die an ihr durchgeführt wurden, den Körper einer Vierzigjährigen verdankt, ist sie gerade einmal zwei Jahre alt und es fehlt ihr an Lebenserfahrung.

Vielleicht ist die sehr, manchmal sogar irritierend einfache Sprache des Buches darin begründet. Ein weiterer Faktor dürfte sein, dass Phönix‘ Geschichte den Charakter einer mündlichen Erzählung hat. Die Rahmenhandlung des Buches ist die, dass ein Mann Jahrhunderte später Phönix‘ Erinnerungen lauscht und sich seine eigenen, folgenreichen Gedanken dazu macht – tatsächlich werden die Figuren aus „Wer fürchtet den Tod“ deren Auswirkungen spüren.

Phönix braucht lange, um zu begreifen, dass die grausamen Experimente, die an ihr und ihren Leidensgenossen durchgeführt werden, alles andere als normal sind. Erst, als Saeed, in den sie verliebt ist, es nicht mehr aushält, entschließt sie sich zur Flucht. Nun erst zeigen ihre Bewacher ihr wahres Gesicht. Phönix flieht, ein ganz besonderes Samenkorn von einem anderen Planeten im Gepäck, nach Afrika. Aber weder hat LifeGen, die Firma, die hinter den Experimenten an Phönix und vielen anderen steht, sie vergessen, noch ist Phönix bereit, ihnen die Verbrechen zu vergeben, deren Ausmaß sie erst nach und nach begreift.

Auf ihrer Reise entdeckt sie auch allmählich, wie sehr ihr Körper sich von denen anderer Menschen unterscheidet. Phönix‘ Skelett ist aus Metall, früh im Buch bersten Flügel aus ihrem Rücken und sie kann in alles zerstörendem Feuer verbrennen, um sich anschließend zu regenerieren. Ein geflügelter Mann, der ebenfalls in Turm Sieben gefangen war, kann ihr einiges beibringen. Zugleich behält er aber auch viel für sich. Tatsächlich liefert das Buch keine Erklärung dafür, was ihn eigentlich motiviert, wo er sein Wissen herhat, und wieso er es nur so sparsam mit anderen teilt.

Phönix vollzieht im Laufe der Handlung eine Wandlung von einem sehr passiven Charakter zu einer Frau, die aktiv Beziehungen eingeht und sich in Kämpfe stürzt. Sie braucht lange, um ihr theoretisches Wissen über die Welt wirklich auf diese beziehen zu lernen und zu der Rebellin zu werden, die überall Aufstände inspiriert. Saeed und Mmuo, der geflügelte Mann, der sich nur „Sieben“ nennt und der afrikanische Arzt Kofi, in den sich Phönix verliebt, sind alle sanfte, kluge Männer mit tragischen Vorgeschichten. Leider wird ihren Beziehungen teilweise nur wenig Zeit gegeben, sich zu entwickeln und Lesern dadurch realer und kostbarer zu erscheinen, sodass der Schock und die Trauer, wenn Phönix und jemand, den sie liebt, auseinandergerissen werden, in einigen Szenen nicht so intensiv ist, wie sie sein könnten. Am Ende hat man nicht bei allen zentralen Charakteren das Gefühl, sie wirklich zu kennen.

„Das Buch des Phönix“ nimmt sich immer wieder wenig subtil, aber mit großer Eindringlichkeit der Themen Rassismus und Kolonialismus an – obwohl es in der Zukunft spielt (eine genaue Zeit wird nicht genannt, aber z.B. ist die Klimaerwärmung schon weit genug fortgeschritten, dass Teile der Welt unter Wasser stehen, und eröffnen technischer und medizinischer Fortschritt und Kontakt mit Außerirdischen neue Möglichkeiten in der Genforschung), klingt es fast so, als habe die Kolonialzeit in den Köpfen vieler Figuren nie wirklich geendet: Afrikanische Länder wie Nigeria werden nach wie vor und mit der Duldung ihrer Regierungen von amerikanischen Konzernen ausgebeutet, Angehörige von Minderheiten sind stets die ersten, die von Anti-Terror-Einheiten kontrolliert werden, und nicht zufällig sind nahezu alle menschlichen Versuchsobjekte in den Türmen (einschließlich Phönix) Afrikaner (oder Amerikaner mit afrikanischen Vorfahren), die nur als eine Ressource betrachtet werden, die darauf wartet, wirtschaftlich/ militärisch/ medizinisch nutzbar gemacht und nach dem Gebrauch entsorgt zu werden.

Phönix sieht in dieser Überheblichkeit den Grund dafür, wieso die Türme nicht annähernd so gut geschützt sind, wie sie eigentlich sein müssten. Sie ist überzeugt, dass deren Betreiber die Exemplare wegen ihrer afrikanischen DNS für von Natur aus folgsam und unfähig halten. Tatsächlich erscheint mir das aber wie keine sehr glaubwürdige Erklärung dafür, dass Phönix‘ Gegner oft geradezu lächerlich leichtsinnig und schlecht auf Krisen vorbereitet zu sein scheinen.

Zwei immer wiederkehrende Stimmungen sind Wut und Staunen. Es gibt immer Momente, in denen Phönix über andere Menschen oder Naturwunder oder ihre eigenen Verwandlungen und das Erwachen ihrer Sexualität staunt, aber viele Szenen werden auch von ihrem kompromisslosen (und berechtigten) Zorn bestimmt.


Fazit

„Das Buch des Phönix“ ist ein wütendes, originelles Buch über menschliche Arroganz und Grausamkeit gegenüber denjenigen, die anders sind – und die Entschlossenheit dieser Anderen, mit aller Macht zurückzuschlagen. Der Stil ist teilweise sehr simpel, es dauert eine Weile, bis Phönix Persönlichkeit greifbar und sie ein wirklich aktiver Charakter wird und einige Aspekte der Handlung erscheinen etwas unglaubwürdig. Aber trotz dieser Schwächen hat Nnedi Okorafor einen kraftvollen Roman voller spannender Ideen geschrieben.


Pro und Contra

+ originelle Ideen
+ spannende Sci-Fi-Elemente
+ gut geschilderte, außergewöhnliche Settings
+ interessante Überlegungen zur Kraft, aber auch Manipulierbarkeit von Geschichte(n), zu Kolonialismus, Rassismus & fehlgeleiteter Wissenschaft

- auffallend schlichte Sprache (1. Person, Präsens)

- Phönix‘ Gegenspieler machen unglaubwürdige Fehler
- Figuren und ihre Beziehungen hätten noch etwas besser gezeichnet sein können

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 3,5/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3/5


Rezension zu "Lagune"

Rezension zu "Wer fürchtet den Tod"

Rezension zu "Binti"

 

Tags: Nnedi Okorafor, Africanfuturism, SF-Autorinnen, Afrofuturismus, Schwarze Autor*innen