Die Stunde, in der ich zu glauben begann (Wally Lamb)

Verlag: Pendo (März 2009,)
Übersetzt von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann
752 Seiten, € 22,95
ISBN: 978-3866122062

Genre: Belletristik


Inhalt

Gibt es eine göttliche Vorsehung? Oder wird die Welt vom Chaos regiert? Als ein unbegreifliches Gewaltverbrechen über Caelum und seine Frau Maureen hereinbricht, gerät ihr Leben vollkommen aus den Fugen. In einer Welt, die scheinbar jeglichen Sinn verloren hat, schickt Wally Lamb seine Figuren auf eine Reise, von der sie erst durch einen ungeheuren Akt der Hoffnung erlöst werden.

Erst vor kurzem sind Caelum Quirk und seine Frau Maureen nach Colorado gezogen. Doch was ein Neubeginn für ihre Ehe sein sollte, findet kurz darauf durch den Amoklauf an der Columbine Highschool ein abruptes Ende. Mitten in dem blutigen Massaker: Maureen, die den Anschlag stundenlang versteckt in einem Wandschrank überlebt. Traumatisiert flüchtet sie in eine eigene Welt. Ohnmächtig muss Caelum zusehen, wie seine Frau ihm immer mehr entgleitet. Bis das Ungeheuerliche geschieht. Betäubt von Medikamenten, die ihren Schmerz lindern sollen, wird Maureen schuldig am Tod eines Jungen - und landet just in jenem Gefängnis, das Caelums Großmutter knapp hundert Jahre zuvor als erstes Frauengefängnis des Landes begründete. Für Caelum schließt sich auf fatale Weise ein Kreis. Will er Maureen und seine Liebe zu ihr retten, muss er sich endlich der Geschichte seiner Familie stellen und jenes dunkle Rätsel seiner Herkunft lösen, vor dem die starken Frauen seiner Familie ihn stets zu schützen versuchten.


Rezension

In dem Buch geht es hauptsächlich um Caelum, eindeutig ein weiteres Opfer eines Opfers. Nach der Traumatisierung seiner Frau Maureen bei dem Massaker in der Columbine High gerät sein Leben völlig aus den Fugen, nichts ist mehr so, wie es vorher war und auch Maureen verändert sich völlig. Aus der patenten Krankenschwester wird eine verhuschte, tablettenabhängige und verängstigte Frau, die mit dem Leben nicht mehr klarkommt. Caelum versucht sein Bestes, aber Maureen will sich einfach nicht helfen lassen - und so passiert ein Schicksalsschlag nach dem anderen, der dann in der Inhaftierung Maureens endet. Caelum kann einfach nichts dagegen machen, einmal saß er in einem Flugzeug neben einem Chaostheoretiker, der das Leben mit Dominosteinen vergleicht, und genauso sieht Caelum einen Dominostein nach dem anderen fallen.

Gleichzeitig erzählt Wally Lamb aber auch die Geschichte von Caelums Großmutter, die über den amerikanischen Bürgerkrieg bis zu einem Abendessen bei Mark Twain und letztendlich zur Gründung des ersten Frauengefängnisses führt. Lizzy Popper war ihr ganzes Leben lang in Sachen der Gleichbehandlung von Frauen politisch aktiv und unterwegs, ihre eigene Familie musste darunter schon immer leiden.

Nebenher werden auch noch die Geschichten von einigen anderen Leuten erzählt, von einem Ehepaar, das Opfer des Wirbelsturms Katrina wurde und einen besonderen Platz in Caelums Leben einnimmt. Von Velvet, die auch das Massaker der Columbine überlebt und sich beharrlich in sein Leben drängt. Von Caelums Mutter, seinem Vater und seinen Freunden - ihnen allen ist ausführlich Platz in diesem Buch gewidmet.

In epischer Breite erzählt Wally Lamb die Geschichte, er wiederholt sehr viel und verliert sich langatmig auch in den kleinsten Nebensächlichkeiten. Manchmal hat man das Gefühl, er wusste in der Mitte schon nicht mehr, was er am Anfang geschrieben hat, das Ende zieht sich unwahrscheinlich lange hin.

Wäre weniger wirklich mehr? Eigentlich nicht, wobei man sich ein paar Wiederholungen durchaus hätte sparen können und nicht jede kleinste Kleinigkeit erzählen muss. Man liest eine Familiensaga, der Teil mit der Großmutter ist die Historie und sehr informativ und unterhaltend, die Figuren sind authentisch und charakterfest. Caelum ist nie richtig einzuordnen, mal ist er sympathisch, dann wieder nicht. Maureen kann von Anfang an nicht überzeugen - sie hat es auch das ganze Buch hinweg nicht geschafft, sich in einem positiven Licht zu präsentieren.

Es gibt so viel zu entdecken und zu lesen in dem Buch, Tablettensucht, posttraumatische Störungen, Schulprobleme, Katrina, 9/11, der Krieg im Irak und der Bürgerkrieg, Mark Twain, und noch vieles mehr, man kann gar nicht alles aufzählen. Es geht hier in keinster Weise um den Glauben oder Bekehrung, er spielt zwar immer mal wieder ein Rolle, hat aber mit der Geschichte nichts zu tun. Eigentlich ist das Ganze eine Gesellschaftskritik, die anhand von Ereignissen stellvertretend an einzelnen Personen deren Schicksale und ihre Konsequenzen erzählt. Das Opfer eines Opfers ist die zentrale Aussage des Buches - und das ist Caelum ganz eindeutig, stellvertretend für alle anderen, die durch Schicksalsschläge an Angehörigen gehörig aus der Bahn geworfen werden.

Der Klappentext und der Titel passen eigentlich überhaupt nicht, das Buch geht in eine ganz andere Richtung, als man dem Titel nach annimmt, das hat der Verlag nicht sehr schlau gewählt.


Fazit

"Die Stunde, in der ich zu glauben begann" ist eine einprägsame und einfühlsame Geschichte eines Opfers der Umstände. Vieles wird angesprochen und über vieles muss man anschließend auch nachdenken. Ein bisschen zu viel wird hier in das Buch gepackt, so schnell kann man das Gelesene gar nicht vernünftig verarbeiten.


Pro und Contra

+ einfühlsame Familiengeschichte
+ fesselnder Erzählstil
+ viele bedeutende Ereignisse
+ interessante historische Ereignisse
+ Hintergrundwissen über reale Vorfälle
+ Denkanstöße

- epische Breite
- falscher Titel

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3,5/5