Die Glut (Sandór Marái)

die glut

Piper, 25. Auflage (2001)
Originaltitel: A gyertyák csonkig égnek
Übersetzt von Christina Viragh
Taschenbuch, 224 Seiten, 14,00 EUR
ISBN: 978-3492233132

Genre: Belletristik / Literatur-Klassiker


Klappentext

Darauf hat Henrik über 40 Jahre gewartet: Sein Jugendfreund Konrád kündigt sich an. Nun kann die Frage beantwortet werden, die Henrik seit Jahrzehnten auf dem Herzen brennt: Welche Rolle spielte damals Krisztina, Henriks schöne junge Frau? Warum verschwand Konrád nach jenem denkwürdigen Jagdausflug Hals über Kopf? Eine einzige Nacht haben die beiden Männer, um den Fragen nach Leidenschaft und Treue, Wahrheit und Lüge auf den Grund zu gehen.


Rezension

Mit der Wiederentdeckung des Romans „Die Glut“ aus dem Jahr 1942 und der Neuausgabe um 1999 ist Sandór Marái als bedeutender Schriftsteller des 20. Jahrhunderts anerkannt worden. Spürbar in dem Roman wird die eigene Einsamkeit und Melancholie des Schriftstellers, dessen Lebzeit, durch den Zerfall des k.u.k.-Reichs und den zersplitterten politischen Verhältnissen, von Heimatlosigkeit und dem Warten auf eine Rückkehr nach Ungarn geprägt war.

Der alte ungarische General Hendrik ist sowohl Protagonist als auch über weite Strecken des Romans der Erzähler, der sich seinem Jugendfreund Konrád nach der langerwarteten, aber unverhofften Rückkehr, wieder gegenübersieht. Trotz der einmaligen Chance, die ganze Wahrheit über die ferne, gemeinsame Vergangenheit zu erfahren, die nur Konrád kennt und die Krisztina mit ins Grab getragen hat, zieht Hendrik es vor, in nahezu einem Monolog, seine gewonnenen Erkenntnisse auszubreiten, nachdem er beinah vier Dekaden in Einsamkeit darüber nachdenken und grübeln konnte.

Wie schon im Klappentext aufgezeigt, ist Hendrik getrieben, Antworten zu geben auf Fragen, von denen er nur die halbe Wahrheit kennt. Hatten Konrad und Krisztina eine heimliche Liebschaft? Zielte Konrad an dem einen Tag auf der Jagd, nachdem er für 40 Jahre ohne ein einziges Wort von der Bildfläche verschwand, mit tödlicher Absicht auf Hendrik? Hätte sich Hendrik mit Krisztina aussöhnen müssen? War Sie nicht insgeheim das eigentliche Opfer der Affäre? Die, die von Konrad verlassen und von Hendrik verstoßen wurde, was ihr zuerst die Gesundheit und zuletzt das Leben gekostet hat? Obwohl ihm der Freund gegenübersitzt, still, beobachtend, reserviert, sucht er nicht den Dialog, nicht die Antwort oder die Wahrheit bei ihm, nicht die Verteidigung, nicht die Rechtfertigung oder die eigentlichen Motive. Er hatte lang genug Zeit, sich seine eigene Wahrheit der Dinge zu konstruieren und hält daran fest, überzeugt, bestimmt, selbstsicher. Getrieben von dem Feuer, das ihn verzehrte, um diesen einen Tag des Wiedersehens zu überleben, auf den er so lange wartete. In dieser Metapher wird auch das Sinnbild des Romantitels deutlich, das Motiv der Glut, welches an mehreren Stellen im Buch Eingang findet. Die Glut, die allesverzehrende Leidenschaft von Sehnsucht und Liebe.

Der Protagonist Hendrik, im Mittelpunkt fixiert, ist der einzig ausgebaute Charakter in diesem Roman. Sowohl Konrad als auch Krisztina sind nur silhouettenhaft ausgearbeitet, bleiben nebulös und geheimnisumwoben, da Konrad kaum zu Wort kommt. Im Monolog entwirft sich Hendrik, der doppelt betrogene, sprechend neu, schwankt zwischen seinen Weltanschauungen und seinen verschiedenen Rollen, sinniert über Vertrauen und Verrat, die Werte der Treue und die Bedeutung von Freundschaft, teilweise nüchtern und knapp, dann ausschweifend und pathetisch. Es scheint, als hätte er nur für diesen einen Moment gelebt, für diese eine Nacht, in der er sich aussprechen kann. Obwohl Hendrik im Besitz von Krisztinas Tagebuch ist, das womöglich einzige Beweisdokument und die Antwort auf all seine Fragen, die Bestätigung all seiner Vermutungen, vernichtet er dieses ungeöffnet vor Konráds Augen. Fest in dem Glauben, dass das „eigene Leben die Antworten gibt, wenn es den Fragen entsprechend gelebt wurde“.

Trotz naheliegender Erwartungen, kulminiert das Ende des Romans nicht in der Entlarvung oder dem Racheakt des doppelt Betrogenen zu seinem Freund, sondern mit einem stillen und offenen Abschied, scheinbar erlöst ohne eine Auflösung. Und trotz der Entfremdung der Jugendfreunde, sind sie doch gemeinsam geeint durch die Sehnsucht nach Krisztina, einer Toten, die ihrem beider Leben Sinn verlieh.


Fazit

Ein lesenswerter Roman, der durch den kammerspielartigen Charakter und den Monolog über die existenziellen Fragen des Lebens die Lesenden in den Bann zieht. Rhythmisch, poetisch und plastisch geschrieben, hat das Buch, trotz des eher unwesentlichen historischen Kontextes, nichts an Aktualität eingebüßt, durch zeitlose Themen wie Sehnsucht, Freundschaft, Treue und Liebe. Nach der Wiederentdeckung hat Sándor Márai mit seinem Werk einen Platz unter den Klassikern der Weltliteratur verdient.


Wertung: sterne4

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 5/5