Janika Rehak (22.04.2024)

Interview mit Janika Rehak

Janika Rehak2024Literatopia: Hallo, Janika! Mit „Elegie2 - Der letzte Pianist“ ist ein weiterer Roman von Dir aus der Reihe „Zombie Zone Germany“ erschienen. Muss man den ersten Band oder andere Bücher der Reihe vorher gelesen haben? Und würdest Du uns zunächst einen kleinen Überblick geben, worum es in „Zombie Zone Germany“ geht?

Janika Rehak: Hi Judith, vielen Dank, dass ich hier sein darf und die Möglichkeit bekomme, den Roman und die „Zombie Zone Germany“ ein wenig vorzustellen. In der Redaktion nutzen wir meist die Abkürzung „ZZG“, daher würde ich diesen Terminus auch gern verwenden, wenn das okay ist.

Also, ganz kurz zusammengefasst: Wir schreiben Mai 2020 und Deutschland wird von einer Zombieapokalypse heimgesucht. Sämtliche Gegenmaßnahmen, die Seuche einzudämmen, scheitern und am Ende wird beschlossen, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Heißt: Es werden Grenzzäune und Mauern erreichtet, die die Bewohner*innen dazu zwingt, im Land zu bleiben. Wer es noch rechtzeitig raus schafft, kann sich glücklich schätzen. Alle anderen müssen drinbleiben und sich mit den Gegebenheiten herumschlagen. Mit den Zombies, dem gesellschaftlichen Zusammenbruch und allem, was dazu gehört.

Die Bücher aus der ZZG erzählen Geschichten aus diesem Universum. Das Ganze ist als Anthologie-Reihe ausgerichtet, jede Geschichte steht also für sich und ist in sich abgeschlossen. Verschiedene Autor*innen bespielen ganz unterschiedliche Settings, Ansätze und Situationen. Von sehr blutig bis sehr psychologisch und auch poetisch haben wir alles dabei. Die meisten Autor*innen wählen im Übrigen eine Umgebung, die sie selbst kennen, Orte, denen sie irgendwie verbunden sind. Das bringt auch Lokalkolorit mit rein. In gewisser Weise ist ZZG so ähnlich wie die Regionalkrimis. Nur ohne Krimi, dafür mit Zombies.

Und nein, es gibt keine feste Reihenfolge. Es kann aber sinnvoll sein, mit einer der beiden Storysammlungen zu beginnen, um sich mit dem Weltenbau vertraut zu machen. Was Elegie2 angeht, würde ich sagen: Es macht sicherlich mehr Spaß, wenn man vorher den ersten Teil gelesen hat. Das Ganze spinnt eine Charakterentwicklung weiter, die in Teil 1 ihren Anfang genommen hat. Man begleitet den Protagonisten auf seiner Reise und es schadet sicher nicht, wenn man weiß, wo er herkommt.

Literatopia: Deutschland steht in „Zombie Zone Germany“ komplett unter Quarantäne – wie wird diese durchgesetzt?

Janika Rehak: Das Land wird komplett abgeriegelt, um eine weitere Ausbreitung zu vermeiden. Es gibt Zäune und eine Art Niemandsland an den Grenzregionen. Mit anderen Worten: Das Ganze wird gewaltsam durchgesetzt. Tatsächlich ist uns bewusst, dass dieses Setting in der Praxis schwer durchzuführen wäre. Es ist auch schwierig zu gewährleisten ist, dass es wirklich lückenlos funktioniert. Es ist aber ein Konzept der Ursprungsidee, die wir von Torsten Exter, dem Erfinder der ZZG übernommen haben. Das ist es, womit wir Autor*innen arbeiten. Tatsächlich wissen die Menschen innerhalb der ZZG gar nicht, was jenseits des Grenzlandes los ist, ob es da draußen überhaupt noch eine Gesellschaft gibt, die funktioniert. Die Welt außerhalb ist erst einmal eine unerreichbare Idee. Und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, selbst wenn Untote im Spiel sind.

elegieLiteratopia: Inwiefern entsprechen die Zombies aus „Zombie Zone Germany“ gängigen Klischees? Und was unterscheidet sie von den Zombies aus diversen Filmen und Videospielen?

Janika Rehak: Wenn man den Vergleich sucht, dann ähneln die Untoten in der ZZG im Wesentlichen denen aus „The Walking Dead“ – langsam und aufs Fressen ausgerichtet. Sie haben keinerlei Werkzeugdenken und es gibt keine Evolution, sie reagieren lediglich rudimentär auf Reize. In Ausnahmefällen gibt es auch solche, die sich schnell bewegen können, dies tritt aber nur unter bestimmten Umständen auf und betrifft eher frisch Infizierte in einer Art „Tollwut“-Zustand, strenggenommen sind die noch gar nicht tot, bzw. nicht untot.

Die meisten ZZG-Zombies sind also eher stumpfsinnige Fressmaschinen, oder, etwas liebevoller ausgedrückt, simpel agierende Schlurfzombies.

Es ist aber auch gar nicht der Anspruch, eine besonders innovative Art von Zombie zu erschaffen. Auch „The Walking Dead“ hat sich ja in vielen Dingen von Romero inspirieren lassen. Der Zombie in der modernen Popkultur, also im Romero´schen Sinne ist meiner Meinung nach keine besonders spannende Figur. Ihr fehlen Absichten, Emotionen und Persönlichkeit, also das, was eine*n spannenden Antagonist*in ausmacht. Die Zombie-Figur denkt nicht, sie ist langsam und eigentlich vor allem in der Masse gefährlich.

Viel interessanter finde ich, was das mit einer Gesellschaft macht. Wie reagieren Menschen, Gruppen, einzelne Individuen auf die Situation? Hinter jedem „Schlurfzombie“ steckt ja auch eine Persönlichkeit, die nicht mehr existiert, ein Mensch, der anderen einmal etwas bedeutet hat. Und: Die Apokalypse ist ein Ausnahmezustand, Zombies bringen immer wieder Bewegung hinein, sie sind ein dynamischeres Element als z. B. eine Umweltkatastrophe oder Strahlung.

Ich bin gar nicht sicher, ob das die Frage beantwortet. Vielleicht bin ich ausgewichen? Eine Sache noch: Ich ganz persönlich finde Zombies, die rennen können, extrem fies. Ich meine, untot, schnell und ausdauernd und sie wollen mein Hirn aufessen? Okay, ich oute mich jetzt mal. Selbst ich als Zombie-Autorin würde schon bei einem Zombie-Run heulend zusammenbrechen, wenn ein als Untoter geschminkter Parcours-Läufer auf mich zuspringt. Deswegen mache ich sowas auch nicht.

Literatopia: In „Elegie“ ist Dein Protagonist Yosh Maibach mit mehreren Krisen konfrontiert – was läuft alles schief in seinem Leben? Und bedeutet all das noch etwas, als die Zombieapokalypse ausbricht?

Janika Rehak: Ja, der gute Yosh hat so einige Problemchen. Er steckt mitten in einer Trennung – die er nicht wahrhaben will, in seiner Gedankenblase machen er und seine Frau Fenja bloß eine „Pause“. Die Gründe für diese „Pause“ liegen größtenteils bei ihm. Er steckt in einer kreativen Flaute – ein Zustand, den er eigentlich nicht kennt – und alles ist für ihn auf eine unbestimmte Weise anstrengend. Er ist eine Mischung aus kreativem Burnout, Beziehungsproblemen und verfrühter Midlife-Crisis, zumindest will sein Umfeld ihm das immer wieder einreden.

Tatsächlich ist es eher so, dass Yosh durch und durch ein vergeistigter Künstlertyp ist. Ein in Watte gepacktes Wunderkind. Als Erwachsener kann er einfach so weitermachen, er ist ein erfolgreicher Starpianist, deshalb muss er nie die sozialen Fähigkeiten ausbilden, die man für ein Leben als verantwortungsvoller Erwachsener braucht. Einen Brotjob ausüben, eine reife Beziehung führen, die Organisation des Alltags – all das wird ihm mehr oder weniger abgenommen. Bis zu dem Tag, an dem seine Frau die Nase voll hat. Nun ist Yosh nicht blöd und auch nicht hoffnungslos unempathisch, im Gegenteil. Er ahnt durchaus, dass es an ihm liegt. Er weiß nur nicht, was er dagegen tun soll. Er wäre bereit, etwas zu ändern, an sich zu arbeiten, ist aber überfordert, weil er es nie lernen musste.

All das mutet in der Zombieapokalypse natürlich wie ein Luxusproblem an. Ist es auch. Zugleich war genau das der Ansatz für die Figur. Klar, Yosh ist ein Archetypus, jemand, der für die Kunst lebt und das Glück hat, damit erfolgreich zu sein. Aber was, wenn man ihm all das wegnimmt? Die Musik war immer die Konstante, war immer der Halt in seinem Leben. Das bricht nun plötzlich weg.

Die Zombieapokalypse stellt Yosh wie alle anderen vor die Frage: Wie weitermachen? Wie überleben?

Bei Yosh, mit all seinen sozialen Ängsten, stellt sich darüber hinaus die Frage: Wofür weiterleben? In einer Zombiewelt braucht kein Mensch mehr Musik - oder? Und Fenja ist unerreichbar, verschollen, vermutlich (un)tot. Also: Was nun? Ich war neugierig: Was macht diese Situation mit jemandem, der schon mit den normalen Alltagsherausforderungen kaum zurechtkommt?

Literatopia: In „Elegie2“ hat sich Yosh mit den Zombies arrangiert – wie geht das? Was muss er tun, um zu überleben?

Janika Rehak: Na ja, ganz simpel ausgedrückt: Er reißt sich zusammen und kriegt endlich mal den Allerwertesten hoch. Er trifft ganz bewusst die Entscheidung, sich der Herausforderung zu stellen und übernimmt Verantwortung. In der Apokalypse ist niemand mehr da, der ihm alles hinterherträgt, jetzt muss er sich selbst darum kümmern. Und zu seinem eigenen Erstaunen kriegt er das ziemlich gut hin. Er erlebt sich als handlungsfähig. In gewisser Weise ist die Apokalypse sogar gut für seine Charakterentwicklung. Sonst würde er vielleicht in 20 Jahren immer noch dasitzen, geschieden, ohne Inspiration, unglücklich, und sich wundern, was in seinem superprivilegierten Leben verdammt noch mal eigentlich schiefläuft.

Außerdem gibt es Menschen, die ihm wichtig sind, die er beschützen möchte. Okay, am Ende des Tages beschützen sie eher ihn, aber er gibt sein Bestes.

Das Wichtigste ist tatsächlich die bewusste Entscheidung, zu kämpfen, für sich und andere. Die Ressourcen dafür sind durchaus da. Yosh ist Konzertpianist, da muss er ja irgendwie hingekommen sein. Disziplin, Durchhaltevermögen, Zielstrebigkeit, das hat er alles. Er ist auch einigermaßen sportlich, er joggt als Ausgleich für die vielen Stunden am Klavier. Also ganz ehrlich: Er hat nicht wirklich eine Ausrede.

Damit will ich keineswegs psychische Probleme verharmlosen, im Gegenteil. Das ist aber inhaltlich ein ganz anderes Thema und bräuchte einen anderen Umgang. Ein guter Teil von Yoshs Problemen beruht tatsächlich auf einer ausgeprägten Komfortzone, die er sich selbst aufgebaut hat und die er sich aufgrund seiner Privilegien auch leisten kann. Da scheuchen ihn erst die Zombies raus. Freiwillig hätte er sie wohl nie verlassen.

Literatopia: Erzähl uns mehr über Yoshs Konkurrenten Seok-Jung. Wie lange kennen sie sich schon? Was ist Seok-Jung für ein Typ? Und wie kommt er damit zurecht, mit Yosh eingesperrt zu sein?

Janika Rehak: Tatsächlich war Seok-Jung als agierende Figur gar nicht geplant. Er wird in Teil 1 ein paar Mal erwähnt, als, da ist er allerdings noch namenlos, immer nur „der hübsche Junge aus Südkorea“. Er ist auch Pianist, und zwar einer, der Yosh im Ranking bei den Klassik-Charts immer wieder auf Platz 2 verdrängt. Sie kennen sich also schon eine Weile, genau genommen, seit Seok-Jung auf dem internationalen Parkett aufgetaucht ist. Yosh gibt sich als sportlicher Verlierer, aber zwischen den Zeilen spürt man – hoffentlich!!! – dass die Sache fürchterlich an seinem Ego nagt. Eigentlich war Seok-Jung nur ein Stilmittel, auch eine Art Running Gag, der für den Plot gar nicht relevant war.

Als dann die Idee zu Teil 2 in mir zu arbeiten begann, wusste ich, dass dieser Pianist aus Yoshs Vergangenheit darin auftauchen musste. Seok-Jung ist also eine bereits existierende Figur, die ich nun zu einer handelnden Person ausarbeiten durfte. Das war unfassbar spannend, da ich mich natürlich an die Vorgaben halten musste, die ich in Teil 1 selbst aufgebaut habe. Wenn ich da ich ganz frei gewesen wäre, dann hätte ich das vielleicht völlig anders gestaltet, hätte eine andere Nationalität oder Geschlechtsidentität gewählt - und eine der größten Herausforderungen war es, Seok-Jung aus Südkorea nach Deutschland zu holen, mitten in die Zombie Zone. Aber es sagt ja auch niemand, dass Schreiben immer einfach sein muss.

Tatsächlich kennen Seok-Jung und Yosh sich eher oberflächlich. Sie begegnen sich immer wieder, verfolgen die Karriere des anderen, aber sie sind keine Freunde. Seok-Jung hätte das gern, aber es scheitert an Yoshs verschlossener Art.

Bei der Entwicklung von Seok-Jungs Persönlichkeit bin ich von einem gut vermarkteten Popstar ausgegangen. Er ist extrovertiert, ein Show-Mensch und Social-Media-Liebling, er ist freundlich, verspielt, ein kreativer Kindskopf und dass er wie ein K-Pop-Idol aussieht, schadet seiner Karriere sicherlich auch nicht. Aber er ist auch ein extrem begabter Pianist, ein begnadeter Chopin-Interpret. Sein Erfolg gründet sich also nicht bloß auf ein paar hunderttausend Likes und dass er besser auf der Social-Media-Klaviatur spielen kann. Seok-Jungs Talent ist etwas Echtes, der Platz 1 ist also verdient. Yosh muss ihn als Kollegen und Konkurrenten ernst nehmen.

Seok-Jung dagegen bewundert Yosh total. Und das macht es für Yosh noch viel schlimmer. Als die beiden im Flüchtlingslager aufeinandertreffen, findet Seok-Jung das absolut super und er sucht dauernd Anschluss an Yosh. An einem bestimmten Punkt kann Yosh dann nicht mehr weglaufen, weder vor Seok-Jung noch vor dem, wofür er steht: Für die Musik, die Yosh so sehr vermisst. Und dafür, dass Yosh – selbst in der Apokalypse – immer noch nur der zweitbeste Pianist ist. Auf dem internationalen Klassik-Parkett konnte er das leidlich ignorieren. Auf engstem Raum irgendwann nicht mehr.

zombie zone germanyLiteratopia: „Zombie Zone Germany“ begann mit einer Anthologie, in der Du nicht vertreten warst. Wie bist Du dazu gekommen, für die Reihe zu schreiben?

Janika Rehak: Ja, die Anfänge von ZZG sind tatsächlich an mir vorbei gegangen. Tatsächlich kamen die wichtigsten Figuren aus Teil 1, Yosh und seine Stiefschwester Kiyomi, in einem Traum zu mir. Ich habe von einem menschenscheuen Pianisten geträumt, der mit seiner Stiefschwester in einem abgelegenen Anwesen lebt – und plötzlich waren draußen Zombies unterwegs. Die beiden haben sich in dem Haus eingeschlossen, nur aufeinander bezogen mit viel zu viel Wein im Keller, total realitätsfern. Die Idee hat sich festgesetzt und in mir gearbeitet, ich habe aber lange nicht das richtige Format gefunden. Ich dachte, das wird eher eine Kurzgeschichte oder eine längere Erzählung, ich war anfangs nicht mal sicher, ob Zombies dazu gehören.

Dann habe ich bei einer Netzrecherche den Amrun-Verlag und ZZG entdeckt – ganz zufällig. Da wusste ich: Das wird das Zuhause für meine Geschichte. Und ich bin sehr glücklich, dass es geklappt hat.

Literatopia: Du hältst Horror für eine sträflich unterschätzte Kunstform – würdest Du uns das näher erläutern? Inwiefern wird Horror unterschätzt?

Janika Rehak: Uff, eine wunderschöne Frage, für die ich jetzt etwas ausholen muss. Für alle, die es bis hierhergeschafft haben, holt euch schon mal den zweiten Kaffee. Also, ich fange mal so an: Wenn ich den Leuten erzähle, was ich schreibe, dann ernte ich eher selten positive Reaktionen, zumindest jenseits der Phantastik-Blase nicht. Ich bin auch im Verband deutschsprachiger SchriftstellerInnen aktiv und da höre ich eher ein skeptisches „Aha“, manchmal ein „Igitt“ oder „Ausgerechnet Horror? Warum das denn?“ Wenn ich dann auch noch Zombies erwähne, dann sind viele komplett raus.

Nicht alle mögen Zombies. Ist klar. Nicht alle mögen Horror. Muss man auch nicht. Es gibt auch einige Genres oder Themen, mit denen ich wenig bis gar nichts anfangen kann. Ich nehme sie aber trotzdem ernst als literarische Arbeit – die ich dann zwar derzeit nicht lese, die aber anderen viel Freude bereiten. Und gerade bei Horror habe ich das Gefühl, der Blick darauf ist eher einseitig.

Klar, es gibt Horrorwerke, die zielen auf bloße Unterhaltung ab, auf Schocks, einen hohen Bodycount und manchmal auch auf Ekel. Diese Werke wollen gar nichts anderes sein als Unterhaltung, und das ist auch vollkommen okay.

Aber wer sagt, dass Horror nicht trotzdem eine großartige Geschichte mit coolen, tiefgründigen Figuren erzählen kann? Oder auch auf morbide, surreale Weise ästhetisch ansprechend sein kann?

Ich mag Geschichten, die neben der eigentlichen Handlung einen Subtext enthalten, der mich fesselt. Zum Beispiel die Geschichte einer auseinanderdriftenden Beziehung. Oder von einem verwickelten Familiengefüge. Von Sehnsüchten, Wünschen, von gesellschaftlichen Ungleichheiten oder Brüchen, von Verlust. Und ich bin der Meinung: Horror kann hervorragend eingesetzt werden, um das zu unterstreichen. Gerade wenn den Figuren die Worte fehlen, sie noch nicht ausdrücken können, was sie brauchen.

Ich bin vor einiger Zeit auf den Begriff Art-Horror gestoßen und den finde ich großartig. Es gibt inzwischen einige Filme, die Horror als künstlerisches Stilmittel einsetzen. „Midsommar“ von Ari Aster zum Beispiel. „Mr. Babadook“, „Die Einöde“ oder „Lamb“. Sie erzählen Geschichten, die auch ohne Horror funktionieren würden, der Horror unterstützt den Plot und die Konflikte, statt umgekehrt. In gewisser Weise bilden die Horrorelemente die Schnittstelle zum realen Grauen, zu verschütteten oder verdrängten Emotionen, zum Unbegreiflichen oder zum Unsagbaren.

Ich hoffe, dass es in Zukunft mehr Geschichten in diesem Stil geben wird. Strenggenommen gilt das natürlich für alle phantastischen Genres. Statt Horror lassen sich auch märchenhafte Elemente verwenden, um Dinge zu unterstreichen oder ihnen Nachdruck zu verleihen. Ich denke aber, bei Horror gibt es insofern Nachholbedarf, da immer noch viele denken, Horror sei einfach nur zum Gruseln da. Wie gesagt, ich bin völlig fein mit Horror, der „nur“ gruseln oder unterhalten will. Ich finde aber, Horror kann auch Dinge, die darüber hinaus gehen.

Literatopia: Gemeinsam mit Yvonne Tunnat hast Du die Steampunk-Anthologie „Der Tod kommt auf Zahnrädern“ herausgegeben, die ebenfalls recht düster ist. Was fasziniert Dich persönlich an Steampunk? Und inwiefern eignet sich Steampunk für Horrorgeschichten?

Janika Rehak: Ich denke, dass sich Horrorelemente mit allen Genres kombinieren lassen, egal, ob wir von verschiedenen Punk-Richtungen reden, von High Fantasy oder von Geschichten im Märchenstil. Generell bin ich ein Fan von fließenden Grenzen. Bei Steampunk fasziniert mich zum einen das viktorianische Setting und dass dort zugleich vieles aufgebrochen wird, zum anderen eine fiktive Retro-Technik. Da drängt sich natürlich immer die Frage auf: Wie weit sind Menschen bereit, zu gehen? Was sind sie bereit zu tun, einander anzutun? Sei es im Namen der Wissenschaft oder einfach nur, weil sie es können? Tadaa, und da haben wir unseren Horror-Ansatz inklusive moralischer Fragestellung.

Literatopia: Aktuell bist Du auch in der von Marianne Labisch herausgegeben Anthologie „Strandgut“ vertreten – worum geht es in Deiner Kurzgeschichte?

Janika Rehak: Das Hauptthema der Anthologie sollte Flucht sein. Ich habe ein Near-Future-Setting gewählt, das unserer Welt und Gesellschaft weitgehend gleicht, in einem Land, das ich nicht weiter benenne. Man kann Deutschland hineinlesen, aber auch Kanada oder Neuseeland, es kann auch eine fiktive Parallelwelt sein, es spielt keine Rolle. Die Protagonist*innen leben ein Poly-Modell: Eine Frau und ihre beiden Ehemänner ziehen gemeinsam ein Kind groß, wer der biologische Vater ist, wissen sie nicht und finden es auch nicht wichtig. In dieser Welt kommt nun eine konservativ-faschistische Partei an die Macht und setzt unter dem Label #backtoNormal ein rigides, traditionalistisches, patriarchales System durch. Das Regenbogenmodell der Protagonist*innen darf nicht mehr sein. Sie stehen vor der Wahl: Gehen oder bleiben?

Ich habe die Geschichte im Dezember 22 geschrieben. Und ich finde das Setting aktuell realistischer, „näher“ als noch vor anderthalb Jahren.

Literatopia: Du bist ein großer Japan-Fan. Was begeistert Dich an dem Land?

Janika Rehak: Oh, so ziemlich alles. Die Menschen, die Philosophie, die Kultur, die Kunst, das Essen. Die Sprache, die mit einem einzigen Begriff sehr viel ausdrücken und sehr in die Tiefe gehen kann. Mein Japanisch ist noch auf einem sehr niedrigen Level, ich konnte mich 2019, auf meiner letzten Reise, leidlich verständlich machen, zumindest Essen bestellen, und nach dem Weg fragen – und meine Begeisterung deutlich machen, das hat schon ganz gut funktioniert. Warum mich Japan so sehr fasziniert, kann ich gar nicht sagen, es ist einfach eine Affinität, die ich nicht weiter erklären kann – oder möchte, auch um mir selbst den Zauber zu erhalten. Natürlich haben auch Anime, Kino und Manga einen großen Stellenwert in meinem Leben. Aber Japan ist für mich so, so viel mehr.

Literatopia: Welche Manga-Reihen haben einen ganz besonderen Platz in Deinem Regal? Stehst Du bei Manga auch insbesondere auf Horrorgeschichten?

Janika Rehak: Allerdings, ja. Ich bin ein großer Fan von Junji Ito und Gou Tanabe. Letzteren durfte ich bei der Buchmesse persönlich treffen, ich habe ein Meet & Greet gewonnen. Na ja, eigentlich eine Signierstunde mit vielen anderen zusammen, aber ich konnte Tanabe tatsächlich persönlich sprechen. Oh weh, ich bin derart zum stotternden Fangirl mutiert, das war richtig furchtbar, das kenne ich gar nicht von mir. Mein komplettes Japanisch war weg, ich habe dem Übersetzer erzählt, dass ich alle Mangas von Tanabe in zwei Tagen durchgelesen habe und danach alle gleich noch einmal. Ich glaube, ich habe das alles in einen einzigen langen Satz gequetscht und dabei nicht mal geatmet. Vielleicht war es auch nicht ganz so schlimm, wie es mir in dem Moment vorkam, ich habe es jedenfalls irgendwie geschafft, mein Autogramm heil nach Hause zu schaffen, und am Ende ist es ohnehin egal, denn ich war danach einfach nur glücklich.

Das Autogramm hat jetzt einen Ehrenplatz über meinem Schreibtisch und es macht mich immer noch glücklich. Jeden Tag.

Literatopia: Eine Standardfrage, die man allen Autor*innen stellen muss: Wie bist Du zum Schreiben gekommen?

Janika Rehak: Meine Antwort darauf ist sicherlich auch eher „Standard“ – eine Mischung aus: 1. Ich weiß es nicht. 2. Ich habe schon immer geschrieben, bzw. ich kann mich an keine Zeit erkennen, in der ich nicht aktiv geschrieben habe und 3. Ich kann ohne das Schreiben nicht sein, es gehört einfach zu mir.

Literatopia: Würdest Du uns abschließend verraten, ob es weitere Romane aus der Welt von „Zombie Zone Germany“ von Dir geben wird? Woran arbeitest Du gerade?

Janika Rehak: Diesmal muss leider ich eine wieder Standart-Antwort geben, meine ganz persönliche: Ich arbeite immer an irgendwas, aber ich rede während des Prozesses nicht gern darüber. Seht es mir bitte nach und danke für euer Verständnis. Was ZZG angeht: Ich verstehe das Ganze als Open-World-Format, also klar, warum nicht?

Literatopia: Herzlichen Dank für das Interview!

Janika Rehak: Danke für diese Möglichkeit!


Foto: Copyright by Janika Rehak


Dieses Interview wurde von Judith Madera für Literatopia geführt. Alle Rechte vorbehalten.