Notbuch (Michael Kernbach / Luci van Org)

Carlsen-Verlag, 1. Auflage März 2010
Klappenbroschur, 160 Seiten
€ (D) 16,90 | € (A) 17,40 | sFr 30,90
ISBN 978-3-551-68180-5
Extras: Musik-CD "Notaufnahmen"
Leseprobe

Genre: Sachbuch/Humor/Satire


Klappentext:

Der moderne Ratgeber für eine WIRKLICHE Wirtschaftskrise – damit Sie in der Not mit Stil und Geschmack begegnen können.

Entdecken Sie Fashion-Roben aus Kartoffelsäcken, Weihnachtsbaumschmuck aus Wohlstandsmüll, Latte macchiato aus Röstkastanien und Hasenmilch – sowie viele andere kostbare Tipps für harte Zeiten.

Mit 25 dekorativen und lehrreichen Bildtafeln.

Mit im Carepaket:
Die muntere CD „Notaufnahmen“ mit den schönsten deutschen Durchhaltesongs von „Heimweh“ bis „Immer wieder geht die Sonne auf“, neu eingesungen von Luci van Org – einst Mädchen und heute Übermutter der Nation.


Rezension:

Wahrer Genuss kommt stets aus dem Zuwenig und nicht aus dem Überfluss. Hand aufs Herz: War es damals, als alle das konnten, wirklich ein Genuss, sich satt zu essen? Ohne sich dafür anzustrengen? Wie viel besser schmeckt doch der selbst erjagte, nach Hause geschleppte und eingepökelte Hundebraten als damals, zu Stromzeiten, die dekadente Tiefkühlpizza aus dem „Supermarkt“. Aber wir wollen hier nicht nur das Lied des Verzichts singen. „Heiter in der Not“ soll unser Motto lauten! Dies ist die Zeit der Väter, der Mütter und der Übermütter – ihres Erfindungsreichtums, ihres Fleißes und ihres stetigen Lächelns!
(aus dem Vorwort)


In den Zeiten der weltweiten Wirtschaftskrise findet man überall in den Medien Kommentare, Verbesserungsvorschläge, Schuldzuweisungen und Tipps, wie man damit umgehen könnte. Doch was ist eigentlich mit der Zeit danach, wenn alles ausgestanden ist und die Welt vor den Trümmern ihrer Selbst steht? Wenn nichts mehr übrig ist vom Reichtum und von der Arroganz der Menschheit, das Leben aber trotzdem irgendwie weitergehen muss?
Für diese Situation haben Michael Kernbach und Luci van Org das Notbuch entwickelt, das mit wertvollen Tipps, verständlichen Skizzen, qualitativ passend schlechten Fotos und neu aufgenommenen deutschen „Klassikern“ dabei helfen soll, das Leben nach der Krise wieder in die Hand zu nehmen und trotz vieler Entbehrungen in den Griff zu bekommen.

Der sogenannte Überlebensratgeber kommt in nettem Design daher – in Packpapier-Optik mit einer hübschen Paketbandschleife auf dem Cover. Auch wenn man das Büchlein aufschlägt, bekommt man sofort einen Schlag versetzt, der einen in die Vergangenheit befördert. Wer die Möglichkeit hat, in alten DDR-Büchern zu blättern, wird hier schnell Ähnlichkeiten feststellen, denn die Papierqualität unterscheidet sich nicht sehr von den literarischen Werken aus der Zeit vor der Wende. Dadurch bekommt das Lesegefühl noch ein bisschen mehr nostalgischen Schimmer, obwohl der Inhalt des Buches eher an die Nachkriegszeit erinnert.

Die Ratschläge selbst muss man mit einer gehörigen Portion Humor und Sarkasmus lesen, auch eine (große) Prise Abgebrühtheit ist hier sehr zu empfehlen. Neben sicherlich nützlichen Vorschlägen wie dem Schneidern von „Designer“-Kleidung aus den Plastiktüten der jeweiligen Hersteller stoßen Tipps zur Haustierhaltung, die nicht selten mit der Haltung von Kindern und Großeltern verwechselt wird, und/oder der Zubereitung von nahrhaften Insekten bei der breiten Lesermasse wahrscheinlich eher auf Ablehnung. Obwohl man ja spätestens seit „König der Löwen“ weiß, dass Würmer und Larven wie Hühnchen schmecken und sehr eiweißhaltig sein sollen …
Obwohl das Buch ein Überlebensratgeber sein soll, werden zum Beispiel mit der Anleitung zum Selbstbrennen von Abfallschnaps Zweifel laut, ob hier nicht doch eher an der Ausrottung der Menschheit gefeilt wird. Weitere, eher ungesunde Tipps finden sich bei der Herstellung von Ersatzbier und Ameisenmus für Kindergeburtstage.

Zugegeben, dieses Buch bewegt sich hart an den Grenzen der Geschmacklosigkeit und schießt dabei mehr als ein- oder zweimal weit über das Ziel hinaus. Selbst Hartgesottene dürften bei dem einen oder anderen Ratschlag mit der Übelkeit zu kämpfen haben, und selbst solche, die nicht viel mit anderen Menschen anfangen können, verlieren irgendwann den Spaß an den teilweise auch sehr menschenverachtenden Hinweisen zum Umgang mit Kindern und älteren Familienmitgliedern.
Der Humor ist insgesamt sehr speziell und wird nicht viele Leser ansprechen, die meisten werden das Buch wahrscheinlich nach wenigen Kapiteln (oder Seiten …) aus der Hand legen. Nichtsdestotrotz liegt mit dem Notbuch etwas vor, das sich mal anders mit der Wirtschaftskrise beschäftigt. Wenn man dem Humor eine Chance gibt und nicht alles (also eigentlich das meiste) für bare Münze nimmt, hat man vielleicht doch für ein paar Stunden relativ amüsante Unterhaltung.


Fazit:

Mit Notbuch haben Michael Kernbach und Luci van Org einen sehr fragwürdigen Überlebensratgeber auf den Markt gebracht, der das Land definitiv in zwei Lager spalten wird. Für sanfte und leicht ekelbare Gemüter gänzlich ungeeignet, dürfte das Buch aber auch seine Anhänger finden.


Wertung:

Tipps: 2,5/5
Lesespaß: 3,5/5
„Notaufnahmen“: 3,5/5
Preis/Leistung: 3/5