Turm der Lügen (Marie Cristen)

Knaur Taschenbuch Verlag (2009)
489 Seiten, 8,95 Euro
ISBN: 978-3-426-63992-4


Genre: Historik


Klappentext

Frankreich im Jahre 1313. Die junge Séverine wächst auf einer Burg fernab vom Königshof auf und weiß nicht, dass sie blutsverwandt ist mit den drei Schwiegertöchtern Philipps des Schönen. Als zwei der jungen Frauen schließlich des Ehebruchs überführt werden – ein beispielloser politischer Skandal -, gerät Séverine unversehens in das Ränkespiel der höchsten Kreise, das auch sie den Kopf kosten könnte ...


Rezension

Marie Cristen ist nur eines der Pseudonyme von Gaby Schuster, die sich in verschiedenen Genres mit unterschiedlichen Anforderungen über die Jahre einen Namen gemacht hat. Die im Ostallgäu gebürtige Autorin veröffentlichte bisher über 100 Bücher und Romane. Liebesgeschichten und Erzählungen für Kinder mussten jedoch immer mehr ihrer großen Leidenschaft weichen: Dem Schreiben von historischen Roman-Biographien. Mit Turm der Lügen legt sie ein weiteres Machwerk ihres Herzbluts vor und nimmt den Leser mit auf eine Reise durch das altromantische Paris.

>> Sie ist wie eine Quelle, die sich zwischen Felsen und Moos gegen alle Hindernisse ihren Weg bahnt, ging es Adrien durch den Kopf. Was ist sie doch für ein lebendiges Wesen. <<

Séverine ist jung, wunderhübsch und so gar nicht eitel. Die Ställe sind ihr Zuhause, die Küche ihr Schaffensraum und Adrien von Flavy ist ihr treuester und bester Freund. Ihm schenkt sie all ihr Vertrauen und folgt ihm bald nach Paris, um ihrem angeblichen Vater zu entfliehen und sich auf die Suche nach dem Geheimnis ihrer Herkunft zu machen. Denn Séverine ist, so hatte sie kurz zuvor erfahren, angeblich mit höchst vornehmen Adeligen verwandt.

In der Obhut von Jeanne von Burgund, ihrer leiblichen, doch ahnungslosen Schwester, findet die junge Frau bald ein neues Zuhause und lernt die Aufgaben und Pflichten einer Adeligen kennen. Von da an muss sie sich in höflich ergebener Zurückhaltung üben und den Drang nach Freiheit zügeln, um zwischen den Intrigen des Hochadels politisch überleben zu können. Als ihr das schließlich zu gelingen scheint, überschlagen sich plötzlich die Ereignisse: Zwei der Schwiegertöchter des Königs, direkt verwandt mit Jeanne von Burgund und damit auch mit Séverine selbst, begehen einen schändlichen Verrat, der nicht nur die beiden Frauen das Leben kosten könnte ...

Weitläufig und beinahe undurchdringlich ist der Irrgarten, den Marie Cristen sich als Terrain für ihren Roman gewählt hat. Denn durch die Augen der jungen Séverine und des charismatischen Adrien von Flavy erzählt sie eine wahre Geschichte von Irrungen, Menschlichkeit, Verrat und Macht. Schonungslos werden dabei fiktive, aber auch historisch belegbare Details rund um den Skandal des Tour de Nesle ausgeschlachtet, Unschuldige verurteilt und Schuldige in die sprichwörtliche Hölle auf Erden verbannt. – Entwicklungen, die sich zu Beginn eigentlich nicht vorhersehen lassen. Denn anders als der wahrlich spannende Mittelteil und das gut abgerundete Ende des Romans, kommt die Geschichte anfangs bestenfalls langatmig in Gang. Ein Umstand, der zum einen einer wahren Informationsflut (Namen, Ortsangaben, Familien-Verbindungen) zugrunde liegt, sich aber ebenso mit der überspannten Einführung in Séverins Leben erklären lässt. Denn ihre anfangs so zahlreichen Vorzüge und auch kleinen Fehler werden so offensichlich präsentiert, dass man ihre Wandlung von Beginn an fast schon voraus ahnen kann. Eine Tatsache, die etwas langweilt und erst dann in den Hintergrund rückt, als die eigentliche Handlung beginnt und Marie Cristen weit weniger ihre Charaktere fokussiert. Was sie deutlich öfter tun sollte, um zu vermeiden, sich in Schmalz und Klischee zu verirren. Beides Dinge, die dem Roman an manchen Stellen zum Verhängnis werden und ihm ein wenig Glaubwürdigkeit nehmen, da die meisten (doch recht liebenswerten) Protagonisten einfach zu perfekte Gutmenschen mit besten Absichten sind. Mut zu charakterlichen Schwächen wäre hier schön gewesen, um der Realität eine gehobenere Reife zu verleihen.

Sieht man über diese (Anfangs-)Schwierigkeiten hinweg, wird man schlussendlich mit einer neugierigmachenden Geschichte belohnt, die spätestens mit der Verurteilung der Ehebrecherinnen zu überzeugen weiß. Denn von da an versteht es Marie Cristen vortrefflich, ihre Leser mit gut platzierten Details und Schwierigkeiten zu unterhalten, um dem packenden, historischen Hintergrund einen würdigen Rahmen zu verleihen. Ihre Erklärungen für viele Vorgänge innerhalb des Ehebruch-Skandals mögen zwar manchmal einfältig wirken, sind aber im Großen und Ganzen passend gewählt und vermitteln ein gutes Bild von der damaligen Situation. Wer sich nach Abschluss des Romans, was recht wahrscheinlich sein wird, für den näheren, geschichtlichen Hintergrund interessiert, wird im Anhang fündig und feststellen, wie gut es Marie Cristen gelungen ist, verschiedenste Details zu verweben und neu zu deuten. Sie räumt mit manchen Legenden auf, fügt fiktive Personen und Darstellungen hinzu und lässt den Leser schlussendlich auch in den Genuss einer nett zu lesenden Liebesgeschichte kommen, die jedem feministischen Anspruch entspricht.


Fazit

Marie Cristen hat mit Turm der Lügen einen lesenswerten, historischen Roman geschrieben, der den hochinteressanten Skandal um den Tour de Nesle anspruchsvoll verpackt. Zwar lässt die Auslegung der Charaktere teilweise zu wünschen übrig, doch verdirbt diese Tatsache, bedingt durch die vom Leser schlussendlich doch noch gefasste Zuneigung, die Lesefreude nicht. Wer sich für politische Ränke interessiert und darüber hinaus einen leichten Touch von Frauenliteratur und Liebesroman zu schätzen weiß, ist hier richtig und wird sich über durchaus unterhaltsame Stunden freuen.


Pro und Kontra

+ angenehme Historiklektüre
+ authentische Darstellung eines bedeutenden Skandals
+ nette Liebesgeschichte(n)
+ kurzweilig und spannend
+ liebenswerte Protagonisten ...

- ... die teilweise einfach zu perfekt geraten sind
- zu Beginn anstrengend

Wertung:

Handlung: 4,5 /5
Charaktere: 3 / 5
Lesespaß: 4 / 5
Preis/Leistung: 4 / 5


Rezension zu "Das flandrische Siegel" <<