Deichgrab (Sandra Dünschede)

Verlag Gmeiner, Dezember 2009
Taschenbuch, 373 Seiten, € 11,90
ISBN 978-3899776881

Genre: Krimi


Klappentext

Tom Meissner kehrt nach dem Tod seines Onkels Hannes Friedrichsen, bei dem er als Kind einige Jahre verbracht hat, in dessen Dorf zurück. Er will den Nachlass regeln und erfährt, dass sein Onkel im Jahr 1962 wegen Mordes an einem Mädchen aus dem Dorf vor Gericht stand. Da es damals jedoch keine hinreichende Beweise gegeben hat und auch die Leiche des Mädchens nie gefunden wurde, kam es zu einem Freispruch. Die Leute aus dem Dorf sind allerdings bis heute der Meinung, dass Hannes Friedrichsen die kleine Britta Johannsen umgebracht hat. Tom, der sich nicht vorstellen kann, dass er einen Teil seiner Kindheit bei einem Mörder verbracht haben soll, beschließt, herauszufinden, was damals wirklich geschah…


Die Autorin

Sandra Dünschede, geboren 1972 in Niebüll/Nordfriesland, studierte Germanistik und Allgemeine Sprachwissenschaft in Düsseldorf. 2006 erschien ihr erster Kriminalroman „Deichgrab“, für den sie mit dem Medienpreis 2007 des Schleswig-Holsteinischen Heimatbundes ausgezeichnet wurde. In den Jahren 2007 und 2009 folgte mit den Titeln „Nordmord“ und „Friesenrache“ dessen Fortsetzung. Sandra Dünschede ist Mitglied der Autorinnenvereinigung „Mörderische Schwestern“.


Rezension

Tom Meissner hat früh seine Eltern verloren und wurde zu seinem Onkel Hannes in ein kleines Dorf im tiefsten Nordfriesland geschickt. Unfähig, Freunde zu finden oder emotionalen Zugang zu seinem Onkel, war seine Zeit dort recht trostlos. Als Erwachsener dreht er der unerfreulichen Heimat den Rücken zu und kommt erst wieder, um den Nachlass seines kürzlich verstorbenen Onkels zu regeln. Fassungslos erfährt er, dass sein Onkel schon immer verdächtigt wurde, vor vielen Jahren ein Mädchen ermordet zu haben. Tom kann sich nicht vorstellen, dass Hannes ein Mörder gewesen sein soll, er war zwar zugeknöpft und emotional verarmt – aber ein Mörder? Hin und hergerissen will er eigentlich nur den Nachlass abwickeln, aber er kann die Vergangenheit einfach nicht ruhen lassen. Als er im Dorf mit seinen Nachforschungen anfängt, stößt er zwar einerseits auf eine Mauer des Schweigens, andererseits findet er aber auch neue Hinweise, dass der Fall damals viel zu schnell abgeschlossen wurde. Hannes war in aller Augen der Mörder, eine fast unmögliche Aufgabe, einzementiertes Denken umzustoßen. Hartnäckig und akribisch legt er Schicht für Schicht in dem alten Fall frei, ungläubig und staunend, dass nach so langer Zeit tatsächlich noch nicht gefundene Spuren vorhanden sind.

Tatkräftig unterstützt wird Tom dabei von seinen neuen Freunden, Haie Ketelsen und Marlene Schumann. Eigentlich noch mit Monika liiert, verliebt er sich Hals über Kopf in Marlene, der er auch nicht gleichgültig ist. Wohnhaft in Hamburg schreibt sie gerade an ihrer Doktorarbeit über Theodor Storm und ist zu Recherchezwecke oft in Toms Gegend. Die drei freunden sich eng an und gehen zusammen auch durch ein paar private Katastrophen.

Sandra Dünschede greift in ihrem Buch nicht nur den Kriminalfall auf, auch ein paar interessante und brisante Themen finden ihr Gehör. Frieda besucht täglich ihren Mann Lorenz, der in einem Pflegeheim lebt und an Alzheimer erkrankt ist. Schonungslos offenbart Dünschede die Hilflosigkeit des Patienten und deren Angehörige, die ihre Geschicke in fremde Hände legen und der Krankheit ihren Lauf lassen müssen. Selbstverständlich sind auch sie in den Fall involviert, genauso wie die Petersens. Zusammen auf einem Hof leben zwei Generationen, hier herrscht Untreue und Spielsucht, auch Erpressung findet seinen Platz. Seitensprünge, verheimlichte Kinder und einen Giftmüllskandal sind alltägliche Gesprächsthemen im Dorf, dessen Klatschtante natürlich nicht fehlen darf. Dies alles zusammen ergibt eine unnachahmliche Atmosphäre, die einen ungewöhnlichen Reiz auf den Leser ausübt. Oft wird auch Theodor Storm erwähnt, der in dieser Gegend gelebt und geschrieben hat, viel Wissenswertes erfährt der Leser unaufdringlich eingebunden in die Geschichte. Das Zusammenspiel dieser ganzen Faktoren ist spannend und spiegelt eine Gesellschaft wider, die schnell verurteilt und eingefahren in ihrem Denken und Gewohnheiten ist. Ein typisches norddeutsches Dorf also.

Obwohl das Buch 2006 geschrieben wurde, gelten bei Sandra Dünschede noch Mark und Pfennig. Es ist mittlerweile schon ungewöhnlich, in einem neueren Buch davon zu lesen und man merkt, in wie kurzer Zeit man seine eigene Einstellung schon geändert hat. Auch wird überall geraucht, selbst darüber stolpert man sofort beim Lesen.

Das Taschenbuch bietet eine außergewöhnlich gute Qualität. Es ist fest eingebunden und hervorragend verarbeitet, das Titelbild stimmungsvoll und auch auf dem inneren Cover vorhanden. Der Gmeiner Verlag steht zu seiner Qualität, dementsprechend hoch ist der Preis.


Fazit

Unblutig, aber stimmungsvoll, mehr eine Gesellschaftsstudie als ein Kriminalroman, so wirkt der erste Band von Sandra Dünschede mit ihren Hobbyermittlern. Atmosphärisch wunderschön und spannend erzählt, taucht man ein in die Dorfwelt, in einen Krimi, der schon vor langer Zeit stattfand. Interessante Spurensuche, ein Zusammenstoß der Vergangenheit mit der Gegenwart und ein jahrelanges Unrecht, was unbedingt gesühnt werden soll geben einen ganz besonderen Lesegenuß.


Pro und Contra:

+ stimmungsvolle Atmosphäre
+ unblutig
+ interessante Themen
+ tiefgründige Charakter
+ Wissenswertes über Theodor Storm
+ gelungenes Zusammentreffen von Vergangenheit und Gegenwart
+ Freunde halten zusammen

- manchmal etwas langatmig
- mehr Gesellschaftsstudie denn Krimi

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3/5