Ende der Märchenstunde (Kathrin Hartmann)

Ende der Märchenstunde (Cover)

Blessing-Verlag (Oktober 2009)
Paperback, Klappenbroschur,
384 Seiten, € 16,95 [D] | € 17,50 [A]
ISBN: 978-3-89667-413-5

Genre: Sachbuch


Klappentext

Sie trinken Bionade, schwören auf Wellness und bevölkern die charmant sanierten Altbauwohnungen der Großstädte. Sie sind vermögend, gebildet und vor allem im Besitz des Rezeptes, wie man ohne jeden Verzicht die Welt verbessern kann, nämlich durch qualitätsbewussten, so genannten strategischen Konsum. Er soll die Unternehmen dazu bringen, nur noch umwelt- und sozialverträglich zu produzieren.

Doch welche wirklichen Verbesserungen hat dieser viel beschworene Bewusstseinswandel bisher herbeigeführt? Bilden die Lifestyle-Ökos überhaupt eine gesellschaftliche Bewegung wie einst die Öko-Rebellen, oder sind sie nur eine reine Stilgemeinschaft? Und welche sozialen Folgen wird es haben, wenn die LOHAS ihre Kinder vom Tage der Geburt an auf Lernerfolg und bewussten Bio-Genuss programmieren?

Mit hart recherchierten Fakten und bestechenden Analysen rückt Katrin Hartmann dem Glauben zu Leibe, allein durch das richtige Einkaufen, fern von allem politischem Engagement, schmerzfrei die Welt verändern zu können. Ebenso kritisch wie humorvoll beschreibt sie das Lebensgefühl einer ganzen Generation.

Rezension

Am Anfang möchte man dieses Buch direkt wieder zuschlagen und weit hinten ins Regal stellen. Es strotzt nur so von einem überheblichen, sich echauffierenden Ton, dem man als Leser wenig entgegen zu setzen hat. Kathrin Hartmann enttarnt auf den ersten Seiten den Öko-Lifestyle und den später untersuchten strategischen Konsum als „ästhetische Kategorie“ und das ökologische Engagement einiger Unternehmen als „Green-Washing“. Was danach kommt, so scheint es zu Beginn, ist die reine Ausschmückung einer gefestigten These. Doch so einfach und starr ist die Lektüre dieses Buches nicht.

LOHAS, das sind Menschen mit einem „Lifestyle of Health and Sustainability“ (Lebensstil von Gesundheit und Nachhaltigkeit), stehen im Mittelpunkt dieses Sachbuchs: Wie sie einkaufen, arbeiten, sich entwickeln, zusammenrotten und erholen; ihre Verhaltensweisen, Einstellungen und Gefühle werden in diesem Buch unter die Lupe genommen. Ihr gutes Gewissen äußert sich im strategischen Konsum - also der Ansicht, dass dann mehr ökologisch nachhaltige Produkte angeboten werden, wenn genug von ihnen gekauft wird -, im Supermarkt stehen die LOHAS zwischen Fair-Trade-Kaffee und Bio-Tomate. Und genau da wird es interessant, weil Kathrin Hartmann doch nicht nur einen Lebensstil - ein relativ kleines Milieu innerhalb der Gesellschaft - kritisiert, sondern die ganze, sich entwickelnde Konsumkultur untersucht. Dabei beantwortet sie Fragen (und stellt neue) nach dem Unterschied zwischen dem „Fair Trade“- und dem „Bio“-Siegel, zeigt auf, dass Werbung den Marken ein bestimmtes Image verleiht. Und dass ein gutes Gewissen vor allem eins ist: teuer und deshalb exquisit, was durchaus Teil der LOHAS-Kultur ist. Hier geht es nämlich, so Hartmann, weniger darum, die Gesellschaft als Ganzes zu ändern, sondern vielmehr um die Abgrenzung zu denen, die anders konsumieren, die sich einen Einkauf im Bio-Supermarkt nicht leisten können. An diesem Punkt setzt ihre Kritik an, weshalb sie weniger den Konsumenten in die Pflicht nehmen will, sondern vielmehr die Politik und daran gekoppelt die Wirtschaft. Da was verkaufbar ist, auch angeboten wird, und sich besonders deutsche Konsumenten durch einen Hang zum günstigsten Produkt auszeichnen, meint Kathrin Hartmann, dass es Aufgabe der Politik ist, der Wirtschaft Regeln für faires und nachhaltiges Wirtschaften aufzuerlegen.

Kathrin Hartmann widmet sich einem Thema, dem Primat der Wirtschaft über die Politik, das in den vergangenen Jahren deutlich an Brisanz gewonnen hat. Sie fühlt damit am Zahn der Zeit, ohne ihn allerdings endgültig ziehen zu können. Das liegt vor allem daran, dass man während der weiteren Lektüre des Buches teilweise geneigt ist, es wieder zuzuschlagen und beiseite zu legen, weil die Autorin lose Fäden vorzeigt, die sich zunächst nur schwer verbinden lassen. Ohne jede Überleitung springt sie zwischen Themen hin und her, porträtiert Erdbeerfelder in Spanien, bewegt sich von Kinderarbeit über Sweatshops zu Bionade und Erziehung – und obwohl sie am Ende jedes Abschnitts den Bogen zurück zum „großen Ganzen“ schlägt, mutet das ständige Springen bald beliebig an. Es könnten hier noch mehr Geschichten erzählt werden, andere Schwerpunkte gesetzt, einige Kapitel weggelassen werden. So wirkt das Buch zwar nicht unvollständig, aber da manche Themen so kurz angeschnitten werden und unverbunden wirken, bekommt man am Ende den Eindruck, dass die Autorin einige Themen im Buch haben wollte, auch wenn sich das nicht recht ins Konzept einfügt.

Ein anderes Manko sind die laut Klappentext „hart recherchierten Fakten“: Blättert man während der Lektüre zum Literaturverzeichnis und versucht dabei nachzuvollziehen, woher die Informationen stammen, stößt man meist nur auf einen unverständlichen Link, der weder Aufschluss über den Inhalt der Seite noch beispielsweise über den Autoren der angegeben Online-Artikel gibt. So wirken die 430 Anmerkungen zwar wie ein Bollwerk an Recherche-Arbeit, das aber so schlecht aufgearbeitet ist, dass man sich mit den wenigsten Quellen weitergehend auseinander setzen möchte. Und das ist bei einem Buch wie diesem, das sich auf die Nase schreibt, „hart recherchiert“ und mit „bestechenden Recherchen“ gespickt zu sein, sehr schade. Denn dass hier viel(seitige) Recherche-Arbeit geleistet wurde, ist unverkennbar.

Fazit

Die Auseinandersetzung mit strategischem Konsum ist aktuell und brisant, sprachlich zwischen Biss und Polemik wie es auch das Magazin „Neon“ ist, für das die Autorin einige Zeit geschrieben hat. Am Ende liest man hier das Plädoyer für einen Staat, der sich formend einmischt, der Stellung bezieht und die Wirtschaft zwingt, nachhaltig zu wirtschaften. Vielleicht wird es Zeit, wieder mehr von „Menschen“ und „Bürgern“ und weniger von „Konsumenten“ und „Verbrauchern“ zu sprechen. Es wäre mit Sicherheit im Sinne der Autorin. Wer sich für diese Verbindung von Konsum und Nachhaltigkeit allerdings nicht interessiert, sollte die Finger von diesem Buch lassen.

Pro & Contra

+ vielseitige Auseinandersetzung
+ aktuelles Thema
+ regt zum Nachdenken an

- sehr polemischer Einstieg
- teils unklare Struktur

Wertung 4 Sterne

Inhalt: 4/5
Aktualität: 5/5
Verständlichkeit: 3,5/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5