Lilienrupfer (Marie Velden)



dtv, 1. Auflage Juni 2010
Taschenbuch, 240 Seiten
€ 8,95 (D) | € 9,20 (A) | sFr 13,90
ISBN: 978-3-423-21220-5
Leseprobe

Genre: Belletristik




Klappentext:

Lieber Robbie Williams …

So beginnen die E-Mails von Undine Busch, Mitte dreißig, an eine erfundene Mailadresse des Superstars. Darin erzählt sie ihm von den kleinen und großen Dingen ihres Lebens, von ihren Träumen und von Christian, ihrer großen Liebe. Als dieser sie über Nacht verlässt, verkriecht sich Undine tief getroffen vor der Welt. Da erhält sie plötzlich eine Antwort auf ihre Mails …

Eine bitter-süße Sommerliebe.
Eine charmante Verbeugung vor Literatur und Musik.



Rezension:

Dass ich Robbie Williams E-Mails schrieb, war nichts Neues. Ich habe es schon vor Jahren ein paar Mal getan, und warum ich mir ihn dafür und nicht Giovanni di Lorenzo oder Günther Jauch ausgesucht hatte, ist leicht zu erklären. Robbie Williams verkörpert exakt jene Art von Mann, von der ich mehr als nur einmal angenommen habe, sie könne für mich geschaffen sein: Sensibilität und Schmerz gepaart mit Witz und Charme, Augen zum Verrücktwerden schön und bis in die letzte Ecke eines neoprengeschützten Herzens von Bindungsängsten zerfressen. Außergewöhnlich in allem.
(Seite 13)


Undine ist Mitte Dreißig und hat in ihrem Leben bisher nicht besonders viel Glück mit den Männern gehabt. Dies hat ganz unterschiedliche Gründe, lag aber – natürlich – in erster Linie immer an den Männern, und niemand kann ihr nachsagen, dass sie es nicht versucht hätte. Mit einer, so denkt sie wenigstens, fiktiven Mailadresse legt sie sich irgendwann ein Mailtagebuch an, als Empfänger wählt sie Robbie Williams aus, weil er in seiner zwiegespaltenen Persönlichkeit genau das Bild vermittelt, wie ihre schicksalhaften Männergeschichten gestalten – die auf eine schon fast beängstigende Weise Parallelen aufweisen, wie sie sich erfolgreich einzureden versucht.
Eigentlich noch immer an der Trennung von ihrem Ex knabbernd und zwei Reinfälle mit Online-Blinddates verarbeitend trifft sie schließlich auf Christian – schon zum zweiten Mal, denn die beiden kennen sich vom Sehen aus der Cafeteria des Krankenhauses, in dem sie sich beide von einem Fahrradsturz erholen. Bei der (Krankenhaus-)Gelegenheit freundet sich Undine außerdem noch mit ihrer Physiotherapeutin an, die innerhalb weniger Wochen von einer Wildfremden zur besten Freundin und ersten Ansprechpartnerin wird. Mit Christian verbringt Undine zahlreiche Wochen der Zweisamkeit, bis aus heiterem Himmel alles vorbei ist, Christian sich mehrere Tage nicht meldet und dann schließlich am Telefon einen Schlussstrich unter die Geschichte zieht. Dass dies nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht passiert, wirft ein zusätzlich negatives Licht auf ihn, doch das Buch ist an dieser Stelle erst zur Hälfte vorbei, und den Leser erwarten noch so einige Überraschungen.

Undines Mails an Robbie sind recht interessant, da sie sich als Hobby-Psychologin versucht und dabei das eine oder andere Mal durchaus den Nerv des Leser bzw. eher der Leserin trifft, aber auch öfter über das Ziel hinausschießt und den Bogen überspannt. Vor allem aber gewähren die elektronischen Zeilen, die nach Undines Glauben irgendwo im Nirgendwo des WWW landen, einen wundervollen Einblick in das Gefühlsleben einer Frau, die nicht so wirklich weiß, wonach sie im Leben sucht. Als Leser/in findet man sich an einigen Stellen wieder und gerät ins Schmunzeln, an wieder anderen Stellen fragt man sich durchaus, woher die Autorin ihre Ideen bezogen hat, so unecht wirkt es. Leider trifft das auch auf die Sprache zu: Man merkt zwar, dass Marie Velden in der Lage ist, mit Sprache und Worten zu spielen, jedoch wird ihr Potential nicht voll ausgeschöpft. Ob das daran liegt, dass sie bisher für Zeitschriften und Kolumnen geschrieben hat, lässt sich nur vermuten. In ihrem Debüt legt sie einige gute Grundsteine vor, scheint aber über selbige zu stolpern und sich nicht zu trauen, wieder aufzustehen und es noch einmal zu versuchen. Vieles, was zu einer bestechend guten Szene hätte werden können, geht dadurch leider im bereits bekannten Sprachsumpf unter und verliert seinen Reiz.

Auch mit den Charakteren wird der Leser nicht hundertprozentig warm. Undine ist eine erwachsene, aber zeitweise immer noch jugendlich naive Frau, die sich für Musik und Literatur begeistern kann, was sie in ihrem Beruf als Theater-Dramaturgin super verbinden kann. Ihr bester Freund, der eine Krankenpfleger-Ausbildung macht, hat einige Gastauftritte, kommt aber nicht zum Zug – er scheint ein Problem mit Christian zu haben, worüber der Leser Mutmaßungen anstellen kann, aber die Hintergründe werden bis zur letzten Seite nicht aufgeklärt. Schade, denn damit verläuft sich ein möglicher roter Faden im Sande. Theaterkollegen bekommen ihre tüdeligen Eigenheiten, doch auch von ihnen findet keiner den Weg auf die große Bühne, um im rechten Licht zu stehen – alles wirkt angeschnitten, aber nicht ausgearbeitet, fast so, als hätte die Autorin plötzlich die Lust daran verloren, ihren Charakteren ein individuelles Gesicht zu verleihen. Es gibt im gesamten Buch keinen Charakter, der nach dem Lesen Eindruck hinterlassen hat und im Gedächtnis bleibt.

Während der Beginn flüssig zu lesen ist und man gut ins Buch findet, wird der Mittelteil ein wenig zäh, allerdings gewinnt die Geschichte zum Ende hin wieder an Fahrt, um schließlich in einem nahezu haarsträubenden Finale zu enden – und gegen die Wand zu fahren. Hier wirkt es so, als hätte Velden sich nicht für eine Variante entscheiden können – HappyEnd oder lieber nicht? Durch die von ihr gewählte Lösung fühlt sich der Leser ein wenig auf den Arm genommen, und durch einige offen gelassene Punkte verliert Lilienrupfer zum Ende hin viele Pluspunkte, die unterwegs mühsam gesammelt wurden.
Insgesamt kann man also sagen, dass ein annehmbares Debüt vorliegt, die Autorin sich aber mehr zutrauen und auch selbst fordern sollte. Mit mehr Übung, mehr Mut, mehr Geduld und mehr Offenheit könnten Folgeromane sehr viel besser gelingen, denn das Potential zum unterhaltsamen Schreiben ist in jedem Fall gegeben.



Fazit:

Marie Veldens Debüt ist ein leichter Sommerroman, der vor allem Frauen gefallen dürfte. Mit einem wunderschönen Cover und einem anziehenden Titel gewinnt das Buch die notwenige Aufmerksamkeit, die für das Zuendelesen benötigt wird. Erkennbares Potential mit einigen Baustellen lässt auf bessere Nachfolger hoffen.



Wertung:

Handlung: 3/5
Charaktere: 3/5
Lesespaß: 3,5/5
Preis/Leistung: 3,5/5