Rost (Christian Günther)

Epikur-Verlag
Hardcover mit Schutzumschlag
400 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-03748-001-4

Genre: Cyberpunk / Sci-Fi-Thriller


Klapptentext

Hamburg ist einer der riesigen Stadtmoloche, wie sie überall in Europa nach dem grossen Krieg als letzte Bastionen gegen das Chaos entstanden sind. Das Leben wird von der allmächtigen Registratur bestimmt. Die Menschen sind zwar unfrei, dürfen sich dafür einem grenzenlosen Egoismus hingeben. Jugend gilt in dieser Gesellschaft alles, Schönheit ist das gemeinsame Gebet. Man kümmert sich nicht um die Zukunft. Das Leben muss leicht, schnell und aufregend sein.

Aron ist einer dieser unbeschwerten Stadtbewohner. Ein junger Mann, aufgewachsen in einem totalitären System, in dem Alter und Krankheiten als Schande gelten und ausgemerzt werden. Das ist der Preis für das sichere Leben hinter hohen Mauern, abgeschirmt vom Abfall der Menschheit draussen in den Brachen, den Unruhestiftern, den Nicht-Menschen.

Mit seinen Freunden feiert Aron endlose Parties. Sie denken nicht an morgen, sondern leben für den Augenblick. Als aber ein gemeinsamer Jagdausflug vor den Toren der Stadt in einer Katastrophe endet, ist Aron plötzlich auf sich allein gestellt und muss lernen, sich in dieser ihm fremden Welt und unter all den Verlorenen zu behaupten. Dass ihm auch die Polizei wegen einem Staatsgeheimnis auf den Fersen ist, ahnt er nicht, macht das Überleben aber um so schwieriger.

Hamburg 2078 – ein sicherer Hafen im zerstörten Europa. Doch zu welchem Preis?


Rezension

Zu einem viel zu hohen Preis würde der gesunde Menschenverstand antworten und gleichzeitig erschrocken zusammenfahren, denn das Szenario, das Christian Günther uns hier aufzeigt, erscheint erschreckend real. Der Roman beginnt in der Großstadt Hamburg, einer leuchtenden Festung inmitten brauner, verseuchter Wüste. Der Protagonist Aron verliert seinen Vater, doch anstatt ihn angemessen zu betrauern, gibt er sich weiteren Drogenorgien hin und taumelt durch eine Welt aus glitzerndem Schein. Er ist wahrhaft ein wohlerzogenes Systemkind – und für den Leser anfangs ziemlich unsympathisch, jedoch auch faszinierend, als würde man spüren, dass er nicht ganz so flach ist, wie es zunächst scheint.

Christian Günther beschreibt die High-Tech-Glitzerwelt alles in allem gekonnt. Viele gut ausgearbeitete Details machen das Lesen zu einem Erlebnis – dennoch wirkt der Anfang des Romans etwas flach. Flach wie die Welt, in der er spielt. Unheimlich bunt, aber alles nur Fassade. Ob es nun an einem anfangs unsicheren Erzählstil oder wirklich nur der flachen Welt liegt, vermag man kaum zu sagen. Interessant und auch spannend wird es, als Aron mit seinen Freunden auf die Jagd geht – auf die Jagd nach „Nicht-Menschen“, draußen in den Brachen. Beim Lesen läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken, so unvorstellbar und krank erscheint einem diese „Jagd“ – und doch alltäglich für unseren Protagonisten. Aber als alles schief läuft, fängt Aron an menschlicher und greifbarer für den Leser zu werden.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Übergang von der funkelnden Metropole Hamburg zu den Brachen sehr gut gelungen ist. Unheimlich spannend zu lesen und atmosphärisch mehr als ansprechend! Von nun an kämpft sich Aron durch und lernt die „Nicht-Menschen“ besser kennen, entwickelt sogar Verständnis. Dabei kann man dem Autor zugute halten, dass Aron sich nicht plötzlich in einen sympathischen Gutmenschen verwandelt – sein „Wandel“ vollzieht sich langsam und schleppend. Zu tief haben sich die Prinzipien der Registratur in sein Wesen eingebrannt.

Zwischenzeitlich erinnert der Roman an typische Science-Fiction/Cyberpunk-Rollenspiele, insbesondere die Kampfszenen. Doch Christian Günther treibt den Leser nicht nur mit reißender Spannung durch seinen Roman, sondern hat auch das richtige Gefühl dafür, Charaktere lebendig zu gestalten. Wie auch in „under the black rainbow“ legt der Autor viel Wert auf Atmosphäre – das spürt man in jeder Zeile. Umso düsterer wirkt der Roman, da die Geschichte in Deutschland spielt und man den direkten Vergleich zwischen Heute und Zukunftsvision ziehen kann.

Wie auch andere Cyberpunk-Autoren legt Christian Günther sein Hauptaugenmerk auf die ganz persönliche Geschichte seines Protagonisten. Da gibt es zwar eine geheime Staatsangelegenheit im Hintergrund, die immer wieder durchscheint, aber wirklich viel erfährt man nicht – muss man auch nicht bei der fesselnden Story rund um Aron. Dennoch wird es manchen Leser ärgern, dass er am Ende mit einem Haufen Andeutungen alleine da steht. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es nach „Rost“ weitergehen soll.


Fazit

Anfangs wirkt der Roman ein klein wenig platt, worüber auch die Detailliebe nicht hinwegtröstet. Doch schnell nimmt die Geschichte an Fahrt auf und reißt den Leser mit in eine erschreckend finstere Zukunft – in der es jedoch auch Menschen gibt, für die Ideale noch eine Bedeutung haben. Christian Günther hat ein phantastisches Gespür für Atmosphäre, was „Rost“ zu einem wahren Lesegenuss macht. Das Ende kommt etwas abrupt, vieles bleibt im Dunkeln – doch es soll nach Rost weitergehen und so verbleiben wir gespannt auf den Nachfolgeroman!


Pro und Contra

+ spannend geschrieben
+ düster-atmosphärisch
+ bedrückend durch deutsche Schauplätze
+ lebendige Charaktere

- anfangs etwas platt
- vieles bleibt im Dunkeln

Wertung:

Handlung: 4/5
Charaktere: 4/5
Lesespaß: 4/5
Preis/Leistung: 3/5


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Tags: Cyberpunk, Christian Günther, deutschsprachige SF, Near Future