Little Bird (Camilla Way)

rororo (Oktober 2010)
364 Seiten, 9,95 €
ISBN: 978-3-499-25287-7

Genre: Psychothriller


Klappentext

Elodie ist zwei Jahre alt, als ein stummer Mann sie in der Normandie entführt. Mit ihm lebt sie im Wald, fernab der Zivilisation – bis zu seinem Tod. Als ein Spaziergänger das Mädchen findet, stürzt sich die Presse auf den Fall: Denn die Zwölfjährige spricht nicht, kann nur Vogelstimmen imitieren. Man vertraut Elodie einer berühmten amerikanischen Linguistin an. Sie verschafft „Little Bird“ eine neue Heimat, eine neue Sprache – und eine neue Identität. Doch nach einem tragisch endenden Streit flieht Elodie.

Sie landet in London, nennt sich Kate und will das Geschehen für immer vergessen. Erst recht, als sie sich in Frank verliebt. Aber die Vergangenheit lässt sich nicht einfach ablegen: Ein hartnäckiger Verfolger aus ihrem früheren Leben taucht plötzlich auf. Und er will Kate töten.


Rezension

Camilla Way, Jahrgang 1973, arbeitet als Journalistin und debütierte vor zwei Jahren mit ihrem Psychothriller „Schwarzer Sommer“. „Little Bird“ ist ihr zweiter Roman und erzählt die Geschichte eines kleinen Mädchens, dessen Herz für den Wald, die darin lebenden Vögel und ihren Entführer Georges schlägt. Aufgewachsen in stummer Einsamkeit kennt sie nichts anderes, bis eines Tages die ihr bekannte Welt im Chaos versinkt.

>> Elodie kommt es vor, als brauche Robert sie gar nicht als Zuhörerin, als wäre er wie eine Fliege, die durch einen Raum summt, kopflos auf Wände und Fensterschreiben prallt, ohne den einen weitgeöffneten Fensterflügel zu entdecken, durch den es hinaus in die Freiheit geht ... <<

Frank und Kate lieben sich. Er sieht für sich selbst keine Zukunft; sie verdrängt verzweifelt jeden Gedanken an Vergangenheit. Und dafür hat das sonst so scheue Mädchen allen Grund, denn ihr wahrer Name ist Elodie. Sie wurde im Alter von zwei Jahren entführt. Über zehn Jahre lang in einem abgeschiedenen Wald festgehalten, bis sie der Selbstmord ihres Entführers in die Arme der Psychotherapeutin Ingrid Klein trieb. Was dann folgte, waren Jahre erneuter Isolation. Bis zu jenem Tag, an dem Elodie die Flucht ergriff, ihre verletzte, am Küchenboden liegende Ziehmutter zurücklassend, die bald darauf stirbt und Elodie zur medialen Mörderin werden ließ ...

Sich ein Kind zu schnappen, um es zu entführen, kostete Georges Preton nur eine Sekunde. Elodie, dem zweijährigen Mädchen, raubte er damit jedoch nicht nur viele Jahre ihres Lebens, sondern auch die für einen Menschen so wichtige Identität. Denn der von Geburt an stumme, in sich zurückgezogene Mann lässt sie unter dem blätternen Dach eines entlegenen Waldgebietes heranwachsen. Ohne Sprache und ohne Kultur. Elodie jedoch schenkt ihm Freude. Sie teilt mit ihm eine kleine Hütte, die wärmenden Lagerfeuer und die köstlichen Mahlzeiten, die er zuzubereiten weiß. Es sind glückliche Tage. Tage, an die sich Elodie ihr ganzes Leben gerne erinnern wird. Als Georges sich jedoch das Leben nimmt, flüchtet das inzwischen junge Mädchen Hals über Kopf aus dem Wald. Völlig verstört landet sie kurz darauf bei Dr. Ingrid Klein. Einer ehrgeizigen Frau, die sich sichtlich um Elodie bemüht, jedoch auf undeutbare Art bedrohlich wirkt. Zu sehr ist sie auf brauchbare Ergebnisse ihrer Forschung fixiert. Sie zwingt das inzwischen dreizehnjährige Mädchen stundenlang zu lernen. Liest ihr vor, redet mit fremden Wörtern auf sie ein, um die für die Wissenschaft so wichtigen Erfolge zu erzielen. Und ihre Arbeit fruchtet. Elodie lernt nach und nach Sprechen, lässt sich präsentieren wie eine Trophäe; suchend nach Liebe und Anerkennung, die sie im Austausch für ihre Leistungen bekommt.

Trost und Zuspruch findet sie bei Ingrids Mann und ihren Lehrern, die sich neben Ingrid noch um Elodie kümmern. Camilla Way schafft es hierbei wunderbar, menschliche Abgründe und Besonderheiten zu skizzieren. Sie zeigt manches klar und deutlich, anderes verschwommen, fast verspielt. Voller Gefühl für die Protagonistin begleitet man sie auf ihren Wegen. Der harte Schlag des Lebens, zu welchen die Autorin hierbei auszuholen versteht, trifft nicht nur das Mädchen, sondern auch den Leser tief ins Herz. Drogen, Vergewaltigung, krankhafte Verfolgung und Prostitution werden Thema, nachdem Elodies zweite Flucht unter entsetzlichen Umständen gelungen scheint. Doch zu welchem Preis?

Diese Frage und auch andere Dinge schwirren im Kopf des Lesers, der parallel zu Elodie, bzw. Kate auch Frank von seinen guten und schlechten Seiten kennerlernt. Frank ist ganz fanatisch nach Schallplatten und CDs aller Art. Er liebt die Musik, die Leidenschaft und findet sich mehr schlecht als recht, ebenso wie seine beiden Kumpels, in seinem Alltag zurecht. Dieser Handlungsstrang wird nebenbei gut aufgebaut; bietet Abwechslung. Camilla Way erzählt ihre Geschichte nur bedingt chronologisch. Immer wieder wechselt die Autorin zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her und erzeugt damit die notwendige Spannung, die zu aller Zeit – jedoch nie nervenbrechend – vorhanden ist. Leser, die jedoch einen wirklich Psychothriller erwartet haben, werden enttäuscht sein. Selbst der Ausdruck "Thriller" ist teilweise hoch gepokert, durch bestimmte Elemente schlussendlich aber nachzuvollziehen. Der verzehrende Reiz, das Abgründige, die Zwickmühle schlechthin bildet sich erst zum Ende hin. Schlussendlich wenig originell präsentiert, liest man nichts unglaublich Besonderes, dennoch aber Herzerweichendes. Camilla Way hat mit diesem Roman bewiesen, dass sie viel Herz besitzt und diesen Umstand auch gut transportieren und durch bitterkalte, reale Kontraste ausschmücken kann. Man darf gespannt sein auf weitere Romane, denn dieser hier überzeugt!


Fazit

Camilla Way präsentiert mit ihrem zweiten Roman „Little Bird“ eine Geschichte, die zu berühren versteht. Psychologisch tiefgründig erzählt sie den Werdegang eines Mädchens, das sich erst in die Gesellschaft einfinden und die Hölle durchleiden muss, um schlussendlich Stabilität in dieser so kurzlebigen Zeit zu finden. Als Psychothriller zu wenig, doch lesenswert in jedem Fall!


Pro und Kontra

+ psychologisch sehr tiefgründig
+ authentisch & stimmungsvoll
+ lesenswerte Haupt- und Nebencharaktere
+ zum Ende hin spannend
+ kaum Action, trotzdem nie langweilig
+ intensiver, dennoch leicht zu lesender Stil

- kein Psychothriller
- manches zu schnell abgehandelt

Bewertung:

Handlung: 3,5 / 5
Charaktere: 4,5 / 5
Lesespaß: 4 / 5
Preis/Leistung: 4 / 5