Tad Williams (26.07.2008 - deutsche Übersetzung)

Interview Tad Williams

Literatopia: Hallo Tad! Danke, dass du dir die Zeit nimmst, ein paar Fragen zu beantworten.Wie würdest du dich vorstellen, wenn dich niemand kennen würde?

Tad Williams: Ich bin ein Geschichtenerzähler. Fast alles, was ich tue, ist irgendwie damit verbunden. Ich glaube, ich bin ziemlich gut darin.

Literatopia: An welchen Projekten arbeitest du zurzeit? Was können wir von dir in nächster Zukunft alles erwarten?

Tad Williams: Meine Frau Deborah Beale und ich sind gerade dabei, unser erstes Buch zu veröffentlichen, das für Leser aller Altersgruppen geeignet ist: „The Dragons of Ordinary Farm“. Ich bin schon sehr aufgeregt deshalb. Ich bringe auch gerade das letzte Buch der „Shadowmarch“-Reihe, „Shadowrise“, zu Ende. Ich werde im Laufe des nächsten Jahres einen Haufen Kurzgeschichten in mehreren Anthologien veröffentlichen. Und ich habe verschiedene andere interessante Projekte, über die ich noch nicht sprechen kann – mehr darüber bald!

Literatopia: Was hat dich dazu inspiriert, „Shadowmarch“ zu schreiben?

Tad Williams: Ich wollte etwas ein wenig Außergewöhnliches im Bereich der epischen Fantasy machen und ich war besonders daran interessiert, wie Familien und Familiengeschichte über Generationen hinweg fortbestehen. In der Welt von Shadowmarch wird das auch noch mit übergreifenderen Geschichten verbunden – Volksmärchen und religiösen Mythen. Ich glaube, am meisten interessiert es mich, wie wir unseren Kindern und uns selbst Geschichten darüber erzählen, wer wir sind.

Literatopia: „Otherland“ war dein bisher größter Erfolg – machst du dir manchmal Sorgen, dass jeder weitere Roman, den du je schreiben wirst, damit verglichen werden wird, egal, wie unterschiedlich er auch sein mag – passiert das schon? Liest du manchmal „Tad Williams neues Buch ist gut, aber nicht so gut wie ‚Otherland’“?

Tad Williams: Eigentlich kennen die Leute in den USA und in Großbritannien wohl eher die Bücher der „Das Geheimnis der großen Schwerter“-Trilogie – „Der Drachenbeinthron“ und so weiter. Ich schreibe immer die Geschichte, die mich im Moment fasziniert, also mache ich mir dabei keine großen Sorgen darüber, ob sie so bekannt werden wird wie etwas, das ich bereits geschrieben habe. Ich schreibe immer das, was ich für mich zum jeweiligen Zeitpunkt schreiben muss. Daraus die beste Geschichte zu machen, die ich kann, ist alles, was ich versuchen kann.

Literatopia: Nachdem man eine Geschichte von fast 4000 Seiten geschrieben hat, muss man wohl in gewisser Weise daran hängen? Wie viel von deinem Herzblut hast du in diese Arbeit investiert? Wie sehr hängt man nach so etwas an seinen Protagonisten?

Tad Williams: Ich habe meine Protagonisten sehr lieb gewonnen, doch anders als manche Autoren langer, langer Romane weiß ich immer schon von Anfang an, wie die Dinge ausgehen werden, also sehe ich das Ganze von Beginn an als komplette Geschichte. Schon von Anfang an ungefähr zu wissen, wie es enden wird, macht es mir leichter, schlussendlich die Charaktere wieder loszulassen. Außerdem gibt es immer neue Figuren und neue Geschichten, die meine Aufmerksamkeit verlangen.

Literatopia: Hast du jemals ernsthaft daran gedacht, einfach aufzugeben, während du an „Otherland“ oder den „Shadowmarch“-Büchern geschrieben hast? Gab es Momente, in denen du von deiner eigenen Geschichte genug hattest oder nicht mehr davon überzeugt warst?

Tad Williams: Bei einem großen Projekt gibt es immer Momente, wo das Schreiben nur noch Arbeit ist – das kommt auch bei kürzeren Geschichten vor. Bei langen Geschichten passiert es nur öfter und dauert länger an. Aber das ist der Unterschied zwischen professionellen Autoren und Amateuren: Ich weiß, es gibt solche Tage und ich versuche, Wege zu finden, mich wieder für die Sache zu begeistern. Oder, wenn ich in einer wirklich schlechten Phase bin, arbeite ich an etwas Anderem, bis ich wieder genug Inspiration habe.

Literatopia: Bist du schon jemals an einem Punkt angelangt, wo du mit dem Gedanken gespielt hast, das Schreiben ganz aufzugeben? Wenn ja, wieso und wofür?

Tad Williams: Schreiben ist nicht mein A und O. Ich schaffe nur gerne Dinge und erzähle Geschichten. Und weil ich weiß, dass ich genauso gut Musiker oder Maler sein könnte, oder Theaterregisseur, fühle ich mich nicht gefangen. Trotzdem bleibt das Schreiben der einfachste und beste Weg für mich, mich selbst zu verwirklichen. Und ich habe einen Ruf als Autor, also kann ich damit Geld verdienen, was mich in meiner momentanen Lebenssituation motiviert, bei der Sache zu bleiben – mit Kindern, Haustieren und einem Haus zu finanzieren etc. Aber ich habe noch nie wirklich daran gedacht, das Schreiben ganz aufzugeben. Es wäre wohl schön, irgendwann einmal ein Jahr Auszeit zu nehmen und einfach nur zu Malen oder Musik zu machen, aber ich kann mir nicht vorstellen, es ganz aufzugeben.

Literatopia: Otherland wird oft als eine Mischung auf Fantasy, Science Fiction und „Alice im Wunderland“ beschrieben. Außerdem lassen sich Anlehnungen an „Der Zauberer von Oz“ und „Krieg der Welten“ erkennen. Was bedeuten die drei genannten Bücher für dich? Haben sie deine Entwicklung als Autor beeinflusst?

Tad Williams: „Otherland“ war für mich eine Möglichkeit, andere Geschichten neu zu erforschen, die ich beim Lesen geliebt habe, oder die auf andere Weise meine Phantasie angeregt haben. Viele dieser Werke anderer Autoren, auf die ich Bezug nehme, sind allgemein bekannte Standardwerke, die, obwohl ich sie gelesen habe, nicht unbedingt den größten Einfluss auf meine Arbeit genommen haben. Ich habe sie großteils deshalb ausgesucht, weil durch ihre Bekanntheit meine Änderungen leicht auszumachen waren und gerade dadurch den Leser unterhalten konnten, oder entsetzen.

Literatopia: Hast du schon einmal von „Otherland“ oder „Osten Ard“ geträumt? Sind Protagonisten deiner Romane schon in deinen Träumen erschienen? Hast du jemals im Traum einen Roman mit einer Figur daraus diskutiert?

Tad Williams: Ich kann mich an die meisten meiner Träume nicht erinnern, vielleicht weil ich mein Unterbewusstsein so oft bei der Arbeit verwende, oder vielleicht auch einfach nur, weil ich schlafe wie ein Stein. Weiß nicht. Ab und zu verwende ich ein Bild aus einem Traum in einem meiner Bücher, aber das ist eher die Ausnahme als die Regel, und, anders als einige Autoren, hab ich zu meinen Figuren keine Beziehung, als wären sie tatsächlich Menschen. Für mich sind sie lebendig, aber nicht so lebendig, dass ich mich mit ihnen unterhalten könnte!

Literatopia: Welchen deiner Romane findest du selbst am Besten? Warum? Und bei welchem hat das Schreiben am meisten Spaß gemacht?

Tad Williams: Ich nehme an, dass auf längere Sicht „Otherland“ als mein herausragendstes Buch gehandelt werden wird, aber es ist fast unmöglich, sich für ein „Bestes“ zu entscheiden. „Blumenkrieg“ hat mir wahrscheinlich am meisten Spaß gemacht, wenigstens stellenweise, weil es (im Vergleich) eher kurz war und ich die Möglichkeit hatte, meinen Sinn für Humor durchblitzen zu lassen. Aber ich verliebe mich in jede neue Geschichte, die ich gerade schreibe, also wäre es für mich so, als müsste ich eins meiner Kinder zum Lieblingskind erklären, wenn man mich bitten würde, eine Lieblingsgeschichte auszusuchen. Sie sind alle meine Babys.

Literatopia: Vor ein paar Jahren war ich in einem Buchgeschäft und habe nach einem Geschenk für eine Freundin gesucht. „Blumenkrieg“ ist mir zuerst wegen des schönen Covers aufgefallen und schlussendlich habe ich es gekauft, nachdem ich den Klappentext gelesen hatte. Kennst du die Deutschen Cover deiner Bücher? Gefallen sie dir? Wie viel Einfluss hast du allgemein auf die Covergestaltung?

Tad Williams: Ich habe so viel Einfluss, wie ich ausüben will, und allgemein bin ich sehr glücklich mit den Titelbildern meiner Romane. Ich versuche, mich aus dem Prozess herauszuhalten, außer ich sehe etwas, das ich für einen ernsthaften Fehler halte, und das passiert nicht sehr oft. Ich bin sehr froh, dass die Cover der Deutschen Editionen sich dem etablierten Markt angepasst haben. Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum ich auf dem Deutschen Markt mehr als ein ernstzunehmender Autor gehandelt werde.

Literatopia: Deine Bücher werden in viele Sprachen übersetzt. Kennst du einige – oder gar alle – deiner Übersetzer? Wie wichtig, denkst du, sind sie für den Erfolg deiner Bücher?

Tad Williams: Ich kenne ein paar meiner Übersetzer – mindestens einer meiner deutschen Übersetzer ist ein guter Freund von mir – und ich versuche, so viele wie möglich von ihnen zu treffen. Ganz offensichtlich ist die Übersetzung äußerst wichtig. Ich denke, bisher habe ich da allgemein ziemlich viel Glück gehabt.

Literatopia: Behältst du die Verkaufszahlen deiner Bücher in anderen Ländern im Auge? Gibt es Romane von dir, die in anderen Ländern bzw. in der Übersetzung sogar erfolgreicher sind?

Tad Williams: Wie schon gesagt, ist „Otherland“, zumindest als kulturelles Phänomen, im deutschsprachigen Raum viel erfolgreicher als im englischsprachigen (obwohl diese Bücher im Laufe der Zeit auch auf dem englischsprachigen Markt an Bedeutung gewinnen). Das ist großteils durch meinen Verlagswechsel zu Klett-Cotta möglich gewesen. Durch ihren Ruf als ernstzunehmender Verlag ist es ihnen gelungen, mich als ernsthaften Autoren zu etablieren. Ja, ich behalte die Verkaufszahlen im Auge und ich versuche auch, mich auf verschiedene Weise weiter in die ausländischen Veröffentlichungen einzubringen.

Literatopia: Haben einige deiner Figuren Vorlagen im echten Leben? Bringst du manchmal Eigenschaften etc. von Familienmitgliedern oder Freunden ein?

Tad Williams: Nur manchmal, und wenn, dann aus einem bestimmten Grund. Einer meiner Freunde ist die Vorlage für den (viel älteren) Einsiedlerkrebs-Charakter (Murat Sagar Singh) in „Otherland“, und ich habe auch zwei Leute eingebracht, die bei einer Wohltätigkeitstombola den Hauptpreis gewonnen haben, in einem meiner Bücher zu Tode gefoltert zu werden. Aber generell meide ich es, echte Menschen einzubringen, weil ich finde, dass es meine Kreativität einschränkt.

Literatopia: Wenn du für einen Tag eine deiner Figuren sein könntest, welche würdest du dir aussuchen? Warum?

Tad Williams: Eine, die in einer Welt lebt, in der es ein funktionierendes Abwassersystem gibt, also vielleicht jemand aus „Otherland“ oder „Blumenkrieg“. Ich romantisiere vorindustrielle Zivilisationen nicht und mir würde es nicht gefallen, mit vierzig alt und zahnlos zu sein. Ich denke aber, es wäre lustig, einmal echte Magie zu sehen..

Literatopia: Wie hast du mit dem Schreiben begonnen; was war dein erstes Werk? Ein Gedicht, vielleicht, oder eine Geschichte? Hast du es noch irgendwo aufgehoben?

Tad Williams: Als ich noch in die Schule gegangen bin, habe ich lange Geschichten geschrieben – ich erinnere mich besonders an eine „Volksmärchen“ Hausaufgabe als ich dreizehn war. Sie hätte drei Seiten lang werden sollen und ich bin auf ein siebzehnseitiges Schwert- und Zauberepos mit Illustrationen etc. gekommen. Mein erster professioneller Schreibversuch war dann wahrscheinlich ein Screenplay, das ich geschrieben und noch irgendwo in einer Lade vergraben habe; ein Science Fiction Ding, das ich „The Sad Machines“ genannt habe. Die Hauptfigur war eine Art Vorläufer von Simon in den „Das Geheimnis der großen Schwerter“-Büchern.

Literatopia: Was hältst du von Creative-Writing-Kursen, wie sie oft an englischsprachigen Universitäten angeboten werden, oder Schreibseminaren nach dem Motto „Wie schreibe ich einen Bestseller“?

Tad Williams: Ich bin nicht wirklich lang genug aufs College gegangen, um dort zu lernen, wie man ein Autor wird – ich habe das meiste allein geschafft – also bin ich nicht die beste Person, um diese Frage zu beantworten. Ich denke schon, dass man beim Schreiben von einem guten Lehrer sehr profitieren kann, aber man wird nicht viel damit erreichen, einen Bestseller schreiben zu wollen, anstatt einfach zu versuchen, das beste Buch zu schreiben, das man schreiben kann; ein Buch, das man selbst gerne lesen würde.

Literatopia: Du bist nach der Highschool nicht aufs College gegangen. Denkst du rückblickend immer noch, dass das die richtige Entscheidung war?

Tad Williams: Ich bin mir sicher, ich hätte dort viel Spaß gehabt und viel gelernt. Andrerseits habe ich aber auch so viel Spaß gehabt und viel gelernt. Ich denke, ich würde nichts ändern, was das College angeht. Es wäre wohl etwas Anderes, wenn ich in meinem Alter immer noch irgendwo stehen und Burger wenden würde, nehme ich an..

Literatopia: Gibt es Interviewfragen, die du nicht mehr hören kannst? Gibt es welche, auf die du schon seit Jahren wartest, doch die noch nie gefragt wurden? Wenn ja, welche? Und würdest du sie uns auch gleich beantworten?

Tad Williams: Wisst ihr, ich habe noch nie eine Antwort auf die Frage „Was würdest du gerne gefragt werden?“ gehabt. Um ehrlich zu sein, langweile ich mich selbst ziemlich also fühle ich nie das starke Bedürfnis, noch mehr spannende Details preiszugeben. Nicht, weil ich denke, die Leute wären nicht an mir interessiert, sondern weil ich nicht an mir interessiert bin. Ich muss jeden Tag mit mir leben also inspiriert es mich nicht sonderlich, über mich selbst zu reden. Ich glaube nicht, dass ich eine langweilige Person bin, aber ich habe mittlerweile das meiste von dem gehört, was ich zu sagen habe und ich hab’s nicht sonderlich eilig, mehr zu hören. Da ist es mir lieber, Dinge zu schaffen oder andere Leute zu treffen und mir anzuhören, was sie zu sagen haben. Das Leben ist kurz und voller Abenteuer und Überraschungen, und Tad redet zu viel.

Literatopia: Vielen Dank!


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Dieses Interview wurde freundlicherweise von Lucia Schwarz für Literatopia übersetzt. Vielen Dank! (alle Rechte vorbehalten)