Hammer und Amboss
Teil I, Teil II, Teil III, Teil IV, Teil V, Teil VI, Teil VII, Teil VIII, Teil IX, Teil X
General Thakis stand auf dem zum Befehlsstand umfunktionierten Felsen - dem höchsten Punkt des Passes - und ließ seine Augen über die Stellungen schweifen, an denen seine Soldaten fieberhaft arbeiteten. Erde wurde aufgeschüttet und festgestampft – diese künstlichen Hügel sollten als Verteidigungswall dienen. Davor trieben die Krieger gespitzte Holzpfähle schräg in den Boden, die ein erstes Hindernis zu bilden sollten.
Zufrieden nickte der Krieger. Die Männer arbeiteten hart – und vor allem schnell. Jeder von ihnen wusste, dass sie alle Vorteile benötigten, die sie bekommen konnten, und keiner war lebensmüde.
Wobei - allein, dass wir hier stehen ist lebensmüde.
Nun wanderte sein Blick weiter hinab zum nahen Waldrand. Die dunklen Nadelbäume, die hier die Hauptvegetation bildeten, formten eine undurchdringliche Wand. So schien es ihm zumindest. Eine Wand, aus der ihrer Feinde früher oder später brechen würden. Immer wieder sah er dort hinab, erwartete fast, dass Rauchsäulen über dem Wipfeln erschienen. Denn seine Kundschafter sollten Feuer entzünden, wenn sie der Armee der Duredhel gewahr wurden. Thakis war sich bewusst, dass die Späher mit so einem weithin sichtbaren Zeichen vermutlich ihr eigenes Todesurteil aussprachen. Bitter verzog er die Mundwinkel, während er weiter gen Norden starrte, als könne er den Feind durch seinen bloßen Blick in die Flucht schlagen.
Doch schließlich wandte er sich um und stapfte den schmalen Pfad vom Befehlsstand hinab. Er konnte einfach keine Ruhe finden. Ein allgegenwärtiges, nagendes Gefühl trieb ihn immer wieder dazu, persönlich nach dem Rechten zu sehen. Es würde nicht mehr lange dauern, dessen war er sich sicher. Vielleicht würden sie im Morgengrauen angreifen, vielleicht schon bei Einbruch der Nacht. Dunkelheit schien den Dunkelelben nicht viel auszumachen. Den Orks allerdings schon. Thakis warf einen prüfenden Blick zum Himmel – die Sonne hatte ihren Zenit gerade erreicht –, während er zwischen den betenden Ordenskriegerinnen der Göttin Rashiya, Herrin der Ordnung und des Zyklus' von Leben und Tod, hindurch eilte. Sie alle knieten in Reih und Glied, den Blick gesenkt, das große Zweihandschwert an der Stirn, und hielten stumm ihre Mittagsandacht. Die schweren bronzenen Rüstungen schimmerten im Licht der Mittagssonne. So stark gepanzerte Truppen hatte Thakis noch nie befehligt. Er wollte sich nicht vorstellen, wie viel Übung nötig war, um sich unter dem Gewicht dieser Platten überhaupt zu bewegen, geschweige denn dabei noch eine derart schwere Waffe zu führen.
Zweifelsohne eine wertvolle Verstärkung. Und doch sehr unbeweglich … Nun, Bewegung würde in ihrem Stellungskrieg wohl keine große Rolle spielen. Der General erreichte die Verteidigungslinie, oder zumindest das, was ihre Verteidigungslinie werden sollte. Er trat neben Heerführer Lysander, der die Arbeiten selbst überwachte. Wortkarg grüßte dieser, indem er sich mit der Faust vor die Brust schlug, und Thakis nickte ihm zu.
„Es geht rasch voran“, murmelte Lysander schließlich, nachdem die beiden Krieger einige Zeit schweigend nebeneinander gestanden hatten. Sie hätten unterschiedlicher kaum sein können. Während Lysander mit seiner schlanken, aber muskulösen Statur fast alle anderen aus dem Lager überragte, war Thakis eher untersetzt und breitschultrig. Doch beide teilten tiefe Furchen im Gesicht. Spuren, die unzählige Kämpfe hineingegraben hatten.
Thakis nickte nachdenklich.
„Ihr leistet gute Arbeit, Heerführer. Aber ob das ausreichen wird, wird sich noch zeigen.“
Das Gesicht des Heerführers verfinsterte sich, während seine grauen Augen dem Blick des Generals zum Waldrand folgten.
***
Aliya hatte Mühe, mit den stämmigen Zwergen Schritt zu halten. Trotz ihrer recht kurzen Beine legten sie ein hohes Marschtempo vor. Liefen fast, während sie dem schmalen Pfad folgten, der sich durch die lang gezogene Höhle schlängelte. Immer tiefer in den Berg hinein. Die Kriegerin erschauderte, während sie sich mit großen Augen umsah.
Der Zwerg mit den Augen so klar wie Bergkristall – Grunkar war der Name, wenn sie sich nicht täuschte – trug eine kleine Laterne. Immer wieder riss ihr Licht Umrisse gigantischer Felsblöcke aus der allgegenwärtigen Dunkelheit, die von der Decke gestürzt sein mussten. Gelegentlich auch Ansammlungen von Tropfsteinen, die bleich wie abgenagtes Gebein schimmerten, oder Abzweigungen - dunkle, starrende Löcher, die nach Aliya zu rufen schienen, damit sie sich in den Tiefen dieser fremdartigen Welt verlaufen möge. Manchmal durchbrach ein seltsames, grünliches Licht die Schatten, dann konnte sie leuchtende Pilze sehen, die sich in Felsspalten duckten, oder Flechte, die verworren von der niedrigen Decke hingen.
Immer tiefer in den Berg hinein.
Die Hauptfrau hatte das Gefühl, die Felswände um sie herum würden langsam, aber sicher auf sie zu rücken, immer näher kommen, je weiter die Gruppe vorankam. Es schien ihr, als würde die Luft langsam knapp werden, immer schwerer fiel ihr das Atmen, immer mehr kalter Schweiß rann ihr über die Stirn, tropfte von ihren verklebten Haaren. Dies war sicher kein Ort, an dem sie leben wollte. Und ihr körperlicher Zustand tat sein übrigens, ließ ihre Knie immer wieder weich werden.
Um sich abzulenken, musterte Aliya erneut die seltsamen Gestalten, die sie gerade durch die Eingeweide des Gebirges führten. Sie hatte schon von Zwergen gehört … aber das waren Legenden gewesen, Geschichten, die man kleinen Kindern erzählt. Und diese Zwerge hatten nichts gemein mit den kleinen, verhutzelten Männchen, die sie sich immer vorgestellt hatte. Viel zu breit die Schultern. Viel zu wehrhaft die Ausrüstung. Nachdenklich schüttelte die Kriegerin den Kopf. Ob man ihr das wohl glauben würde, wenn sie heimkehrte? Falls sie je heimkehren würde.
Plötzlich wichen die Felswände an den Seiten zurück, gaben den Blick frei in einen gewaltigen Felsendom. Das Licht von Grankuls Laterne sickerte voraus, während die Gruppe kurz inne hielt, und spiegelte sich auf einer gigantischen Wasserfläche, die wie eine dunkle Schiefertafel unberührt vor ihnen lag. Doch dort machte der Schein nicht halt. Von der Oberfläche zurückgeworfen traf es auf die Wände der Höhle, brachte kleine Kristalle zum Funkeln, die wiederum weitere aus der Dunkelheit rissen. Die ganze Felsenkuppel begann in einem überirdischen Glanz zu strahlen. Es schien, als wäre ein eigener Sternenhimmel hier unten eingeschlossen. Myriaden Sterne, die, einmal geweckt, nicht mehr aufhören wollten zu leuchten.
Gebannt betrachtete Aliya das Schauspiel, konnte sich kaum satt sehen. Etwas so Schönes hätte sie hier niemals erwartet.
„Was … ist das?“ Ihre Stimme zitterte vor Ehrfurcht.
Brombasch trat neben sie.
„Das, Hauptfrau Aliya, ist der wahre Schatz des Adamtiumgebirges. Das ist Salz. Salz in seiner ursprünglichen Form."
Überrascht blickte die junge Kriegerin zum Zwerg hinab. Doch der schmunzelte nur und zog sie weiter.
„Wir dürfen nicht zu lange an einem Ort verweilen. Auch nicht an einem Ort wie diesem.“ Brombaschs Gesicht verfinsterte sich, während er ihr vorauseilte, einige steinerne Stufen hinab, von denen Aliya nicht sagen konnte, ob sie natürlichen Ursprungs oder aus dem Fels gehauen worden waren.
Dann erreichte die Gruppe eine Art Strand. Sand, ungewöhnlich fein und weiß, stob unter ihren Schritten auf. Rasch überquerten sie die Freifläche und eine schmale Öffnung am Rand der Höhle verschluckte sie.
Es schien Aliya, als würden sie nun bereits seit Stunden, vielleicht sogar Tagen, durch dieses Tunnellabyrinth hetzen. Mittlerweile hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Doch ihre bärtigen Begleiter trieben sie immer weiter voran, obwohl ihr die Augen während des Marschierens zufielen. Nur selten hielten die Zwerge inne, beratschlagten eine Weile und bogen dann, scheinbar wahllos, in irgendwelche Seitentunnel ab. Aliya wurde den Eindruck nicht los, dass ihre Führer damit etwas umgehen wollten, um später wieder auf den Hauptpfad zurückzukehren. Aber welche Gefahren in diesem Höhlensystem lauern mochten, darum wollte sie sich lieber keine Gedanken machen.
Nur immer weiter, einfach einen Fuß vor den anderen setzen.
Bis sie schließlich eine gepflasterte Straße erreichten. Aliya ging in die Knie und ihre Finger folgten dem gleichmäßigen, festgefügten Muster der Kopfsteine. Was hatte eine Straße tief unter dem Felsgestein der Berge zu suchen?
Als die Kriegerin aufblickte, bemerkte sie, dass Brombaschs Blick auf ihr ruhte.
„Wir sind fast da.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen. Aliya sammelte sich kurz, sog noch einmal tief die Luft ein, dann schlug sie ein und der Zwerg zog sie hoch. Auf ihn gestützt stapfte sie die leicht abschüssige Straße entlang, bis der Tunnel sich zu einer Art Platz öffnete.
Vor ihnen erhob sich ein riesiges, zweiflügliges Tor. Es schimmerte matt im spärlichen Licht der Laterne und wurde von zwei Säulen flankiert. Sie waren in die Form von Bäumen gehauen worden, deren verzweigtes Astwerk die Decke abstützte, und überragten die Hauptfrau, ebenso wie das Tor, um mehrere Längen.
Ungläubig schüttelte die junge Frau ihren Kopf. Erst eine gepflasterte Straße und nun dies.
Währenddessen waren die drei Zwerge zu einem kantigen Felsbrocken getreten, der wie zufällig etwas abseits des Eingangs lag. Mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung hoben sie ihn an und ließen ihn dann auf die darunter zum Vorschein kommende Metallplatte zurückfallen. Ein dunkler, dröhnender Ton erfüllte die Luft, schien den Berg selbst zum Erbeben zu bringen und jagte Aliya einen Schauer den Rücken hinab.
Da gesellte sich zu dem verklingenden ersten Ton ein kaum hörbares Knirschen, als sich direkt über dem Tor eine Steinplatte herunterschob und dabei eine Schießscharte freigab. Die Kriegerin vermeinte dahinter ein flackerndes Licht erkennen zu können. Einige Atemzüge lang geschah nichts, doch dann setzten sich die Torflügel rasselnd in Bewegung, schwangen behäbig nach innen.
In der Öffnung erschien die untersetzte Silhouette eines weiteren Zwerges, der auf den Vorplatz trat. Bei jedem seiner Schritte klirrte das schwere Kettenhemd leise, das mit einer gesonderten, reich verzierten Brustplatte zusätzlich verstärkt worden war.
Der Fremde rieb sich nachdenklich über seinen flammend roten Bart, während er vor allem die Hauptfrau eindringlich musterte. Dann begann er mit Aliyas Führern zu diskutieren. Immer wieder konnte die Kriegerin die Augen des Wachpostens schwer auf ihr ruhen fühlen. Blicke, die sie förmlich aufzuspießen schienen, während Brombasch wild gestikulierte. Es war unschwer zu erkennen, um wen sich das Gespräch drehte und ebenso unschwer konnte Aliya die Ablehnung fühlen, die ihr entgegenschlug.
Die Kriegerin begann von einem Bein auf das andere zu treten, während ihre Augen nervös durch die Höhle huschten.
Was versprach sie sich eigentlich hiervon? Auf dem Weg hatte Aliya eine irrationale Hoffnung vorangetrieben, die Vorstellung, sie könne doch noch Hilfe bringen …
Aber jetzt stand sie hier, vor dem Tor der Zwergenstadt, und war noch nicht einmal sicher, dass man sie einlassen würde. Und selbst wenn, dann wusste sie immer noch nicht, ob diese Fremden ihr überhaupt helfen wollten, geschweige denn konnten!
Ein beklemmendes Gefühl im Brustkorb erschwerte ihr das Atmen, während sie an ihre Kameraden dachte - vorwurfsvolle, leichenblasse Gesichter schienen sie anzustarren … und mitten unter ihnen Thakis' gebrochenen Augen.
„Nein!“ Aliya schwankte, als ihr Sichtfeld verschwamm und um ein Haar hätten ihre Beine einfach nachgegeben.
Schwer atmend gewann die Hauptfrau die Kontrolle über ihren Körper zurück, die Kraft für den Rückweg hatte sie sicherlich nicht mehr.
Nur langsam wurde ihr bewusst, dass es still geworden war. Sie konnte die rauen Stimmen der Zwerge nicht mehr hören. Verwirrt wandte sie sich um und stellte fest, dass alle vier sie musterten. Die buschigen Augenbrauen des Wächters waren tief gesenkt, finster funkelte er sie an, eine Hand wie beiläufig auf den beiden langstieligen Äxten ruhend, die er im Gürtel trug.
Spannung schien die Luft förmlich zum Knistern zu bringen, Aliya hatte das Gefühl, sie mit Händen greifen zu können. Nun war es also so weit.
Der Zwerg mit dem flammenden Haar knurrte etwas Unverständliches und Aliya blickte verwirrt zu Brombasch. Dessen Gesicht furchte sich zu einem breiten Grinsen.
„Sein Name ist Harkun, Sohn des Hurdrûm vom Clan Feuerläufer. Er heißt dich in Sternenwacht willkommen und wird dich dem Bergherren ankündigen.“
Ungläubig erstarrte Aliya, kaum in der Lage einen Gedanken zu fassen. Die Hoffnung strömte zurück, ein goldener, glühender Strom, den sie mühsam einzudämmen versuchte.
„Hier endet es also noch nicht!“, flüstere die Kriegerin und schickte im Stillen ein Dankgebet zu den Göttern.
Dann folgte die Hauptfrau den Zwergen, die bereits durch das Tor im Inneren der Bergfestung verschwanden.
Teil I, Teil II, Teil III, Teil IV, Teil V, Teil VI, Teil VII, Teil VIII, Teil IX, Teil X
General Thakis stand auf dem zum Befehlsstand umfunktionierten Felsen - dem höchsten Punkt des Passes - und ließ seine Augen über die Stellungen schweifen, an denen seine Soldaten fieberhaft arbeiteten. Erde wurde aufgeschüttet und festgestampft – diese künstlichen Hügel sollten als Verteidigungswall dienen. Davor trieben die Krieger gespitzte Holzpfähle schräg in den Boden, die ein erstes Hindernis zu bilden sollten.
Zufrieden nickte der Krieger. Die Männer arbeiteten hart – und vor allem schnell. Jeder von ihnen wusste, dass sie alle Vorteile benötigten, die sie bekommen konnten, und keiner war lebensmüde.
Wobei - allein, dass wir hier stehen ist lebensmüde.
Nun wanderte sein Blick weiter hinab zum nahen Waldrand. Die dunklen Nadelbäume, die hier die Hauptvegetation bildeten, formten eine undurchdringliche Wand. So schien es ihm zumindest. Eine Wand, aus der ihrer Feinde früher oder später brechen würden. Immer wieder sah er dort hinab, erwartete fast, dass Rauchsäulen über dem Wipfeln erschienen. Denn seine Kundschafter sollten Feuer entzünden, wenn sie der Armee der Duredhel gewahr wurden. Thakis war sich bewusst, dass die Späher mit so einem weithin sichtbaren Zeichen vermutlich ihr eigenes Todesurteil aussprachen. Bitter verzog er die Mundwinkel, während er weiter gen Norden starrte, als könne er den Feind durch seinen bloßen Blick in die Flucht schlagen.
Doch schließlich wandte er sich um und stapfte den schmalen Pfad vom Befehlsstand hinab. Er konnte einfach keine Ruhe finden. Ein allgegenwärtiges, nagendes Gefühl trieb ihn immer wieder dazu, persönlich nach dem Rechten zu sehen. Es würde nicht mehr lange dauern, dessen war er sich sicher. Vielleicht würden sie im Morgengrauen angreifen, vielleicht schon bei Einbruch der Nacht. Dunkelheit schien den Dunkelelben nicht viel auszumachen. Den Orks allerdings schon. Thakis warf einen prüfenden Blick zum Himmel – die Sonne hatte ihren Zenit gerade erreicht –, während er zwischen den betenden Ordenskriegerinnen der Göttin Rashiya, Herrin der Ordnung und des Zyklus' von Leben und Tod, hindurch eilte. Sie alle knieten in Reih und Glied, den Blick gesenkt, das große Zweihandschwert an der Stirn, und hielten stumm ihre Mittagsandacht. Die schweren bronzenen Rüstungen schimmerten im Licht der Mittagssonne. So stark gepanzerte Truppen hatte Thakis noch nie befehligt. Er wollte sich nicht vorstellen, wie viel Übung nötig war, um sich unter dem Gewicht dieser Platten überhaupt zu bewegen, geschweige denn dabei noch eine derart schwere Waffe zu führen.
Zweifelsohne eine wertvolle Verstärkung. Und doch sehr unbeweglich … Nun, Bewegung würde in ihrem Stellungskrieg wohl keine große Rolle spielen. Der General erreichte die Verteidigungslinie, oder zumindest das, was ihre Verteidigungslinie werden sollte. Er trat neben Heerführer Lysander, der die Arbeiten selbst überwachte. Wortkarg grüßte dieser, indem er sich mit der Faust vor die Brust schlug, und Thakis nickte ihm zu.
„Es geht rasch voran“, murmelte Lysander schließlich, nachdem die beiden Krieger einige Zeit schweigend nebeneinander gestanden hatten. Sie hätten unterschiedlicher kaum sein können. Während Lysander mit seiner schlanken, aber muskulösen Statur fast alle anderen aus dem Lager überragte, war Thakis eher untersetzt und breitschultrig. Doch beide teilten tiefe Furchen im Gesicht. Spuren, die unzählige Kämpfe hineingegraben hatten.
Thakis nickte nachdenklich.
„Ihr leistet gute Arbeit, Heerführer. Aber ob das ausreichen wird, wird sich noch zeigen.“
Das Gesicht des Heerführers verfinsterte sich, während seine grauen Augen dem Blick des Generals zum Waldrand folgten.
***
Aliya hatte Mühe, mit den stämmigen Zwergen Schritt zu halten. Trotz ihrer recht kurzen Beine legten sie ein hohes Marschtempo vor. Liefen fast, während sie dem schmalen Pfad folgten, der sich durch die lang gezogene Höhle schlängelte. Immer tiefer in den Berg hinein. Die Kriegerin erschauderte, während sie sich mit großen Augen umsah.
Der Zwerg mit den Augen so klar wie Bergkristall – Grunkar war der Name, wenn sie sich nicht täuschte – trug eine kleine Laterne. Immer wieder riss ihr Licht Umrisse gigantischer Felsblöcke aus der allgegenwärtigen Dunkelheit, die von der Decke gestürzt sein mussten. Gelegentlich auch Ansammlungen von Tropfsteinen, die bleich wie abgenagtes Gebein schimmerten, oder Abzweigungen - dunkle, starrende Löcher, die nach Aliya zu rufen schienen, damit sie sich in den Tiefen dieser fremdartigen Welt verlaufen möge. Manchmal durchbrach ein seltsames, grünliches Licht die Schatten, dann konnte sie leuchtende Pilze sehen, die sich in Felsspalten duckten, oder Flechte, die verworren von der niedrigen Decke hingen.
Immer tiefer in den Berg hinein.
Die Hauptfrau hatte das Gefühl, die Felswände um sie herum würden langsam, aber sicher auf sie zu rücken, immer näher kommen, je weiter die Gruppe vorankam. Es schien ihr, als würde die Luft langsam knapp werden, immer schwerer fiel ihr das Atmen, immer mehr kalter Schweiß rann ihr über die Stirn, tropfte von ihren verklebten Haaren. Dies war sicher kein Ort, an dem sie leben wollte. Und ihr körperlicher Zustand tat sein übrigens, ließ ihre Knie immer wieder weich werden.
Um sich abzulenken, musterte Aliya erneut die seltsamen Gestalten, die sie gerade durch die Eingeweide des Gebirges führten. Sie hatte schon von Zwergen gehört … aber das waren Legenden gewesen, Geschichten, die man kleinen Kindern erzählt. Und diese Zwerge hatten nichts gemein mit den kleinen, verhutzelten Männchen, die sie sich immer vorgestellt hatte. Viel zu breit die Schultern. Viel zu wehrhaft die Ausrüstung. Nachdenklich schüttelte die Kriegerin den Kopf. Ob man ihr das wohl glauben würde, wenn sie heimkehrte? Falls sie je heimkehren würde.
Plötzlich wichen die Felswände an den Seiten zurück, gaben den Blick frei in einen gewaltigen Felsendom. Das Licht von Grankuls Laterne sickerte voraus, während die Gruppe kurz inne hielt, und spiegelte sich auf einer gigantischen Wasserfläche, die wie eine dunkle Schiefertafel unberührt vor ihnen lag. Doch dort machte der Schein nicht halt. Von der Oberfläche zurückgeworfen traf es auf die Wände der Höhle, brachte kleine Kristalle zum Funkeln, die wiederum weitere aus der Dunkelheit rissen. Die ganze Felsenkuppel begann in einem überirdischen Glanz zu strahlen. Es schien, als wäre ein eigener Sternenhimmel hier unten eingeschlossen. Myriaden Sterne, die, einmal geweckt, nicht mehr aufhören wollten zu leuchten.
Gebannt betrachtete Aliya das Schauspiel, konnte sich kaum satt sehen. Etwas so Schönes hätte sie hier niemals erwartet.
„Was … ist das?“ Ihre Stimme zitterte vor Ehrfurcht.
Brombasch trat neben sie.
„Das, Hauptfrau Aliya, ist der wahre Schatz des Adamtiumgebirges. Das ist Salz. Salz in seiner ursprünglichen Form."
Überrascht blickte die junge Kriegerin zum Zwerg hinab. Doch der schmunzelte nur und zog sie weiter.
„Wir dürfen nicht zu lange an einem Ort verweilen. Auch nicht an einem Ort wie diesem.“ Brombaschs Gesicht verfinsterte sich, während er ihr vorauseilte, einige steinerne Stufen hinab, von denen Aliya nicht sagen konnte, ob sie natürlichen Ursprungs oder aus dem Fels gehauen worden waren.
Dann erreichte die Gruppe eine Art Strand. Sand, ungewöhnlich fein und weiß, stob unter ihren Schritten auf. Rasch überquerten sie die Freifläche und eine schmale Öffnung am Rand der Höhle verschluckte sie.
Es schien Aliya, als würden sie nun bereits seit Stunden, vielleicht sogar Tagen, durch dieses Tunnellabyrinth hetzen. Mittlerweile hatte sie jegliches Zeitgefühl verloren. Doch ihre bärtigen Begleiter trieben sie immer weiter voran, obwohl ihr die Augen während des Marschierens zufielen. Nur selten hielten die Zwerge inne, beratschlagten eine Weile und bogen dann, scheinbar wahllos, in irgendwelche Seitentunnel ab. Aliya wurde den Eindruck nicht los, dass ihre Führer damit etwas umgehen wollten, um später wieder auf den Hauptpfad zurückzukehren. Aber welche Gefahren in diesem Höhlensystem lauern mochten, darum wollte sie sich lieber keine Gedanken machen.
Nur immer weiter, einfach einen Fuß vor den anderen setzen.
Bis sie schließlich eine gepflasterte Straße erreichten. Aliya ging in die Knie und ihre Finger folgten dem gleichmäßigen, festgefügten Muster der Kopfsteine. Was hatte eine Straße tief unter dem Felsgestein der Berge zu suchen?
Als die Kriegerin aufblickte, bemerkte sie, dass Brombaschs Blick auf ihr ruhte.
„Wir sind fast da.“ Er streckte ihr seine Hand entgegen. Aliya sammelte sich kurz, sog noch einmal tief die Luft ein, dann schlug sie ein und der Zwerg zog sie hoch. Auf ihn gestützt stapfte sie die leicht abschüssige Straße entlang, bis der Tunnel sich zu einer Art Platz öffnete.
Vor ihnen erhob sich ein riesiges, zweiflügliges Tor. Es schimmerte matt im spärlichen Licht der Laterne und wurde von zwei Säulen flankiert. Sie waren in die Form von Bäumen gehauen worden, deren verzweigtes Astwerk die Decke abstützte, und überragten die Hauptfrau, ebenso wie das Tor, um mehrere Längen.
Ungläubig schüttelte die junge Frau ihren Kopf. Erst eine gepflasterte Straße und nun dies.
Währenddessen waren die drei Zwerge zu einem kantigen Felsbrocken getreten, der wie zufällig etwas abseits des Eingangs lag. Mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung hoben sie ihn an und ließen ihn dann auf die darunter zum Vorschein kommende Metallplatte zurückfallen. Ein dunkler, dröhnender Ton erfüllte die Luft, schien den Berg selbst zum Erbeben zu bringen und jagte Aliya einen Schauer den Rücken hinab.
Da gesellte sich zu dem verklingenden ersten Ton ein kaum hörbares Knirschen, als sich direkt über dem Tor eine Steinplatte herunterschob und dabei eine Schießscharte freigab. Die Kriegerin vermeinte dahinter ein flackerndes Licht erkennen zu können. Einige Atemzüge lang geschah nichts, doch dann setzten sich die Torflügel rasselnd in Bewegung, schwangen behäbig nach innen.
In der Öffnung erschien die untersetzte Silhouette eines weiteren Zwerges, der auf den Vorplatz trat. Bei jedem seiner Schritte klirrte das schwere Kettenhemd leise, das mit einer gesonderten, reich verzierten Brustplatte zusätzlich verstärkt worden war.
Der Fremde rieb sich nachdenklich über seinen flammend roten Bart, während er vor allem die Hauptfrau eindringlich musterte. Dann begann er mit Aliyas Führern zu diskutieren. Immer wieder konnte die Kriegerin die Augen des Wachpostens schwer auf ihr ruhen fühlen. Blicke, die sie förmlich aufzuspießen schienen, während Brombasch wild gestikulierte. Es war unschwer zu erkennen, um wen sich das Gespräch drehte und ebenso unschwer konnte Aliya die Ablehnung fühlen, die ihr entgegenschlug.
Die Kriegerin begann von einem Bein auf das andere zu treten, während ihre Augen nervös durch die Höhle huschten.
Was versprach sie sich eigentlich hiervon? Auf dem Weg hatte Aliya eine irrationale Hoffnung vorangetrieben, die Vorstellung, sie könne doch noch Hilfe bringen …
Aber jetzt stand sie hier, vor dem Tor der Zwergenstadt, und war noch nicht einmal sicher, dass man sie einlassen würde. Und selbst wenn, dann wusste sie immer noch nicht, ob diese Fremden ihr überhaupt helfen wollten, geschweige denn konnten!
Ein beklemmendes Gefühl im Brustkorb erschwerte ihr das Atmen, während sie an ihre Kameraden dachte - vorwurfsvolle, leichenblasse Gesichter schienen sie anzustarren … und mitten unter ihnen Thakis' gebrochenen Augen.
„Nein!“ Aliya schwankte, als ihr Sichtfeld verschwamm und um ein Haar hätten ihre Beine einfach nachgegeben.
Schwer atmend gewann die Hauptfrau die Kontrolle über ihren Körper zurück, die Kraft für den Rückweg hatte sie sicherlich nicht mehr.
Nur langsam wurde ihr bewusst, dass es still geworden war. Sie konnte die rauen Stimmen der Zwerge nicht mehr hören. Verwirrt wandte sie sich um und stellte fest, dass alle vier sie musterten. Die buschigen Augenbrauen des Wächters waren tief gesenkt, finster funkelte er sie an, eine Hand wie beiläufig auf den beiden langstieligen Äxten ruhend, die er im Gürtel trug.
Spannung schien die Luft förmlich zum Knistern zu bringen, Aliya hatte das Gefühl, sie mit Händen greifen zu können. Nun war es also so weit.
Der Zwerg mit dem flammenden Haar knurrte etwas Unverständliches und Aliya blickte verwirrt zu Brombasch. Dessen Gesicht furchte sich zu einem breiten Grinsen.
„Sein Name ist Harkun, Sohn des Hurdrûm vom Clan Feuerläufer. Er heißt dich in Sternenwacht willkommen und wird dich dem Bergherren ankündigen.“
Ungläubig erstarrte Aliya, kaum in der Lage einen Gedanken zu fassen. Die Hoffnung strömte zurück, ein goldener, glühender Strom, den sie mühsam einzudämmen versuchte.
„Hier endet es also noch nicht!“, flüstere die Kriegerin und schickte im Stillen ein Dankgebet zu den Göttern.
Dann folgte die Hauptfrau den Zwergen, die bereits durch das Tor im Inneren der Bergfestung verschwanden.
Die meisten Menschen haben überdurchschnittlich viele Arme und Beine ...
Wanderer zwischen den Welten und der
Weltenknoten
Wanderer zwischen den Welten und der
Weltenknoten