„Gott, dieser Staub. So oft kann man sich gar nicht waschen.“ Katie stand nackt in einem schnell fließenden Fluss und genoss die Abkühlung in der nachmittäglichen Sonne. Ihre Kleidung lag zum Trocknen am Uferrand, während sie sich Schweiß und Schmutz vom Körper wusch. Der Duft von gebratenem Fleisch hing in der Luft und ließ ihren Magen knurren. Dank Sina, die am Feuer aufpasste, dass das Fleisch nicht verbrannte, mussten sie nicht Hunger leiden. Das jüngere Mädchen hatte sich als eine geschickte Jägerin erwiesen. Ihre Hand war so sicher, dass sie auf fünfzig Schritt einem Eichhörnchen das Auge ausblies, wie man hierzulande über einen guten Schützen sagte. Nur im Sattel war sie hoffnungslos überfordert und hatte schon nach den ersten Stunden über Schmerzen in Rücken und Beinen geklagt. Ihr ganzer Körper schmerzte und zeitweise war sie abgestiegen und hatte ihr Pferd geführt.
Katie hingegen hatte im Kloster auch das Reiten erlernt und genoss die langen Ritte auf dem braunen Hengst mit der langen schwarzen Mähne. Harlekin, wie sie ihn rief, hatte sich als treuer Partner erwiesen, der sich seine Freunde selbst aussuchte. Bei Katie war er sanft wie ein Lämmchen. Lediglich an den ausladenden Sattel mit dem hohen Horn hatte sie sich gewöhnen müssen, doch nach zwei Tagen saß sie darin wie in einem Sessel.
Die Mädchen hatten sich schließlich doch dagegen entschieden, dem Treck beizutreten. Zum einen lag es daran, dass er in die entgegensetzte Richtung der Stadt Roswell wandern wollte. Zum anderen kamen sie zu zweit schneller voran. Sie waren sich des Risikos bewusst, das sie eingingen, allein durch den berüchtigten Wilden Westen zu reisen, doch wollten sie die Dinge handhaben, wie sie kamen.
Bisher waren sie weder Indianern noch irgendwelchen Banditen begegnet. Das wildeste Zusammentreffen hatten sie mit einem Bisonbullen, dessen dichtes Fell schon ergraut war. Doch das Tier schien sie entweder nicht bemerkt zu haben oder war zu müde, zum Angreifen. Er starrte die erschrockenen Mädchen nur an. Harlekin zog die Oberlippe hoch und der Bisonbulle trollte sich ins Gebüsch zurück.
„Der war zu alt und zu zäh zum schießen“, konstatierte Sina enttäuscht.
„Einen Happen zu viel für uns beide“, tröstete Katie die Freundin lachend.
Dank ihrer Gewinne hatten sie jetzt genug finanzielle Mittel, über die Runden zu kommen. Katie hatte das Geld in viele kleinere Beträge aufgeteilt, die sie in ihrer und Sinas Kleidung und den Satteltaschen der beiden verteilte. In Santa Fe hatten sie sich noch mit dem Westen entsprechender Kleidung, Waffen und Munition, sowie Proviant für mehrere Tage versorgt. Katie hatte auch an Medikamente gedacht. In ihrer Satteltasche befanden sich Chloroform, Chinin und eingeschlagen in Leinen, Skalpelle und Pinzetten.
Katie wusste nicht, wo sie die Suche nach ihrem Vater beginnen sollte. Das letzte Bildnis, das er von sich geschickt hatte, war mit ihrer Tasche im Hafen von New York gestohlen worden. Anhand von Karten konnte sie ungefähr die Richtung bestimmen, in die sie reiten mussten. Dennoch dachte sie nicht daran, lange zu bleiben. Sinas Drängen, sich auf die Suche nach ihrem Erzeuger zu machen, hatte sie nachgegeben, doch sollte dieser Besuch nur von kurzer Dauer sein, danach wollte sie sich so schnell als möglich ein eigenes Leben aufbauen.
„Essen ist fertig“, rief da auch schon die Freundin. Sina war eine katastrophale Köchin und überließ die Zubereitung des Essens Katie, die auch wilde Kräuter sammelte. Immerhin brachte sie es fertig, das Fleisch gleichmäßig am Spieß zu drehen. Die Pferde fanden ihr Futter selbst. Sie grasten nah am Ufer des Flusses, wo das Gras besonders hoch und saftig stand. Es war erst Ende April, aber bei dieser Hitze konnte man sich ausmalen, dass in wenigen Wochen alles von der Sonne verdorrt sein würde.
„Ein Glück, dass ich für ausreichend Medikamente gesorgt habe“, rief Katie und stieg in ihre Kleidung. Sie und Sina trugen jetzt Männerkleidung. Hosen und weite Hemden, die auf den langen Ritten bequemer waren als die starren Korsetts, von denen sie sich verabschiedet hatten. Damenhafter Dünkel ließ hier kaum Luft zum Atmen.
„Hahaha“, gab Sina ironisch zurück. „So schlecht koche ich jetzt auch nicht.“
„Nein“, stimmte Katie mit einem Grinsen zu und ließ sich am Feuer nieder, die Beine untergeschlagen. „Aber ein Menü von dir könnte man als Waffe einsetzen.“
Sina zog eine Grimasse. „Iss und halt den Mund“, zischte sie. Wirklich böse war sie nicht. Katie war ihre Freundin, die beste, die sie je hatte. Mehr noch, sie war die große Schwester, die sie sich immer gewünscht hatte.
Das Feuer brannte nur mit kleiner Flamme und Katie achtete sehr darauf, dass sie keinen Rauch machten. Trotz ihrer Unerfahrenheit waren die beiden Mädchen darauf bedacht, kein allzu großes Risiko einzugehen und möglichen Feinden nicht aufzufallen. Immer wieder waren sie vor Indianern gewarnt worden. Sie seien wild und grausam und kannten kein Erbarmen, auch nicht mit zwei wehrlosen jungen Frauen. Aber nicht nur die Roten konnten ihnen gefährlich werden, wie Sina als bittere Erfahrung machen musste. Die Prärie beheimatete jede Menge wilde Tiere wie Wölfe oder Bären.
Nach dem Essen löschten sie die Flammen und verwischten ihre Spuren, so gut es irgendwie ging. Plötzlich zerriss ein scharfer Knall die Stille, in der bisher nur die Grillen zirpten. Die weidenden Pferde hoben abrupt die Köpfe. Silver rollte mit den blauen Augen, dass man das Weiße sah.
„Das war doch ein Schuss?“, knurrte Sina rhetorisch. „Lass uns nachschauen, woher er kam.“
Katie packte die Freundin am Arm, die gerade ihre Stute besteigen wollte.
„Sina, wir sollten vorsichtig sein“, mahnte sie. Ihre Freundin kämpfte gerade darum, das widerspenstige Pferd zu besteigen. Jedes Mal, wenn sie den Fuß im Bügel hatte und sich vom Boden abdrücken wollte, machte Silver einen kleinen Schritt zur Seite und Sina konnte ihr nur einbeinig nachhumpeln.
„Bleib stehen, Mistvieh oder du wirst der nächste Hauptgang“, zischte Sina der nervösen Stute zu. Auf dem Hals des Pferdes bildeten sich dunkle Schweißflecke.
„Wir sind ja vorsichtig“, lenkte sie ein, als sie endlich im Sattel saß. „Lass uns trotzdem nachsehen.“
In leichtem Trab ritten die Mädchen in die Richtung des Knalls. Sie zügelten die Pferde und nahm die Gewehre aus der Halterung am Sattel. Hinter einer dicken Eiche unweit des Flussufers, konnten sie ungesehen die Vorgänge beobachten.
Unter einer Gruppe junger Buchen saß ein Indianer, er mochte kaum älter als die beiden Mädchen sein, gefesselt auf seinem Pferd. Um seinen Hals lag ein zu einer Schlinge geknotetes dickes Seil, dessen anderes Ende über den stärksten Ast des Baumes geschlungen war. Ein roh aussehender Kerl hielt das Seil in Händen und grinste geifernd.
Vor dem Indianerjungen und seinem Pferd standen drei weitere Kerle, die genauso widerwärtig aussahen wie ihr Kumpan. Mit Futter versuchten sie, das Indianerpferd anzulocken, das nicht einmal die Ohren spitzte.
„Wenn der Gaul einen Schritt macht, zieht sich die Schlinge zu und bricht ihm das Genick“, flüsterte Katie.
„Er wird wohl eher qualvoll ersticken“, auf Sinas sanftem Gesicht lag ein harter Zug. Sie entsicherte ihr Gewehr und klopfte Silver leicht die Fersen in die Flanken. Die sonst so widerspenstige Stute schien zu wissen, was von ihr erwartet wurde und fügte sich dem Willen ihrer Reiterin. Mit einem gezielten Treffer durchschoss Sina das Seil um den Hals des Indianers. Die Banditen, die so sehr mit ihrem Opfer beschäftigt waren, rissen überrascht die Köpfe hoch, um zu sehen, wer sie da störte. Auch der junge Indianer drehte sich um.
„Lasst den Jungen in Ruhe“, forderte Sina. Die Banditen brachen in schallendes Gelächter aus.
„Das geht dich nichts an, kleines Mädchen“, antwortete einer und machte eine Handbewegung, als wolle er ein Kätzchen scheuchen. „Husch, geh und spiel mit deinen Puppen.“ Seine Freunde lachten. In Sina begann der Zorn zu brodeln. Sie lud durch und schoss dem nächst stehenden Banditen, der immer noch den Rest des Strickes in Händen hielt, ins Bein. Vor Schmerz sich krümmend fiel der Mann zu Boden. Seine Freunde zogen die Colts, doch Katie war schneller. In den Tagen seit sie mit Sina in Santa Fe aufgebrochen war, hatte die Freundin sie in der Kunst des Schießens unterrichtet und Katie war eine gelehrige Schülerin gewesen.
Sie lud kurz durch, dann krachten auch schon mehrere Schüsse und die Colts der Wegelagerer fielen ins Präriegras. Einer hielt sich die blutende Hand.
„Ihr habt doch gehört. Macht, dass ihr wegkommt.“ Die beiden Mädchen standen wie eine schützende Wand zwischen dem Roten und seinen Peinigern.
Sina befreite den Jungen von seinen Fesseln. Er rieb sich die Handgelenke, doch die Kerle machten immer noch keine Anstalten, zu fliehen. Ihr am Bein verletzter Kamerad humpelte mühsam zu ihnen.
„Warum wollten die dich aufhängen?“ Sina sprach, als wäre sie in der Prärie geboren.
„Sie wollten das Gold der Apachen rauben.“ Der Rote machte nicht viele Worte.
„Gebt ihm sein Gold zurück“, forderte Sina mit barscher Stimme.
Die Tramps wagten nicht, zu grinsen. „Die Rothaut lügt“, gab einer zurück. „Er hat uns angegriffen.“
„Warum sollte ein einzelner vier gut bewaffnete Männer angreifen?“, fuhr Katie dazwischen.
„Yuma spricht stets die Wahrheit“, erwiderte der Indianer stolz.
„Ich glaube dir“, unterstützte Sina ihn und zu den Banditen gewandt sagte sie: „Ich zähle jetzt bis drei, dann hat er sein Gold zurück und ihr seid verschwunden.“
„Wir haben…“, wollte der Anführer entgegnen.
„Eins..“ Ein scharfes Klicken.
„Er lüg…“
„Zwei“, der Lauf zeigte genau auf die Stirn des Anführers. „Letzte Chance.“
Der Bandit riss einen prall gefüllten Lederbeutel von seinem Gürtel und warf ihn vor Silvers weiße Hufe.
Katie konnte sich eines Grinsens nicht erwehren. Aus dem kleinen verschüchterten Mädchen, das sie zufällig im Hafen in der alten Heimat getroffen hatte, war innerhalb weniger Wochen eine selbstbewusste Frau geworden.
Yuma waren seine Gedanken nicht anzusehen. Seine ungewöhnlich grünen Augen betrachteten die Banditen mit einem geringschätzigen Blick.
„Ihr seid ja immer noch nicht verschwunden“, stellte Sina ironisch fest. „Drei.“ Sie betätigte den Abzug. Die Kugel schlug genau vor den Stiefelspitzen des Anführers ein. Die drei drehten sich um und rannten zu ihren nahe grasenden Pferden. Augenblicke später sah man nur noch eine dicke Staubwolke von ihnen.
Das helle Lachen der beiden Mädchen folgte ihnen und auch über das ernste Gesicht des Indianers glitt der Anflug eines Lächelns.
In ihrer Freude vergaßen sie alle Vorsicht und bemerkten nicht, dass einer der Kerle zurück geblieben war. Der Bandit, den Sina ins Bein geschossen hatte, lag noch am Boden. Rücksichtslos hatten seine Kumpane ihn zurück gelassen. Unbemerkt zog er ein Messer aus einem verborgenen Schaft im Stiefel. Sina war gerade aus Silvers Sattel geglitten und bückte sich, den Beutel mit dem indianischen Gold aufzuheben, als ein scharfer Schuss, der nicht aus Katies Gewehr kam, krachte.
Der Indianer war unbewaffnet, die Banditen hatten ihm alle seine Waffen abgenommen. Der auf dem Boden liegende Tramp zuckte noch einmal kurz zusammen, dann sackte er mit einem Ächzen in sich zusammen. Aus einer Wunde unterhalb des linken Schlüsselbeines sickerte Blut. Er war tot.
Aus dem dichten Gebüsch hinter dem Baum trat ein hochgewachsener Mann. Erschrocken wandten die beiden Mädchen und der Indianer die Köpfe. Sinas Gesicht leuchtete auf. „Mister Dixon, das war wohl zum rechten Augenblick.“ Sie kicherte ein wenig verschämt.
Katie und Yuma ließen sich vom Rücken ihrer Pferde gleiten. Sina reichte Dixon die Hand, Katie nickte ihm zu. Der Indianer betrachtete ihn wortlos mit abschätzendem Blick, so als würde er später entscheiden, ob er Dixon zu Freund oder Feind zählte.
Dixon nahm Sina beim Arm und sie ließ zu, dass sie er sie ein Stück von den beiden anderen weg führte. Skeptisch, mit gerunzelter Stirn sah Katie, wie die Freundin lebhaft auf den unbekannten Mann einredete. Sie kicherte und schlug Dixon leicht auf den Oberarm.
Zwischen Katie und dem Indianer trat eine verlegene Stille ein. Sie betrachtete ihn schräg aus den Augenwinkeln. Der erste Indianer, den sie aus nächster Nähe sah. Er sah gut aus. Für einen Wilden.
Das schwarze, lange Haar fiel ihm bis auf die Schultern, umrahmte ein Gesicht, dessen Züge vom pausbäckigen Jungen, der er vor kurzer Zeit noch war, zum scharf geschnittenen Gesicht mit hohen Wangenknochen, des Mannes, der er bald sein würde, reiften. Die ungewöhnlich grünen Augen waren von dichten Wimpern umrahmt. Seine Füße steckten in bequemen Mokassins. Als Beinkleidung trug er, wie es der indianischen Sitte entsprach, gefranste Leggins unter einer kurzen, ärmellosen Weste, die einiges von seinem schlanken Oberkörper zeigte.
„Ich habe mich noch nicht vorgestellt“, begann Katie, um die peinliche Stille zu unterbrechen. Mein Name ist Katie.“
Irritiert starrte der Indianer auf ihre ausgestreckte Hand. Sie zog sie zurück. „Bei uns schüttelt man die Hände.“ Es klang wie eine Entschuldigung. Wieder Schweigen, während sich das Gespräch zwischen Sina und diesem fremden Mann in die Länge zog.
Yuma ließ die beiden nicht aus den Augen. „Wie heißt deine Schwester?“, fragte er schließlich nach einer ganzen Weile.
„Oh Sina ist nicht meine Schwester“, beeilte Katie sich, zu erklären. „Aber meine beste Freundin.“
„Sina“, wiederholte der Indianer und ließ den Namen wie ein Kosewort klingen.
Sina warf gerade den Kopf in den Nacken, Ihr helles Lachen klang bis zu den beiden Wartenden. Sie gab Dixon einen Klaps auf die Schulter. Er schien sie prächtig zu unterhalten, ohne dabei die Grenzen der guten Erziehung zu überschreiten.
„Wer ist dieser weiße Mann?“, fragte der Indianer.
Katie zuckte mit den Achseln. „Sina scheint ihn zu kennen. Ich weiß nicht, woher.“ Ihr fiel ein, dass sie diesen Mann schon im Zug nach Santa Fe gesehen hatte. Kurz im Halbschlaf. Die Erinnerung stieg dunkel in ihr auf. Seltsam fand sie allerdings, dass Sina ihn nie mit nur einem Wort erwähnt hatte.
„Man nennt mich Yuma. Der Häuptling der Apachen ist mein Vater.“ Der Stolz des jungen Indianers wäre ihm im Kloster als Hochmut ausgelegt worden. „Was suchen meine weißen Schwestern im Lande des roten Mannes?“
Katie schaute ihn irritiert an. Warum bezeichnete er sie als seine Schwester? Ihr Vater hatte nie darüber geschrieben, dass er einen Sohn hatte und der Junge hatte gerade erzählt, dass er der Sohn des Häuptlings sei. In Katie keimte ein schrecklicher Verdacht und ließ sie vor Wut mit den Zähnen knirschen. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „ Wir sind übers große Wasser gekommen. Das ist eine lange Geschichte.“ Yuma entging nicht, dass ihr Ton kühler wurde.
„Ich suche meinen Vater“, fügte sie hinzu, um nicht unhöflich zu erscheinen. „Er lebt wohl irgendwo bei Roswell.“ Sie zuckte gleichgültig mit den Achseln und hoffte, dass er nicht mit Federhaube einen Stamm Wilder regierte.
„Es ist sehr gefährlich, für zwei junge Frauen allein durch die Wildnis zu reisen“, gab Yuma zu bedenken.
„Auch für einen einzelnen Indianer, wie wir gerade feststellen mussten“, antwortete Katie schlagfertig. Yuma wandte seine Aufmerksamkeit wieder Sina zu, auf seinem Gesicht lag ein eigenartiger Zug. Katie hatte eine empfindliche Stelle getroffen.
„Mein Stamm befindet sich nur zwei Tagesritte von hier entfernt. Erweist mir die Ehre und seid meine Gäste, bevor ihr eure Reise fortsetzt“, bat er schließlich und Katie entging nicht, wie sein Blick dabei auf ihrer Freundin ruhte. Sina schien es ihm angetan zu haben.
„Ich weiß nicht“, wich sie aus. Je länger Sinas Unterhaltung mit diesem fremden Kerl dauerte, desto unbehaglicher wurde ihr zumute. Silver scharrte schon ungeduldig mit den Hufen. Die Fliegen setzten der graziösen Stute zu, während Harlekin seiner Lieblingsbeschäftigung nachging und eifrig graste.
Yuma stellte sich so vor Katie, dass sie ihm ins Gesicht blicken musste. Er war etwas größer als sie, allerdings nicht so hochgewachsen wie Sinas Bekannter Dixon.
„Seit vielen Wintern lebt ein weißer Mann bei unserem Stamm, der ebenfalls über das große Wasser gekommen ist. Vielleicht kann er dir helfen, deinen Vater zu finden.“
Katie war noch unschlüssig. Sie hatte keine Muße, mit ihm mitzureiten, andererseits war es wohl sehr unhöflich, seine Bitte abzuschlagen. Auch wusste sie nicht, wie weit sie ihm trauen konnte. Auch wenn er einen ehrlichen Eindruck machte und sie die wirklichen Banditen verjagt hatten.
„Zuerst muss ich mit Sina sprechen“, gab sie schließlich nach und hoffte, die Freundin würde ablehnen. Yuma nickte verständnisvoll und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Sina und Dixon zu. Nach einer Weile, die nicht nur Katie wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen war, kehrten die beiden wieder zurück. Dixon ging einen Schritt vor Sina, als wolle er sie mit seinem Körper schützen.
Sie hatte ihm wohl alles was sich in den letzten beiden Wochen zugetragen hatte, berichtet.
„Ich bleibe dabei“, sagte er mit fester Stimme. „Es ist zu gefährlich für euch Mädchen, alleine durch die Wildnis zu reiten.“
Sina kicherte eine Spur zu laut. Sie schien richtig mit ihm zu flirten. „Ach, bisher sind wir auch klar gekommen, Dix.“
„Um einen Roten zu retten“, gab Dixon trocken, mit einem Seitenblick auf den Apachen zurück.
Der Indianer wollte zu einer heftigen Erwiderung ansetzen. Rasch trat Katie vor. „Yuma hat uns eingeladen, einige Tage bei seinem Stamm zu verbringen.“ Trotzig schaute sie zu Dixon. „Quasi als Dankeschön“, fuhr sie fort. „Dort lebt ein Weißer, der vielleicht meinen Vater kennt.“ Ihre blauen Augen funkelten Dixon an, der prompt zu einer Erwiderung ansetzte. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass er ihn tatsächlich kennt.“
Katie misstraute diesem schwarzhaarigen Mann mit dem Oberlippenbart. Er gab sich ritterlich und besorgt um die beiden Mädchen, doch schien das nur Fassade zu sein. Sie warf Yuma einen schnellen Blick zu und glaubte, in seinen Augen die Bestätigung zu lesen.
„Wir müssen ihm diese Ehre erweisen“, überging sie den Einwand. „Möglicherweise ist es nur ein Strohhalm, aber den möchte ich ergreifen.“
In ihren blauen Augen lag unmissverständlich eine Warnung, die Dixon nur zu gut verstand. Vor Zorn knirschte er mit den Zähnen, doch konnte er sich beherrschen.
Sina wiegte den Kopf. Ihr Blick begegnete dem des Indianers. „Naja“, stimmte sie schließlich zögerlich zu. „Vielleicht sollten wir ihn wirklich begleiten. So viele Weiße, die gut mit den Indianern befreundet sind, wird es ja wohl auch in der Prärie nicht geben. Könnte wirklich eine Spur sein.“
Dixon stellte sofort klar, dass er nicht zu dem kleinen Kreis der Indianerfreunde gehörte. „Sie werden euch nicht mehr gehen lassen“, prophezeite er düster.
„Papperlapapp“, Sina schwang sich in den Sattel ihrer Stute. Die Zusammenarbeit zwischen ihr und Silver funktionierte mit jedem Tag besser. „Freiwillig behält uns niemand länger als vierundzwanzig Stunden.“ Sie zwinkerte mit den Augen.
Dixon nahm die Zügel eines großen Fuchshengstes. Katie schätzte die Schulterhöhe des gewaltigen Tieres mit dem breiten Hals, der durch die Stehmähne noch verstärkt wurde, auf gut einen Meter achtzig. Die Hufe waren beinahe so groß, wie die Suppenteller im Pensionat.
„Ich werde euch begleiten“, er zeigte auf den Indianer. „Der da ist ja noch ein halbes Kind.“ Yumas grüne Augen funkelten ihn zornig an.
Mit dem Sonnenuntergang wurde es kühl. Ein kleines Feuer war schnell angezündet, gerade so groß, dass es den vier Menschen, die drum herum kauerten, genug Wärme spendete. Sina hatte viel Glück auf der Jagd gehabt und Teile einer jungen Rehkuh, die ihr heute vor die Flinte kam, brieten über dem Feuer. Yumas anerkennendes Lächeln bedeutete ihr fast noch mehr als der gefüllte Magen.
Grillen zirpten durch die sternenklare Nacht. Der Mond hing wie eine riesige silberne Kugel am wolkenlosen Himmel. Ein Wolf heulte einsam in den nahe gelegenen Bergen.
Nach dem Essen wickelte Yuma sich in seine Decke und schwieg. Die Mädchen vermuteten, dass er schlief, doch dem Indianer entging nichts. Dixon hatte sich erboten, die erste Wache zu übernehmen. Katie saß möglichst nah am Feuerschein und nutzte das letzte Licht, noch ein wenig zu lesen.
„Das Buch musst du doch jetzt auswendig kennen“, rief Sina. Sie leistete Dixon noch etwas Gesellschaft und nährte die Flamme mit kleinen, dürren Ästchen, die gierig von der Glut verschlungen wurden.
„Große Teile“, antwortete Katie geistesabwesend und konzentrierte sich wieder auf ihr Buch.
„Ich habe auch darin gelesen und…“, nahm Sina den Faden auf.
„Mmmmhhff“, Katie gab nur ein Grunzen von sich. Shakespeare hielt sie in seinem Bann.
Sina schenkte ihre Aufmerksamkeit dem unterhaltsameren Dixon. „Er hat ja grüne Augen“, begann sie mit einer Kopfbewegung zu Yuma. „Ich dachte immer, Indianer haben braune Augen.“ In Wirklichkeit hatte sie diesbezüglich nie etwas gedacht, da Yuma der erste Indianer war, den sie in ihrem Leben getroffen hatte.
Dixon starrte mit finsterer Miene in die züngelnden Flammen, die sein Gesicht zu einer orangenroten Fratze verzerrten. „Über die Jahrzehnte haben sich Rot und Weiß miteinander vermischt“, er sprach gepresst zwischen den Zähnen und vermied, auszuspucken. „Hin und wieder werden Indianerkinder mit hellen Augen und weißer Haut geboren.“ Er schwieg so lange, dass Sina schon glaubte, er wolle das Gespräch beenden. Sie war überrascht, als er weiter sprach. „Trotzdem sind und bleiben sie Rote, denen man besser nicht trauen sollte.“
Yuma setzte sich auf. Er hatte die ganze Zeit geschwiegen, doch statt zu schlafen, wie angenommen, hatte er jedes Wort der Unterhaltung mitgehört.
„Ist der weiße Mann besser?“, fragte er voller Zynismus. Sina blickte zu Boden und der Apache gab selbst die Antwort. „Ich glaube nicht, wenn ganze Indianerdörfer überfallen und Frauen und Kinder ermordet werden. Von der Hand der weißen Männer.“
Den ganzen Nachmittag hatte der Zorn in Dixon gebrodelt, aber aus Rücksicht auf die beiden Mädchen hatte er keinen Streit mit der Rothaut gesucht.
Hitzig sprang er auf und stand schon fast drohend dem Jungen gegenüber. Nur durch das Feuer getrennt. „Es waren Indianer, die den Treck friedlicher Siedler im Coyoten-Tal dem Erdboden gleichgemacht haben.“
„Von Weißen aufgestachelte Komantschen, die dem Feuerwasser nicht widerstehen konnten“, zischte Yuma. „Ihr befindet euch im Land der Indianer.“
Dixons Hand schoss an den Colt in seinem Gürtel. Mit einem Satz war Sina auf den Füßen. Sie musste die beiden Streithähne trennen. Einzig Katie war ruhig am Feuer sitzengeblieben, ihr Buch lag aufgeklappt auf ihrem Schoß.
„Halt. Stopp“, rief Sina und breitete beide Arme aus. „Solange ihr mit uns unterwegs seid, wird sich nicht geprügelt. Setzen, die Herren.“ Sie sprach keine Bitte aus. Völlig konfus starrten die beiden Kontrahenten sie an. So hatte noch nie zuvor eine Frau mit einem der beiden gesprochen.
„Wenn wir Katies Vater gefunden haben, könnt ihr euch von mir aus gegenseitig umbringen“, fuhr sie fort. „Aber bis dahin benehmt ihr euch.“
Die beiden ließen sich wieder am Feuer nieder. Die Dunkelheit überdeckte die verachtungsvollen Blicke, die sie sich gegenseitig zuwarfen.
Katie klopfte auf den Buchdeckel. „Romeo und Julia“, erklärte sie. „Die größte Liebestragödie aller Zeiten. Ihre Liebe wurde von der Feindschaft ihrer Familien überschattet und schließlich tötete unversöhnlicher Hass die beiden.“
Dixon schnaubte abwertend. „Bücher.“
„Ja, Bücher“, erwiderte Katie gelassen, aber mit Nachdruck. „Das gedruckte Wort zwischen zwei festen Deckeln kann das Leid ersparen, welches Waffen verursachen, wenn man sich die Mühe macht und vorher liest.“
Dixon knurrte etwas Unverständliches, das wie „Ich brauche etwas zu trinken“, klang. Er machte sich an seinem Sattel, der hinter ihm lag und später als Kopfkissen dienen sollte und brachte aus der Tasche eine steinerne Flasche zutage, die er seinen Begleitern hinhielt.
Stolz wies der Indianer das Dargebotene zurück. „Yuma trinkt niemals Feuerwasser.“
„Du kriegst auch nichts“, erwiderte Sina vorlaut, während sie die Flasche entkorkte und an den Mund setzte. „Du bist noch zu klein.“
Als die Sonne am nächsten Morgen sich als schmaler roter Streifen am Horizont zeigte, setzten die vier ihre Reise fort. Nach Indianerart ritten sie hintereinander im Gänsemarsch, um möglichst wenige Spuren zu hinterlassen. Der Apache, der den Weg kannte, ritt voraus. Ihm folgten Dixon und dann die Mädchen. Katie fiel auf, dass Dixon sich sehr genau den Weg, den sie ritten, anschaute. Ab und an knickte er wie zufällig einen Ast in einem Strauch oder Baum ab oder es fiel etwas zu Boden, was er nicht zu bemerken schien.
Der hinterlässt doch absichtlich eine Spur, dachte Katie und beschloss, diesen undurchsichtigen Mann genau im Auge zu behalten. Die Prärie breitete sich wie ein sanfter grüner Teppich vor ihnen aus. Sie ritten immer in der Nähe des Flussufers, in einem gleichmäßigen Trott, um schnell voranzukommen, aber auch ihre Pferde zu schonen. Sina hing fast auf dem Hals ihrer Stute. Der Grund waren nicht ihre mangelnden Reitkünste. Zusammen mit Dixon hatte sie unter den missbilligenden Blicken des Indianers und ihrer Freundin dem Rum gut zugesprochen. Der Kopf dröhnte, als wäre ein ganzer Bienenstock darin beheimatet und das grelle Sonnenlicht stach ihr in die Augen wie tausend kleine Nadelstiche.
Yuma hielt sich gerade wie ein Stock auf dem Rücken seiner zierlichen Stute mit dem gefleckten Hinterteil. Er war auf der Hut, sie befanden sich in Feindesland. Der Fluss bildete eine natürliche Grenze zwischen dem Gebiet der Apachen und ihrer Todfeinde, den Lakota.
8.Teil
Katie hingegen hatte im Kloster auch das Reiten erlernt und genoss die langen Ritte auf dem braunen Hengst mit der langen schwarzen Mähne. Harlekin, wie sie ihn rief, hatte sich als treuer Partner erwiesen, der sich seine Freunde selbst aussuchte. Bei Katie war er sanft wie ein Lämmchen. Lediglich an den ausladenden Sattel mit dem hohen Horn hatte sie sich gewöhnen müssen, doch nach zwei Tagen saß sie darin wie in einem Sessel.
Die Mädchen hatten sich schließlich doch dagegen entschieden, dem Treck beizutreten. Zum einen lag es daran, dass er in die entgegensetzte Richtung der Stadt Roswell wandern wollte. Zum anderen kamen sie zu zweit schneller voran. Sie waren sich des Risikos bewusst, das sie eingingen, allein durch den berüchtigten Wilden Westen zu reisen, doch wollten sie die Dinge handhaben, wie sie kamen.
Bisher waren sie weder Indianern noch irgendwelchen Banditen begegnet. Das wildeste Zusammentreffen hatten sie mit einem Bisonbullen, dessen dichtes Fell schon ergraut war. Doch das Tier schien sie entweder nicht bemerkt zu haben oder war zu müde, zum Angreifen. Er starrte die erschrockenen Mädchen nur an. Harlekin zog die Oberlippe hoch und der Bisonbulle trollte sich ins Gebüsch zurück.
„Der war zu alt und zu zäh zum schießen“, konstatierte Sina enttäuscht.
„Einen Happen zu viel für uns beide“, tröstete Katie die Freundin lachend.
Dank ihrer Gewinne hatten sie jetzt genug finanzielle Mittel, über die Runden zu kommen. Katie hatte das Geld in viele kleinere Beträge aufgeteilt, die sie in ihrer und Sinas Kleidung und den Satteltaschen der beiden verteilte. In Santa Fe hatten sie sich noch mit dem Westen entsprechender Kleidung, Waffen und Munition, sowie Proviant für mehrere Tage versorgt. Katie hatte auch an Medikamente gedacht. In ihrer Satteltasche befanden sich Chloroform, Chinin und eingeschlagen in Leinen, Skalpelle und Pinzetten.
Katie wusste nicht, wo sie die Suche nach ihrem Vater beginnen sollte. Das letzte Bildnis, das er von sich geschickt hatte, war mit ihrer Tasche im Hafen von New York gestohlen worden. Anhand von Karten konnte sie ungefähr die Richtung bestimmen, in die sie reiten mussten. Dennoch dachte sie nicht daran, lange zu bleiben. Sinas Drängen, sich auf die Suche nach ihrem Erzeuger zu machen, hatte sie nachgegeben, doch sollte dieser Besuch nur von kurzer Dauer sein, danach wollte sie sich so schnell als möglich ein eigenes Leben aufbauen.
„Essen ist fertig“, rief da auch schon die Freundin. Sina war eine katastrophale Köchin und überließ die Zubereitung des Essens Katie, die auch wilde Kräuter sammelte. Immerhin brachte sie es fertig, das Fleisch gleichmäßig am Spieß zu drehen. Die Pferde fanden ihr Futter selbst. Sie grasten nah am Ufer des Flusses, wo das Gras besonders hoch und saftig stand. Es war erst Ende April, aber bei dieser Hitze konnte man sich ausmalen, dass in wenigen Wochen alles von der Sonne verdorrt sein würde.
„Ein Glück, dass ich für ausreichend Medikamente gesorgt habe“, rief Katie und stieg in ihre Kleidung. Sie und Sina trugen jetzt Männerkleidung. Hosen und weite Hemden, die auf den langen Ritten bequemer waren als die starren Korsetts, von denen sie sich verabschiedet hatten. Damenhafter Dünkel ließ hier kaum Luft zum Atmen.
„Hahaha“, gab Sina ironisch zurück. „So schlecht koche ich jetzt auch nicht.“
„Nein“, stimmte Katie mit einem Grinsen zu und ließ sich am Feuer nieder, die Beine untergeschlagen. „Aber ein Menü von dir könnte man als Waffe einsetzen.“
Sina zog eine Grimasse. „Iss und halt den Mund“, zischte sie. Wirklich böse war sie nicht. Katie war ihre Freundin, die beste, die sie je hatte. Mehr noch, sie war die große Schwester, die sie sich immer gewünscht hatte.
Das Feuer brannte nur mit kleiner Flamme und Katie achtete sehr darauf, dass sie keinen Rauch machten. Trotz ihrer Unerfahrenheit waren die beiden Mädchen darauf bedacht, kein allzu großes Risiko einzugehen und möglichen Feinden nicht aufzufallen. Immer wieder waren sie vor Indianern gewarnt worden. Sie seien wild und grausam und kannten kein Erbarmen, auch nicht mit zwei wehrlosen jungen Frauen. Aber nicht nur die Roten konnten ihnen gefährlich werden, wie Sina als bittere Erfahrung machen musste. Die Prärie beheimatete jede Menge wilde Tiere wie Wölfe oder Bären.
Nach dem Essen löschten sie die Flammen und verwischten ihre Spuren, so gut es irgendwie ging. Plötzlich zerriss ein scharfer Knall die Stille, in der bisher nur die Grillen zirpten. Die weidenden Pferde hoben abrupt die Köpfe. Silver rollte mit den blauen Augen, dass man das Weiße sah.
„Das war doch ein Schuss?“, knurrte Sina rhetorisch. „Lass uns nachschauen, woher er kam.“
Katie packte die Freundin am Arm, die gerade ihre Stute besteigen wollte.
„Sina, wir sollten vorsichtig sein“, mahnte sie. Ihre Freundin kämpfte gerade darum, das widerspenstige Pferd zu besteigen. Jedes Mal, wenn sie den Fuß im Bügel hatte und sich vom Boden abdrücken wollte, machte Silver einen kleinen Schritt zur Seite und Sina konnte ihr nur einbeinig nachhumpeln.
„Bleib stehen, Mistvieh oder du wirst der nächste Hauptgang“, zischte Sina der nervösen Stute zu. Auf dem Hals des Pferdes bildeten sich dunkle Schweißflecke.
„Wir sind ja vorsichtig“, lenkte sie ein, als sie endlich im Sattel saß. „Lass uns trotzdem nachsehen.“
In leichtem Trab ritten die Mädchen in die Richtung des Knalls. Sie zügelten die Pferde und nahm die Gewehre aus der Halterung am Sattel. Hinter einer dicken Eiche unweit des Flussufers, konnten sie ungesehen die Vorgänge beobachten.
Unter einer Gruppe junger Buchen saß ein Indianer, er mochte kaum älter als die beiden Mädchen sein, gefesselt auf seinem Pferd. Um seinen Hals lag ein zu einer Schlinge geknotetes dickes Seil, dessen anderes Ende über den stärksten Ast des Baumes geschlungen war. Ein roh aussehender Kerl hielt das Seil in Händen und grinste geifernd.
Vor dem Indianerjungen und seinem Pferd standen drei weitere Kerle, die genauso widerwärtig aussahen wie ihr Kumpan. Mit Futter versuchten sie, das Indianerpferd anzulocken, das nicht einmal die Ohren spitzte.
„Wenn der Gaul einen Schritt macht, zieht sich die Schlinge zu und bricht ihm das Genick“, flüsterte Katie.
„Er wird wohl eher qualvoll ersticken“, auf Sinas sanftem Gesicht lag ein harter Zug. Sie entsicherte ihr Gewehr und klopfte Silver leicht die Fersen in die Flanken. Die sonst so widerspenstige Stute schien zu wissen, was von ihr erwartet wurde und fügte sich dem Willen ihrer Reiterin. Mit einem gezielten Treffer durchschoss Sina das Seil um den Hals des Indianers. Die Banditen, die so sehr mit ihrem Opfer beschäftigt waren, rissen überrascht die Köpfe hoch, um zu sehen, wer sie da störte. Auch der junge Indianer drehte sich um.
„Lasst den Jungen in Ruhe“, forderte Sina. Die Banditen brachen in schallendes Gelächter aus.
„Das geht dich nichts an, kleines Mädchen“, antwortete einer und machte eine Handbewegung, als wolle er ein Kätzchen scheuchen. „Husch, geh und spiel mit deinen Puppen.“ Seine Freunde lachten. In Sina begann der Zorn zu brodeln. Sie lud durch und schoss dem nächst stehenden Banditen, der immer noch den Rest des Strickes in Händen hielt, ins Bein. Vor Schmerz sich krümmend fiel der Mann zu Boden. Seine Freunde zogen die Colts, doch Katie war schneller. In den Tagen seit sie mit Sina in Santa Fe aufgebrochen war, hatte die Freundin sie in der Kunst des Schießens unterrichtet und Katie war eine gelehrige Schülerin gewesen.
Sie lud kurz durch, dann krachten auch schon mehrere Schüsse und die Colts der Wegelagerer fielen ins Präriegras. Einer hielt sich die blutende Hand.
„Ihr habt doch gehört. Macht, dass ihr wegkommt.“ Die beiden Mädchen standen wie eine schützende Wand zwischen dem Roten und seinen Peinigern.
Sina befreite den Jungen von seinen Fesseln. Er rieb sich die Handgelenke, doch die Kerle machten immer noch keine Anstalten, zu fliehen. Ihr am Bein verletzter Kamerad humpelte mühsam zu ihnen.
„Warum wollten die dich aufhängen?“ Sina sprach, als wäre sie in der Prärie geboren.
„Sie wollten das Gold der Apachen rauben.“ Der Rote machte nicht viele Worte.
„Gebt ihm sein Gold zurück“, forderte Sina mit barscher Stimme.
Die Tramps wagten nicht, zu grinsen. „Die Rothaut lügt“, gab einer zurück. „Er hat uns angegriffen.“
„Warum sollte ein einzelner vier gut bewaffnete Männer angreifen?“, fuhr Katie dazwischen.
„Yuma spricht stets die Wahrheit“, erwiderte der Indianer stolz.
„Ich glaube dir“, unterstützte Sina ihn und zu den Banditen gewandt sagte sie: „Ich zähle jetzt bis drei, dann hat er sein Gold zurück und ihr seid verschwunden.“
„Wir haben…“, wollte der Anführer entgegnen.
„Eins..“ Ein scharfes Klicken.
„Er lüg…“
„Zwei“, der Lauf zeigte genau auf die Stirn des Anführers. „Letzte Chance.“
Der Bandit riss einen prall gefüllten Lederbeutel von seinem Gürtel und warf ihn vor Silvers weiße Hufe.
Katie konnte sich eines Grinsens nicht erwehren. Aus dem kleinen verschüchterten Mädchen, das sie zufällig im Hafen in der alten Heimat getroffen hatte, war innerhalb weniger Wochen eine selbstbewusste Frau geworden.
Yuma waren seine Gedanken nicht anzusehen. Seine ungewöhnlich grünen Augen betrachteten die Banditen mit einem geringschätzigen Blick.
„Ihr seid ja immer noch nicht verschwunden“, stellte Sina ironisch fest. „Drei.“ Sie betätigte den Abzug. Die Kugel schlug genau vor den Stiefelspitzen des Anführers ein. Die drei drehten sich um und rannten zu ihren nahe grasenden Pferden. Augenblicke später sah man nur noch eine dicke Staubwolke von ihnen.
Das helle Lachen der beiden Mädchen folgte ihnen und auch über das ernste Gesicht des Indianers glitt der Anflug eines Lächelns.
In ihrer Freude vergaßen sie alle Vorsicht und bemerkten nicht, dass einer der Kerle zurück geblieben war. Der Bandit, den Sina ins Bein geschossen hatte, lag noch am Boden. Rücksichtslos hatten seine Kumpane ihn zurück gelassen. Unbemerkt zog er ein Messer aus einem verborgenen Schaft im Stiefel. Sina war gerade aus Silvers Sattel geglitten und bückte sich, den Beutel mit dem indianischen Gold aufzuheben, als ein scharfer Schuss, der nicht aus Katies Gewehr kam, krachte.
Der Indianer war unbewaffnet, die Banditen hatten ihm alle seine Waffen abgenommen. Der auf dem Boden liegende Tramp zuckte noch einmal kurz zusammen, dann sackte er mit einem Ächzen in sich zusammen. Aus einer Wunde unterhalb des linken Schlüsselbeines sickerte Blut. Er war tot.
Aus dem dichten Gebüsch hinter dem Baum trat ein hochgewachsener Mann. Erschrocken wandten die beiden Mädchen und der Indianer die Köpfe. Sinas Gesicht leuchtete auf. „Mister Dixon, das war wohl zum rechten Augenblick.“ Sie kicherte ein wenig verschämt.
Katie und Yuma ließen sich vom Rücken ihrer Pferde gleiten. Sina reichte Dixon die Hand, Katie nickte ihm zu. Der Indianer betrachtete ihn wortlos mit abschätzendem Blick, so als würde er später entscheiden, ob er Dixon zu Freund oder Feind zählte.
Dixon nahm Sina beim Arm und sie ließ zu, dass sie er sie ein Stück von den beiden anderen weg führte. Skeptisch, mit gerunzelter Stirn sah Katie, wie die Freundin lebhaft auf den unbekannten Mann einredete. Sie kicherte und schlug Dixon leicht auf den Oberarm.
Zwischen Katie und dem Indianer trat eine verlegene Stille ein. Sie betrachtete ihn schräg aus den Augenwinkeln. Der erste Indianer, den sie aus nächster Nähe sah. Er sah gut aus. Für einen Wilden.
Das schwarze, lange Haar fiel ihm bis auf die Schultern, umrahmte ein Gesicht, dessen Züge vom pausbäckigen Jungen, der er vor kurzer Zeit noch war, zum scharf geschnittenen Gesicht mit hohen Wangenknochen, des Mannes, der er bald sein würde, reiften. Die ungewöhnlich grünen Augen waren von dichten Wimpern umrahmt. Seine Füße steckten in bequemen Mokassins. Als Beinkleidung trug er, wie es der indianischen Sitte entsprach, gefranste Leggins unter einer kurzen, ärmellosen Weste, die einiges von seinem schlanken Oberkörper zeigte.
„Ich habe mich noch nicht vorgestellt“, begann Katie, um die peinliche Stille zu unterbrechen. Mein Name ist Katie.“
Irritiert starrte der Indianer auf ihre ausgestreckte Hand. Sie zog sie zurück. „Bei uns schüttelt man die Hände.“ Es klang wie eine Entschuldigung. Wieder Schweigen, während sich das Gespräch zwischen Sina und diesem fremden Mann in die Länge zog.
Yuma ließ die beiden nicht aus den Augen. „Wie heißt deine Schwester?“, fragte er schließlich nach einer ganzen Weile.
„Oh Sina ist nicht meine Schwester“, beeilte Katie sich, zu erklären. „Aber meine beste Freundin.“
„Sina“, wiederholte der Indianer und ließ den Namen wie ein Kosewort klingen.
Sina warf gerade den Kopf in den Nacken, Ihr helles Lachen klang bis zu den beiden Wartenden. Sie gab Dixon einen Klaps auf die Schulter. Er schien sie prächtig zu unterhalten, ohne dabei die Grenzen der guten Erziehung zu überschreiten.
„Wer ist dieser weiße Mann?“, fragte der Indianer.
Katie zuckte mit den Achseln. „Sina scheint ihn zu kennen. Ich weiß nicht, woher.“ Ihr fiel ein, dass sie diesen Mann schon im Zug nach Santa Fe gesehen hatte. Kurz im Halbschlaf. Die Erinnerung stieg dunkel in ihr auf. Seltsam fand sie allerdings, dass Sina ihn nie mit nur einem Wort erwähnt hatte.
„Man nennt mich Yuma. Der Häuptling der Apachen ist mein Vater.“ Der Stolz des jungen Indianers wäre ihm im Kloster als Hochmut ausgelegt worden. „Was suchen meine weißen Schwestern im Lande des roten Mannes?“
Katie schaute ihn irritiert an. Warum bezeichnete er sie als seine Schwester? Ihr Vater hatte nie darüber geschrieben, dass er einen Sohn hatte und der Junge hatte gerade erzählt, dass er der Sohn des Häuptlings sei. In Katie keimte ein schrecklicher Verdacht und ließ sie vor Wut mit den Zähnen knirschen. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „ Wir sind übers große Wasser gekommen. Das ist eine lange Geschichte.“ Yuma entging nicht, dass ihr Ton kühler wurde.
„Ich suche meinen Vater“, fügte sie hinzu, um nicht unhöflich zu erscheinen. „Er lebt wohl irgendwo bei Roswell.“ Sie zuckte gleichgültig mit den Achseln und hoffte, dass er nicht mit Federhaube einen Stamm Wilder regierte.
„Es ist sehr gefährlich, für zwei junge Frauen allein durch die Wildnis zu reisen“, gab Yuma zu bedenken.
„Auch für einen einzelnen Indianer, wie wir gerade feststellen mussten“, antwortete Katie schlagfertig. Yuma wandte seine Aufmerksamkeit wieder Sina zu, auf seinem Gesicht lag ein eigenartiger Zug. Katie hatte eine empfindliche Stelle getroffen.
„Mein Stamm befindet sich nur zwei Tagesritte von hier entfernt. Erweist mir die Ehre und seid meine Gäste, bevor ihr eure Reise fortsetzt“, bat er schließlich und Katie entging nicht, wie sein Blick dabei auf ihrer Freundin ruhte. Sina schien es ihm angetan zu haben.
„Ich weiß nicht“, wich sie aus. Je länger Sinas Unterhaltung mit diesem fremden Kerl dauerte, desto unbehaglicher wurde ihr zumute. Silver scharrte schon ungeduldig mit den Hufen. Die Fliegen setzten der graziösen Stute zu, während Harlekin seiner Lieblingsbeschäftigung nachging und eifrig graste.
Yuma stellte sich so vor Katie, dass sie ihm ins Gesicht blicken musste. Er war etwas größer als sie, allerdings nicht so hochgewachsen wie Sinas Bekannter Dixon.
„Seit vielen Wintern lebt ein weißer Mann bei unserem Stamm, der ebenfalls über das große Wasser gekommen ist. Vielleicht kann er dir helfen, deinen Vater zu finden.“
Katie war noch unschlüssig. Sie hatte keine Muße, mit ihm mitzureiten, andererseits war es wohl sehr unhöflich, seine Bitte abzuschlagen. Auch wusste sie nicht, wie weit sie ihm trauen konnte. Auch wenn er einen ehrlichen Eindruck machte und sie die wirklichen Banditen verjagt hatten.
„Zuerst muss ich mit Sina sprechen“, gab sie schließlich nach und hoffte, die Freundin würde ablehnen. Yuma nickte verständnisvoll und wandte seine Aufmerksamkeit wieder Sina und Dixon zu. Nach einer Weile, die nicht nur Katie wie eine halbe Ewigkeit vorgekommen war, kehrten die beiden wieder zurück. Dixon ging einen Schritt vor Sina, als wolle er sie mit seinem Körper schützen.
Sie hatte ihm wohl alles was sich in den letzten beiden Wochen zugetragen hatte, berichtet.
„Ich bleibe dabei“, sagte er mit fester Stimme. „Es ist zu gefährlich für euch Mädchen, alleine durch die Wildnis zu reiten.“
Sina kicherte eine Spur zu laut. Sie schien richtig mit ihm zu flirten. „Ach, bisher sind wir auch klar gekommen, Dix.“
„Um einen Roten zu retten“, gab Dixon trocken, mit einem Seitenblick auf den Apachen zurück.
Der Indianer wollte zu einer heftigen Erwiderung ansetzen. Rasch trat Katie vor. „Yuma hat uns eingeladen, einige Tage bei seinem Stamm zu verbringen.“ Trotzig schaute sie zu Dixon. „Quasi als Dankeschön“, fuhr sie fort. „Dort lebt ein Weißer, der vielleicht meinen Vater kennt.“ Ihre blauen Augen funkelten Dixon an, der prompt zu einer Erwiderung ansetzte. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass er ihn tatsächlich kennt.“
Katie misstraute diesem schwarzhaarigen Mann mit dem Oberlippenbart. Er gab sich ritterlich und besorgt um die beiden Mädchen, doch schien das nur Fassade zu sein. Sie warf Yuma einen schnellen Blick zu und glaubte, in seinen Augen die Bestätigung zu lesen.
„Wir müssen ihm diese Ehre erweisen“, überging sie den Einwand. „Möglicherweise ist es nur ein Strohhalm, aber den möchte ich ergreifen.“
In ihren blauen Augen lag unmissverständlich eine Warnung, die Dixon nur zu gut verstand. Vor Zorn knirschte er mit den Zähnen, doch konnte er sich beherrschen.
Sina wiegte den Kopf. Ihr Blick begegnete dem des Indianers. „Naja“, stimmte sie schließlich zögerlich zu. „Vielleicht sollten wir ihn wirklich begleiten. So viele Weiße, die gut mit den Indianern befreundet sind, wird es ja wohl auch in der Prärie nicht geben. Könnte wirklich eine Spur sein.“
Dixon stellte sofort klar, dass er nicht zu dem kleinen Kreis der Indianerfreunde gehörte. „Sie werden euch nicht mehr gehen lassen“, prophezeite er düster.
„Papperlapapp“, Sina schwang sich in den Sattel ihrer Stute. Die Zusammenarbeit zwischen ihr und Silver funktionierte mit jedem Tag besser. „Freiwillig behält uns niemand länger als vierundzwanzig Stunden.“ Sie zwinkerte mit den Augen.
Dixon nahm die Zügel eines großen Fuchshengstes. Katie schätzte die Schulterhöhe des gewaltigen Tieres mit dem breiten Hals, der durch die Stehmähne noch verstärkt wurde, auf gut einen Meter achtzig. Die Hufe waren beinahe so groß, wie die Suppenteller im Pensionat.
„Ich werde euch begleiten“, er zeigte auf den Indianer. „Der da ist ja noch ein halbes Kind.“ Yumas grüne Augen funkelten ihn zornig an.
Mit dem Sonnenuntergang wurde es kühl. Ein kleines Feuer war schnell angezündet, gerade so groß, dass es den vier Menschen, die drum herum kauerten, genug Wärme spendete. Sina hatte viel Glück auf der Jagd gehabt und Teile einer jungen Rehkuh, die ihr heute vor die Flinte kam, brieten über dem Feuer. Yumas anerkennendes Lächeln bedeutete ihr fast noch mehr als der gefüllte Magen.
Grillen zirpten durch die sternenklare Nacht. Der Mond hing wie eine riesige silberne Kugel am wolkenlosen Himmel. Ein Wolf heulte einsam in den nahe gelegenen Bergen.
Nach dem Essen wickelte Yuma sich in seine Decke und schwieg. Die Mädchen vermuteten, dass er schlief, doch dem Indianer entging nichts. Dixon hatte sich erboten, die erste Wache zu übernehmen. Katie saß möglichst nah am Feuerschein und nutzte das letzte Licht, noch ein wenig zu lesen.
„Das Buch musst du doch jetzt auswendig kennen“, rief Sina. Sie leistete Dixon noch etwas Gesellschaft und nährte die Flamme mit kleinen, dürren Ästchen, die gierig von der Glut verschlungen wurden.
„Große Teile“, antwortete Katie geistesabwesend und konzentrierte sich wieder auf ihr Buch.
„Ich habe auch darin gelesen und…“, nahm Sina den Faden auf.
„Mmmmhhff“, Katie gab nur ein Grunzen von sich. Shakespeare hielt sie in seinem Bann.
Sina schenkte ihre Aufmerksamkeit dem unterhaltsameren Dixon. „Er hat ja grüne Augen“, begann sie mit einer Kopfbewegung zu Yuma. „Ich dachte immer, Indianer haben braune Augen.“ In Wirklichkeit hatte sie diesbezüglich nie etwas gedacht, da Yuma der erste Indianer war, den sie in ihrem Leben getroffen hatte.
Dixon starrte mit finsterer Miene in die züngelnden Flammen, die sein Gesicht zu einer orangenroten Fratze verzerrten. „Über die Jahrzehnte haben sich Rot und Weiß miteinander vermischt“, er sprach gepresst zwischen den Zähnen und vermied, auszuspucken. „Hin und wieder werden Indianerkinder mit hellen Augen und weißer Haut geboren.“ Er schwieg so lange, dass Sina schon glaubte, er wolle das Gespräch beenden. Sie war überrascht, als er weiter sprach. „Trotzdem sind und bleiben sie Rote, denen man besser nicht trauen sollte.“
Yuma setzte sich auf. Er hatte die ganze Zeit geschwiegen, doch statt zu schlafen, wie angenommen, hatte er jedes Wort der Unterhaltung mitgehört.
„Ist der weiße Mann besser?“, fragte er voller Zynismus. Sina blickte zu Boden und der Apache gab selbst die Antwort. „Ich glaube nicht, wenn ganze Indianerdörfer überfallen und Frauen und Kinder ermordet werden. Von der Hand der weißen Männer.“
Den ganzen Nachmittag hatte der Zorn in Dixon gebrodelt, aber aus Rücksicht auf die beiden Mädchen hatte er keinen Streit mit der Rothaut gesucht.
Hitzig sprang er auf und stand schon fast drohend dem Jungen gegenüber. Nur durch das Feuer getrennt. „Es waren Indianer, die den Treck friedlicher Siedler im Coyoten-Tal dem Erdboden gleichgemacht haben.“
„Von Weißen aufgestachelte Komantschen, die dem Feuerwasser nicht widerstehen konnten“, zischte Yuma. „Ihr befindet euch im Land der Indianer.“
Dixons Hand schoss an den Colt in seinem Gürtel. Mit einem Satz war Sina auf den Füßen. Sie musste die beiden Streithähne trennen. Einzig Katie war ruhig am Feuer sitzengeblieben, ihr Buch lag aufgeklappt auf ihrem Schoß.
„Halt. Stopp“, rief Sina und breitete beide Arme aus. „Solange ihr mit uns unterwegs seid, wird sich nicht geprügelt. Setzen, die Herren.“ Sie sprach keine Bitte aus. Völlig konfus starrten die beiden Kontrahenten sie an. So hatte noch nie zuvor eine Frau mit einem der beiden gesprochen.
„Wenn wir Katies Vater gefunden haben, könnt ihr euch von mir aus gegenseitig umbringen“, fuhr sie fort. „Aber bis dahin benehmt ihr euch.“
Die beiden ließen sich wieder am Feuer nieder. Die Dunkelheit überdeckte die verachtungsvollen Blicke, die sie sich gegenseitig zuwarfen.
Katie klopfte auf den Buchdeckel. „Romeo und Julia“, erklärte sie. „Die größte Liebestragödie aller Zeiten. Ihre Liebe wurde von der Feindschaft ihrer Familien überschattet und schließlich tötete unversöhnlicher Hass die beiden.“
Dixon schnaubte abwertend. „Bücher.“
„Ja, Bücher“, erwiderte Katie gelassen, aber mit Nachdruck. „Das gedruckte Wort zwischen zwei festen Deckeln kann das Leid ersparen, welches Waffen verursachen, wenn man sich die Mühe macht und vorher liest.“
Dixon knurrte etwas Unverständliches, das wie „Ich brauche etwas zu trinken“, klang. Er machte sich an seinem Sattel, der hinter ihm lag und später als Kopfkissen dienen sollte und brachte aus der Tasche eine steinerne Flasche zutage, die er seinen Begleitern hinhielt.
Stolz wies der Indianer das Dargebotene zurück. „Yuma trinkt niemals Feuerwasser.“
„Du kriegst auch nichts“, erwiderte Sina vorlaut, während sie die Flasche entkorkte und an den Mund setzte. „Du bist noch zu klein.“
Als die Sonne am nächsten Morgen sich als schmaler roter Streifen am Horizont zeigte, setzten die vier ihre Reise fort. Nach Indianerart ritten sie hintereinander im Gänsemarsch, um möglichst wenige Spuren zu hinterlassen. Der Apache, der den Weg kannte, ritt voraus. Ihm folgten Dixon und dann die Mädchen. Katie fiel auf, dass Dixon sich sehr genau den Weg, den sie ritten, anschaute. Ab und an knickte er wie zufällig einen Ast in einem Strauch oder Baum ab oder es fiel etwas zu Boden, was er nicht zu bemerken schien.
Der hinterlässt doch absichtlich eine Spur, dachte Katie und beschloss, diesen undurchsichtigen Mann genau im Auge zu behalten. Die Prärie breitete sich wie ein sanfter grüner Teppich vor ihnen aus. Sie ritten immer in der Nähe des Flussufers, in einem gleichmäßigen Trott, um schnell voranzukommen, aber auch ihre Pferde zu schonen. Sina hing fast auf dem Hals ihrer Stute. Der Grund waren nicht ihre mangelnden Reitkünste. Zusammen mit Dixon hatte sie unter den missbilligenden Blicken des Indianers und ihrer Freundin dem Rum gut zugesprochen. Der Kopf dröhnte, als wäre ein ganzer Bienenstock darin beheimatet und das grelle Sonnenlicht stach ihr in die Augen wie tausend kleine Nadelstiche.
Yuma hielt sich gerade wie ein Stock auf dem Rücken seiner zierlichen Stute mit dem gefleckten Hinterteil. Er war auf der Hut, sie befanden sich in Feindesland. Der Fluss bildete eine natürliche Grenze zwischen dem Gebiet der Apachen und ihrer Todfeinde, den Lakota.
8.Teil